Schultern zurück, Kopf nach oben, mit entschlossenem Gang zur Tür, schnell nach Hause
Man soll sich nicht vom Gesprächspartner irritieren lassen, man soll sein Gegenüber aus-sprechen lassen,…man soll, man soll, man soll,…!
Gerade bin ich durch mit meinem neuesten Ratgeber: Richtige Kommunikation im Beruf. Ich klappe zu – fühle mich klüger als zuvor und stelle das Buch zurück in mein Regal, gleich ne-ben die Ratgeber „So finden Sie die Liebe Ihres Lebens“, „Wie verhalte ich mich in Konfliktsi-tuationen“, „Frau-Deutsch – Deutsch-Frau“, „So flirtet Man(n)“ und so weiter.
Tja Ratgeber sind wohl die besten Freunde meines Lebens, sie haben für alles eine Lösung, immer einen guten Ratschlag parat und sind von Experten verfasst - ich bin also auf alles im Leben vorbereitet, vermutlich jeder Situation gewachsen und meinen ratgeberlosen Mitmen-schen weit voraus.
Jetzt muss ich aber schnell los zum lang ersehnten Vortrag „Steil Bergauf …. Karriere im Handumdrehen“. Kostenpunkt: 500 €, aber man bedenke was man erst verdient, wenn man es geschafft hat und ganz oben auf der Karriereleiter steht! Quasi eine Investition in eine bessere Zukunft.
Haare straff nach hinten und Brille auf – das vermittelt nämlich einen intelligenten Eindruck. Schal um und im geraden Gang vorwärts – Schultern zurück, Kopf nach oben – das verleiht einem Männlichkeit und Sicherheit.
Ab in die U-Bahn – stehen, nicht sitzen – Alte, Schwache, Blinde und schwangere Frauen sitzen, ein Mann im besten Alter sitz nicht, laut Ratgeber „Mit erhobenem Kopf durchs Le-ben“. Aussteigen, Rolltreppe – rechts stehen, links gehen.
Ja ich mache es richtig…!
Da bin ich: Eignerstraße 14. Ich betrete den Vortragssaal. Altbekannte, die man schon von den anderen Vorträgen und Seminaren kennt, sitzen pfeilgerade auf ihren Stühlen, bereit wieder etwas für ein besseres, sichereres Leben zu lernen. Die Neuen wirken unsicher. Lo-gisch.
Ich schreibe mit:
Man soll sich nicht irritieren lassen, immer nach oben streben, dem Vorgesetzten nie als ers-ter die Hand reichen, Augenkontakt halten, laut und entschlossen Sprechen, ein Taschen-tuch bereit halten, falls die Hände schwitzen, sich selbst motivieren, sein Spiegelbild loben bevor man das Haus verlässt, …
Halbzeit. Das Buffet wird eröffnet, ich setze mich alleine an einen Tisch. Fühle mich selbst-bewusst, bereit die Karriereleiter zu erklimmen. Eine Frau steuert direkt auf mich zu, ich bli-cke weg, bin lieber allein. „Darf, ich mich zu Ihnen setzen?“. Meine Hände beginnen zu schwitzen, ich nicke, ohne aufzublicken. „Hallo, ich bin Anne.“ Sie streckt mir die Hand ent-gegen. Klatschnasse Hände, kein Taschentuch, verdammt!! Was stand noch mal in „So flirtet Man(n)“? Mir wird schlecht. Mein Kopf wird rot. Ich bringe kein Wort heraus. Herzrasen. „Al-les in Ordnung?“ höre ich sie fragen.
Ich stehe auf, Schultern zurück, Kopf nach oben, mit entschlossenem Gang zur Tür, schnell nach Hause.