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Schumann's
„Na, was meinst du, wo lassen die uns noch rein?“, fragte ich Kathrin und versuchte gleichzeitig grob zu überschlagen, wie viel Wein ich den Abend durch denn nun so getrunken hatte. „Hhmmm...“, sie zog eine kleine Schnute, die mich bei ihr den Pegel bei mindestens drei Vierteln ansetzen ließ.
„Vielleicht Schumann’s?“, fragte sie spielerisch ernst. „Na die sowieso!“, erwiderte ich mit gleicher aufgesetzter Miene. Ich versuchte uns so zu betrachten, wie ein Türsteher meiner Phantasie nach vermutlich zwei Zwanzigjährige mustern würde, die in alltäglichen Klamotten durch Münchens Nachtleben zogen.
Mein Schritt war nicht mehr ganz beständig; da ich mich aber bei Kathrin unterhakte, war das von andern nicht zu bemerken. Hinter uns hörten wir mehrere Stimmen durcheinander sprechen. „Wenn der Meister morgen wieder meint , wir würden so lange arbeiten wie heute, machen wir aber Rabatz!“, war eine Stimme herauszuhören.
Kathrin drehte sich in einem Ruck um; ich wurde gezwungenermaßen in die gleiche Richtung mitgerissen. Für einen Moment wankte ich, bis ich mein Gleichgewicht wieder fand.
„Stefan!“, jauchzte sie, „Du kommst wie gerufen. Du willst doch sicher ins Schumann’s und hast doch nichts dagegen, wenn wir als Begleitung mitgehen?“ Wie konnte sie manchmal lächeln! Dafür liebte ich sie. Stefan kannte ich bis zu diesem Zeitpunkt nicht. Optisch war nichts Auffälliges an ihm zu finden: Saubere Jeans, gewöhnliche Jacke, Turnschuhe. Für meinen gerade geübten Türsteherblick zu gewöhnlich.
Aber dieser Blick war rotweingetrübt und so hatte ich mich getäuscht.
„Ist ja auch unter der Woche“, raunte mir Kathrin zu, als wir in die Bar eintraten.
„Na guck mal wer da hinten sitzt....der Jörg“, rief Stefan so laut, dass jener seine Stimme hören konnte. Jörg schaute langsam in Stefans Richtung und sein Gesicht verzog sich ganz leicht zu einer Art Grinsen. Ich konnte es nicht eindeutig als Zeichen der Freude ausmachen. “Kommt Mädels, wir setzen uns zu ihm“, forderte Stefan uns auf und schob uns leicht in diese Richtung. „Die anderen seh’ ich drüben, ist ja auch besser, wenn nicht die ganze Horde zusammensitzt“, schrie Stefan uns in die Ohren und nahm das Lautstärkenduell gegen Joe Cocker auf.
Der Tisch war in einer Nische und der Musik wurde dadurch etwas an ihrer Aufdringlichkeit genommen.
„Hallo Jörg“, sagte ich lächelnd und versuchte ihm in die Augen zu sehen. Sein kraftloses „Hallo“ ließ mich einiges ahnen . Er saß vor einem Cocktail, den Kopf leicht vorne über gebeugt, ein paar Strähnen seiner fettigen dunklen Haare hingen ihm in die Stirn. Er trug eine Brille mit sehr großen Gläsern, die mich an eine Eule erinnerte.
Seine Zigarette, die er in den kerbigen Rand des Aschenbechers geklemmt hatte, brannte schon länger einsam Asche ab.
Ich nahm mir den nächsten freien Stuhl neben ihm und hörte Stefan und Kathrin zu, die sich neben uns setzend über ein neues Drehbuch und den Ärger mit dem Regisseur unterhielten. „Aha“, dachte ich mir, „scheinbar hat die Filmbranche problemlos Zutritt.“
In angeheitertem Zustand war mir wieder einmal nach provokanten Fragen und ich wandte mich wieder an das Eulengesicht. „Sag mal, Jörg, sitzt du immer hier? Du siehst so nach Inventar aus.“ Er schaute mich gespielt erschrocken an. „Hab’ ich schon die Farbe der Wand angenommen?“ Ich taxierte den hellen Kalkputz, dann sein fahles Gesicht und musste zugeben: „Du bist dabei.“ „Solange es nicht die Täfelung ist, die du meinst“, kam es trocken mit einer Kopfbewegung in Richtung Bar von ihm zurück.
Er kippte den Inhalt seines Cocktailglases ohne sichtlichen Genuss in sich hinein.
„Hat mir vorhin der Herr Verleger spendiert...Mistkerl...dabei weiß er doch, dass ich am liebsten Whisky trinke“, lamentierte er über das nun leere milchige Glas, das in Kombination mit einer eingeschnittenen Orangenscheibe am Glasrand und dem dicken, neongrünen Plastiktrinkhalm wie eine kitschige Vorlage für ein Stilleben vor uns stand.
Er strich einige Haarsträhnen aus dem Gesicht und ließ seine Hand zum Tisch hinunter, mit der er dann ein Päckchen Reval umschloss, das mitten auf dem Tisch lag.
Der Zeige- und Mittelfinger waren gelblich; ich schätzte auf mindestens vierzig am Tag.
Er beobachtete die Richtung meiner Blicke: “Ich dreh’ normalerweise, aber hier in dem Scheißladen gibt es ja nur Zigaretten“.
„Oh,“ kam der mitfühlende Einwand von mir „du bist Stammgast, aber sie bringen es für dich nicht fertig, Tabak vorrätig zu haben?“ „Genau! Wie oft habe ich Charles schon gesagt, er soll mal Tabak hinter die Theke bringen...aber ich bin ja kein Herr Sowieso von der Bavaria...“, schnaubte er und wurde langsam richtig munter. „Wenigstens ohne Filter...“, versuchte ich ihn dann zu trösten.
Ein Kellner mit langer Schürze stellte ein Glas Whisky vor ihm ab und die Stilleben-Vorlage auf sein Tablett zurück.
Ich machte den Versuch, darüber nachzudenken, wann Jörg diese Bestellung aufgegeben haben könnte. „Wenigstens das haben sie gleich kapiert, aber das bringt ja auch die Kohle“, sagte er fast hämisch, obwohl der Kellner noch bei uns stand. Kathrin und Stefan bestellten ihre Getränke und ich entschloss mich wagemutig zu einen Campari-Soda mit viel Zitronensaft, ohne den aktuellen Guthabenstand in meinem Geldbeutel zu kennen.
„Was treibst du denn so, wenn du nicht hier im Schumann’s bist?“, fragte ich ihn mit echtem Interesse; lieber noch unterhielt ich mich mit einem angetrunkenne schrulligen Typ, anstatt nur still die Szenerie zu betrachten. „Ich schreibe“, war seine kurze Antwort und zum ersten Mal sah er mit glasigen Augen durch die Augengläser direkt in meine. Ich hielt dem fordernden Blick stand und wartete.
„Es geht um einen Zirkus. Die Familie macht mir zu schaffen...nein, genauer gesagt die Kinder“, fing er an zu erzählen, „ich hänge an den Kindern fest und komme nicht weiter im Text. Wie soll ich Kinder beschreiben, die nie ein festes Zuhause haben...sag nicht, dass der Wohnwagen eines sei.“
Er nahm die Schachtel Reval in die rechte Hand und klopfte mehrmals mit einer Schachtelecke auf die linke Handwurzel. Zögerlich zeigte sich ein Teil einer Zigarette aus der noch fast vollen Packung. Er bot mir eine an, die ich dankend ablehnte, dafür aber eine Lucky Strike aus Kathrins Schachtel zog.
Während er mir mit dem dritten Streichholz Feuer gab, fuhr er fort: „Ich hab’ mir lange überlegt, ob Zirkuskinder glücklich sein können. Kein gewohnter Spielplatz; keinen Wald, in dem sie sich auskennen. Immer andere Dörfer, Städte; neue „Freunde“ vielleicht mal eine Woche lang...dann müssen sie schon früh mit trainieren anfangen...entweder hängen sie dann dauernd mit so einer Schaukel in der Luft oder müssen mit Tieren arbeiten...kann man da glücklich sein?“
Ich gab ihm zu bedenken: “Die Kinder haben ihre Familie. Die Eltern sind immer um sie herum. Das haben nicht viele. Dann die Tiere. Das gibt doch auch ein Stück Heimat. Im übrigen vermisst man doch nur, was man kennt. Die kennen unser Leben doch gar nicht.“
Erstaunt blickte er mich an: „Du interessierst dich ja wirklich. Das habe ich schon lange nicht mehr erlebt. Ich bin oft hier, aber keiner will was von mir wissen. Die lassen mich schön einen Whisky nach dem anderen saufen, reiben sich beim Abkassieren die Hände und keiner interessiert sich wirklich für mich, was ich denke, was ich will.“
„Na, du bist auch nicht besonders freundlich“, warf ich ein. „Ich bin ein saufender Buchschreiber für die, sonst nichts“, sagte er verdrossen und sein Gesicht nahm einen mürrischen Ausdruck an.
„Es mag ja sein“, fuhr er dann fort, „dass es glückliche Zirkuskinder gibt. Aber sind es die in meiner Geschichte auch? Da komm ich nicht weiter. Verstehst du?“
„Laß’ sie doch glücklich sein, die werden noch genug andere Probleme bekommen“, schlug ich ihm vor. Sein Blick ging in die Weite. Das Whiskyglas wurde ausgetauscht und mit einem Zug von ihm leergetrunken.
„Ich werd’ drüber nachdenken“, kam es zwischen zwei Rülpsern hervor. „Aber eigentlich sind mir traurige Kinder lieber. Die kann ich besser beschreiben.“
Der Alkohol wurde bei ihm übermächtig.
„Ich lass’ mir ein Taxi rufen, es ist wohl besser, ich gehe. Und danke für dein Zuhören, doch, hat mich wirklich gefreut.“
Er stand auf und ging leicht wankend zum Tresen. Kurz danach verschwand er aus meinem Blickfeld.
Kathrin sprach mich an: „Komischer Kauz, was?“. „Jedenfalls hat er sich kurz gefreut“, gab ich zur Antwort.
Am übernächsten Morgen gab es frische Brötchen zum Frühstück.
Ich war einige Tage bei ihr zu Besuch. Wir hatten beide wenig Geld zur Verfügung und dies gaben wir hauptsächlich abends aus, so waren Brötchen in unseren Augen Luxus. Sie überflog mit einem Blick den kärglichen Rest des Frühstücks, das noch aus Beuteltee, Butter und Erdbeermarmelade bestand.
„Ergün gab mir grade noch den Merkur mit“, sagte sie, während ich mittlerweile herzhaft in ein Brötchen biss. Ich nahm die Tageszeitung an mich und las die Headline auf der ersten Seite.
Der Bissen blieb mir sprichwörtlich im Halse stecken, als ich las: Schriftsteller Jörg Fauser tot! Und in Fettschrift darunter: Der bekannte und beliebte Schriftsteller Jörg Fauser, 43, ist vorgestern nacht von einem LKW überfahren worden. Dann der Fließtext: Nach einer Taxifahrt wollte der Schriftsteller Jörg Fauser (u.a. Der Schneemann) noch einige Schritte zu Fuß gehen. In der Höhe der Anschlußstelle Feldkirchen wurde er von einem LKW erfaßt und starb noch an der Unfallstelle. Viele Freunde und Wegbegleiter meldeten sich zu Wort und waren schockiert über den frühen Tod des bekannten Schriftstellers.
Ich musste lange und schmerzhaft husten und die Anstrengung trieb mir sogar Tränen in die Augen. „Kathrin, das ist doch der Jörg vom Schumann’s“, keuchte ich hervor, nachdem ich mich einigermaßen gefangen hatte.
Kathrin las einen weiteren Artikel über ihn auf der Kulturseite. „Der hatte an dem Tag auch noch Geburtstag.“
Ich dachte an den hellen Kalkputz in Schumann’s. Die Brötchen wurden an dem Tag alt.