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Schnee fällt

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29.09.2004
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Schnee fällt

Schnee fällt leise und kalter Wind weht den Klang einer Spieldose zu mir herüber. Die Melodie zupft ein Bild aus meinen Erinnerungen. Das Bild eines Mädchens, das weinend vor dem Vater steht. Es ist vier Jahre alt, acht oder fünfzehn. Und wieder hat es nicht genügt. Ein zerbrochenes Glas, Spielzeug auf dem Boden, zu spät nach Hause gekommen.
„Du hast mich enttäuscht“, sagt der Vater. „Du bist zu nichts nütze. Ich kann dir nicht mehr vertrauen.“
Die nächsten Tage geht er stumm durch ihr Leben. Wortlos wie der Schnee, der draußen aus dem dunklen Himmel gleitet. Das Versagen lastet schwer in der Stille und ihre Bemühungen um beste Noten, ihre eifrige Hilfe im Haushalt sind für ihn unsichtbar.
‚Meine Große’ nennt er die Schwester und überträgt ihr Verantwortung für den kleinen Bruder, der liebevoll im Arm gehalten wird.

*​

Schnee fällt leise und schmilzt in der fleckigen Lache, vor der das Mädchen auf dem Asphalt kniet. Aus dem Clubraum dröhnen dumpfe Bässe zu ihr nach draußen. Irgendwo zersplittert eine Bierflasche, ein starker Motor heult auf. Ihre Beine zittern und an ihrem Körper klingen noch die Stellen nach, wo sie von gierigen Händen betatscht wurde. Alle Bildung hat sie gegen freche Blicke und billige Sprüche getauscht und billig wird sie nun behandelt. Die neue Währung bringt ihren Zins. Der Boden ist kalt und besudelt von ihrem Erbrochenen. Sie würgt ihr Elternhaus aus sich heraus und füllt die Hohlräume mit Alkohol, Wut und Verachtung.

*​

Schnee fällt leise und legt wieder und wieder eine weiche Schicht aus Müdigkeit auf die Frontscheibe des Autos, mit dem das junge Fräulein vom Mitternachtsbuffet nach Hause fährt.
„Sie haben sich ganz schön gemacht im letzten Jahr“, hat der Abteilungsleiter eben noch mit anerkennendem Blick in ihren Ausschnitt gesagt. „Sie werden mich doch morgen früh nicht hängen lassen, oder?“ Nur langsam kommt sie voran und kaum wird ihr zuhause Zeit bleiben, das Kleine Schwarze aufzuhängen, kurz das Kissen zu streifen, um danach als Einzige zurückzukehren und in vorgetäuschter Frische das stille Büro zu hüten, während Kollegen und Vorgesetzte den geschäftlich verdienten Rausch ausschlafen.

*​

Schnee fällt leise und verhöhnt in seiner Ruhe die Nerven der jungen Frau, die in endlosen Runden das schreiende Baby durch die dunkle Wohnung trägt. Drei Mahlzeiten für die Familie, duftend frisch gebügelte Wäsche, Staubflusen vom Boden auflecken. ‚Stillen ist das Beste für Ihr Kind!’ mahnt jede Packung Folgemilch. Das Fernsehprogramm gibt das Highlight des Tages vor. Über Wochen hinweg fährt sie trotzig ohne Sicherheitsgurt, dann hat sie soziales Leben auf den Knien in der Krabbelgruppe, im Wartezimmer des Kinderarztes gefunden. Den fehlenden Glanz in ihren Augen bemerkt keiner und auch sie selbst gibt nur den kurzen Nächten die Schuld.

*​
Schnee fällt leise auf ihr verpacktes Leben, als die Kartons von starken Männern aus dem Transporter geladen werden. Die Frau wickelt Vergangenheit aus den Schichten aus Papier, die sie vor dem Zerbrechen schützen sollen. Eingepflanzt und immer wieder ausgegraben. Seiner Karriere nicht im Wege stehen, wohin sie auch führen mag.
„Ich tu das doch in erster Linie für euch“, sagt er und geht fort in sein neues, noch größeres Büro. Überlässt es ihr, einmal mehr aus dem fremden, leeren Haus das Zuhause zu erschaffen und den Kindern mit mattem Herzen Verlust in Zuversicht zu verwandeln.

*​

Schnee fällt leise und wischt alle Konturen aus meiner Seele. Bedeckt das Leben mit einer glatten, weißen Schicht. Was darunter liegt ist schnell vergessen – auch das Grab an dem ich stehe - und bei jedem Tauwetter hat die Welt sich ein Stück weitergedreht. Die Melodie, die mich in die Vergangenheit getragen hat, verklingt und ist nicht mehr zu hören. Vielleicht war auch sie nur Erinnerung. Mit steifen, ungelenken Bewegungen streife ich die Handschuhe ab. In den vielen Fältchen auf dem Handrücken sehe ich die Unruhe der vergangenen Zeit. Am Finger bleibt die Kerbe vieler Jahre, als ich den Ring behutsam zwischen die welken Kränze in den Schnee gleiten lasse. Dann wende ich mich ab. Die Spuren der anderen sind fast nicht mehr zu erkennen. Wer darf ich morgen sein?

 

Hallo kira,

da bist du mal in Alltag und dann mit so einer schweren Kost.

Schnee fällt leise und schmilzt auf geborstenem Teer vor dem Clubraum in der verlassenen Kaserne zu einem grauen Brei.
Ein bißchen viel dazwischen, bis du beim Brei landest. Da bin ich gestolpert.
Die Reifen von schweren Motorrädern und Öl, das aus verschlissenen Motoren tropft, haben ihm seine Reinheit genommen.
Ich kenne keine Motorradfahrer, die im Schnee fahren, es sei denn, sie sind lebensmüde. Gehen wir mal bei deinen Prots davon aus.

Wissen und Intelligenz hat sie gegen naive Blicke und billige Sprüche getauscht, die einzige Währung die hier Zinsen bringt.
Währung, die - (gefällt mir gut, diese Beschreibung)

Schnee fällt leise auf ihr verpacktes Leben als die Kartons von starken Männern aus dem Transporter geladen werden.
Leben, als

Etwas irritiert hat mich der Wechsel von der Ich-Erzählerin in die dritte Person und wieder zurück. Anfangs war es nur der eine Satz, dann hast du gewechselt, so dass ich nach dem Lesen der Geschichte erst nochmal den Anfang erneut lesen musste, um zu sehen, ob anfangs die Ich-Erzählerin da ist; die hat sich durch den einen Satz nicht in mein Hirn festgesetzt. Aber das nur am Rande.

Du hast ein trostloses Leben eines/r funktionierenden Mädchens/Fräuleins/Ehefrau/Mutter dargestellt, bis dann zum Wendepunkt des Todes ihres Mannes. Hoffentlich findet sie noch Dinge, die ihr Spaß machen und an denen sie Freude hat.

Du hast einige sehr schöne Beschreibungen und Vergleiche in deinem Text.
Ich persönlich bin keine Liebhaberin von Blitzsituationen, die einzelne Lebensstationen beleuchten, um ein ganzes Leben innerhalb kurzer Zeit darzustellen.

Du hast das zwar mit deinen Worten gut hingebracht, von daher ein Lob, aber ich mag lieber eine Situation gut ausgeleuchtet, damit ich mich besser in die Handlung fallen lassen kann. Aber das ist ja Geschmackssache.

Lieber Gruß
bernadette

 

Das ist Geschichte eines Lebens, das noch nicht zu Ende ist. Eines Lebens, das als normal bezeichnet werden kann. Denn alle buhlen wir erst um die Liebe der Eltern, um sie dann hassen zu können, um sich zu lösen aus deren Umklammerung, ob durch Hurerei oder Alkohol oder beides, das alles spielt keine Rolle. Es ist normal, das junge Mitarbeiter Unangenehmes tun, es ist normal, daß junge Mutter an sich zweifelt, wenn sie nicht stillen kann, den Alltag allein mit Kind und Küche verbringt oder umziehen muß, weil der Mann (glücklicherweise in diesen Zeiten) eine neue Stelle bekommt, denn das ist der Preis für finanzielle Sicherheit, die man braucht, um Kindern das geben zu können, was alle Kinder brauchen, aber nicht alle bekommen, und manchmal ist dieser Preis gar mit dem Leben zu bezahlen. Das wenigstens ist der Protagonistin erspart geblieben, ihr Leben ist noch nicht zu Ende – sie kann, wie jeder von uns, neue Fehler machen, und vielleicht wird einmal der Tag kommen, an dem sie zufrieden zurück blicken und zu Weihnachten der Enkelin die Spieldose schenken wird, die sie einst bekommen, und alles wird von neuem beginnen.

Doch das ist bei dieser Protagonistin wenig wahrscheinlich. Die tadellos geschriebene Geschichte offenbart Düsternis voll von Vorwürfen an die Gesellschaft und an alle, die der Protagonistin nahe standen. Die Betrachtungen des Zurückliegenden geraten ihr ausnahmslos negativ, keine Spur eines Nachdenkens, was die Alternativen gewesen wären, zum Beispiel als Frau eines Nichtskönners jetzt als mittellose Witwe im Obdachlosenheim dahinvegetierend, als alternde Hure in Baubaracken ihr Unterhalt verdienend, als erfolgreiche Unternehmerin ein rumänisches Kind adoptierend, weil sich für ein Eigenes kein Mann oder keine Zeit fand.

Aber selbst wenn die vorliegende Geschichte die Geschichte dieser letzten Erfolgsfrau sein würde, so möchte ich wetten, daß darin wieder Larmoyantes zu lesen wäre – die Frau wird wieder nicht zufrieden sein, es ist ein Jammer, ich werde die Frauen nie verstehen.

Dion

 

Interessante und desillusionierte Momentaufnahmen eines von Zwängen geprägten Lebens. Die sanfte, stille Monotonie des Schneefalls wird zum Bindeglied der freudlosen Episoden.

Aufbau und Schilderung werden dem Thema gerecht, die Wortwahl wird auch dazu gut genutzt, eine eher düstere Grundstimmung atmosphärisch zu verdichten.

Es bleibt auch viel Raum für eigene Gedanken, die man sich zu diesem Leben machen könnte. Aber ob man das will?

Mich hat der Wechseln von der ICH-Erzählerin zur dritten Person gar nicht gestört - im Gegenteil, ich finde ihn als Stilmittel (Stichwort: Distanz) sogar sinnvoll.

Ich mag solche Geschichten und empfinde dieses Werk als klar und gut geschrieben. Für die kurzen Momentaufnahmen wurden ansprechende Bilder gefunden. In einem Fotoalbum blättert man sich in der Regel durch lachende, fröhliche und glückliche Momente des Lebens. Diese Geschichte macht genau das Gegenteil.

Grüße von Rick

 

Hallo kira,

Hm, auch ich war bei dem Perspektivwechsel erst einmal verwirrt, hab mich dann aber gut eingelesen.

Muss dafür gestehen, dass ich einige Zeit gezweifelt habe, ob es sich bei den Blitzlichtern immer um die selbe frau handelt, oder um verschiedene Frauen zur gleichen Zeit, vor allem, weil ich mir im zweiten Abschnitt nwirklich eine Hure vorgestellt hab, und ich den Sprung zur Sekretärin nicht geschafft habe, deswegen dachte ich für einige Momente, es gehe um Frauenschicksale allgemein.

Das Bild mit dem Schnee hat mir sehr gut gefallen, wenn ich auch die Formulierung "Schnee fällt leise" überhaupt nicht mag, weil, naja, Schnee selten laut fällt. Vielleicht (ist aber nur Geschmackssache) magst du mal versuchen, wie es sich anhört, wenn du das "leise" weglässt.

Ansonsten fand ich den Text sehr stimmungsvoll und berührend, hab keine großen Kritikpunkte gefunden. Schön melancholisch.

Liebe Grüße,

Ronja

 

Hallo zusammen,
danke für eure raschen Kommentare und die doch recht lobenden Worte.

@bernadette:
Das ist der Ausgleichsfaktor, der mich in Sci-Fi die oberflächlichen Sachen und dafür in Alltag oder Gesellschaft die schweren schreiben lässt. Danke für's Fehlersuchen. Die Kommas hab ich berichtigt. Beim Satz mit dem grauen Brei geb ich dir recht, muss aber noch die passende Formulierung suchen.

@Dion:
Du scheinst ja ein sehr genaues Bild von der Protagonistin zu haben. Vielleicht steckt die Frau ja auch gerade in einem emotionalen Tief durch den Verlust des Partners, so dass ihr alles, was ihr Leben gebracht hat, sehr negativ erscheint. Vielleicht sollte ich noch eine Gegengeschichte mit dem Titel "Sonne scheint" schreiben, die das gleiche Leben aus einer anderen Stimmung heraus betrachtet, damit wir als Frauen nicht ganz so unzufrieden in deinen Augen wirken? ;)

@Rick:
Danke für die lobenden Worte. Wie du sagst, war mir der Wechsel der Erzählperspektive wichtig, um darzustellen, wie distanziert die Protagonistin ihr Leben in diesem Moment sieht. Ein wenig höre ich aber auch aus deinen Worten die Distanziertheit raus. Du zweifelst, ob man denn den Raum für eigene Gedanken, den die Geschichte anbietet, nutzen will. Also ist sie im Grunde nicht reizvoll genug - oder doch zu alltäglich, um weiter drüber nachzudenken? :dozey:

@Felsy:
Ja, der Perspektivwechsel ist am Anfang etwas hurtig. Vielleicht muss ich hier noch einen weiteren Satz aus der Ich-Perspektive einfügen, um ihn bewusster zu machen. Das leise muss drinbleiben. Auch wenn du es nicht magst und es wirklich selbstverständlich ist. Die Sätze sind sonst nicht mehr rund in meinen Augen und das ganze soll ja auch eine sehr leise und unspektakuläre Geschichte sein. Mit dem Clubraum in der Kaserne soll ja deutlich werden, dass es sich hier um herbe Sitten in einer Motorradclique handelt und nicht um gewerbliches Milieu. Aber den ersten Satz muss ich hier eh noch verbessern, vielleicht wirds dann deutlicher.

Gruß,
kira.

 

Hi Kira

Ein wenig höre ich aber auch aus deinen Worten die Distanziertheit raus. Du zweifelst, ob man denn den Raum für eigene Gedanken, den die Geschichte anbietet, nutzen will. Also ist sie im Grunde nicht reizvoll genug - oder doch zu alltäglich, um weiter drüber nachzudenken?

Nein, das hast du falsch verstanden - weil ich es auch dämlich ausgedrückt habe. Natürlich regt die Geschichte zum Nachdenken an und setzt auch die richtigen Reize. Ich bezog meine eingeschobene Frage einfach nur auf den eher traurigen Inhalt, der es dem einen oder anderen halt etwas schwerer machen könnte. Aber das kommt eh immer darauf an und ist Geschmacksache. Wie ich schon schrieb: ICH mag solche Geschichten! Also mein Daumen zeigt klar nach oben, dass da bitte kein Zweifel bei dir aufkommt.

Grüße von Rick

 

Danke Rick,
sowas hört man gerne und war dann auch der Nachfrage wert. ;)
Gruß,
kira.

 

Hallo Kira,

viel ist schon zu Deiner Geschichte gesagt worden, so dass mir nur noch wenig bleibt, wenn ich nicht alles mögliche wiederholen will ... :D

Ich habe Deinen wunderbar fließenden Text, der mich sehr berührt hat, gerne gelesen.

Der "Bruch" in der Erzählperspektive war für mich kein Bruch, sondern absolut folgerichtig: Am Grabe ihres Mannes betrachtet sie sich in ihrer Erinnerung wie eine Fremde.

Sehr schön fand ich das Bild des fallenden Schnees, das sich unaufhörlich wiederholt, ohne dass man etwas ändern kann. Genauso, so scheint mir, ist das Leben für Deine Protagonistin gewesen. Immer wieder erlebt sie es, alleingelassen, unverstanden und hilflos zu sein, kann nichts dagegen tun (oder tut zumindest nichts) und wartet scheinbar nur auf den nächsten "Schneefall" - bis sie am Grabe steht und den Ring abnimmt ... Das empfinde ich als den Moment, in dem sie etwas Neues, Unvorhergesehenes, Frisches unternehmen wird - für mich endet Deine Geschichte ein wenig hoffnungsvoll. :)

Einen lieben Gruß
von
al-dente

 

Hallo al-dente,
danke für's Lesen und die lobenden Worte. Freut mich, dass du im Schlusssatz den Hoffnungsschimmer finden konntest. Ich hab ihn erst nach langem Überlegen von "Wer muss ich morgen sein?" geändert.
Für mich leidet die Protagonistin dauerhaft unter der Fremdbestimmung, die sie sich seit der Kindheit immer wieder auferlegt, um ihrem Umfeld zu gefallen. Mit dem geänderten letzten Satz löst sie sich davon, statt wieder nach einer neuen Rolle zu suchen, in die sie sich zu schlüpfen gezwungen fühlt.
Gruß,
kira.

 

Hallo kira!

Mir gefällt Deine Geschichte über diese Frau, die nach so vielen Jahren der Anpassung und des bloßen Funktionierens endlich das "Buch der Selbstbestimmung" öffnet, zumal zwei Fälle gleicher Thematik in meinem Bekanntenkreis zu finden sind.

Die Angst, auf Grund schwer erfüllbarer Erwartungen der Umwelt mit Entzug an Zuneigung/Anerkennung bestraft zu werden, treibt oft seltsame Blüten und kann dazu führen, dass die eigene Persönlichkeit und eigene Bedürfnisse auf ein Minimum reduziert werden. Schlimm, sowas. Wehret den Anfängen ...

Was das Wort leise bei fallendem Schnee betrifft: In Bezug auf den Kontext gesehen, verstärkt es die inhaltliche Aussage. So leise wie, Jahr um Jahr, der Schnee fällt, der alles mit seiner kalten(!) Schicht überdeckt, so leise (unbemerkt) verschwinden, Jahrzehnt um Jahrzehnt, die Bedürfnisse der Prot., bis sie buchstäblich selbst "auftaut".

Gerne gelesen!


Lieben Gruß
Antonia

 

Hey Kira,

zunächst einmal ist sicherlich zu sagen, dass du in der Geschichte Stimmung erzeugst. Aber warum verändert sich die Stimmung, respektive dein Erzählstil nicht am Ende, so es denn wirklich deine Intention war, einen echten Neuanfang anzudeuten? Ihre Hand ist schon faltig...Auch wechselst du zwischen fremdbestimmter und eigenbestimmter Isolation/Depression, das Ende suggeriert aber eine reine Fremdbestimmung: Sie tauschte ein... Und jede Art von Fremdbestimmung ist ja ihrerseits eine Art von Eigenbestimmung, indem man sich in die Fremdbestimmung ergibt.
Du erzeugst zweifellos Stimmung in der Geschichte, auch wenn ein paar Formulierungen wie "naive Blicke und billige Sprüche" mit der übrigen Darstellung brechen, aber der Inhalt ist wirklich seltsam. Du erzählst die Geschichte einer Frau in einem wirklich ziemlich emanzipierten Land, ich beziehe das zumindest auf die hiesige Gesellschaft, und das wirkt auf mich nicht, weil es für mich eigenes Verschulden ist. Würdest du die Zwänge eines konservativen iranisch-islamischen Elternhauses beschreiben, dann wäre das Geschilderte nachvollziehbar...

grüße, nils

 

Hallo
du hast eine sehr stimmungsvolle Lebensschilderung geschrieben, die mir sowohl sprachlich als auch inhaltlich sehr gut gefällt. Ich mag die Atmosphäre, die du erzeugst und den Perspektiven-Wechsel empfinde ich als gelungen.
Viele Bilder wirken fast schon so, als hättest du Teilaspekte selbst erlebt und durchlitten (sei es nun auf Grund eigener Erfahrungen oder einer beachtlichen Empathiefähigkeit). Ich zumindest habe mich (und meine Beobachtungen) besonders in dem Teil wiedergefunden, in dem es um die wahrlich kräftezehrende Versorgung eines Babys geht.

Man möchte er Prot. alles Gute wünschen und hofft, dass sie es schafft, den Schnee tauen zu lassen, um sich ganz dem Frühling hinzugeben.

Grüße, Artsneurosia

 

Hallo zusammen,
danke fürs Lesen und eure Gedanken zum Text.

@Antonia:
Freut mich sehr, dass dir die Geschichte gefallen hat und dass du auch das Bild des Schnees stimmig findest. Mich fasziniert immer wieder, wieviel so ein bisschen kristallines Wasser an der Optik ausmachen kann - und nicht nur an der Optik, wenn man die Serie der einstürzenden Hallendächer der letzten Monate verfolgt. Dass du die Thematik gleich mit zwei Schicksalen in deinem Umfeld assoziierst zeigt, dass dieses Problem bei uns durchaus vorhanden ist.

@nils:
Wie Antonia schon aufzeigt, gibt es diese (selbstauferlegte) Fremdbestimmung aus dem Wunsch nach Zuneigung heraus eben auch (oder vor allem?) in hiesigen emanzipierten Ländern. Es ging mir im Text nicht um die klassische Unterdrückung der Frau durch den Mann - der Kontext wäre ein ganz anderer. Schlüsselsatz und Auslöser ist die wiederholte Zurücksetzung als kleines Kind, die das Gefühl hervorruft, sich Liebe nur durch perfekt erfüllte Erwartungen erwirtschaften zu können.
Vielleicht liegt deine Irritation auch darin begründet, dass es sich hier um ein Problem handelt, dass wohl eher Frauen betrifft als Männer.
Dass der Neuanfang nicht mit einem drastischeren Stimmungsumschwung einhergeht, liegt ja in der gezeichneten Situation begründet. Ein Verlust macht ja in erster Linie nicht fröhlich und Hoffnung wächst nach so vielen Jahren eher leise und vorsichtig. Außerdem war die faltige Hand zur Altersbestimmung gedacht - und eine faltige Hand bleibt auch bei einem fröhlichen Menschen faltig. ;)

@Artsneurosia:
Bei männlichen Lesern bin ich bei dieser Geschichte besonders über Lob erfreut, da ich (wie oben gesagt) denke, dass die Thematik aus ihrer Sicht nicht immer oder nicht für jeden nachvollziehbar ist. Erlebte oder mitempfundene Aspekte vorsichtig in eine Geschichte hineinzuweben, macht sie ja in den meisten Fällen plastischer und wenn der Leser sich wiederfindet hat der Autor sein höchstes Ziel erreicht. :)

 

Hi kira,

grundsätzlich gefällt mir deine Geschichte sehr gut, auch wenn ich noch einige Unebenheiten entdeckt habe.
Zum Ende erfahre ich, dass die Frau am Grab steht und ihren Mann verloren hat. Es ist mir so (auch, wenn es nicht deutlich aus dem Text hervorgeht), als wäre es die gleiche Szene, wie die erste. Es kann aber auch sein, dass du mit dem Aufgreifen der Melodie die Kreis nicht wieder schließen wolltest. Dann würde ich dir dazu raten, damit die Geschichte einen Bogen erhält. Allerdings müsste dann irgendwie auch noch klar werden, warum der Tod des Gatten zuerst Erinnerungen an die Kindheit wachruft. Aber das wäre sicher kein Problem. Tod ist oft ein Grund für ein Lebensresumée.
Weitere Details:

Schnee fällt leise und der Klang einer Spieldose zupft ein Lied aus meinen Erinnerungen
Diesen Satz finde ich unklar. Es ist nicht deutlich, ob der Klang der Spieldose das Lied zupft, wie der Gitarrenspieler die Saiten oder ob die Melodie der Spieldose die Erinnerungen wachruft.
Im ersten Fall würde der Klang der Spieldose sich selber produzieren, was falsch wäre, im zweiten Fall, würde das Lied ja eher aus den unbewussten in die bewussten Erinnerungen geholt (gezupft) werden. Dann müsste es in die Erinnerungen heißen.
Durch manche Hand ist sie gegangen und keine gehörte wirklich ihr allein.
Auch dieses Bild scheint mir nicht stimmig. mE gehörte ihr nicht nur keine dieser Hände nicht allein, sondern gar nicht.
Die Frau wickelt Vergangenheit aus den Schichten aus Papier, die sie vor dem Zerbrechen schützen sollen.
eigentlich nichts dran auszusetzten, auch wenn es ein bisschen umständlich klingt, aber einen Vorschlag: Die Frau wickelt Vergangenheit aus Zeitungspapier, das sie vor dem Zerbrechen schützen soll.
So findet die private Vergangenheit des Geschirrs ihr Equivalent in der Vergangenheit die in den alten Zeitungen steht.
Vielleicht war sie auch nur Erinnerung
Da du hier den Kreis zum ersten Absatz schließen möchtest, kannst du dieses Vielleicht nicht verwenden, denn im ersten Absatz warst du ja schon sicher, dass es Erinnerungen sind.

Lieben Gruß, sim

 

Hi kira,

so bin ich auch mal wieder hier.

Fangen wir mit dem Inhalt an:

Es sind die Lebensstationen einer Frau. Von ihren Kindheitserlebnissen, über die exzessiven Jahre als Jugendliche hin zum ersten Job. Dann schon Familie und es endet mit dem Tod des Mannes, der sie möglicherweise zu neuen Ufern aufbrechen läßt.

Nun ich mag Biographien, ich mag es in die Leben anderer hineinzuschauen. Man findet immer Parallelen und wissenswertes, was man für sich mit rausnehmen kann. Was mir hier fehlt, sind die Zusammenhänge der Szenen. Was hält diese Highlights zusammen, was ist in der Zwischenzeit passiert? Das interessiert mich.
So gesehen habe ich darauf gewartet, dass sich die erste Szene auflöst, dass man sieht, was dies für eine Enttäuschung war für den Vater, wie sich dies auf ihr späteres Leben auswirkte. Aber später habe ich gemerkt, dass es wohl kein bestimmtes Ereignis war, sondern eines von vielen. Irgendein Tag, wo sie evtl. nicht richtig auf den Bruder aufgepasst hat oder das Haushaltsgeld für Schokolade ausgegeben oder was weiß ich.

Und so frage ich mich symptomatisch für die Geschichte, warum wir genau diese Szene aus ihrer Kindheit sehen und nicht sie nach dem Scheitern ihrer ersten Liebe oder sie bei der Jugendweihe/ Konfirmation etc.
Was ist hier mit ihr passiert, was für das weitere Leben wichtig war?
Was willst Du hier zeigen? Ein strenges Elternhaus mit besonderen Zwängen? Erziehung ist ja immer eine Art von Zwang und als solches nichts ungewöhnliches, es sei denn, es werden ungewöhnliche Methoden verwendet, die den Menschen dann aber auch formen.
Einen Moment habe ich an Kindesmissbrauch gedacht.

Die zweite ziemliche filmreife Szene soll wohl den Kontrast zum strengen, aber behüteten Elternhaus darstellen. Aber auch hier frage ich mich. Wo ist sie denn falsch abgebogen und warum? Warum tauscht man Wissen und Intelligenz gegen billige Sprüche. Da muß doch viel passieren und ich will wissen was, weil ich es mir nicht vorstellen kann.

Die dritte Szene als Symbol für einen harten Job. Sie zeigt einerseits Anerkennung, wobei nicht klar ist, ob dies nur sexueller Art ist oder tatsächlich durch Fleiß erarbeitet wurde. Etwas überlegenswert halte ich den Dienstwagen. Denn einerseits ist sie scheinbar die typische Sekretärin, die das Büro hütet bzw. von den Kollegen ausgenutzt wird, dann braucht sie aber keinen Dienstwagen. Ich sehe hier keine so richtige Funktion für dieses Requisit.

Die Szene als Mutter ist tatsächlich ein Wendepunkt, den ich akzeptiere und verstehe.

Der x-te Umzug berichtet sehr viel aus ihrem Familienleben. Da ist der Mann, der auf ihre Wünsche, Hoffnungen keine Rücksicht nehmen kann/will und sie, die dieses Schicksal hinnimmt und ihr bestes gibt. Es gibt die Kinder, die inzwischen das Denken und Handeln steuern und keinen Platz für Alternativen lassen.

Die Grabszene ist auch sehr filmisch. Sie steht davor, nimmt endgültig Abschied, durch das Wegwerfen des Ringes und geht.

Nunja, ich sagte ja, ich mag Biographien, aber solche kurz aufflackernde Szenen sind problematisch. Möglicherweise, weil der Autor dazu tendiert, sich für die einzelnen Situationen nicht so viel Mühe zu geben, da das Gesamtbild entscheidend ist. Teilweise werden in den Szenen Erwartungen geweckt, die für mich als Leser nicht erfüllt werden, was aber auch an meinen Erwartungen liegen kann.
So richtig fehlt mir das Besondere. Es kommen ja besondere Dinge vor, aber die werden mir eben in diesen kurzen Sachen nicht näher gebracht. Insofern habe ich das Gefühl, es geht um das Gesamtbild.

Und das Gesamtbild sagt folgendes:
Eine Frau ist ihr ganzes Leben lang einsam. Als Kind nicht verstanden, als Teenager sich selbst vor allem vor der Familie separierend, als Einzelgängerin im Unternehmen und in der Familie in sich zurückgezogen.

Ich sehe hier keinen Zwang, aus meiner Sicht, hat sie viele Zustände selber verursacht und ich sehe keine Versuche, aus diesen Schemen auszubrechen. Ja, das ist möglicherweise die andere Facette, die mir fehlt. Die Grundstimmung ist permanent negativ und man will ihr zurufen „Nu reiß Dich mal zusammen oder mach was anderes“
Und ist demnach eben enttäuscht, wenn man sie immer in den Tiefpunkten erlebt. Für mich sind die Szenen eben auch relativ wahllos und demnach würde ich mir eben genau die entscheidenden Szenen wünschen.
Wann hat sie wie versucht, den Vater zufrieden zu stellen?

Welche Wege hat sie als Teenager probiert? Warum ist sie so abgerutscht? Was war der Augenblick, als ihr alles egal wurde?

Wie ist sie an ihren Mann gekommen? Ist es eben jener Abteilungsleiter oder war er früher anders? Was fand sie an ihm und wo war der Punkt, an dem sie resignierte?

Mir fehlt der Kampf, die andere Seite. Die gezeigten Szenen sind immer Enttäuschungen und Tiefpunkte und selbst hier hält sich das Level. Und irgendwie gewöhnt man sich dran. Ich sehe keinen Kampf also sage ich mir, sie ist so, sie nimmt es hin und es hebt sie nicht an und dann frage ich mich, wenn sie hier keine Konflikte hat, warum bin ich dabei?
Es gibt ja auch Menschen, die merken gar nicht, wie sie ausgenutzt werden und nur für andere leben. Die haben auch keine Konflikte oder Probleme. Sie können höchstens Konflikte auslösen, bei jenen, die das erkennen und das ändern wollen.
Aber ich glaube, darum geht es hier nicht.
Ich denke, Du willst zeigen, wie jemand quasi im Wachkoma lebt und nichts davon hat, aber dann muß es auch den Kampf geben. Nur so ist dann auch absehbar, dass ihr das so nicht gefällt. Es gibt gewiss sehr viele Frauen, die in der Familie ihre Erfüllung sehen und die sich auch mit dem Mann freuen, wenn er gesellschaftlich aufsteigt.
Aber darum geht es hier wohl nicht, denn das wäre ja nicht interessant.

Ich sage nicht, dass der Kampf in jeder Szene vorhanden sein muß, denn dann wird es auch langweilig und beliebig. Gut und wichtig wäre, wenn sich die Szenen aufeinander beziehen, wenn bestimmte Elemente wieder auftauchen, so dass man auch eine Art von Entwicklung begleiten kann.

Um das mal beispielhaft zu skizzieren:
Wenn in der ersten Szene der Vater als Maßstab der Dinge eingeführt, von dem sie ein Lob, eine Anerkennung erhofft, so könnte in der nächsten Szene die Trennung von ihm, vom Elternhaus gezeigt werden. z.B. könnte sie nach so einer Partynacht betrunken nach Hause gekommen sein und am nächsten Morgen bemerkt der Vater Kratzer an seinem Auto und sie ist verkatert und verärgert und dann zieht sie eben zu irgendeinem Tom, der, wie sie bei der Ankunft feststellen muß, gerade Damenbesuch hat.

In der nächsten Szene könnte durchschimmern, dass sie sich hochgearbeitet hat, weil sie damals unbedingt auf Geld angewiesen war, um ihre erste Wohnung zu bezahlen.

Die Mutterszene sollte erwähnen, ob sie gleich jemanden aus dem Unternehmen geheiratet hat (wäre nahe liegend, weil es die engen Kreise beschreiben würde, in denen sie lebt).

Nun der Umzug, hier sollte etwas besonderes rein. Du beschreibst es, als sei es schon der x-te Umzug. Aber vielleicht hat sie diesmal etwas besonderes zurückgelassen. Eine Freundin, eine Beschäftigung, die sie gern weitergeführt hätte (Malen, Töpfern, Schreiben).

Naja und in der letzten Szene könnte man anklingen lassen, dass sie zu dieser verborgenen Leidenschaft zurückfinden will.

Fazit:
Geschichten mit solch szenischem Aufbau bergen die Gefahr, dass man die Szenen nur als Gesamtbild (z.B. zeitliche Entwicklung) betrachtet und jede Szene für sich möglicherweise nicht bis zum Abschluß durchgearbeitet ist. Aus meiner Sicht sollten auch die Szenen einen Spannungsbogen haben und eine kleine Geschichte erzählen. Idealerweise einen Wendepunkt in ihrem Leben, der sie zwar in die gleiche Richtung, aber doch mit einer anderen zusätzlichen Facette ausstattet. Durch den Bezug der Szenen untereinander wird es dann zu einem Gesamtbild, wo auch die Details überzeugen. Der Zusammenhang scheint derzeit durch den Schnee gegeben, der (typisch für Schnee) vieles abdeckt, aber eben nicht alles. Mir sind die Szenen zu beliebig, was ich verstehe, denn man erlebt nicht permanent Tief- und Höhepunkte, aber man kann dem Beliebigen auch eine persönliche, spezielle Note geben und das zeichnet dann die Geschichten aus, die sich herausheben ;).

Einige technische Anmerkungen:

Aufgefallen sind mir Deine näheren Beschreibungen, die ein bestimmtes Bild noch mal verstärken sollen. Also in der Form:
Fakt fakt fakt, der/die/das soundso aussah.

Bsp:

und überträgt ihr Verantwortung für den kleinen Bruder, der liebevoll im Arm gehalten wird.

Die Reifen von schweren Motorrädern und Öl, das aus verschlissenen Motoren tropft, haben ihm seine Reinheit genommen

Die Frau wickelt Vergangenheit aus den Schichten aus Papier, die sie vor dem Zerbrechen schützen sollen.


Hier ist zu überlegen, ob Du diese Verstärker brauchst, oder ob eine nüchterne Schilderung der Erinnerung nicht doch das klarste Bild abgeben.

Folgenden Satz verstehe ich nicht:

Wochen hinweg fährt sie trotzig ohne Sicherheitsgurt, dann hat sie soziales Leben auf den Knien in der Krabbelgruppe, im Wartezimmer des Kinderarztes gefunden.
Ist sie schwanger ohne Gurt gefahren oder schon mit Kind?
Was ist der Unterschied zwischen sozialem Leben und „normalem“ Leben?
Was hat sie beim Kinderarzt gefunden?
Geht es darum, dass sie das Kind nicht wollte, als es schon da war, aber beim Kinderarzt andere Mütter getroffen hat und sich dann damit angefreundet hat -> was hat der Gurt damit zu tun, wenn sich die Gefühle auf das Kind projezieren.
Wenn sie schwanger war, was hat sie dann beim Kinderarzt gefunden -> ihr Kind wohl kaum.

Zur Idee, die Handlung am Grab spielen zu lassen und dort mit der Melodie zu beginnen, die einen in die Vergangenheit entführt, ist auch eine sehr filmische Umsetzung, wo dann die Melodie erklingt und es einen Schnitt gibt.
In einer Geschichte ist so ein Schnitt, der hier von einem Satz zum nächsten kommt, etwas problematischer. Gewiß, Du machst das mit dem Zeitsprung, aber solltest es auch räumlich trennen, da es zwei verschiedene Handlungsebenen sind. Und eigentlich müsste man sich auch fragen, wieso ihr am Grab diese Melodie einfällt. Ist es das Glockengeläut oder eine Handymelodie oder ein Vogel, aber was lässt sie am Grab ihres Mannes an diese Spieldose denken?
Ansonsten finde ich die Klammer gelungen.
Das Wegwerfen des Ringes ist zwar ein klares Bild, aber ich traue es ihr nicht zu. Gewiß, die Ehe ist zu Ende, aber sie hat ihre Kinder und wahrscheinlich auch sein Geld und ich glaube nicht, dass sie nicht auch getrauert hat, vielleicht war er lange krank und dann vergibt man so einiges. Den Ring wegzuwerfen ist aber eine Kontrasthandlung, die das Vorangegangene in den Schmutz wirft und überhaupt nicht achtet. Das ist für mich zu viel und nicht nachvollziehbar
Wenn sie den Ring in eine Schachtel gibt und auch dort vergräbt oder ihn in einen Umschlag gibt, den sie in einen Ordner mit seinen Sachen heftet, dann hat dies auch etwas abschließendes, aber nichts entwertendes.

Gut, ich hoffe, ich werde noch ausführlicheres von dieser Frau lesen, um mehr über ihre Wünsche und Hoffnungen und nicht nur ihre Reaktionen oder kurze Bestandsaufnahmen zu lesen. Aus meiner Sicht sind es jeweils Kleinigkeiten, die die ganze Sacher etwas runder gestalten können.

bis bald
mac

 

Hallo Kira!

Ja, nein, weiß nicht. :D Inhaltlich kann man das so durchaus machen - aber stilistisch ist das streckenweise doch recht ungelenk, allen voran:

Die Reifen von schweren Motorrädern und Öl, das aus verschlissenen Motoren tropft, haben ihm seine Reinheit genommen. Und auch das Mädchen hat seine Reinheit eingebüßt.

Schäme dich! ;) Mit der Holzhackermethode wird hier dem Leser die Aussage der Szene eingehämmert. Dabei könnte durch das gute alte "Show" (man wird ja einfach nicht müde, es jemandem vor die Nase zu halten :D) das viel subtiler und vor allem: besser! inszeniert werden.

Ein rotes Tuch sind für mich auch diese Dinger hier:

Schnee fällt leise und legt wieder und wieder eine weiche Schicht aus Müdigkeit auf die Scheiben des Geschäftswagens
Schnee fällt leise und verhöhnt in seiner Ruhe die Nerven der jungen Frau, die in endlosen Runden das schreiende Baby durch die dunkle Wohnung trägt.
Das ist seehr unschön, einfach zu viel des Guten. Da würde ich zurückrudern...

Schnee fällt leise
Diese Wiederholungen sind mir auch zu gewollt; ein paar Variationen wären da mE schöner.


Ja. :)

Liebe Grüße!

Der Dante

 
Zuletzt bearbeitet:

Au weia,
gleich drei so feinheitsbewusste, umfangreiche Kommentare, wo ich dachte, gerade an dieser Geschichte schon fleißig gefeilt zu haben. Es gibt doch immer noch was zu tun! Riesigen Dank erst mal für eure Mühe.

@sim:
Der Bogen mit der Melodie ist von mir schon bewusst so gewählt. Ich hab's mir so vorgestellt, dass die Frau an diesem Grab steht, in Gedanken versunken und von irgendwoher hört sie diese Töne. Vielleicht läuft ein Kind für sie nicht sichtbar außen an der Friedhofsmauer vorbei, mit einer Spieldose in der Hand. Es ist nur ein Hauch, eine Ahnung, aber ihre Gedanken wandern dadurch zurück. Und als sie wieder daraus auftaucht, weiß sie nicht einmal, ob sie die Melodie wirklich real gehört hat. Mir selbst geht es oft bei Gerüchen so, dass sie mich augenblicklich in die Vergangenheit katapultieren können und mich an Situationen denken lassen, die ich eigentlich längst vergessen hatte. Ich wollte diesen Auslöser nicht zu klar beschreiben, um seine Flüchtigkeit anzudeuten.
Die von dir angemerkten Formulierungen muss ich nochmal überdenken. Den Vorschlag mit dem Zeitungspapier hab ich gleich übernommen. Ich wusste, dass dieser Satz noch krumm war, aber ich hab hier den Wald vor lauter Zeitungspapier nicht mehr gesehen. ;) Wie gut, wenn jemand etwas vorschlägt, wenn man vor lauter Formulieren nicht mehr weiter weiß. Danke.

@mac:
Danke für den riesigen Kommentar und die vielen Überlegungen zu meiner Geschichte. Aber ich glaube, du hast etwas anderes gesucht, als das was ich geschrieben habe. Gerade so ein durchgängiges Lebensbild, bei dem erzählt wird, wie eins zum anderen führt, wollte ich nicht beschreiben. Für mich gewinnt der Text dadurch, dass ich eine lose Reihe von möglichst komprimierten Bildern auf einen roten Faden fädele, der am Anfang eine kleine Öse hat, in die ich am Ende den Verschluss einhake.
Die Melodie der Spieluhr versetzt die Frau zurück in ihre Kindheit, als ihr Weltbild dahingehend verschoben wurde, dass sie meinte, Zuneigung nur durch perfektes Erfüllen der Erwartung anderer zu erhalten. Von hier aus springt sie über die Jahre durch die unterschiedlichsten sehr alltäglichen Situationen, in denen sie immer wieder nach dem selben Schema gehandelt hat und doch nicht glücklich dadurch geworden ist.
Der Wendepunkt kann deshalb nur im Schlussabsatz kommen, wo die Trauer eben als nicht-alltägliches Ereignis ihre Lebensumstände umkrempelt, der Rückblick zur Erkenntnis wird und sie ersten Schritt in die Befreiung tut. Was den Ring angeht, hast du recht. Die Geste des Wegwerfens hat etwas zu Abwertendes. Vielleicht lasse ich sie wirklich ein Kästchen benutzen.

Und so frage ich mich symptomatisch für die Geschichte, warum wir genau diese Szene aus ihrer Kindheit sehen
Siehe oben. Diese Szene ist die Schlüsselszene. Die ungenaue Altersangabe zeigt, dass der Ablauf immer wieder vorkam und so ein falsches Bild geprägt wurde.

Warum tauscht man Wissen und Intelligenz gegen billige Sprüche.
Den Ausbruch aus dem Elternhaus als Teenager kennen wir ja alle. Hier ist er verstärkt dadurch, dass sie das Gefühl hatte, keine Anerkennung gefunden zu haben. Sie sucht sich eine möglichst gegenteilige Situation, handelt aber nach dem gleichen Schema.

Sie zeigt einerseits Anerkennung, wobei nicht klar ist, ob dies nur sexueller Art ist oder tatsächlich durch Fleiß erarbeitet wurde.
Das bleibt absichtlich offen. Es reicht, wenn der Leser weiß, es ist eine Erwartungshaltung da und sie versucht, sie zu erfüllen.

dann braucht sie aber keinen Dienstwagen. Ich sehe hier keine so richtige Funktion für dieses Requisit.
Du hast recht. Dienstwagen kann raus.

Wochen hinweg fährt sie trotzig ohne Sicherheitsgurt, dann hat sie soziales Leben auf den Knien in der Krabbelgruppe, im Wartezimmer des Kinderarztes gefunden
Dass sie ohne Sicherheitsgurt fährt, zeigt wie sehr ihr der Lebenswille abhanden gekommen ist. Sie würde sich zwar nicht aktiv das Leben nehmen, aber sie will es auch nicht mit aller Sorgfalt beschützen. "Soziales Leben" ist für mich ein gängiger Begriff für den zwischenmenschlichen Kontakt. Dadurch, dass sie Beruf gegen Kind eingetauscht hat, beschränken sich die Kontakte abrupt auf die Personen, die Krabbelgruppen und Kinderärzte frequentieren - andere Mütter mit Kindern.
Ich denke nicht, dass ich ausführlicheres von dieser Frau erzählen werde. Es ging hier, wie gesagt, nicht darum, eine durchgängige Lebensgeschichte zu schildern, sondern um die Symptomatik einer verschobenen Lebenssicht. Tut mir leid, wenn ich da deinem Wunsch nach mehr nicht entsprechen kann. :schiel:

@Dante:
Aaaah, doch so begeistert, ja? :p Immerhin das Inhaltliche hat gerade noch so Gnade vor des Meisters Augen gefunden. :hmm: Komm schon, ich hab mich so bemüht, das Ding mit "Show" vollzupacken, dass dir die Sätze schon wieder zu fett sind. Ich wollte die Szenen so komprimiert wie möglich haben, weil man ja in der Erinnerung oft auch nur ein Bild dichtgepackt mit Emotionen vor Augen hat. Wie Naut an anderer Stelle schon sagte, kann es vorkommen, dass eine Sauce durchs Einreduzieren zwar sehr gehaltvoll aber womöglich auch zu salzig wird. Wie wär's mit ein paar Andeutungen zu besseren Formulierungen für praktisch veranlagte Menschen, hä? ;)

Ich seh schon, dass bei lupengenauem Betrachten herauskommt, wo ich beim Feilen der Geschichte nochmal Scharten verpasst habe, statt welche zu glätten. Ich werde die Formulierungen beizeiten nochmal genau überdenken.

Danke für die Hilfe allerseits.
kira.

 

Wie wär's mit ein paar Andeutungen zu besseren Formulierungen für praktisch veranlagte Menschen, hä?
Ja, mach doch aus den einzelnen Abschnitten einzelne lebendige Szenen.

Die Reifen von schweren Motorrädern und Öl, das aus verschlissenen Motoren tropft, haben ihm seine Reinheit genommen. Und auch das Mädchen hat seine Reinheit eingebüßt.
Mal in die Tüte: Hier kannst du zeigen, wie sie in der Diskothek besoffen mit ein paar Kerlen rumknutscht, bis ihr einer der Heißsporne aus Versehen ihr Glas in der Hand zerbricht. Ihr wird schwindelig, sie rennt aus, und dann tropft ihr das Blut in den schmutzigen Schnee. Und sie übergibt sich. So als quasi Entjungferung...

 

Jou. Jetzt seh ich, was du meinst. Überarbeitung folgt. Danke.

 

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