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Schnee

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07.02.2005
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Schnee

Schnee.

Schnee hüllt die Welt in Schweigen.

Spielerisch tanzen die weißen Flocken vor mir in der Luft, ausgelassen wie kleine Kinder, die niemand zur Ordnung ruft. Unbekümmert und unbeschwert, im Glauben an das Gute in der Welt. Sie laden mich ein, mit ihnen zu spielen, ein Teil von ihnen zu werden.

Es sind große Flocken, die sanft auf meinen Wangen Platz nehmen und ein kühles Kribbeln hinterlassen. Wie Federn streicheln sie meine Haut. Mit geschlossenen Augen genieße ich den Moment ihrer zärtlichen Berührung, bevor sie sich auflösen und einen kalten Schauer hinterlassen.

Vorsichtig streichelt Momo mir über die Wange, versichert sich mit fragendem Blick, dass alles in Ordnung ist. Seine Nähe verunsichert mich ein wenig und ich lächle ihn unbeholfen und schüchtern an. Meine große Liebe, hörst du mich endlich? Ich liebe seine Augen. Augen, in denen Sterne tanzen, wenn er lächelt. Ich liebe seinen Mund, von dem ich unzählige Nächte geträumt habe. Ich liebe seinen Körper, an den ich mich schmiegen möchte und seine Stimme, die mir so unendlich viel Gutes tut.
Er neigt sich zu mir herüber, bis ich seine Wärme spüre. Ein Schauer läuft mir über den Rücken, ich öffne meine Lippen leicht und warte auf ihn. Endlich. Wie elektrisiert nehme ich wahr, wie seine Lippen langsam vorwärts tastend über meinen Mund wandern. Ich erwidere seinen Kuss und spüre, wie die Leidenschaft in mir erwacht, einer kleinen Flamme gleich, die zögernd zum Leben erwacht. Doch während ich mich einlasse und ihn mit allen Sinnen wahrnehme, verblasst der Traum von meinem besten Freund. Es darf nicht sein.

Der Schnee knirscht leise unter meinen Füßen. Ab und an ein geheimnisvolles Rascheln in den Bäumen, das Brechen eines morschen Astes. Es ist die Stille, die ich so liebe. Mein Atem. Tief und entspannt. Die Welt scheint so friedlich.

Zwölf Jahre war ich damals alt, zu Hause allein auf dem Sofa. Ich sah ihn aus den Augenwinkeln vorbeigehen, dachte mir nichts dabei. Er war zu Besuch, wie schon so oft. Doch dieses Mal ging er nicht vorbei. Plötzlich war er unvermutet über mir, krallte schwer atmend seine Hände fest in mein Gesicht. Er merkte nicht, wie eklig ich ihn fand. Ee merkte nicht, wie weh er mir tat.
Immer näher kam der riesige Mund mit seinen wulstigen feuchten Lippen, er stürzte sich auf mich und versank in meinem Gesicht. Der Gestank der alten faltigen Haut nahm mir den Atem, doch seine Kraft erstickte jede Gegenwehr im Keim. Sein Speichel brannte wie Feuer auf meiner Haut, beschmutzte mich, brandmarkte mich ein Leben lang. Schmatzend bahnte er sich seinen Weg in meinen Mund, bis ich würgte.
Und niemand wurde Zeuge meines Todes.

Immer dichter fällt der Schnee, verwandelt die Welt in eine Zauberlandschaft. Phantasievoll erschafft er neue Formen, gütig deckt er die Abgründe zu. Es gibt nur noch Schönheit um mich herum und ich fühle mich sicher und geborgen in dieser traumhaften Wattewelt.

Die geschmolzenen Flocken bahnen sich ihren Weg über mein Gesicht. Schmecke ich Salz auf meinen Lippen? Nein, ich weine nicht, verharre nur stumm in meiner eigenen Welt. Ich weine nie, auch nicht um Momo, der nie die Abgründe unter dem Schnee sehen wird.

Schnee hüllt die Welt in Schweigen.

 
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Hallo Miko,

das ist ein meines Erachtens sehr interessanter Ansatz zu diesem Thema. Schöner Rahmen, den du da gebaut hast, gefällt mir gut.

Die großgeschriebenen Wörter des viertletzten Absatzes haben irgendwie ihre Wirkung bei mir verfehlt. Ich gehe davon aus, dass du dadurch die Unterlegenheit des Protagnoisten demonstrieren wolltest - das braucht es aber eigentlich gar nicht. Manchmal ist ein Wort zu wenig sogar besser, um drastisch zu schreiben, wie hier zum Beispiel:

er stürzt sich wie ein Raubtier auf mich und versinkt gierig sabbernd in meinem Kindergesicht.
Den Satz fände ich wesentlich ausdrucksstärker, wenn du folgende Wörter wegnehmen würdest: wie ein Raubtier, giereig, sabbernd und Kinder. Dann stünde da:
"er stürzt sich auf mich und versinkt in meinem Gesicht." - klingt für mich drastischer, da der Leser sich den Rest selbst ausmalen muss. Und stilistisch ist es ohne Adjektivitis sicher schöner.

Hier und da war mir etwas zu viel Wertung dabei:

Unbekümmert und unbeschwert, im Glauben an das Gute in der Welt.
Und niemand wird Zeuge meines Todes.

Dann fehlt hier entweder ein Punkt, oder du hast einen zuviel gesetzt:
Mit geschlossenen Augen genieße ich den Moment ihrer zärtlichen Berührung, bevor sie sich auflösen und einen kalten Schauer hinterlassen..

Fazit: Innovative Aufarbeitung des Themas, sehr schön bildlich beschrieben und stilistisch prinzipiell gelungen, wenn auch weniger manchmal (und hier öfter) mehr ist.

liebe Grüße,
Anea

Ou, da hätte ich fast noch was vergessen: Herzlich willkommen bei uns :)

 

Hello Miko,

von mir auch ein 'Willkommen!'

Eine bemerkenswerte Geschichte, die allerdings ein wenig hakelt. Betrachtet jemand mit 12 Jahren sein eigenes Gesicht als 'Kindergesicht'? Spricht er von 'brandmarkt'? Wenn es ein Rückblick sein soll, müsste das deutlicher werden.
Der Schnee als Umrahmung hat mich sehr angesprochen, insbesondere diese Formulierung:'...wie kleine Kinder, die niemand zur Ordnung ruft...'

Viele Grüsse vom gox

 
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Hallo Ihr,

endlich komme ich dazu, mich für Euer nettes Willkommen zu bedanken...

Eure Anregungen helfen mir sehr weiter, wie Ihr seht, habe ich schon teilweise versucht, sie umzusetzen.
Mein Problem ist nämlich, dass ich keinerlei Schreibtechniken beherrsche, sondern bis jetzt einfach aus dem Bauch heraus schreibe.

@ Anea:
Der Punkt war wirklich zuviel, hatte ich gar nicht bemerkt.

Den Satz fände ich wesentlich ausdrucksstärker, wenn du folgende Wörter wegnehmen würdest: wie ein Raubtier, giereig, sabbernd und Kinder. Dann stünde da:
"er stürzt sich auf mich und versinkt in meinem Gesicht." - klingt für mich drastischer, da der Leser sich den Rest selbst ausmalen muss. Und stilistisch ist es ohne Adjektivitis sicher schöner.

Ich habs mal versucht - lässt wirklich mehr Raum für Phantasie.


Die großgeschriebenen Wörter des viertletzten Absatzes haben irgendwie ihre Wirkung bei mir verfehlt. Ich gehe davon aus, dass du dadurch die Unterlegenheit des Protagnoisten demonstrieren wolltest - das braucht es aber eigentlich gar nicht.

Ich weiß ehrlich gesagt gar nicht genau, warum ich sie groß geschrieben habe. Ich vermute, dass ich mich beim Schreiben einfach von dieser Person distanzieren wollte - wundert mich aber nicht, dass es für Euch nichts bedeutet, deshalb habe ich es auch geändert.

Was die Adjektivitis angeht (bei mir wohl schon die chronische Form), darfst Du mich gerne ab und zu mal zur Ordnung rufen...

@ gox:
Ich habe versucht, den Rückblick etwas deutlicher zu machen, vielleicht hilft die Vergangenheitsform...


Insgesamt freue ich mich, dass Euch die Geschichte offensichtlich gefällt *stolzbin*

Liebe Grüße,
Miko

 

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