- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 9
Schnitzeljürgen
Hätten Elvis und ich geahnt, dass wir in etwa zwei Stunden den Antichristen treffen und mit ihm über den Fortgang der Welt verhandeln würden, deren pure Existenz an einem seidenen Faden hing, dessen Zerreißen wiederum einzig und allein von unserem Handeln abhing, dann hätten wir uns sicher irgendwie rausgeputzt.
So aber liefen wir rum wie immer. Ich mit der schütterigen Jeans, die schon diverse Rockfeste und den ein oder anderen Grillabend in Günnis Schweinebutze überlebt hatte und einem T-Shirt, dessen originale Farbe man nur noch anhand des Wäschezeichens erahnen konnte. Der King trug wie immer seine paillettierte Schlaghose und das babyblaue Samthemd mit hochgeschlagenem Kragen. Und die Sonnenbrille. Klar.
Wir waren auf dem Weg ins Kino. Dying Spidercorpses of Doom Attack from Mars mit der jungen Pamela Anderson in einer dramaturgisch zwar vollkommen unbedeutenden aber dafür weitgehend textil- und dialogfreien Nebenrolle. Das waren für mich neben meiner Vorliebe für Weltraumtrashsplatterpunk dann also insgesamt drei Gründe, diesen Film sehen zu müssen. Warum Elvis mitkam, wusste ich nicht. Vermutlich hatte er bei der Filmauswahl mal wieder nicht richtig zugehört.
"Hier, guck dir den mal an." Ich deutete auf diesen Typen, der an der Straßenlaterne stand, wild mit einem Stück Fleisch herumwedelte und seinen Hass gegenüber alten Menschen und Fahrradfahrern und im Speziellen fahrradfahrenden alten Menschen deutlich vokalisierte.
"Yeah, das ist nur Schnitzeljürgen. Der steht hier jeden Abend. Er ist der Antichrist."
"Antichrist?"
"Antichrist. Hab ich doch gesagt."
"Der Sohn des Teufels?"
"Weiß nicht, das hab ich ihn nie gefragt."
Elvis nickte dem Typen von Weitem eines dieser yeah, Buddy, ich hab dich gesehen, ich kenne dich auch, aber ich bin viel zu cool, um dich anzusprechen - Nicken zu und wir gingen weiter.
Wenn der King ging, dann ging er nicht einfach so, nein, er ging. Es klingt vielleicht komisch, aber der Kerl hatte einen Hüftschwung drauf, dass sich sogar mir ab und zu die Barthaare kräuselten. Es kam vor, dass wir an einer Ampel standen und Frauen einfach so in Ohnmacht fielen, weil sie einen Blick auf seine wilden Koteletten erhaschen konnten. Elvis' Koteletten waren der pure Sex. In Kotelettenform.
"Woher kennst du den eigentlich?"
"Hat damals in den Golden Fifties nen paar Gigs mit mir gespielt. War wahnsinnig gut an der doppelläufigen Hatschina."
"Das kann nicht sein. Niemand kann die doppelläufige Hatschina spielen."
"Er ist der Antichrist. Sagte ich doch." Elvis machte eine dieser Gesten, die man sonst höchstens aus dem Fernsehen kennt und die in diesem Moment dafür sorgte, dass sich zwei Studentinnen auf der anderen Straßenseite spontan an scheinbar wahllos ausgewählte Körperteile fassten und dabei leise stöhnten.
"Glaub ich nicht. Warum sollte der Teufel seinen Sohn Jürgen nennen?"
"Wie hättest du deinen Sohn denn genannt?"
"Also, wenn ich der Teufel wäre jetzt?"
"Yeah."
"Was weiß ich... irgendwas Cooles halt. Damien oder so."
"Damien ist ein Mädchenname. Für coole Mädchen, das geb ich zu, aber ein Mädchenname."
"Sagt wer?"
"Ich. Und ich muss es wissen, ich bin Rockstar."
...
Der Film war nicht nur erfreulich locker im Umgang mit Dingen wie Jugendschutz, nonaggressiver Konfliktlösung und zweckorientierter weiblicher Nacktheit, sondern auch erbärmlich kurz. Nach etwa siebzig Minuten plus Abspann waren alle marsianischen Monsterspinnen entzombifiziert, alle Welten gerettet und alle Brüste entblößt, so dass wir den Heimweg antreten konnten. Diesmal gingen wir auf der anderen Straßenseite und liefen diesem Schnitzeltypen direkt vor die Fleischware.
"Elvis, alter Schmalzofen. Schön, dich zu sehen."
"Jürgen, alter Antichrist. Immer noch am Weltenzerstören?"
"Man tut, was man kann. Du weißt ja, wie das ist. Mal kann man sich vor Ideen kaum retten und dann gibt’s Phasen, in denen einfach nichts läuft."
"Yeah, kenn ich. Hin und wieder mal nen Hit und dann ne ganze Weile nichts. Das ist übrigens mein Kumpel."
"Freut mich", sagte Jürgen mit diesem Tonfall, der dem Gegenüber unmissverständlich klarmachen möchte, dass das eben Gesagte von der Wahrheit in etwa so weit entfernt war, wie Michael Bay von einem guten Film.
"Du bist wirklich der Sohn des Teufels?", fragte ich. Jürgen tat so, als hätte er meine Frage nicht gehört, oder als hätte er sie zwar gehört, sich aber dazu entschieden, lieber so tun zu wollen, als hätte er sie nicht gehört. Stattdessen riss er sein Schnitzel ruckartig empor, wobei er mir beinahe eine Ohrfeige verpasst hätte. Vermutlich seine übliche Geste, um jemanden von der absoluten Belanglosigkeit seiner Existenz für den Antichristen zu überzeugen.
"Elvis, wir müssen etwas tun. Die Leute hören mir nicht mehr zu", sagte er zum King.
"Funktioniert der Schnitzeltrick nicht mehr?"
"Nein. Früher sind die Leute noch ungläubig stehengeblieben und haben zugehört. Ich meine, wann sieht man schon mal jemanden an der Straße stehen, mit Fleisch wedeln und die Welt verfluchen? Aber inzwischen schütteln sie nur noch den Kopf."
"Yeah... in der Tat." Elvis legte nachdenklich seine Stirn auf eine Art und Weise in Falten, die auf der Stelle für den ein oder anderen multiplen Orgasmus gesorgt hätte, wenn es denn eine Frau gesehen hätte. "Und wenn du es wieder mit Musik probierst?"
"Nee, seit der Nummer mit Led Zeppelin damals verteil ich meine Botschaften nicht mehr über Musik. Weißt du noch, wie das an deren Image gekratzt hat?"
"War ne verflucht gute Band."
"Ja... Das hat mir echt Leid getan."
"Ich hab übrigens überlegt, ein Comeback zu starten."
"Meinst du? Also, ich will dir nicht zu nahe treten, aber du wirst ja auch nicht jünger. Musst inzwischen ja eigentlich so um die siebzig sein."
Zum Beweis seiner jugendlichen Agilität ging Elvis ein wenig in die Knie und ließ die Hüften kreisen. Dann sang er ein paar Takte In the Ghetto, schmetterte den Refrain von Suspicious Minds und die erste Strophe seines vergessenen Hits, an dessen Titel sich niemand mehr erinnern konnte. Eine Politesse sank auf der Stelle in Ohnmacht, ebenso wie die mit Einkaufstüten bepackte Hausfrau, die scharfe Blondine ohne Berufsbezeichnung, die dicke Petra aus dem Haus gegenüber und der Postbote, der beim Versuch, der Blondine zu helfen, über die Einkaufstüten der Hausfrau gestolpert war.
"Yeah... eigentlich...", kommentierte der King trocken und strich sich die Haartolle zurück.
"Okay, du hast es echt noch drauf. Wollen wir vielleicht mal was zusammen machen?"
"Du meinst, Botschaften in meiner Musik?"
"Klar. Stell dir das mal vor, Elvis, der King schlechthin, wagt ein Comeback. Das wird die meist verkaufteste Platte aller Zeiten. Jeder würde meine Botschaft hören. Ich könnten sie alle erreichen..."
"Ich weiß nicht..."
"Du und ich, wir beide könnten diese Erde endlich ein für allemal von allen Übeln befreien."
"Und mit Übeln meinst du was?", fragte ich, denn es war erstens der richtige Moment, sich wieder einzumischen und zweitens hatte ich so eine Ahnung, was er meinte.
"Ach... ihr wisst schon... blauer Himmel, Sonnenschein, Lachen, Liebe und so. Menschen halt. Menschen allgemein. Sowas halt."
"Verstehe. Ich glaube, Elvis steht dafür nicht zur Verfügung. Oder, Elvis?"
"No way, Buddy", nickte der King. "Ich habe schon einen Partner für mein Album."
"Ja, er hat schon nen Partner für sein Album. Mich."
"Und warst nochmal wer?", fragte der Antichrist. "Naja, dann halt nicht... Schade drum. Versuch ich eben was Anderes. Habt ihr die Telefonnummer von Paul McCartney?"
Elvis und ich verabschiedeten uns. Er ging nach Hause in seine Villa - sieben Badezimmer, ein Swimming Pool im Keller, zwei Esszimmer, drei Stockwerke und ein Extraraum für seine Sonnenbrillen - und ich ging heim zu meiner Frau und dem Kind.
Es ist toll, mit Elvis befreundet zu sein. Wirklich. Noch besser ist es eigentlich nur, mit Elvis befreundet und selbst Gott zu sein.