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Schritte im Dunkeln
Es ist dunkel. Kälte zieht immer aufdringlicher in meinen Körper.
Mein Blick ist gesenkt, die Hände sind in den Jackentaschen vergraben und die Schultern hochgezogen. Der lautlose Nieselregen treibt mich an noch schneller nach Hause zu kommen. Konzentriert gehe ich durch die Häuserschlucht. Es ist still. Kein Verkehr, keine Geräusche. Nur meine Schritte sind zu vernehmen. Eins Zwei, Eins Zwei, Eins Zwei. Ich denke
an nichts, gehe nur. Will Wegstrecke gutmachen. Weit ist es nicht mehr, ein
Kilometer vielleicht. Die Absätze meiner Herrenschuhe geben mir wie ein Metronom den Takt vor. Bestimmt der Takt meinen Gang oder mein Gang den Takt? Beides scheint miteinander verschmolzen zu sein.
Plötzlich tritt eine Person, ungefähr zwanzig Meter vor mir, aus einem Haus auf den Bürgersteig. Ich blicke kurz auf, das Geräusch der sich schließenden Haustür verhallt. Die Person nimmt keine Notiz von mir, zeigt mir ihren Rücken
und geht in die Dunkelheit. Schemenhaft erkenne ich Größe, Figur und lange Haare. Ich senke meinen Kopf wieder schützend, starre auf meine Schuhe und sehe mich weiter zielstrebig gehen.
Doch etwas irritiert meine Ohren. Eins Eins, Zwei Zwei, Eins Eins, Zwei Zwei...
In den Takt meines Ganges vermischen sich die Schritte der Frau. Es klingt etwas entfernter und heller, vor allem aber einen Hauch langsamer im Rhythmus. Mehr und mehr wird es unharmonisch. Kurz höre ich noch Münzgeklimper. Dann biegt sie um die Ecke in die nächste Straße. Ich, weiter auf unsere Schritte konzentriert, folge notgedrungen. Auch wenn ich mich auf meine Ohren verlassen kann, sehe ich kurz auf: Der Abstand hat sich verringert!
Kellerfenster der Hausfronten passieren mein Sichtfeld. Dann biegen wir wieder gemeinsam ab. Diese Straße ist noch dunkler. Ein Park zur Rechten schluckt jedes Licht. Ich kann gerade noch den unmittelbar vor mir liegenden Gehsteig sehen. Ihre Schritte sind nun deutlich nah. Kaum habe ich dies vernommen, verändert sich der Rhythmus schlagartig. Ihre Schritte werden schneller, viel schneller. Und mir kommt ein unangenehmer Gedanke. Sie hat Angst. Natürlich muss auch sie meine Schritte gehört haben, gemerkt haben, dass ich immer näher komme...sie verfolge?! Sie muss Angst haben. Angst vor mir!
Vielleicht hat sie sich schon ausgemalt, wie ich sie jeden Moment von hinten anfalle, meine Hand auf ihren Mund drücke und sie in den Park zerre. Und ich bin der Grund dafür! Ich, wo ich doch noch nie nachvollziehen konnte, was in einem Mann vorgeht, der zu so etwas in der Lage ist. Und nun unterstellt sie mir, so ein Mann zu sein!
Oder bilde ich es mir nur ein? Geht sie vielleicht nur schneller, weil ihr auch langsam zu kalt geworden ist?
Ich will nicht, dass sie so von mir denkt.Ich verabscheue es, wenn Männer Frauen Angst machen, weil sie sich körperlich überlegen fühlen. Aber was soll ich tun? Langsamer werden? Nur weil sie sich etwas einbildet, noch länger frieren und nasser werden? Da kann ich ja direkt albern die Straßenseite wechseln. Oder sie einholen? Mich vorstellen, und sagen sie braucht keine Angst zu haben? Was ist mir lieber? Dass sie mich für kriminell oder für durchgeknallt hält? Nein. Ich gehe einfach weiter!
Aber was macht sie jetzt ? Die Schritte sind keine Schritte mehr. Sie läuft! Warum läuft sie denn jetzt? Hat sie ihrer Angst nun vollends nachgegeben? Ich fühle mich noch schlechter als zuvor. Nur ändern kann ich es nicht mehr. Ich gehe meinen Rhythmus weiter.
In den Schein einer Laterne tretend, sehe ich wie sie neben einem Mann steht. Dieser ist wohl im Begriff seinen Kiosk abzuschließen. Dann geht das Licht in dem Laden an und beide treten ein.
Auf gleicher Höhe mit der Ladentür, tritt sie unmittelbar vor mich und lächelt sichtlich zufrieden. In ihrer der Hand liegt eine frische Schachtel Zigaretten. Im Geiste vor den Kopf schlagend, lächel ich zurück. Meine Sorge wird sich wohl zu Gunsten ihrer nächtlichen Sucht in Rauch auflösen!