Schreibblockade
Die leere weiße Fläche auf dem Bildschirm starrt mich provozierend an. Immerhin schon eine Überschrift, "Reisetagebuch". Mehr habe ich in der letzten Stunde noch nicht geschafft.
Über welche Reise möchte ich eigentlich schreiben? Vielleicht wäre es gar nicht blöd, das vorab einzugrenzen. Dann wüsste ich wenigstens, zu welchem Thema ich eine Schreibblockade habe.
Das Telefon klingelt, mit Begeisterung greife ich zum Hörer. Jede Störung ist willkommen.
"Guten Morgen, spreche ich mit Herrn Wagner?"
"Ja, genau. Am Apparat."
"Ich grüße Sie, Herr Wagner. Herr Wagner, sind Sie nicht auch der Meinung, dass sie viel zuviel Steuern zahlen?"
Unseren täglichen Marketing Cold-Call gib uns heute! Normalerweise lege ich da sofort auf. Oder beschimpfe den Anrufer unflätig. Kommt immer auf meine Stimmung an.
"Das klingt ja spannend“, höre ich mich sagen. "Erzählen Sie mir mehr darüber." Ein entspanntes Lächeln in meinen Mundwinkeln, das erste heute.
Doch der leere Bildschirm meines Laptops bleibt als stiller Vorwurf am Rande meines Sichtfeldes. Mit einer energischen Bewegung klappe ich das Display zu. Besser fühle ich mich aber immer noch nicht. Ist ein bisschen wie mit einer nörgelnden Schwiegermutter – auch wenn sie nicht mehr da ist, hallt das Klagen noch im Kopf nach.
Meine Stimmung wird wirklich übel, und auch die Frau am Telefon nervt mit ihrem fortlaufenden „Herr Wagner“. Ohne ein weiteres Wort lasse ich den Hörer wuchtig auf die Gabel knallen.
Und jetzt?
Vielleicht bin ich unterzuckert? Das würde auch meine schlechte Laune erklären. Ich sollte einfach einen Happen essen. Das Frühstück liegt schon fast eine Stunde zurück.
Ich öffne den Kühlschrank, schaue über den Käse, den Wurstaufschnitt, den Joghurt. Eigentlich doch keinen rechten Appetit. Vielleicht werde ich krank? Sollte ich mich hinlegen?
Ach Quatsch, alles Arbeitsvermeidung. Ran an den Schreibtisch und los geht's. Der Artikel muss heute abgegeben werden, und ich arbeite immer besonders produktiv, wenn ich einen Abgabetermin habe. Abgabetermine motivieren mich! Ich liebe Abgabetermine!
Ich klappe das Laptopdisplay auf. Immer noch leer. Warum kann da nicht schon irgendwas Vorgefertigtes draufstehen? Ich würde es dann ja überschreiben, aber diese Aufgabe würde sich längst nicht so desolat anfühlen, wenn da schon etwas stehen würde. Wer mag schon als erster auf einer Party aufschlagen, wenn sonst noch niemand da ist?
Aber ich komme vom Thema ab. Zurück zur Arbeit.
Da fällt mir der gelbliche Bambuszweig hinter dem Schreibtisch ins Auge. Sieht gar nicht gesund aus, fast strohtrocken das Teil. Sollte dem vielleicht mal einen Schuss Wasser geben. Ach, ist immer noch feucht von vorhin. Aber vielleicht braucht er etwas Dünger?
Das Schrillen des Telefons unterbricht mich in meinen Gedanken. Dass man aber auch nie etwas zu Ende bringen kann hier. Der Kölner Straßenkarneval ist ein Ort meditativer Einkehr im Vergleich zu meinem Büro.
"Michael? Hi, hier ist Peter. "
Peter? Scheiße, der Redakteur. "Hi Peter, wie geht's? Schön von dir zu hören."
"Alles prima hier. Du, ich habe eine schlechte Nachricht - ich habe gerade die erste Fassung des Heftes überschlagen, und wir kriegen das geplante Reisetagebuch diesen Monat vom Platz her nicht unter."
Der Bambus wirkt plötzlich gar nicht mehr so trocken. Die Lichtstimmung im Raum scheint verändert, heller, lichter. Vögel tirilieren.
"Na das ist ja eine Enttäuschung."
"Ja, mir wirklich leid, aber da ist nichts zu machen. Wir nehmen es dann auf jeden Fall nächsten Monat mit rein."
"Okay." Ob meine Stimme auch zerknirscht genug klingt?
"Ich hoffe, du hattest nichts allzu Tagesaktuelles drin?"
"Tagesaktuell? Na ja, ein Stück weit werde ich das natürlich umschreiben müssen."
"Na, das kriegst du sicher hin. Guter Mann!"
"Na klar doch. Ist ja nicht mein erster Beitrag."
Ich lege auf. Fühle mich gut. Blicke höhnisch lächelnd auf das weiße Display. Mich kannst du nicht einschüchtern, mich nicht.
Als bräche eine Staumauer, fallen mir plötzlich ein geeignetes Thema und ein paar knackige Einstiegssätze ein: Patagonien letztes Jahr, die Fahrt mit dem Boot zu den Gletscherausläufern. Die Eisberge, die sich hinter uns in die Durchfahrtsenge geschoben hatten. Stundenlanges Warten, bis wir da überhaupt wieder heraus navigieren konnten.
Na siehst du, geht doch.
Aber jetzt muss ich erstmal mit dem Hund raus. Abgabetermin ist ja erst nächsten Monat.