Schmerzvoller Gesang
Ist doch egal, und Vergleiche hinken sowieso, es ist also egal, wer von uns die Lampe, wer die Motte war. Zurückblickend sage ich erleichtert: Die Motte ist nicht verbrannt, das Licht nicht ausgeschaltet.
Wie viele Jahre – okay, ich erkläre mich zum Falter, dich zur Laterne – wie viele Jahre flatterte ich um dich herum, suchte dich auf, wenn dunkle Einsamkeit sich um mich legte? Wie oft wärmte ich mich an dir?
Wie oft schlugst du ein Gitter um dich, damit ich nicht an dir verglühen würde... und Sehnsucht verzehrte mich...
Einmal, in der geheimnisvollen Wohnung deines Schuhmachergroßvaters, es duftete nach Leder und Fett und Arbeit an diesem wunderbaren Ort, sollte ich bei dir liegen. Oh Gott, ich wusste deine Gier nicht zu stillen, liebkoste mit meinen jugendlichen Händen sanft deine unbeschreiblichen Brüste, fror noch, zitterte am ganzen Leibe, als du sagtest: „Lass mich schlafen!“
Mir blieb nur mein Zittern.
Später deine dumm gelaufene Ehe.
Brave Besuche, höfliche Briefe, die Freundschaft beschwörend. Ein einziger Besuch von euch bei mir. Ein Zwischenstop. Dein Mann drängte zur Weiterfahrt. Du in diesem fantastischen roten Kleid, ein weicher Stoff, eng anliegend und selbstgeschneidert, wie du mir später erzähltest.
Ich hatte solche Lust, solche Lust, dich zu packen, zurück zu ziehen in meine Räume, um meine Hände nicht wieder von deinem Körper zu nehmen, mein Gesicht in deinen Haaren sich verlieren zu lassen – und wieder begriff ich nichts.
Ich hätte dich in diesem Moment haben können, wie du mir später erzähltest. Ich ließ dich fahren. Versuchte stundenlang, an mir selbst Befriedigung zu finden, was nicht gelingen konnte ohne dich. Und heulte meinen Pullover nass.
Eure Scheidung – ein Drama unvorstellbaren Ausmaßes.
Wir verloren uns aus den Augen.
Ich hörte auf, mottenhaft zu schwärmen, zu flattern. Lebte glücklich, wurde Vater.
Dann, unverhofft, deine Bitte um ein Wiedersehen. Bei dir.
Sieben Stunden Zugfahrt. Meine Frau bleibt daheim, in den Wehen.
Du bist allein mit deinen Kindern.
Wir haben ein Wochenende für uns.
Anfang Februar.
Schneewaldspaziergang. Erinnerungen. Gedanken und Gefühle treffen sich, wie früher. Wir lieben uns. Im falschesten aller Momente.
Ich leugne zuhause, was sie instinktiv und umweglos erfühlt. Wahrscheinlich rieche ich noch nach Weib.
Ich gestehe es später - bockig, winselnd, kleinlaut.
Entscheide mich gegen dich und für meine wachsende Familie. Aber weiß längst nicht mehr, wohin ich gehöre.
Dämmere ein paar Jahre dahin. Gespalten.
Während meiner Trennungszeit wieder Briefe. Vorsichtiges Abtasten zweier, die ihre Dummheiten begriffen haben.
Telefonsex.
Dann eine Bahnsteigverabredung. Der Nachtzug „Euro-Night“, Berlin-Ungarn.
Der Zug hat Verspätung. Ich warte ewig in dieser Winternacht.
Du stehst vorn im Zug, ich am Ende des Bahnsteigs. Renne vor, zu dir.
Für eine Zehnsekundenumarmung, einen tiefen Atemzug deines Dufts, für dein Lächeln dieses kurzen Glücks. Kaum Worte. Nur anschauen.
Du musst einsteigen.
Nimmst deinen Duft mit, dein Lächeln, deine Haare.
Verschwindest,
in die Nacht.