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Schlussakt

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07.09.2005
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Schlussakt

Als der letzte Film, den wir uns ausgeliehen hatten, zu Ende war, sah ich auf die Uhr. Es war bereits halb fünf. Ich hatte Marion gesagt ich würde um eins zu Hause sein. Also stand ich auf und zog meine Schuhe an. Nachdem ich mich von meinen Freunden, von denen die meisten bereits schliefen, verabschiedet hatte, machte ich mich auf den Heimweg.
Fünfzehn Minuten und drei „Zigaretten-gegen-die-Langeweile“ später öffnete ich die Tür zu unserem kleinen Reihenhaus, in dem ich mit meinem Vater und seiner Frau wohnte. Ich war keinesfalls überrascht, als ich Marion schlafend vor dem Fernseher liegen sah. Ihr Atem roch streng nach dem billigen Whiskey aus dem Supermarkt um die Ecke. Die dazugehörige Flasche, viertel voll, hielt sie eng umschlungen, als wäre es etwas unendlich Kostbares, das sie beschützen musste. Wahrscheinlich war es das auch für sie. Nachdem einige meiner Versuche, sie aus ihrem komatösen Schlaf zu reißen, gescheitert waren, gab ich es auf. Sollte sie doch auf der Couch pennen, wäre nicht das erste Mal.
Todmüde und mit dem üblen Geruch von Marions Atem und Whiskey in der Nase, ging ich die Treppe zu meinem Schlafzimmer hinauf. Dort schmiss ich meine Tasche in eine Ecke. Ihr folgten meine Hose, meine Bluse und alles andere, was ich trug. Als ich es endlich geschafft hatte, die alten Klamotten loszuwerden und das Schlafanzugkneuel, welches ich unter meinem Schreibtisch fand, zu entwirren und anzuziehen, stapfte ich ins Bad, putze mir die Zähne und wusch mir das Gesicht. Ich sah auf die Uhr – 05:00.14. – dann warf ich noch einen letzten Blick in den Spiegel.

Ich verschluckte den Schrei, der meine Kehle hinaufgekrabbelt und schon fast in die Freiheit gelangt war. Ein kleines Mädchen starrte mich aus dem Spiegel heraus an. Sie hatte große schwarze Augen und schwarze Locken, die zu zwei Zöpfen zusammengebunden waren. Unfähig mich zu bewegen starrte ich in diese riesigen Augen, die mich nicht losließen. In ihnen lag etwas Ruhiges und Befreiendes. Je tiefer ich jedoch in ihnen versank, desto ängstlicher wurde ich. Sie lächelte, doch das Ruhige war verschwunden und wich einem tiefen schwarzen Abgrund. Mein Herz fing vor Angst an wie wild zu schlagen, ich wollte wegsehen, doch es gelang mir nicht. Jedes einzelne Haar an meinem Nacken und meinen Armen stand senkrecht. Meine Kehle fühlte sich an wie zugeschnürt und in meinem Kopf entstand ein immer größer werdender Druck, der alle Gedanken beiseite drängte. Tränen schossen mir in die Augen und ich begann zu würgen, als sie plötzlich verschwand und mich mit meinem eigenen Spiegelbild zurückließ.

Mein Gesicht war rot, meine Augen leicht angeschwollen und Blut unterlaufen, über meine Wangen flossen Rinnsäle aus Tränen, die erst langsam zu versiegen begannen. Schleim und Wasser liefen mir aus der Nase. Meine Hände hatten sich zu Fäusten geballt, die sich nur langsam lösten. Meine Fingernägel hatten sich in die Handflächen gebohrt und dort dunkle Rillen hinterlassen, von denen eine leicht blutete. Langsam drehte ich meinen Kopf und sah auf die Uhr. 5:00.18. Das ganze, was immer gerade auch geschehen sein mochte, hatte nicht länger als fünf Sekunden gedauert. Ich spürte wie meine Knie nachgeben wollten und stützte mich auf das Waschbecken. Als ich das Gleichgewicht wiedererlangt hatte, wusch ich mir erneut das Gesicht, vermied es jedoch in den Spiegel zu sehen.
Ich habe schon besser geschlafen.

Am nächsten Morgen wachte ich mit schmerzenden Gliedmaßen auf. Die trockene, spannende Haut an meinem rechten Daumen verriet mir, dass dieser wohl den größten Teil der Nacht in meinem Mund verbracht haben musste. Zwar hatte ich seit fast 12 Jahren nicht mehr am Daumen gelutscht, aber trotzdem erkannte ich den Geschmack in meinem Mund sofort. Ich sah auf meine Handflächen. Die Furchen waren immer noch da und sahen auch nicht so aus als würden sie, wie die Erinnerung an einen schlimmen Traum, bald verblassen.
Eine Stunde später saß ich in einer Vorlesung über Kunstgeschichte. Mein Professor listete unwichtige Details über den Expressionismus auf, die ich schon zigmal gehört hatte, sie mir aber dennoch nie merken konnte. Ich nahm ihn sowieso nicht war, ihn nicht und alles andere um mich herum auch nicht. In Gedanken war ich bei dem kleinen Mädchen von letzter Nacht, ich fragte sie, woher sie kam, wieso sie mich besucht hatte und was dabei mit mir geschehen war. Eine Antwort erhielt ich nicht. Ihr Anblick war mir vertraut gewesen, so vertraut wie ein Geruch, der einen an irgendetwas erinnert, man aber nicht genau sagen kann an was. Alles, was man spürt sind Emotionen, die aus dem nichts zu kommen scheinen. Freude, Trauer, Sicherheit oder Wärme, nur weil man in einer Bäckerei auf einmal seine Großmutter zu riechen glaubt. Ich verbrachte die nächsten Tage damit, die Erinnerungen in meinem Kopf nach meiner neuen Bekanntschaft zu durchforsten, erreichte aber nichts.

Unter der Woche arbeitete ich an zwei Abenden in einem Lokal bei uns im Dorf, um mir für mein Kunststudium etwas dazu zu verdienen. Das Publikum dort bestand größtenteils aus verlassenen Mittvierzigern, die ihre Würde vor ungefähr zehn und ihre Frau vier Jahre später verloren hatten. Drei von ihnen trafen sich jeden Tag, um über dieselben Probleme und dieselben ,scheiß Weiber’ zu philosophieren, um dann am Ende mit dem Entschluss, dass es Freibier für jedes Opfer dieser ,hochnäsigen Schnepfen’ geben sollte, betrunken nach Hause zu wanken.
Am Dienstag, also drei Tage nach dem plötzlichen Auftauchen des Mädchens, war ich mit meinen gedanklichen Nachforschungen noch keinen Schritt weiter gekommen.
„Hey...bring mir mal noch’n Bier!“
Woher kannte ich sie bloß?
„Hey, noch’n Bier... sammal, hörste schlecht?!“
Ihre Haare und dieses hellblaue Kleid, ich hatte...
Ein lautes Klirren riss mich aus meinen Gedanken. Der fette Sack am Ende der Theke, der mich bereits seit zwei Stunden mit Liebeleien wie ,Schnecke’, ,Püppchen’ und ,geile Rakete’ wohl zu einer romantischen Liebesnacht verführen wollte, hatte sein leeres Weizenglas auf den Boden fallen lassen. Ich warf einen nicht wirklich liebevollen Blick in seine Richtung.
„Ach jetzt hörste mich, ja? Jetzt schwing die Hüften, Süße, und bring mir noch'n Bier!“
„Wir schließen gleich.“ Ich musste nicht einmal lügen.

Zehn Minuten später befand ich mich auf dem Weg nach Hause. Ich hatte extra gewartet, bis mein Lieblingskunde aus der Tür und um die nächste Ecke gewankt war, bevor ich mir von meinem Chef, der hinten in seinem Büro saß und bereits seit einer halben Stunde eifrig Scheine sortierte, das Geld des heutigen Abends auszahlen ließ. Er drückte mir 32,40 Euro (inklusive Trinkgeld) in die Hand und wünschte mir noch einen schönen Abend.
So lange wird der wohl nicht werden, es war immerhin schon kurz nach eins und ich hatte am nächsten Tag um acht schon wieder Vorlesung. Ich musste zu Fuß gehen, da die Busse in unserem Kaff nicht so lange fuhren und ich zu einer der wenigen 21-jährigen gehörte, die noch keinen Führerschein besaß. Das war mit dem Geld, das ich bei meinem Job im Goldenen Krug verdiente einfach nicht drin. Wenigstens musste ich nicht auch noch Benzin davon bezahlen. Ich steckte mir eine Zigarette an, und pustete einen Teil meines Gehaltes in die Luft. Als ich um die nächste Ecke ging, hatte ich sie schon fast aufgeraucht und debattierte mit mir, ob ich mir nicht gleich noch eine gönnen sollte. Immerhin hatte ich im Moment gute neun Schachteln in bar bei mir.

Ich hatte gerade beschlossen noch eine zu nehmen, damit sie mir Gesellschaft leisten konnte während ich ihr das Leben aussaugte, als ich sie auf der Straße sitzen sah. Trotz einer Temperatur um die null Grad hockte sie in einem blauen Sommerkleid mitten auf der Beethovenallee und spielte. Ich blieb stehen und sah ihr zu. Sie lächelte, als sie ihrer Puppe, welche nur noch ein Auge zu haben schien, durch die wenigen blonden Haare strich, die ihr noch übrig geblieben waren. Ich spürte erneut eine unglaubliche Angst in mir aufsteigen, doch sie sah mich an und winkte mich zu sich. Ich versuchte meinen Füßen zu befehlen in die andere Richtung zu gehen, doch sie steuerten zielstrebig auf das Mädchen zu, das sich nun wieder ganz ihrem Schützling zugewandt hatte. Sie hob den Kopf und ich sah, dass all das Böse, das mich drei Tage zuvor beinahe in den Wahnsinn getrieben hatte aus ihren Augen gewichen war. Abgesehen von der Kälte und der Uhrzeit war sie nur ein kleines Mädchen, das mit einer Puppe spielte. Als ich bei ihr angelangt war kniete ich neben ihr nieder. Sie nahm meine Hand und fuhr damit über das dünne blonde Plastikhaar ihres Spielzeuges.
„Sie heißt Nele.“
Ich zuckte zusammen, eine Kreuzung weiter fuhr ein Auto vorbei, ich blickte auf und als ich wieder zurücksah war das Mädchen verschwunden. Nele war noch da.
Ich nahm sie in meine Hand, stand auf und musterte sie eingehend. Den Rest des Weges verbrachten ich und mein Gehirn damit, das alles unter einen logischen Hut zu bekommen. Die ganze Zeit über ließ ich Nele nicht aus den Augen. Auch sie hatte ihr blaues Knopfauge auf mich gerichtet. Der Mechanismus, der die Lider automatisch schließt, wenn man eine Puppe hinlegt, schien wohl über die Jahre kaputt gegangen zu sein. Sie sah vergilbt und abgenutzt aus, mindestens 10, 15 Jahre alt.

Ich rauchte eine nachdenkliche Zigarette. Es kam nichts dabei heraus. Je mehr ich versuchte mir darüber klar zu werden, was hier vor sich ging, desto mehr schienen mir die Gedanken zu entgleiten. Als ich zu Hause ankam, hätte ich nicht mehr mit Bestimmtheit sagen können, welche Farbe das Kleid des Mädchens gehabt hatte. Ich beschloss, dass ich mir alles eingebildet haben musste. Nele, die mich immer noch unbeirrt anstarrte, bewies mir allerdings das Gegenteil. Vielleicht hatte ich sie ja einfach auf der Straße gefunden, und mir das Mädchen nur dazu gedichtet. Eine Puppe und ein kleines Mädchen gehörten ja auch irgendwie zusammen. Dennoch konnte ich mich nicht wirklich damit abfinden, dass ich kleine Mädchen nachts auf der Straße spielen sah, obwohl sie nicht da war.
In meinem Zimmer angekommen, setzte ich Nele auf meinem Schreibtisch, ging zum Fenster und zog den Vorhang zurück.

Sie stand auf der gegenüberliegenden Straßenseite in der Einfahrt der Helsers. In ihrer Hand baumelte eine Puppe. Ich blickte zum Schreibtisch, Nele war verschwunden.
Das Mädchen sah mich an und winkte, danach drückte sie sich die Handflächen auf die Augen, als wolle sie verstecken mit mir spielen. Der Zeigefinger ihrer rechten Hand bewegte sich langsam zur Seite und sie sah mich mit einem spielerisch dreinblickenden Auge an. Sie erinnerte mich an die kleine Cousine meiner besten Freundin. Die liebte dieses Spiel. Ich grinste und hob ebenfalls meine Hände, um mir die Augen zu verdecken. Als ich meine Finger spreizte, erwartete ich bereits eine vorwurfsvolle Stimme, die lachte und laut „Du spickelst! Du spickelst!“ rief.
Stattdessen hörte ich den Fernseher. Als ich meine Hände langsam sinken lies, fand ich mich in der Küche wieder. Das kleine Mädchen stand neben mir. Mit ihrer kleinen Hand griff sie nach meiner und führte mich ins Wohnzimmer.
Wollte sie mir etwas zeigen?
Sie sagte nichts, sondern zeigte auf die Couch. Von ihrer Hand hing immer noch die Puppe, die mich nach wie vor anzustarren schien.

Mein Vater und Marion saßen auf dem Sofa. Er trug nur ein weißes Unterhemd, auf dem ich einige Soßen- und Bierflecken erkennen konnte, die zum Hemd passende Unterhose und schwarze Socken. Er nippte an seinem Bier und aus dem Fernseher vernahm ich bekannte Geräusche eines unwichtigen Fußballspieles. Marion saß in einen Bastei-Lübbe Roman vertieft - „Die Liebe kam mit dem Wind“ - neben meinem Vater. Den allgegenwärtigen Whiskey auf dem kleinen Beistelltisch zu ihrer Rechten.
Diese Szene widerte mich an. Sie verkörperte alles, wofür ich die beiden hasste. Mein Vater scherte sich einen Dreck um andere Menschen. Ihm war nur wichtig, dass er in seiner widerlichen Unterwäsche auf unserem geschmacklosen Sofa sitzen, Bier trinken und Fußball ansehen konnte. Marion hatte dies vor etwa 5 Jahren herausgefunden und befriedigte ihre romantische Seite seither mit Schundromanen, in denen blondgelockte Helden auf weißen Pferden ihrer Liebsten zur Hilfe eilten. Ihre anderen Bedürfnisse ersäufte sie im Whiskey.
Meine Mom hatte nie Whiskey getrunken. Sie starb als ich ungefähr zehn war, und mit ihr auch das letzte bisschen Mann, der mein Vater vielleicht mal gewesen sein mochte. Ich weiß gar nicht mehr, wo oder wie er Marion getroffen hatte, jedenfalls zog sie ungefähr ein Jahr nach der Beerdigung bei uns ein und ich mich mehr und mehr von ihnen zurück. Es war ein beschissener Anblick und ich fragte mich mal wieder, was mich hier eigentlich noch hielt. Angewidert wandte ich mich ab. Das Mädchen war verschwunden. Frustriert und verwirrt ging ich ins Bett.

In dieser Nacht träumte ich von ihr. Ich traf sie auf einem Spielplatz. Sie schaukelte fröhlich hin und her während Nele neben ihr im Sand lag. Ohne mich zu bewegen kam ich ihr immer näher. Als ich nur noch ein kleines Stück von ihr entfernt war, sah sie zu mir auf. Es war, als hätte mir jemand einen Fausthieb in den Magen versetzt. Alle Luft wich aus meinen Lungen und ich war nichtmehr in der Lage einzuatmen. Ich sackte langsam zusammen, bis ich im Sand lag. Mein Kopf begann zu dröhnen und ich spürte wie sich all meine Muskeln verkrampften. Mein Blickfeld verengte sich bis ich nur noch sie sah, wie sie lächelnd auf ihrer Schaukel saß und mir zuwinkte. Dann war alles schwarz bis ich eine Ewigkeit später von meinem Wecker aus der Dunkelheit gerissen wurde.

Ich hatte schon bessere Tage gehabt. Nach einer schier endlosen Zeit voller Vorlesungen und Tutorien begann eine noch längere Zeit im Goldenen Krug. Ich hatte an diesem Tag bereits drei Schachteln verraucht, als ich das Lokal verließ. Anstatt auf direktem Weg nach Hause zu gehen, lief ich ziellos umher. Ich versuchte mir alles zu erklären, doch ich konnte nicht einmal ansatzweise erfassen was geschah. Meine Gedanken drehten sich im Kreis. Immer wieder dieselben Fragen. Was wollte sie denn von mir? War sie gefährlich? Sollte man meinen, aber irgendwie lieb und vertraut? Zuneigung? Hass? Mal so mal so. Aber wieso? Liegt’s an mir? Bin doch nicht verrückt, auch nicht besoffen oder so. So ne Scheiße. Aber was -

Ich erstarrte. Ohne es zu merken war ich an den Ort gelangt, den ich nie wieder in meinem Leben sehen wollte. Ich stand vor dem Gemeindezentrum, in dem mein Vater und Marion ihre Hochzeit gefeiert hatten. Das war der beschissenste Tag, den ich je erlebt hatte. Ich ging hinein. Ich konnte mich an alles noch genau erinnern. Wie sie die Torte anschnitten. Alle hatten gejubelt. Die blöde Schlampe. Wie sie mir siegessicher zugelächelt hatte, während sie in ihrem hässlichen Brautkleid ihren billigen Whiskey in sich reinkippte. Sie hasste mich, so wie ich sie. Das war jetzt allerdings egal. Sie hatte gewonnen. Das ganze Getue kotzte mich an. Als hätte es meine Mutter nie gegeben. Ich musste da raus. Ich rannte durch den Seiteneingang an die frische Luft. Ich rannte und rannte, um die Wut, den Hass und alles andere loszuwerden. An der Brücke blieb ich stehen. Ich sah hinunter in das Wasser des Flusses. Gefährlich - haben sie uns schon in der Schule beigebracht. Starke Strömung. Viele Felsen. Ich musste nicht lange überlegen. Sollte er doch mir ihr glücklich werden. Ich stieg über das Geländer, warf noch einen kurzen Blick zurück und ließ mich fallen, dem Wasser entgegen. Ich flog. Raus aus dem Mist, weg von allem hier. Als ich eintauchte, spürte ich, wie mein Körper sofort mit dem Wasser mitgerissen wurde. Ich versuchte an die Oberfläche zu gelangen, doch es ging nicht. Das Wasser drückte zu stark von oben. Ich spürte wie mir die Luft knapp wurde. Um mich herum hörte ich das aufgeregte Gurgeln des Flusses. Es klang wunderschön. Für eine halbe Ewigkeit schien ich einfach nur dahin zu treiben. Plötzlich war alles still. Da war sie, in ihrem hellblauen Kleid, und mir wurde klar, dass es hier gewesen war, wo ich sie vor acht Jahren das erste mal getroffen hatte. Sie lächelte und winkte mir zu, Nele an ihrer Seite. Auch ich lächelte. Dieses Mal war sie als Freundin hier. Sie kam auf mich zu und nahm mich in den Arm. Ich schloss die Augen. Dann war es vorbei.

„Sammol Friedl, weisch Du was heut uffm Friedhof los isch?“
„Die jung Meier isch doch geschtern gschtorwe...“
„Die, die bei ihrm Alt seiner Hochzich in de Fluss gfalle isch?“
„Gfalle odda gsprunge, des wees ma jo net. Jetzt isch se jenfalls tot. Lung kollabiert odda so ebbs. Die hott jo in de letschde Zeit schon a paar so A’fäll ghabt. Hat wohscheinlich ehfach uffgebbe…“
„Hajo, nach acht Jahr in dere ihrm Zuschdand -“
„Wachkoma heeßt des.“
„- genau, do isch des och ke Wunna. Hätt de Alt mol bloß net den Drache zur Fra gnomme, I sag das.“
„Der isch jetzt völlig danebbe. Schwätzt die ganz Zeit mit soere Pupp mit der d’Jung als Kind immer gspielt hot. D’Heddwig hot g’sacht, die hot se ach im Krangehas imma bei sich ghet, die hot se gar net losglasse. Vielleicht hot se jo doch noch ebbes mitkriegt, wer wees.“
„ ... hm, Sache gibt’s uff derere Welt ... mogsch noche Stick Erdbeertort?“

 

Hallöchen zusammen,

hier präsentiere ich euch mein Einstiegswerk bei kg.de und hoffe natürlich, dass es euch gefällt.
Freue mich schon auf eure Kritiken und Anregungen. :aua:

Viel Spaß beim Lesen,

Rena

 

Überzeugend gelöst.

Der Charakter wirkt glaubwürdig, die Geschichte ist nicht zu lang, Sprache
lebendig - es ist nicht schwer, bis zum Ende dabei zu bleiben.

Sehr gelungen fand ich auch, wie Du den hessischen Dialekt porträtiert
hast :-)

Viele Grüße,
Ironman

 

Moin Rena!

Erst einmal ein herzliches Willkommen auf kg.de und speziell im Horrorforum.

Zu deiner Geschichte:
Der Plot ist sehr klassisch, die Handlung kann dadurch natürlich den Leser nur schwer überraschen. Allerdings verarbeitest du die Idee solide und richtest dein Augenmerk ja vor allem auf deine Protagonistin. Stellenweise gefällt mir die Charaktisierung wirklich gut, manche Stellen, z.B. die ständig whiskeysaufende Mutter, sind mir persönlich etwas zu abgegriffen. Etwas zu kurz kommt mir hierbei die Umgebung, in der die Prot lebt (die Szene in der Kneipe geht schon in die richtige Richtung).
Für mich nicht ganz nachvollziehbar ist jedoch teilweise das Verhalten deiner Prot, z.B. in der Szene vor dem Spiegel. Eigentlich hätte ich erwartet, dass sie zumindest nachsieht, ob vielleicht doch jemand im Haus ist. Auch später geht sie mir etwas zu abgeklärt und analytisch mit den Erscheinungen um. Der Selbstmord am Ende wirkt dadurch etwas unmotiviert.

Stilistisch wirkt das Ganze ziemlich routiniert auf mich, keine groben Schnitzer und ein paar wirklich schöne Stellen. Gefallen hat mir besonders:

Das Publikum dort bestand größtenteils aus verlassenen Mittvierzigern, die ihre Würde vor ungefähr zehn und ihre Frau vier Jahre später verloren hatten.
Gleich drei Klischees des Horrorgenres bedienst du hingegen im folgenden Satz:
Jedes einzelne Haar an meinem Nacken und meinen Armen stand senkrecht und ich spürte wie eine Angst, die jenseits dessen war, was ich je erfahren wollte, in mir emporstieg und an meinem Verstand zehrte.
Die sich aufstellenden Haare, die aufsteigende Angst und die am Verstand zerrende Angst.

Der streng lineare Aufbau bietet sich an. Nur die ersten Sätze gefallen mir nicht besonders. Sie enthalten keine relevanten Informationen, die Handlung beginnt erst mit der schlafenden Mutter. Mit diesem Bild würde ich anfangen, auch weil sich der Anfangssatz etwas holprig liest.

Insgesamt betracht, ist dir ein solides Debüt gelungen, dass auf mehr hoffen lässt. Gefällt mir.
Ach ja, einige Kommata fehlen noch, hauptsächlich bei den Sätzen, die mit "Als" beginnen.

Jorgo

 
Zuletzt bearbeitet:

Danke für eure Beiträge,

@Jorgo: Du hast Recht, der Satz trieft ja vor lauter Klischees. Ist mir beim Lesen gar nicht so aufgefallen, werde mir was überlegen.
Bezüglich ihrer Reaktion auf die Erscheinung: Das "passiert" ja alles während sie im Wachkoma liegt. Sie hat Anfälle, welche in ihrer Welt eben als diese Erscheinungen auftreten. Sobald ein Anfall vorbei ist, ist bei ihr der Horrormoment auch vorbei und sie (Wachkoma-)träumt weiter. Bei ihrem letzten Anfall hat sie einen Flashback zu dem Tag, an dem sie sich umbringen wollte, was schließlich im Wachkoma endete. Sie verliert die Lust zu kämpfen und stirbt.
Hoffe es ist verständlich geworden...

Werde mich jetzt auf Kommafehlersuche begeben,

Bis dahin mfg

Rena

 

Hallo.

Die Idee Deiner Geschichte, und wie Du sie umgesetzt hast, hat mir gut gefallen.

Einige Sätze erscheinen mir etwas zu lang und man könnte aus einem zwei machen, anstatt ein Komma zu setzen. Aber dies nur am Rande.

-Er drückte mir 32,40 Euro (inklusive Trinkgeld) in die Hand und wünschte mir noch einen schönen Abend.

Hier würde ich die Klammern durch Kommasetzung ersetzen. Macht sich in einer Geschichte immer besser.

Ansonsten hast Du einen recht flüssigen Schreibstil, der sich gut lesen lässt.

Bin auf Deine nächste Idee gespannt.

Gruß, JasonXI

 

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