Hi kira,
so bin ich auch mal wieder hier.
Fangen wir mit dem Inhalt an:
Es sind die Lebensstationen einer Frau. Von ihren Kindheitserlebnissen, über die exzessiven Jahre als Jugendliche hin zum ersten Job. Dann schon Familie und es endet mit dem Tod des Mannes, der sie möglicherweise zu neuen Ufern aufbrechen läßt.
Nun ich mag Biographien, ich mag es in die Leben anderer hineinzuschauen. Man findet immer Parallelen und wissenswertes, was man für sich mit rausnehmen kann. Was mir hier fehlt, sind die Zusammenhänge der Szenen. Was hält diese Highlights zusammen, was ist in der Zwischenzeit passiert? Das interessiert mich.
So gesehen habe ich darauf gewartet, dass sich die erste Szene auflöst, dass man sieht, was dies für eine Enttäuschung war für den Vater, wie sich dies auf ihr späteres Leben auswirkte. Aber später habe ich gemerkt, dass es wohl kein bestimmtes Ereignis war, sondern eines von vielen. Irgendein Tag, wo sie evtl. nicht richtig auf den Bruder aufgepasst hat oder das Haushaltsgeld für Schokolade ausgegeben oder was weiß ich.
Und so frage ich mich symptomatisch für die Geschichte, warum wir genau diese Szene aus ihrer Kindheit sehen und nicht sie nach dem Scheitern ihrer ersten Liebe oder sie bei der Jugendweihe/ Konfirmation etc.
Was ist hier mit ihr passiert, was für das weitere Leben wichtig war?
Was willst Du hier zeigen? Ein strenges Elternhaus mit besonderen Zwängen? Erziehung ist ja immer eine Art von Zwang und als solches nichts ungewöhnliches, es sei denn, es werden ungewöhnliche Methoden verwendet, die den Menschen dann aber auch formen.
Einen Moment habe ich an Kindesmissbrauch gedacht.
Die zweite ziemliche filmreife Szene soll wohl den Kontrast zum strengen, aber behüteten Elternhaus darstellen. Aber auch hier frage ich mich. Wo ist sie denn falsch abgebogen und warum? Warum tauscht man Wissen und Intelligenz gegen billige Sprüche. Da muß doch viel passieren und ich will wissen was, weil ich es mir nicht vorstellen kann.
Die dritte Szene als Symbol für einen harten Job. Sie zeigt einerseits Anerkennung, wobei nicht klar ist, ob dies nur sexueller Art ist oder tatsächlich durch Fleiß erarbeitet wurde. Etwas überlegenswert halte ich den Dienstwagen. Denn einerseits ist sie scheinbar die typische Sekretärin, die das Büro hütet bzw. von den Kollegen ausgenutzt wird, dann braucht sie aber keinen Dienstwagen. Ich sehe hier keine so richtige Funktion für dieses Requisit.
Die Szene als Mutter ist tatsächlich ein Wendepunkt, den ich akzeptiere und verstehe.
Der x-te Umzug berichtet sehr viel aus ihrem Familienleben. Da ist der Mann, der auf ihre Wünsche, Hoffnungen keine Rücksicht nehmen kann/will und sie, die dieses Schicksal hinnimmt und ihr bestes gibt. Es gibt die Kinder, die inzwischen das Denken und Handeln steuern und keinen Platz für Alternativen lassen.
Die Grabszene ist auch sehr filmisch. Sie steht davor, nimmt endgültig Abschied, durch das Wegwerfen des Ringes und geht.
Nunja, ich sagte ja, ich mag Biographien, aber solche kurz aufflackernde Szenen sind problematisch. Möglicherweise, weil der Autor dazu tendiert, sich für die einzelnen Situationen nicht so viel Mühe zu geben, da das Gesamtbild entscheidend ist. Teilweise werden in den Szenen Erwartungen geweckt, die für mich als Leser nicht erfüllt werden, was aber auch an meinen Erwartungen liegen kann.
So richtig fehlt mir das Besondere. Es kommen ja besondere Dinge vor, aber die werden mir eben in diesen kurzen Sachen nicht näher gebracht. Insofern habe ich das Gefühl, es geht um das Gesamtbild.
Und das Gesamtbild sagt folgendes:
Eine Frau ist ihr ganzes Leben lang einsam. Als Kind nicht verstanden, als Teenager sich selbst vor allem vor der Familie separierend, als Einzelgängerin im Unternehmen und in der Familie in sich zurückgezogen.
Ich sehe hier keinen Zwang, aus meiner Sicht, hat sie viele Zustände selber verursacht und ich sehe keine Versuche, aus diesen Schemen auszubrechen. Ja, das ist möglicherweise die andere Facette, die mir fehlt. Die Grundstimmung ist permanent negativ und man will ihr zurufen „Nu reiß Dich mal zusammen oder mach was anderes“
Und ist demnach eben enttäuscht, wenn man sie immer in den Tiefpunkten erlebt. Für mich sind die Szenen eben auch relativ wahllos und demnach würde ich mir eben genau die entscheidenden Szenen wünschen.
Wann hat sie wie versucht, den Vater zufrieden zu stellen?
Welche Wege hat sie als Teenager probiert? Warum ist sie so abgerutscht? Was war der Augenblick, als ihr alles egal wurde?
Wie ist sie an ihren Mann gekommen? Ist es eben jener Abteilungsleiter oder war er früher anders? Was fand sie an ihm und wo war der Punkt, an dem sie resignierte?
Mir fehlt der Kampf, die andere Seite. Die gezeigten Szenen sind immer Enttäuschungen und Tiefpunkte und selbst hier hält sich das Level. Und irgendwie gewöhnt man sich dran. Ich sehe keinen Kampf also sage ich mir, sie ist so, sie nimmt es hin und es hebt sie nicht an und dann frage ich mich, wenn sie hier keine Konflikte hat, warum bin ich dabei?
Es gibt ja auch Menschen, die merken gar nicht, wie sie ausgenutzt werden und nur für andere leben. Die haben auch keine Konflikte oder Probleme. Sie können höchstens Konflikte auslösen, bei jenen, die das erkennen und das ändern wollen.
Aber ich glaube, darum geht es hier nicht.
Ich denke, Du willst zeigen, wie jemand quasi im Wachkoma lebt und nichts davon hat, aber dann muß es auch den Kampf geben. Nur so ist dann auch absehbar, dass ihr das so nicht gefällt. Es gibt gewiss sehr viele Frauen, die in der Familie ihre Erfüllung sehen und die sich auch mit dem Mann freuen, wenn er gesellschaftlich aufsteigt.
Aber darum geht es hier wohl nicht, denn das wäre ja nicht interessant.
Ich sage nicht, dass der Kampf in jeder Szene vorhanden sein muß, denn dann wird es auch langweilig und beliebig. Gut und wichtig wäre, wenn sich die Szenen aufeinander beziehen, wenn bestimmte Elemente wieder auftauchen, so dass man auch eine Art von Entwicklung begleiten kann.
Um das mal beispielhaft zu skizzieren:
Wenn in der ersten Szene der Vater als Maßstab der Dinge eingeführt, von dem sie ein Lob, eine Anerkennung erhofft, so könnte in der nächsten Szene die Trennung von ihm, vom Elternhaus gezeigt werden. z.B. könnte sie nach so einer Partynacht betrunken nach Hause gekommen sein und am nächsten Morgen bemerkt der Vater Kratzer an seinem Auto und sie ist verkatert und verärgert und dann zieht sie eben zu irgendeinem Tom, der, wie sie bei der Ankunft feststellen muß, gerade Damenbesuch hat.
In der nächsten Szene könnte durchschimmern, dass sie sich hochgearbeitet hat, weil sie damals unbedingt auf Geld angewiesen war, um ihre erste Wohnung zu bezahlen.
Die Mutterszene sollte erwähnen, ob sie gleich jemanden aus dem Unternehmen geheiratet hat (wäre nahe liegend, weil es die engen Kreise beschreiben würde, in denen sie lebt).
Nun der Umzug, hier sollte etwas besonderes rein. Du beschreibst es, als sei es schon der x-te Umzug. Aber vielleicht hat sie diesmal etwas besonderes zurückgelassen. Eine Freundin, eine Beschäftigung, die sie gern weitergeführt hätte (Malen, Töpfern, Schreiben).
Naja und in der letzten Szene könnte man anklingen lassen, dass sie zu dieser verborgenen Leidenschaft zurückfinden will.
Fazit:
Geschichten mit solch szenischem Aufbau bergen die Gefahr, dass man die Szenen nur als Gesamtbild (z.B. zeitliche Entwicklung) betrachtet und jede Szene für sich möglicherweise nicht bis zum Abschluß durchgearbeitet ist. Aus meiner Sicht sollten auch die Szenen einen Spannungsbogen haben und eine kleine Geschichte erzählen. Idealerweise einen Wendepunkt in ihrem Leben, der sie zwar in die gleiche Richtung, aber doch mit einer anderen zusätzlichen Facette ausstattet. Durch den Bezug der Szenen untereinander wird es dann zu einem Gesamtbild, wo auch die Details überzeugen. Der Zusammenhang scheint derzeit durch den Schnee gegeben, der (typisch für Schnee) vieles abdeckt, aber eben nicht alles. Mir sind die Szenen zu beliebig, was ich verstehe, denn man erlebt nicht permanent Tief- und Höhepunkte, aber man kann dem Beliebigen auch eine persönliche, spezielle Note geben und das zeichnet dann die Geschichten aus, die sich herausheben
.
Einige technische Anmerkungen:
Aufgefallen sind mir Deine näheren Beschreibungen, die ein bestimmtes Bild noch mal verstärken sollen. Also in der Form:
Fakt fakt fakt, der/die/das soundso aussah.
Bsp:
und überträgt ihr Verantwortung für den kleinen Bruder,
der liebevoll im Arm gehalten wird.
Die Reifen von schweren Motorrädern und Öl, das aus verschlissenen Motoren tropft, haben ihm seine Reinheit genommen
Die Frau wickelt Vergangenheit aus den Schichten aus Papier, die sie vor dem Zerbrechen schützen sollen.
Hier ist zu überlegen, ob Du diese Verstärker brauchst, oder ob eine nüchterne Schilderung der Erinnerung nicht doch das klarste Bild abgeben.
Folgenden Satz verstehe ich nicht:
Wochen hinweg fährt sie trotzig ohne Sicherheitsgurt, dann hat sie soziales Leben auf den Knien in der Krabbelgruppe, im Wartezimmer des Kinderarztes gefunden.
Ist sie schwanger ohne Gurt gefahren oder schon mit Kind?
Was ist der Unterschied zwischen sozialem Leben und „normalem“ Leben?
Was hat sie beim Kinderarzt gefunden?
Geht es darum, dass sie das Kind nicht wollte, als es schon da war, aber beim Kinderarzt andere Mütter getroffen hat und sich dann damit angefreundet hat -> was hat der Gurt damit zu tun, wenn sich die Gefühle auf das Kind projezieren.
Wenn sie schwanger war, was hat sie dann beim Kinderarzt gefunden -> ihr Kind wohl kaum.
Zur Idee, die Handlung am Grab spielen zu lassen und dort mit der Melodie zu beginnen, die einen in die Vergangenheit entführt, ist auch eine sehr filmische Umsetzung, wo dann die Melodie erklingt und es einen Schnitt gibt.
In einer Geschichte ist so ein Schnitt, der hier von einem Satz zum nächsten kommt, etwas problematischer. Gewiß, Du machst das mit dem Zeitsprung, aber solltest es auch räumlich trennen, da es zwei verschiedene Handlungsebenen sind. Und eigentlich müsste man sich auch fragen, wieso ihr am Grab diese Melodie einfällt. Ist es das Glockengeläut oder eine Handymelodie oder ein Vogel, aber was lässt sie am Grab ihres Mannes an diese Spieldose denken?
Ansonsten finde ich die Klammer gelungen.
Das Wegwerfen des Ringes ist zwar ein klares Bild, aber ich traue es ihr nicht zu. Gewiß, die Ehe ist zu Ende, aber sie hat ihre Kinder und wahrscheinlich auch sein Geld und ich glaube nicht, dass sie nicht auch getrauert hat, vielleicht war er lange krank und dann vergibt man so einiges. Den Ring wegzuwerfen ist aber eine Kontrasthandlung, die das Vorangegangene in den Schmutz wirft und überhaupt nicht achtet. Das ist für mich zu viel und nicht nachvollziehbar
Wenn sie den Ring in eine Schachtel gibt und auch dort vergräbt oder ihn in einen Umschlag gibt, den sie in einen Ordner mit seinen Sachen heftet, dann hat dies auch etwas abschließendes, aber nichts entwertendes.
Gut, ich hoffe, ich werde noch ausführlicheres von dieser Frau lesen, um mehr über ihre Wünsche und Hoffnungen und nicht nur ihre Reaktionen oder kurze Bestandsaufnahmen zu lesen. Aus meiner Sicht sind es jeweils Kleinigkeiten, die die ganze Sacher etwas runder gestalten können.
bis bald
mac