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Schnee fällt

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29.09.2004
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Schnee fällt

Schnee fällt leise und kalter Wind weht den Klang einer Spieldose zu mir herüber. Die Melodie zupft ein Bild aus meinen Erinnerungen. Das Bild eines Mädchens, das weinend vor dem Vater steht. Es ist vier Jahre alt, acht oder fünfzehn. Und wieder hat es nicht genügt. Ein zerbrochenes Glas, Spielzeug auf dem Boden, zu spät nach Hause gekommen.
„Du hast mich enttäuscht“, sagt der Vater. „Du bist zu nichts nütze. Ich kann dir nicht mehr vertrauen.“
Die nächsten Tage geht er stumm durch ihr Leben. Wortlos wie der Schnee, der draußen aus dem dunklen Himmel gleitet. Das Versagen lastet schwer in der Stille und ihre Bemühungen um beste Noten, ihre eifrige Hilfe im Haushalt sind für ihn unsichtbar.
‚Meine Große’ nennt er die Schwester und überträgt ihr Verantwortung für den kleinen Bruder, der liebevoll im Arm gehalten wird.

*​

Schnee fällt leise und schmilzt in der fleckigen Lache, vor der das Mädchen auf dem Asphalt kniet. Aus dem Clubraum dröhnen dumpfe Bässe zu ihr nach draußen. Irgendwo zersplittert eine Bierflasche, ein starker Motor heult auf. Ihre Beine zittern und an ihrem Körper klingen noch die Stellen nach, wo sie von gierigen Händen betatscht wurde. Alle Bildung hat sie gegen freche Blicke und billige Sprüche getauscht und billig wird sie nun behandelt. Die neue Währung bringt ihren Zins. Der Boden ist kalt und besudelt von ihrem Erbrochenen. Sie würgt ihr Elternhaus aus sich heraus und füllt die Hohlräume mit Alkohol, Wut und Verachtung.

*​

Schnee fällt leise und legt wieder und wieder eine weiche Schicht aus Müdigkeit auf die Frontscheibe des Autos, mit dem das junge Fräulein vom Mitternachtsbuffet nach Hause fährt.
„Sie haben sich ganz schön gemacht im letzten Jahr“, hat der Abteilungsleiter eben noch mit anerkennendem Blick in ihren Ausschnitt gesagt. „Sie werden mich doch morgen früh nicht hängen lassen, oder?“ Nur langsam kommt sie voran und kaum wird ihr zuhause Zeit bleiben, das Kleine Schwarze aufzuhängen, kurz das Kissen zu streifen, um danach als Einzige zurückzukehren und in vorgetäuschter Frische das stille Büro zu hüten, während Kollegen und Vorgesetzte den geschäftlich verdienten Rausch ausschlafen.

*​

Schnee fällt leise und verhöhnt in seiner Ruhe die Nerven der jungen Frau, die in endlosen Runden das schreiende Baby durch die dunkle Wohnung trägt. Drei Mahlzeiten für die Familie, duftend frisch gebügelte Wäsche, Staubflusen vom Boden auflecken. ‚Stillen ist das Beste für Ihr Kind!’ mahnt jede Packung Folgemilch. Das Fernsehprogramm gibt das Highlight des Tages vor. Über Wochen hinweg fährt sie trotzig ohne Sicherheitsgurt, dann hat sie soziales Leben auf den Knien in der Krabbelgruppe, im Wartezimmer des Kinderarztes gefunden. Den fehlenden Glanz in ihren Augen bemerkt keiner und auch sie selbst gibt nur den kurzen Nächten die Schuld.

*​
Schnee fällt leise auf ihr verpacktes Leben, als die Kartons von starken Männern aus dem Transporter geladen werden. Die Frau wickelt Vergangenheit aus den Schichten aus Papier, die sie vor dem Zerbrechen schützen sollen. Eingepflanzt und immer wieder ausgegraben. Seiner Karriere nicht im Wege stehen, wohin sie auch führen mag.
„Ich tu das doch in erster Linie für euch“, sagt er und geht fort in sein neues, noch größeres Büro. Überlässt es ihr, einmal mehr aus dem fremden, leeren Haus das Zuhause zu erschaffen und den Kindern mit mattem Herzen Verlust in Zuversicht zu verwandeln.

*​

Schnee fällt leise und wischt alle Konturen aus meiner Seele. Bedeckt das Leben mit einer glatten, weißen Schicht. Was darunter liegt ist schnell vergessen – auch das Grab an dem ich stehe - und bei jedem Tauwetter hat die Welt sich ein Stück weitergedreht. Die Melodie, die mich in die Vergangenheit getragen hat, verklingt und ist nicht mehr zu hören. Vielleicht war auch sie nur Erinnerung. Mit steifen, ungelenken Bewegungen streife ich die Handschuhe ab. In den vielen Fältchen auf dem Handrücken sehe ich die Unruhe der vergangenen Zeit. Am Finger bleibt die Kerbe vieler Jahre, als ich den Ring behutsam zwischen die welken Kränze in den Schnee gleiten lasse. Dann wende ich mich ab. Die Spuren der anderen sind fast nicht mehr zu erkennen. Wer darf ich morgen sein?

 

Will´s auch noch mal präzisieren, da ich fürchte, mißverstanden worden zu sein. Aber womit anfangen?

Fangen wir an, was ich NICHT meinte:
Ich will keineswegs, daß eine neue Geschichte erzählt wird, mit den Highlights (erste Liebe, Heirat, Kind).

Was ich meinte (und Dante hat es praktisch gezeigt), das sind lebendigere Szenen trotz der tristen Situation.
Ich habe derzeit das Gefühl, in den einzelnen Abschnitten ein Bild zu betrachten, wo nix passiert. Wo uns die Autorin ein Foto zeigt, ohne zu schildern, wie es dazu kam, sondern wie es aussieht. Und das wirkt auf die Dauer nicht so spannend, denn einerseits liegst Du hauptsächlich neben ihrem Leben, d.h. meist ist alles schon passiert. Andererseits erzählst Du aber auch nicht, was passiert ist und erschwerst damit die objektive Beurteilung der Szene.

Insofern könnte man Deine Prot. handeln lassen und damit charakterisieren. In der Szene, wo sie nach Hause fährt finde ich das schon sehr gelunden. Es fließen viele Informationen ein und sie handelt, fühlt, entscheidet.
Die anderen Szenen sind zu statisch und dadurch austauschbar, beliebig. Ich weiß, daß Du das alltägliche Zeigen willst, aber eine Geschichte und ich sagte ja, daß die einzelnen Szenen eigentlich jeweils eine Geschichte für sich sein sollten, braucht einen Grund, warum sie erzählt wird und diesen Grund will ich spüren, sonst habe ich das Gefühl, daß der Grund vor mir verborgen wurde.

Ich denke, Du willst eher diese spezielle Frau zeigen und nicht das Dillemma von Frauen allgemein, also solltest Du auch mehr in das Zeichnen dieser Frau und nicht der Situationen, in denen sie steckt, investieren.

Außerdem entsteht eben derzeit bei mir der Effekt, immer etwas wichtiges verpaßt zu haben.

Gerade so, wie in einem Krimi:
1. Der Mörder geht die Treppe herunter. Das war knapp, aber am Ende hat er ihn erwischt, wie die anderen.

2. Der Kommissar sitzt im Auto und fährt nach Hause. Er denkt: Der Mörder ist mal wieder typisch vorgegangen.

3. Der Mörder liegt auf dem Asphalt. Es hat ihn erwischt. Der Kommissar ist zufrieden.

Als Interessierter sagt man sich: Hey, die Geschichte lief ohne mich, wozu das ganze denn dann? Mir war klar, daß der Mörder irgendwie erwischt wird, aber ich will wissen, wie es dazu kam.

Und das meine ich damit, auf die Highlights zu referenzieren. Du sollst sie nicht beschreiben, aber mit einfließen lassen. Sie kann beim Umzug das Hochzeitsfoto auspacken und 1-2 Sätze daran zurückdenken. Der Vater kann sie bestrafen, wie immer, aber ich würde wissen, was die typischen Vergehen sind, um einschätzen zu können. Ist es ein sehr strenger Vater, ist es ein pingeliger Vater oder habe ich ähnliches als normal empfunden und sie ist zu sensibel.
Ich weiß, daß dies eine sehr heikle Sache ist, mit wenigen Worten sehr viel zu zeigen, ohne das es allgemein und kitschig wird. Aber ich denke, in der von Dir gewählten Form, hast Du keine andere Wahl.

Dadurch, daß Du es nicht erzählst, fällst Du das Urteil schon vorher. Der Autor entscheidet: Die Protagonistin ist jetzt sauer, weil sie bestraft wurde, wie immer. Sie fühlt sich leer, weil sie niemanden hat.
Und ich komme nicht an die Person ran, weil ich das nicht einschätzen kann.
Möglicherweise kommen andere damit klar, weil sie gern die Meinung anderer übernehmen und damit klar kommen. Ich möchte mir ein eigenes Urteil bilden und mich erreicht die Figur und damit die Geschichte nicht, weil ich mir sage:
Ich kenne die Sicht der Figur, aber ich weiß nicht, ob es nach meinen Maßstäben gerechtfertigt ist.

Zu Deinen Erläuterungen:

"Soziales Leben" ist für mich ein gängiger Begriff für den zwischenmenschlichen Kontakt. Dadurch, dass sie Beruf gegen Kind eingetauscht hat, beschränken sich die Kontakte abrupt auf die Personen, die Krabbelgruppen und Kinderärzte frequentieren - andere Mütter mit Kindern.
Wenn Du eine allgemeine Formulierung verwendest. Dann ist es ab dem Punkt verwirrend, wo es doppelt verwendet wird.
Einerseits "auf den Knien" -> ihr eigenes Kind
andererseits im Wartezimmer -> der Kontakt mit anderen Müttern.
Vor allem, weil bei mir dann gleich so eine Wertung reinkommt. Sie setzt das Kind also gleich mit den Müttern, die sie so sieht und ich kann jetzt nicht entscheiden, ist dies so beabsichtigt oder ist es nur, weil es unglücklich formuliert wurde. Und das sollte nicht passieren.

Zum Thema Wendepunkt. Im mathematischen Sinne ändert eine Kurve hier nicht die Richtung, sondern nur das Krümmungsverhalten.
D.h. Das Leben muß sich nicht um 180° ändern, sondern es können sich bestimmte Dinge verschärfen oder temporär entschärfen.

Ich denke, dramaturgisch sollte man es ruhig so machen, daß es eine Situation gibt, wo die Tendenz durchaus mal kurz abflacht, die Richtung aber bleibt z.B. kann sie allein nach Hause fahren, aber mit einer Hoffung ins Bett gehen, daß am nächsten Morgen der Neue (ihr späterer Mann) auch schon da ist.
Oder aber Du verschärfst ihre Situation und damit den Anstieg der Kurve immer mehr, das ist aber sehr schwer, wenn Du schon auf einem relativ hohen Level am Anfang einsteigst.
Unser Regisseur würde sagen, daß es keine Steigerungsmöglichkeiten gibt und wenn man einen Monolog hat, dann sollte dieser abwechslungsreich sein. Gibt man am Anfang zu viel Power, dann schaltet das Publikum nach einer Weile ab, weil sich ja doch nix mehr ändert und man es nach den ersten 4 Sätzen verstanden hat. Also variabel ist einerseits natürlicher, als auch spannender.

Fazit:
Mein Wunsch ist, nicht vom Umfang und Lebensausschnitt mehr zu erfahren, sondern statt Beschreibung von Situationen mehr Beschreibung der Figur und das Einbinden von Erinnerungen, Versatzstücken aus den entscheidenden Situationen, um dem Betrachter eine eigene Entscheidung und damit auch eine Selbsterkenntnis zu ermöglichen.
Ansonsten könnte man, flach gesprochen, auch gleich den Dampfhammer rausholen und schreiben:
Da war eine Frau, die war schon von Anfang an allein. Bei den Eltern, in der Jugend und auch in der Ehe als Mutter. Erst als ihr Mann starb, änderte sie sich.

Und ich könnte sagen: Da hat sie möglicherweise Pech gehabt die Frau, weil sie sich da verrannt hat. Und warum sie sich am Ende ändert, ist mir nicht klar.
Ist es aber eine psychologische Analyse, wo sich bestimmte Dinge anhäufen und Dinge aus der Vergangenheit immer wiederholen, wo aber gewisse Tendenzen eines Kampfes, einer Auflehnung vorhanden sind, wo man auch eine Figur hat, deren Handlungen man nachvollziehen kann, wo es auch mal Punkte gibt, wo die Figur meint, es ändere sich alles und sie sich dann irrt, dann ist dies für mich eine andere Sache. Dann könnte mir so etwas auch passieren und ich kann mir etwas herausnehmen und mich geistig damit beschäftigen und damit wird mir die Geschichte wichtig.

Grüsse
mac

 
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Hallo kira,

mir hat deine Geschichte vor allem wegen der wunderbaren Bilder gefallen.

Der Klang der Spieldose zupft ein Lied aus meinen Erinnerungen. -> Sehr passendes Bild, und noch dazu schön und innovativ.

Die Frau wickelt Vergangenheit aus Zeitungspapier, das sie vor dem Zerbrechen schützen soll. -> Auch schön

Am Finger bleibt die Kerbe vieler Jahre als ich den Ring zwischen die welken Kränze in den Schnee werfe. -> Sehr gut, das mit der Kerbe, gut nachvollziehbar, auf der bildlichen wie auf der übertragenen Ebene.

Eine Stelle hat mir nicht so gefallen:
Durch manche Hand ist sie gegangen und keine gehörte wirklich ihr allein.
Das sind zwei Bilder: Sie geht durch fremde Hände. Und: Keine von den Händen gehört ihr. Das passt nicht zusammen, finde ich.

Was mir auch weniger gefällt, ist der etwas sentimentale Grundton - dazu gehört auch der leise rieselnde Schnee. Und die Story vom verpfuschten Leben einer Frau hab ich schon so oft gelesen, sorry. Der Vorgesetzte guckt der Angestellten in den Ausschnitt, Fragmente der Verzweiflung wie verlorene Reinheit, Alkohol und Erbrochenes, dann die Krabbelgruppe und schließlich das Grab (ich vermute, das des Mannes). Stellenweise tolle Sprache, aber ein für mich zu abgedroschener Inhalt: Insgesamt bleibt ein gespaltener Eindruck.

Grüße,
Stefan

P.S., nach Lektüre der Kommentare: Den Wechsel der Perspektiven habe ich bemerkt, aber mich hat er weder verwirrt noch gestört. Mir war klar, dass ein und dieselbe Person gemeint ist. Den Einwand von Sim gegen das Zupfen am Anfang kann ich nicht nachvollziehen: Die Spieldose erzeugt doch einen Klang ähnlich dem vom Sims Gitarre, und das Zupfen passt sowohl zur Gitarre als auch zu "wachrufen", also ein rundum gelungenes Bild, oder? Meiner Ansicht nach darf es auch ErinnerungEN heißen. Ein Teil, ein Faden in diesen Erinnerungen ist das Lied.

 
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Die Spieldose erzeugt doch einen Klang ähnlich dem vom Sims Gitarre, und das Zupfen passt sowohl zur Gitarre als auch zu "wachrufen", also ein rundum gelungenes Bild, oder? Meiner Ansicht nach darf es auch ErinnerungEN heißen. Ein Teil, ein Faden in diesen Erinnerungen ist das Lied.
Hi leixoletti,
unklar war mir, ob der Klang sich selber zupft. Bei der Gitarre ergibt das Zupfen auf den Saiten den Klang. Das Zupfen üben die Finger aus.
Wenn der Klang aber die Erinnerungen hervorzupft, wie man mit einer Hand ein Kleenex aus der Box zupft, dann ist es in Ordnung. ;)
Kiras Satz:
Schnee fällt leise und der Klang einer Spieldose zupft ein Lied aus meinen Erinnerungen
Ausgedrückt soll werden, dass durch den Klang einer Spieldose die Erinnerung an ein Lied geweckt wird. Entsprechend müsste das Lied also in die, nicht aus den Erinnerungen zupfen. Aus würde doch bedeuten, das Lied wäre aus den Erinnerungen draußen, also nicht mehr zu erinnern. Wo ist es dann?
Das mag sehr spitzfindig sein, aber vielleicht verstehe ich es auch einfach falsch?

Ach menno, warum kann ich im Moment nie ausdrücken, was ich meine ...

 

@sim
Obwohl du in allem recht hast, Sim, gefällt mir der Anfangssatz immer noch:

Der Klang einer Spieldose zupft ein Lied aus meinen Erinnerungen.

Das kann zweierlei bedeuten:
a) Der Klang einer Spieldose zupft ein Lied - ein Lied, an das ich mich erinnere.
b) Aus der Kleenexbox meiner Erinnerungen zupft der Klang einer Spieldose etwas heraus - und zwar ein Lied

Mein Favorit ist Möglichkeit b, deiner vielleicht Möglichkeit a?

Mir wird aber gerade klar, dass Kira eigentlich gar kein Lied meint, sondern eher sowas wie eine Geschichte: "Es ist das Lied eines Mädchens, das weinend vor dem Vater steht." Gibt es Mädchen, die beim Weinen singen? Ein Mädchen, das sich das Knie aufgeschlagen hat, stimmt vielleicht in das "Heile, heile, Segen" der Mutter ein, aber in einer ernsten Situation wird sie nicht singen. So, jetzt aber Schluss mit dem Zergliedern.

@sue
Ich verstehe das alles auch so wie du. Nur stört mich, dass hier zwei nicht zusammenpassende Bilder in einen Satz gepfercht sind. Wenn ich lese: "Durch manche Hand ist sie gegangen", dann denke ich weiter: wie ein Geldstück oder ein anderer belangloser Gegenstand. Das sagt eine Menge aus über die Gefühle der Frau. Wenn dann im zweiten Teil kommt: Keine Hand gehörte ihr allein, dann passt das für mich nicht. Vielleicht eine Frage des Gefühls.

 

Hallohallo,
ich sollte wohl auch mal wieder was dazu sagen, oder? :dozey: Ihr habt mich schwer ins Grübeln gebracht. Grad wenn man selbst bei einer Geschichte ein gutes Gefühl hatte, wenn man meint, sie mit ausführlichem Feilen zu einer gewissen Reife gebracht zu haben, ist es nicht ganz einfach, komplette Absätze wieder über den Haufen zu werfen. Aber mit jedem Posting wird mir klarer, wo's noch hängt.

@leixoletti/sim:
Ich hänge ziemlich an dem Anfangssatz, auch wenn ich sehe, das er nicht ganz logisch ist. Natürlich singt hier niemand und es geht mehr um einen Gedanken, der wie ein Kleenex (tolles Bild sim!) aus der Box der Erinnerungen herausgezupft wird. Lied vielleicht deshalb, weil es sich in der Kindheit der Frau immer wiederholt hat: "das alte Lied" halt. Solange ich keine bessere Formulierung finde, bleibt das erst mal. Ich denke allerdings drüber nach, ob ich die kleine Öse der Gegenwart am Anfang nicht noch um einen Satz vergrößern soll, um die Klammer deutlicher werden zu lassen.

@Sue:
Genau so hatte ich es gemeint. Du hast es optimal erklärt. Nur leider ist der Satz so nicht richtig rund. Ich hatte gehofft, er würde so durchgehen. Tut er aber scheinbar nicht. Da aber Dante mir eh aufgetragen hat, mich für den ganzen Absatz zu schämen (was ich die letzten Tage fleißig getan habe), werde ich diesen eh größtenteils umschreiben. Dann fällt der Knackpunkt wohl sowieso unter den Tisch.

@mac:
Danke, dass du nochmal weiterführend erklärt hast, worum es dir geht. Du machst es mir nicht leicht. Ich verstehe, was du suchst - was du dir wünschen würdest. Aber ich sehe noch nicht, wie ich das in dieser komprimierten Form unterbringen soll. Ich muss also sehen, wie ich den Aufbau der Geschichte bewahren und doch noch einiges hinzufügen kann, damit man die Entwicklungen besser nachfühlen kann. Das kann ich leider nicht aus dem Ärmel schütteln und die Überarbeitung wird wohl einige Zeit dauern.

Danke an euch alle fürs Auseinanderpflücken - auch wenn's mich im Moment etwas entmutigt. :dozey:

 

Entmutigen?
Um Gotteswillen! Das ist Herumnörgeln auf hohem Niveau. Es würde (aus meiner Sicht) aus einer guten Geschichte eine sehr gute Geschichte machen. Und letztendlich sind wir ja alle hier, um was zu lernen, gelle?

Und ich sag´ Dir ehrlich, daß ich mir nicht sicher bin, ob es mit dem Überarbeiten wirklich klappt, da Du die Geschichte so geschrieben hast, wie Du es Dir wahrscheinlich gedacht hast (darum auch komprimiert, was ich ebenfalls nicht so optimal finde) und hier einen neuen Ansatz anzunehmen ist oftmals sehr schwer, weil man sich von sehr viel liebgewonnenen Dingen trennen müßte, es teilweise auch komplett neu strukturieren.
Insofern ist es wohl eher auch für spätere Geschichten gedacht gewesen, was nicht heißt, daß Du den Hammer jetzt weglegen solltest. Probieren geht über Studieren. Und anders als ein Bildhauer kannste jederzeit die alter Version wieder aus der Versenkung holen ;)

Auch muß es ja nicht sofort sein. Manchmal ist es auch gut, wenn es ne Weile liegt, wie ´n alter Wein.

Grüsse
mac

 

Uff,
also ist doch nicht alles verloren?! Ein Glück. :shy:
Den einen Absatz mit den Händen und der Reinheit werd ich sicher ändern. Ich lasse gerade ein neues Bild dafür reifen.

Was du über das Gefühl gesagt hast, nur das Ergebnis zu sehen und die Handlung verpasst zu haben, mac, werd ich mir hinter die Ohren schreiben - wo ich es immer vor Augen habe und beherzigen kann. ;)
Ob jetzt oder später, das werde ich sehen.

Wieder mutiger, :shy:
kira.

 

Hallo Golio,
freut mich, dass dir die Geschichte gefallen hat. "Wer darf ich morgen sein?" lässt eigentlich am Ende offen, ob sie sich wieder ein Bild sucht, dem zu entsprechen sie sich bemüht oder ob sie morgen anfängt herauszufinden, wer sie eigentlich selber ist. Von daher soll es keine Pointe sein, sondern mehr ihr Fazit aus der Beschäftigung mit der Erinnerung. Der Gedanke, der ihr hilft, sich aus der Vergangenheit zu lösen und nach vorne zu blicken. Ich würde nicht meinen, dass das zu festgelegt ist.
Danke für deinen Kommentar.
Gruß,
kira.

 

Hallo kira!

Zwar schon etwas spät, trotzdem noch nachträglich alles Gute zum Geburtstag! :)

Ich finde die Geschichte schon recht gelungen, bis auf ein paar Kleinigkeiten, die aber großteils schon genannt wurden. Deinen letzten Kommentaren entnehme ich, daß Du zum Überarbeiten nur noch einen kleinen Anstoß brauchst, also versuch ich es mal, vielleicht hab ich ja eine wirksame Medizin dabei. ;)

Schnee fällt leise
Eigentlich mag ich diesen Ausdruck ebenfalls nicht, habe aber auch schnell gesehen, daß die Geschichte ihn wegen der Doppeldeutigkeit braucht.
Mehr aber als der Ausdruck selbst hat mich gestört, daß es, mit Ausnahme des vorletzten Absatzes, danach immer mit »und« weitergeht. Das käme meiner Meinung nach besser, wenn Du ein bisschen variieren würdest, z. B. »Schnee fällt leise auf den geborstenen Teer vor dem Clubraum« oder »Leise fallender Schnee legt wieder und wieder eine weiche Schicht aus Müdigkeit …«.

der Klang einer Spieldose zupft ein Lied aus meinen Erinnerungen.
Hat mir auch sehr gut gefallen, dieses Bild. Die Probleme, die sim damit hat, hatte ich nicht, kann sie aber nachvollziehen. Eventuell könntest Du noch sowas dazuschreiben wie »in mein Bewußtsein« oder »vor mein inneres Auge«.

Es ist das Lied eines Mädchens, das weinend vor dem Vater steht. Es ist acht Jahre alt - oder fünfzehn. Und wieder hat es nicht genügt.
„Du hast mich enttäuscht“, sagt der Vater. „Ich kann dir nicht mehr vertrauen.“
Einerseits würde ich sie ein bisschen jünger machen, da es unwahrscheinlich ist, daß der Vater erst als sie acht war, begonnen hat, unzufrieden zu sein. Andererseits finde ich, daß die Aussage des Vaters zu sehr danach klingt, daß sie tatsächlich etwas Schlimmes gemacht hat, wodurch er ihr nun »nicht mehr« vertrauen kann. Also, als hätte sie etwas gestohlen oder so. Besonders dieses »nicht mehr vertrauen« macht den Eindruck, als wäre da vorher Vertrauen gewesen – das würde aber nicht passen, wenn Du das aufzeigen willst, was ich glaube, daß Du zeigen willst.
Meiner Meinung nach willst Du zeigen, wie sich das in der Kindheit Erlernte das ganze Leben lang immer wieder wiederholt, bzw. man selbst aus einem unterbewußten Trieb heraus immer wieder diese Wiederholungen inszeniert. In diesem Fall eben das Gefühl, nicht zu genügen, nicht geliebt zu werden. Dazu braucht es aber keine speziellen Taten, solche Eltern finden ihre Gründe, nicht zufrieden zu sein, auch ohne, daß sie wirklich einen Grund hätten (wenn man will, findet man immer etwas auszusetzen). Und das ist auch kein spezielles Frauenschicksal, wie mache das zu lesen scheinen, das gibt es bei Männern ganz genauso, und es gibt viele verschiedene Wege, wie sich das später äußern kann. Eine/r macht aus dem selben Grund Karriere, versucht, irgendwann doch endlich den Ansprüchen der Eltern zu genügen, ihnen zu beweisen, daß er/sie doch etwas kann, ein/e andere/r resigniert und gibt die in ihn/sie gesetzen Erwartungen an die eigenen Kinder weiter, in der Hoffnung, daß die nun endlich die Eltern/Großeltern zufriedenstellen und dadurch auch auf ihn/sie ein bisschen von dem Glanz fällt, wenn er denn fällt.
Deine Protagonistin aber geht den Weg, für sich selbst immer wieder dieses Gefühl zu wiederholen, nicht zu genügen, nicht wirklich geliebt zu werden, weil es das Gefühl ist, das sie kennt, in dem sie zuhause ist – wo man sich auskennt, da muß man keine Angst vor etwas Unbekanntem haben. Das funktioniert unbewußt; ohne es zu wollen, schafft man sich immer wieder Situationen, in denen man das vertraute Gefühl aus der Kindheit wiederfindet, auch wenn es noch so negativ war/ist.
Ein Mensch, der als Kind Liebe erfahren hat, wird sich immer mit Menschen umgeben, die ihn ehrlich mögen, und er wird sofort merken, wenn ihm jemand falsch kommt, weil es nicht das vertraute Gefühl wäre. Wurde einem aber etwas Falsches als Liebe verkauft, sucht man sich auch immer wieder die falschen Menschen, die einem etwas als Liebe oder Zuneigung verkaufen, was gar keine ist. Deine Protagonistin hat auch nie echte Liebe erfahren, deshalb findet sie sie nicht, und es ist fraglich, ob sie nach dem Ende einen anderen Weg finden wird. Das Wegwerfen des Ringes allein wird sie nicht heilen, da muß sie schon ein Stück tiefer in sich gehen (in dieser Richtung wäre es interessant gewesen, noch weiterlesen zu können).
Aber zurück zu der Aussage des Vaters – wie wäre es zum Beispiel mit: »“Ich bin enttäuscht von dir“, sagt der Vater. „Du bist wirklich zu nichts nütze.“«

»Die nächsten Tage geht er stumm durch ihr Leben. Wortlos wie der Schnee, der draußen aus dem dunklen Himmel gleitet.«
– Da Du hier zweimal ungefähr das Gleiche sagst (stumm = wortlos), würde ich es in einen Satz zusammenfassen, z. B.: »Die nächsten Tage geht er so stumm durch ihr Leben, wie der Schnee draußen aus dem dunklen Himmel gleitet.« Oder wie wäre es mit »Die nächsten Tage ziehen wortlos vorüber wie der Schnee, der …«?

‚Meine Große’ nennt er die Schwester und überträgt ihr Verantwortung für den kleinen Bruder, der liebevoll im Arm gehalten wird.
Den Satz könntest Du eigentlich auch streichen, da weder Bruder noch Schwester im weiteren Verlauf vorkommen und für die Protagonistin entscheidend ist, wie sie selbst behandelt wird. Natürlich verschärft das die Situation noch zusätzlich, aber ich würde das eher durch ein weiteres Beispiel mit dem Vater machen. Der Satz wirft nämlich auch Fragen auf, die nicht beantwortet werden, z. B.: Ist die Schwester, die »meine Große« genannt wird, älter oder jünger als die Protagonistin? Und: Wurden die Mädchen, als sie klein waren, auch so liebevoll im Arm gehalten? Auch in Bezug auf den Vater stellt sich die Frage: Behandelt er nur die Protagonistin so schlecht, und wenn ja, warum nur sie? Diese Fragen würden sich nicht stellen, wäre der Satz nicht da. Dann wäre der Vater eben einfach so, wie er sich der Protagonistin gegenüber verhält, und fertig. ;) Stattdessen könntest Du ja vielleicht noch ein anderes Beispiel einfügen, etwa einen Blick auf die Mutter und wie sie die Protagonistin behandelt, oder wie die Mutter vom Vater behandelt wird und vielleicht auch so manches ohne sich zu wehren hinnimmt (prägendes Vorbild).

Schnee fällt leise und schmilzt auf geborstenem Teer vor dem Clubraum in der verlassenen Kaserne zu einem grauen Brei.
Kann ich mir nur schwer vorstellen, wie sich schmelzender Schnee mit Öl zu einem grauen Brei vermischt. Wenn Schnee schmilzt, wird er zu Wasser. Wasser und Öl ergeben aber meines Wissen nach keinen grauen Brei, auch nicht, wenn das auf geborstenem Teer geschieht (der mischt sich ja nicht ins ölige Wasser). Meiner Meinung nach müßte das bunt schimmernde, nasse Flecken ergeben, oder nicht? :shy:
Ich weiß natürlich, wie schmutziger Schnee aussieht, aber der ist dann noch nicht geschmolzen und auch nicht gerade erst gefallen. ;)

»Die Reifen von schweren Motorrädern und Öl, das aus verschlissenen Motoren tropft, haben ihm seine Reinheit genommen.«
– So, wie Du das im Satz davor beschreibst, fallen die Schneeflocken vom Himmel und schmelzen auf dem Teer. Wann hatten da die Reifen Gelegenheit, dem Schnee seine Reinheit zu nehmen?

Sie würgt ihr Elternhaus aus sich heraus und füllt die Hohlräume mit Alkohol, Wut und Vergessen.
Der Satz gefällt mir richtig gut, sodaß ich ihn fast nicht kritisieren will, trotzdem ist da aber etwas, was mich stört: Das Herauswürgen des Elternhauses klingt mir zu heilend. Es klingt so, als hätte sie ihr Elternhaus nun hinter sich gelassen, aber das hat sie in Wirklichkeit während der ganzen Geschichte nicht, und ob sie es noch tun wird, steht in den Sternen. Sie selbst glaubt vielleicht, daß sie es hinter sich gelassen hat, aber daß dem nicht so ist, zeigst Du ja mit der Geschichte. Solange sie alles wiederholt, hat sie ihr Elternhaus nicht hinter sich gelassen, sondern steht immer noch unter dessen Einfluß. Ich sehe es eher so, daß sie versucht, die Erinnerungen zu ertränken.

»Schnee fällt leise und legt wieder und wieder eine weiche Schicht aus Müdigkeit auf die Scheiben des Geschäftswagens, mit dem das junge Fräulein vom Mitternachtsbuffet nach Hause fährt.«
– Der Geschäftswagen wurde ja schon kritisiert – vielleicht wurde sie ja von ihrem Chef oder dem Abteilungsleiter mit einem Geschäftswagen nach Hause gefahren?
– »das junge Fräulein« – *g* was für ein Machobegriff, sowas verwendest Du? Ich bin entsetzt. ;-) – Wie wärs mit einem Namen für die Protagonistin?

„Sie haben sich ganz schön gemacht im letzten Jahr“, hat der Abteilungsleiter eben noch mit anerkennendem Blick in ihren Ausschnitt gesagt. „Sie werden mich doch morgen früh nicht hängen lassen, oder?“
Hier erhält sie zwar ausnahmsweise Lob, aber sie hat noch nicht genug getan, um es sich wirklich zu verdienen. Sie sagt nicht nein, denn sie ist gewöhnt, daß nie jemand zufrieden ist und sie immer mehr tun muß, der Anerkennung hinterherlaufen muß und sie doch nie ganz erreicht.

»um danach als einzige zurückzukehren«
– als Einzige

»‚Stillen ist das Beste für Ihr Kind!’ auf jeder Packung Folgemilch.«
– irgendwie fehlt da das Verb, Vorschlag: »‚Stillen ist das Beste für ihr Kind!’, (er)mahnt jede Packung Folgemilch.«

Über Wochen hinweg fährt sie trotzig ohne Sicherheitsgurt, dann hat sie soziales Leben auf den Knien in der Krabbelgruppe, im Wartezimmer des Kinderarztes gefunden.
Das wurde ja auch schon von den anderen genannt, und ich denke, es wirkt aufgrund der zeitlichen Hintereinanderreihung unklar. Denn so, wie Du es schreibst, ist erst das Kind da, dann vergehen Wochen, in denen sie ohne Sicherheitsgurt fährt – und erst dann geht sie einmal zum Kinderarzt? Was ist mit den sozialen Kontakten bei der Geburtsvorbereitung? Könnte es nicht so sein, daß sie die leichten Selbstmordgedanken (oder wie auch immer man das mit dem Sicherheitsgurt bezeichnen will) bereits hat, als sie erfährt, daß sie schwanger ist, dann vom sozialen Leben erfaßt wird, vielleicht dadurch in ihre Mutterrolle findet? Das Herumtragen und die Folgemilch würde ich dann auch erst danach schreiben – es würde dann meiner Meinung nach deutlicher als jetzt zeigen, daß sie ihrer Rolle wieder nicht ganz entsprechen kann.

Den fehlenden Glanz ihn ihren Augen bemerkt keiner und auch sie selbst gibt nur den kurzen Nächten die Schuld.
Sehr schön ausgedrückt. Niemand sieht genau hin, alles oberflächlich. Und sie selbst redet sich Scheingründe ein, statt die wahren Gründe zu sehen.

Die Frau wickelt Vergangenheit aus Zeitungspapier, das sie vor dem Zerbrechen schützen soll.
Finde ich auch sehr gelungen und vielsagend. Um den Satz beneide ich Dich richtig. Besonders, weil er mir längst hätte einfallen können, so oft hab ich schon meiner Freundin geholfen, ihre vielen Vitrinen leer zu räumen und alles einzupacken, wenn sie wieder mal Möbelrücken wollte. Sie hortet da Dinge, die schon ihre Eltern zurückgelassen haben, und kann gleichzeitig ihre Vergangenheit weder aufarbeiten noch hinter sich lassen. Als ich den Satz las, mußte ich jedenfalls sofort an sie denken, so passend ist er. Natürlich paßt er aber auch zu Deiner Protagonistin. (Ansonsten haben die beiden aber zum Glück nichts gemeinsam. ;-))

»Eingepflanzt und immer wieder ausgegraben.«
– Mit dem »Eingepflanzt« kann ich eher wenig anfangen, finde es nicht sehr passend zur Vergangenheit im Zeitungspapier. Aber vielleicht sehe ich einfach den Wald vor lauter Bäumen nicht.

»„Ich tu das doch in erster Linie für euch“ sagt er«
– euch“, sagt

»Überlässt es ihr, einmal mehr aus dem fremden, leeren Haus das Zuhause zu erschaffen«
– würde eher »ein Zuhause« schreiben

und den Kindern mit mattem Herzen Verlust in Zuversicht zu verwandeln.
Damit belügt sie nicht nur sich selbst, sondern auch die Kinder. Ebenfalls sehr schön in Worte gefaßt.

Nur langsam fließt das Blut noch in den bläulich schimmernden Adern unter der faltigen Haut.
Hm, könnte sie nicht noch etwas jünger sein? Ich würde ihr gern noch ein paar Jahre Leben gönnen, in denen sie noch Zeit hat, zu sich selbst zu finden und auch noch was davon zu haben. So, wie Du sie hier schilderst, ist sie ja mittlerweile mindestens Großmutter, wenn nicht Uroma. Und da Du ja vorhin gerade noch bei den Kindern warst, macht das einen ganz schön großen Sprung in der Geschichte aus. Wenn aber die Kinder mal gerade erwachsen wären, und sie vielleicht vierzig, fünfundvierzig ist, denn sie hat die Kinder wohl eher recht jung bekommen, dann hat sie wohl eher noch keine faltigen Hände. Und der Mann kann ja ruhig auch jung gestorben sein, durch den vielen Streß, wegen dem er nie Zeit für die Familie hatte. ;-)

Am Finger bleibt die Kerbe vieler Jahre als ich den Ring zwischen die welken Kränze in den Schnee werfe.
Fand ich ebenfalls sehr gelungen, besonders die Kerbe. Und um an den oberen Punkt anzuschließen: Auch nach zwanzig oder fünfundzwanzig Jahren hinterläßt so ein Ring eine Kerbe. ;-)

Die Spuren der anderen sind fast nicht mehr zu erkennen.
Ähm, hier war ich mir nicht ganz sicher, ob Du die Trauergäste meinst oder die Spuren der anderen Ringe (dann wäre sie mehrmals verheiratet gewesen). Ich war dann zwar überzeugt, daß Du doch eher die Trauergäste meinst, aber irgendwie fand ich dann die Sache mit den Spuren der anderen Ringe auch nicht schlecht. :D

Wer darf ich morgen sein?
»darf« finde ich jedenfalls besser als das ursprüngliche »muss«, denn sie empfindet es wohl immer noch als selbstverständlich, eine Rolle zu spielen, statt sie selbst zu sein. Es könnte aber auch heißen »Wer werde ich morgen sein?«, dann würde es noch mehr nach Fremdbestimmung klingen.
Wenn Du aber einen positiven Schluß in Aussicht stellen willst, also den Leser doch hoffen lassen willst, daß sie in Zukunft mehr über sich selbst bestimmt usw., dann könntest Du auch sowas schreiben wie: Und ab morgen suche ich mal mich selbst, oder einfach: Und jetzt behalte ich meine Freiheit.


Hmm, hoffentlich überbewertest Du jetzt meine kritischen Anmerkungen nicht, denn die Geschichte hat mir wirklich gut gefallen. Sind halt nur ein paar Gedanken, die dich zu weiteren Überlegungen anregen sollten. :)

Liebe Grüße,
Susi :)

 

Hey Häferl,
wahnsinn! Was für ein ausführlicher Kommentar. Heißen Dank dafür. Du hast schon recht, ich hab bereits angefangen umzuarbeiten, aber an manchen Stellen hakt es noch. Außerdem fehlt mir im Moment gnadenlos die Zeit, um mich überhaupt wieder richtig reinzudenken und was an der Geschichte zu tun.
Aber ich bin sicher, ich werde von deinen Bemerkungen einiges verwenden können. Toll, dass du dir so ausführlich Gedanken gemacht hast. Damit komme ich sicher weiter.

Gruß,
kira.

 

So!
Änderungen in die Geschichte eingepflegt. Danke an alle, die mir mit Rat dazu verholfen haben.

@Häferl:
Den ersten Absatz etwas erweitert. Der letzte Satz muss bleiben, da er als einziger darauf hinweist, dass eben nicht alle Kinder gleich behandelt werden. Das soll allerdings nur angerissen werden, weil es sich ja um ein Erinnerungsbild handelt und ein Kind da ja keine detaillierte Analyse speichert.
Zweiter Absatz gründlich überarbeitet. Ob ich hier am letzten Satz noch etwas ändere, muss ich noch ein wenig überschlafen. Schließlich möchte man eine gute Formulierung nicht durch Korrektur versauen. :D
Den Machobegriff "das junge Fräulein" verwende ich bewusst, weil sie ja so auch genannt und gesehen wird und diesem Etikett wieder versucht zu entsprechen.
Im letzten Absatz hab ich die Frau etwas verjüngt. Du hast recht, die Lücke zwischen den Szenen ist sonst doch sehr groß.
Danke für die Anmerkungen und dein Bemühen um meinen Text.
kira.

 

Hey Wolfine,
danke für deine genauen Blicke auf die Geschichte. Dass dir manche Bilder zu aufgesetzt vorkommen, mag daraus resultieren, dass ich versucht habe, sie zu möglichst intensiven Eindrücken zu komprimieren. Wie mir schon jemand schmunzelnd sagte: "Das ist keine Geschichte, das ist eine Diashow." Mein Bestreben war es, auf wenig Raum die Gefühlsintensität von Erinnerungsfetzen zum Ausdruck zu bringen. Wie bei einem Brühwürfel ist das dann geschmacklich vielleicht ein wenig heftig. :dozey:

Ob ich die Schneestellen noch umarbeite, werde ich mir durch den Kopf gehen lassen, da nun schon zweimal darauf hingewiesen wurde. Außerdem scheint der zweite Absatz auch nach der Überarbeitung noch nicht ganz rund zu sein.

Die Frau wickelt Vergangenheit aus den Schichten aus Papier, die sie vor dem Zerbrechen schützen sollen.

Ich genieße hier diese Unklarheit ungemein. Es geht gleichermaßen um das Zerbrechen der Vergangenheit und um das Zerbrechen der Frau. Ich sehe gerade, dass ich hier noch sim's Änderungsvorschlag einpflegen wollte. Muss ich noch machen.

Das Ende ist bewusst nicht ganz klar. Schön, dass dir da gleich einige Interpretationen einfallen. Die Fantasyversion klingt auch nicht übel, ist aber nicht mein Genre, wie du ja weißt. :hmm:

Eigentlich bin ich für meinen Geschmack schon recht weit gediehen mit der Geschichte. Aber ich werd trotzdem noch über die angemerkten Punkte nachsinnen. Danke fürs kreative Nörgeln.

kira.

 

Mir fällt zu der Geschichte nichts ein, was noch nihct gesagat wurde.
Da sie mir aber sehr gut gefallen hat, sollst du wenigstens einen dicken Smilie bekommen
:)
Ich empfand die Kg atmosphärisch sehr beklemmend und du hast mit deiner, wie ich finde, sehr sensiblen Wortwahl beängstigend reale Bilder in mir wachgerufen.
Dennoch lese ich die Geschichte als eine Botschaft der berechtigten Hoffnung und deswegen war es schön, sie gefunden zu haben.

beeindruckt
weltenläufer

 

Hey weltenläufer,
danke für die überaus wohlmeinenden Worte. Mehr kann man sich kaum wünschen.
Erfreut, ;)
kira.

 

hallo kira

ich wundere mich gerade, warum ich hier noch nicht kommentiert habe. gelesen hatte ich sie schon länger.

Schnee fällt leise
Wenn er laut fallen würde, wäre es ja auch Hagel. (oder Schneeregen) Es ist also eine grundlegende Eigenschaft des Schnees, leise zu fallen, und daher unnötig, dies zu erwähnen. Allerdings auch nicht schlimm.

Ähnlich verhällt es sich mit dem Titel. was soll Schnee denn sonst tun? steigen?

und bei jedem Tauwetter hat die Welt sich ein Stück weitergedreht.
auch so etwas. denn die Welt dreht sich auch, wenn es kein Tauwetter ist.
Ich weiß, dass man das metaphorisch betrachten sollte. ich bin ein großer Freund von gewagten MEtaphern. und von daher gefällt mir deine KG hier auch gut. ich will dir nur helfen, die nötige Präzision zu finden.

stilistisch schön zu lesen, das leben einer Frau, immer wenn der SChnee fällt, kocht es auf. wunderbar.


besten Gruß

 

Hallo Aris,
komisch, mir war auch so, als hättest du dich zur Geschichte schon geäußert. *grübel*
Jedenfalls freue ich mich, dass du sie genossen hast. Natürlich kann man Metaphern nicht immer auf den rein logischen Aspekt zusammenkürzen. Dann verliert wieder die Eindrücklichkeit. Hier habe ich mich eben deutlich für die Gefühlsseite entschieden.

Gruß,
kira.

 

Es ist vier Jahre alt, acht oder fünfzehn. Und wieder hat es nicht genügt. Ein zerbrochenes Glas, Spielzeug auf dem Boden, zu spät nach Hause gekommen.
wenn ich das richtig verstanden habe, hat sie mit vier Glas zerbrochen, mit acht das Spielzeug liegen lassen und mit 15 ist sie zu spät nach Hause gekommen. Also würde es doch logischer sein, bei der Beschreibung statt dem "oder" ein "und" zu verwenden, nicht?

Hi kira,

der letzte Satz hat mich zuerst ziemlich verwirrt, dann habe ich mir den letzten Absatz noch einmal durchgelesen, und glaube nun, die Geschichte zumindest ein bisschen verstanden zu haben.

Also, und das ist jetzt nur so, wie ich es verstanden habe, soll es bedeuten, dass sie selbst kein eigenes Leben hat bzw. es nicht für sich lebt? Also, wie soll ich das sagen ... sie hat ja immer sozusagen jmd gehört, erst dem Vater, später dem Vorgesetzten, noch später ihrem Mann, hat immer getan, was diese verlangten bzw. hat nie widersprochen und war immer einverstanden. (gut, beim Vater kann man sich über diesen Aspekt streiten, da sie ihn ja enttäuscht, also gegen seinen Willen gehandelt hat. Aber vermutlich münzt es ja genau aus dieser Enttäuschung, dass sie es dann versucht, den anderen Recht zu machen, und ihre eigenen Prioritäten zurückschiebt)

Und vielleicht hat sie sich dadurch so an diesen Zustand gewöhnt, dass sie als einzig logische Konsequenz des Tods des Mannes sich fragt, wem sie jetzt gehört. Sie kommt überhaupt nicht auf den Gedanken, sagen wir mal, dass sie erkennt, dass sie nun frei ist, zu tun, was eben sie will und nicht, was ihr gesagt wird.

Oder überhaupt, die Frage "Wer darf ich sein" zeigt ja schon, einmal, dass sie keine Entscheidungsfreiheit hat, sie sich selbst vermutlich dadurch genommen hat, und zum Zweiten, eben wieder dieses Gehören, also die Tochter des Vaters, die Frau des Mannes etc., aber eben nie sie selbst, nie eine eigenständige Person.

Das zentrale Symbol ist natürlich der Schnee, der leise fallend jeden Absatz beginnt. Schnee ist ja weiß, und weiß ist die Farbe der Unschuld. Und sie selber kann ja auch gar nichts dafür, wie sie ist, da sie ja in frühester Kindheit schon vom Vater darauf "konditioniert", wenn man so will, wurde. Dass das Fallen leise ist, könnte dafür stehen, dass das Ganze eben in ihrem Unterbewusstsein passiert ist (etwas Leises bemerkt man ja nicht, genauso wenig wie man etwas bemerkt, das im Unterbewusstsein abläuft).

Andererseits ... kann ich mich auch total irren und gebe mich gerade der Lächerlichkeit preis. :shy: Deshalb höre ich jetzt auch auf.

Abschließend kann ich sagen, dass mir deine Geschichte gut gefallen hat.

Tserk!
Gefundene Fehler:

Schnee fällt leise und schmilzt in der fleckigen Lache vor der das Mädchen auf dem Asphalt kniet.
LacheKOMMA
Alle Bildung, hat sie gegen freche Blicke und billige Sprüche getauscht und billig wird sie nun behandelt.
Komma weg
Nur langsam kommt sie voran und kaum wird ihr zuhause Zeit bleiben, das Kleine Schwarze aufzuhängen
zu Hause; kleine
Den fehlenden Glanz ihn ihren Augen bemerkt keiner und auch sie selbst gibt nur den kurzen Nächten die Schuld.
in
Schnee fällt leise auf ihr verpacktes Leben als die Kartons von starken Männern aus dem Transporter geladen werden.
LebenKOMMA
Am Finger bleibt die Kerbe vieler Jahre als ich den Ring behutsam zwischen die welken Kränze in den Schnee gleiten lasse.
JahreKOMMA

 
Zuletzt bearbeitet:

Hi Jeff ... äh ... Tserk, ;)
na, das ist doch schon mal eine ganz schön fundierte inhaltliche Analyse. Gut getroffen. Du machst dich kein bisschen lächerlich. Genau darum ging es mir bei dieser Geschichte. Um eine Person, die immer versucht, so zu sein, wie sie denkt, dass man sie haben möchte, ausgelöst dadurch, dass sie sich als Kind nur geliebt wusste, wenn sie alles richtig gemacht hat.
Die Altersangaben am Anfang sind wahllos. Sie sollen mehr den Zeitraum des Geschehens andeuten, als einzelne Situationen spezifizieren. Deshalb das "oder".
Ob sie zum Ende durch den Rückblick verstanden hat, was all die Jahre vorging, lasse ich offen. "Wer darf ich morgen sein?" kann so interpretiert werden, dass sie endlich begriffen hat, dass sie sein darf wer sie selbst ist. Oder eben dass sie sich fragt, welche Rolle sie als nächstes spielen soll. Hier darf der Leser selbst entscheiden, mit welchem Gefühl er aus der Geschichte gehen möchte.
Danke fürs Lesen und die Fehlerhinweise.
kira.
PS: Das "Kleine Schwarze" kenne ich als feststehenden Begriff für ein kurzes, schwarzes Cocktailkleid. Deshalb richtig so, würd ich mal sagen.

 

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