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Schluckaufbeschwerden
Nachdem der Arzt die Spuren unserer medizinischen Grundversorgung beseitigt hatte, sah er uns erwartungsvoll an. Ich konnte nachvollziehen, daß er neugierig war.
Wir drei blickten uns grinsend an. Die einzige, die ein säuerliches Gesicht zog, war meine Frau.
"Eigentlich hat alles ganz harmlos angefangen. Ich hatte einen Schluckauf, den ich nicht loswerden konnte. Bis meine Familie einen Superplan hatte." Fing ich an. Und dann erzählte ich ihm die ganze Geschichte.
Das Kantinenessen bekam mir nicht. Eigentlich bekam es mir nir. Aber heute war ich schwach geworden, weil Pizza auf dem Plan stand. Schon nach den ersten zwei Bissen fing es an. - Hicks, Pause, Hicks, Pause. Zuerst versuchte ich es mit Luft anhalten, bis mein Gesicht erst rot, dann blau anlief - warten - Hicks, Pause, Hicks, Pause.
Im Laufe des Nachmittags wurden die Pausen kürzer und die Hicks lauter. Ich hörte mich an, wie das Echolot eines U-Bootes. Jedes Hicks wurde mittlerweile verstärkt durch ein dumpfes Grollen, das sich in meiner Mundhöhle brach und zu einem elend lauten Geräusch wurde.
"Keine HicksTeleHicksfongehicksspräche mehr" versuchte ich meiner Kollegin zu sagen. Als dieses Ding schon wieder klingelte, sah ich sie flehend an. Ich sah ihrem Gesicht an, daß sie mich für ein Weichei hielt, dann nahm sie jedoch augenrollend für diesen Nachmittag meine Telefongespräche entgegen.
Als ich nachhause kam, das Gleiche. Die Geräuschkulisse, die ich vor mir hertrug, amüsierte meine beiden Kinder.
"Du klingst, wie ein sterbender Orang Utan" kicherte Hanni, unsere Tochter.
Die Stelle zum Lachen war für mich schon länger vorbei. Seit über sechs Stunden dieses Hicks. Ich war sauer und versuchte weiter, dieses nervtötende Handicap loszuwerden, indem ich immer wieder die Luft anhielt.
Mein Sohn Manni rief währenddessen meine Frau im Büro an, um Rat einzuholen. Und während ich sein betont geheimnisvolles Gesicht beobachtete, er ab und zu ein bedächtiges "Mmhh" von sich gab, überlegte ich weiter, was mir sonst noch helfen könnte.
Die Wohnzimmerwände vibrierten fast mit, wenn mein überlautes Hicks erklang, das mich langsam aber sicher in den Wahnsinn trieb. Plötzlich hörte ich hinter mir Rascheln und als ich mich umdrehte, sah ich Manni mit einer Fratze auf mich zurennen, eine aufgeblasene Brötchentüte in der Hand. Er kam brüllend auf mich zu, die Augen und Mund weit aufgerissen, während er zwischen seinen Händen die Brötchentüte zusammenschlug. Im gleichen Moment, in dem die Tüte einen Riesenknall von sich gab, stolperte Manni über die Kante des Perserteppichs und schlug vor meinen Augen mit dem Kinn auf die Sofalehne, hinter der ich schockiert Schutz gesucht hatte.
Sein Gesicht verzog sich bis zur Unkenntlichkeit und die Tränen schossen ihm in die verdutzt blickenden Augen. Ich sprang auf, um ihm zu Hilfe zu eilen, hatte aber vergessen, daß ich meine Absicht, die teure Wohnzimmerlampe umzuhängen, noch nicht in die Tat umgesetzt hatte. Mein Kopf schlug heftig gegen sieben Glaskuppen, die augenblicklich zerbarsten und sich über Tisch und Fußboden verteilten. Da Manni mittlerweile aus Mund und Nase blutete, ignorierte ich den Schmerz und wollte ihm zu Hilfe eilen. Hanni, die in die Küche gegangen war, wurde durch das Geschrei von Manni wohl aufmerksam und betrat das Wohnzimmer. Mein Crash mit der Lampe hatte mir eine Platzwunde am Kopf verpasst, und ohne daß ich es bemerkte, lief Blut meine Stirn runter. Manni drehte sich vorsichtig zu Hanni um, und als sie unsere blutverschmierten Gesichter sah, fing sie hysterisch an zu kreischen und hörte gar nicht auf.
Spätestens jetzt war ich mit der Situation komplett überfordert, rannte auf Hanni zu, um sie zu beruhigen, was mir jedoch nicht gelang, ohne ihr eine heftige Ohrfeige zu geben.
Sie wankte einen Moment und wollte sich an der Glasvitrine festhalten, in der meine Frau ihr gutes Kristall aufbewahrte. Diese begann höchst bedenklich zu schwanken und noch bevor ich mit einem Satz retten konnte, was zu retten gewesen wäre, kippte die Vitrine zur Seite, und vergrub mit einem nicht enden wollenden Klirren das Sammelwerk und Herzblut meiner geliebten Frau.
Hanni hatte als Achtjährige beim Sofahüpfen eines dieser unersetzlichen Kristallgläser zerbrochen, und obwohl das fünf Jahre her war, hat sie bis heute nicht vergessen, daß ihre Mutter tagelang rotgeweinte Augen hatte, bis sie über diesen Verlust hinweggekommen war. Vermutlich durch den Schock hatte sie vergessen, daß sie barfuß war und stand einen Moment später wieder hysterisch kreischend mitten in einem Haufen Scherben.
Manni wusste scheinbar gar nicht mehr, was er tun sollte, glotzte mich dümmlich an und nuschelte blutspuckend: "Maha haaa chesaaaaa daaaaa Erschre hilllli"
Als ich seine geschwollenen Lippen sah, aus denen rötlicher Speichel auf das weiße Sofa tropfte, hatte ich einen Moment den Gedanken, daß es sich bei diesem Jungen unmöglich um meinen Sohn handeln konnte. Aber es gab jetzt wichtigere Probleme zu lösen.
"Ja, ja", sagte ich. Mein Kopf schmerzte, und ich ging zu Hanni, die mit blutenden Füßen weinend im Kristall meiner Frau stand und sagte mit wichtigem Gesicht zu ihr: "Mama hat ihm gesagt, daß Erschrecken helfen könnte." Dann grinste ich sie blöd an. Irgendwie fehlten auch mir die richtigen Worte. Väter wissen nicht in jeder Situation Rat. Die Hicks hatten natürlich nicht aufgehört, aber dafür wurden meine Kopfschmerzen immer schlimmer. Richtig sehen konnte ich auch nicht mehr, da mir Blut in die Augen gelaufen war.
Da Hanni schon immer zur Hysterie neigte, kümmerte ich mich zuerst um sie, während Manni ins Bad ging, um sein Gesicht im Spiegel zu betrachten. Dachte ich. Ich trug Hanni zu einem Stuhl und wollte mich um ihre Füße kümmern, in denen Glassplitter steckten.
Ich hätte mich erst um Manni kümmern sollen, aber diese Erkenntnis kam erst, als plötzlich wieder etwas auf meinem Kopf zerplatzte und die glibberige Masse Eigelb und Eiweiß mir die Wimpern verklebte. Fast schon hasserfüllt blickte ich ihn an, aber er zuckte gleichzeitig mit einem dumpfen Hicksmööööh aus meinem verklebten Gesicht die Schultern und sagte: "Maha haaa chesaaaaa daaaaa Erschreheä hillllifä"
Ich ersparte mir einen Kommentar und atmete erleichtert auf, als ich den Schlüssel in der Wohnungstür hörte. Rettung nahte, meine Frau war endlich zuhause.
Sekunden später starrte sie mit gebrochenen Augen erst die Glasvitrine, oder eher das, was davon übrig war an, dann Hanni, Manni und mich.
Da mir nichts besseres einfiel, brach ich das bedrückende Schweigen mit einem erbärmlich lauten Hicksmöhhhhh und grinste debil: "Wie war Dein Tag, Schatzi? Hicksmööhhöö"
Ein Beben ging durch ihren Körper, ihr Gesicht war aschfahl, aber sie hielt durch, ohne ein Wort des Vorwurfs von sich zu geben. Ihr Gesicht jedoch spiegelte das Elend der gesamten Welt wider.
Nachdem sie Hanni und Manni mütterlich versorgt hatte, kümmerte sie sich auch um mich. Vorher jedoch gab sie den beiden noch ein paar Anweisungen, die ich nicht verstand, weil das Brummen in meinem Kopf jedes Geräusch schluckte.
Ich setzte mich auf das blutbeschmierte Sofa, das sowieso verloren war und meine Frau versorgte die mit Blut und Ei verklebte Wunde an meinem Kopf.
"Wir fahren gleich in die Notaufnahme", sagte sie und sah an mir vorbei über meine Schulter. Hinter mir hörte ich Manni fragen: "Unn hetzt?"
Meine Frau machte eine auffordernde Kopfbewegung, und noch bevor ich mich wehren konnte, drückte meine Familie mich mit vereinten Kräften mit dem Kopf in einen Eimer mit Eiswasser. Um auch wirklich sicher zu gehen, daß ich den Tag nicht überlebte, hatten sie den Eimer zusätzlich noch mit Eiswürfeln gefüllt. Durch den Überraschungseffekt hatte ich natürlich vorher nicht noch mal tief Luft geholt, so daß ich mit dem Kopf unter Eiswasser zappelnd anfing erbärmlich zu brüllen. Luftblasen stiegen an meinen Ohren vorbei und ich fühlte die Arme meiner gesamten Familie, die mich ertränken wollte.
Ich bin sicher, daß das die Rache meiner Frau für die Kristallgläser war, beweisen kann ich das aber nicht.
Mein Gehirn hämmerte von innen gegen die Stirn, das Blut in meinem Kopf gefror, was so weh tat, daß ich wieder ein verzweifeltes Blubbern von mir gab, während ich noch verzweifelter wild mit den Armen ruderte, um mich zu befreien. Der Gedanke, in einem Eimer mit Eiswürfeln zu ersaufen, rettete mir nicht gerade den sowieso schon beschissenen Tag. Mein Kopf war mittlerweile taub und ich hörte einen Chor singen. Ich bin nicht sicher, aber ich glaube, es war der Kirchenchor meiner Schwiegermutter, der Ave Maria sang. Die Eiswasserblasen schossen an der Stelle vorbei, an der ich meine Ohren vermutete. Das Rauschen in meinem Kopf hätte die Niagarafälle übertönt. Eiswürfel stießen immer wieder gegen meine Augäpfel, vor Schreck waren diese weit aufgerissen.
Kraftlos ergab ich mich in mein Schicksal und wartete auf das Licht am Ende des Tunnels - der Chor sang immer noch, jetzt viel lauter und meine Schwiegermutter traf wie immer den Ton nicht. In den vorbeitänzelnden Eiswürfeln zog mein Leben an mir vorbei. Ich schwöre, daß in einem das grinsende Gesicht meiner Frau gespiegelt war. Als ich sicher war, tot zu sein, ließen die drei mich los. Wasser hustend und keuchend schnappte ich nach Luft, als ich endlich wieder atmen konnte. Meine so genannte Familie lächelte mich freundlich an. Mit ihnen würde ich mich später noch ausführlicher unterhalten. Erst einmal fühlte ich nach, ob meine Ohren noch am Kopf waren. Ich konnte sie nicht spüren, aber sie waren noch da..
Meine Frau stand seelenruhig auf, trug den Eimer in die Küche und rief von dort aus: "Na, Schluckauf weg?"