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Schwarz und Weiß
Irgendwann, vor Millionen von Jahren, als die Zeit dafür reif war, dem Universum etwas Leben zu verleihen, kreierte ein schlauer Erfinder die Erde. Er schuf Wasser, Wälder, Wiesen und Tiere. Als ihm klar wurde, dass noch etwas fehlte, musste er erkennen: Er wußte es nicht. Da er es Leid war, noch länger darüber zu Grübeln, sollten andere diese Aufgabe übernehmen.
So stellte er zwei Krüge auf die Erde. Den einen gefüllt mit einem Liter heller weißer Milch. Den anderen randvoll mit einem Liter Kakao. Er ging zur Sonne und zum Mond. "Nun ihr beiden. Ich habe eine Aufgabe für euch. Milch, so hell wie die Sonne und Kakao, so dunkel wie der Neumond. Seht zu, dass ihr das ins Gleichgewicht bringt. So wird die Erde ein lebendiger Ort des Friedens sein und ihr werdet die Herrscher meiner Schöpfung, die ihr vollkommen machen sollt. Gelingt es euch nicht, so wird die Erde vergehen und ihr dreht weiter eure langweiligen Runden." Daraufhin verschwand der Erfinder und ließ Sonne und Mond allein.
"Sonne, weißt du, was wir machen sollen?" Der Mond schien ratlos.
"Nun, lieber Mond, wir müssen die Milch und den Kakao so mischen, das es ein gleichmäßiges Verhältnis ergibt", erwiderte die Sonne, "wir sollten es zumindest versuchen." Der Mond nahm eine Tasse und schöpfte von dem dunklen Kakao und goß ihn in die Milch. Dann schüttelte er das Gemisch und freute sich an seinem Tun.
"Das stimmt so aber noch nicht," sagte die Sonne und schöpfte von der vermengten Milch und schüttete eine Tasse davon in den Kakao. Strahlend lächelte sie den Mond an. "So, jetzt passt es, glaube ich."
"Bist du dir sicher? Ist die Menge von Kakao in der Milch nun nicht größer? Oder vielleicht sogar kleiner als die Menge von Milch in Kakao?"
"Nein, ich bin überzeugt, das stimmt so." Der Fixstern und der Trabant traten zum Erfinder und fragten nach ihrem Lohn, über die Erde herrschen zu dürfen.
"Ich habe euch beobachtet und ihr habt gut getan. Das Mischverhältnis stimmt. Scheinbar enthält die Milch mehr Kakao als Milch im Kakao ist, weil beim zweiten Mischvorgang keine reine Flüssigkeit mehr hinzugefügt wird. Dennoch müsst ihr euch klarmachen, dass nach jedem Vorgang wieder je ein ganzer Liter vor euch steht. Also wurde bei dem einen Gefäß eine bestimmte Menge Milch entnommen und durch die gleich Menge Kakao ersetzt und im anderen Gefäß wurde die entnommene Milch genau durch die Menge Kakao ersetzt, die in die Milch geschüttet wurde. So geht nun hin und teilt euch die Erde." Der Erfinder nahm die beiden Gefäße und goß sie über die Erde aus. Dann zog er weiter seines Weges.
Da geschah etwas Seltsames. Die Milch und der Kakao trennten sich voneinander und winzige Wesen entstanden. Die einen schwarz, die anderen weiß. "Das kann so nicht richtig sein, Mond. Das ist alles deine Schuld. Du hast zuerst den Kakao in die Milch geschüttet." Der Mond ärgerte sich über die Sonne und ihre Boshaftigkeit und ein endloser Streit begann.
Die Sonne schrie: "Er hat gesagt, wir haben alles richtig gemacht, aber wenn du glaubst, ich hätte einen Fehler gemacht, so nehme ich die weißen Wesen und werde für sie scheinen. Du kannst die schwarzen haben und mit ihnen tun, was immer du möchtest."
"Gut", sagte der Mond, "so will ich aber auch die halbe Zeit für meine Kreaturen haben. Ich nenne sie Menschen." So begann der erste Tag, an dem die Sonne über die Erde regierte. Sie betrachtete die weißen Menschen und freute sich, dass sie die schwarzen Menschen ärgerten, die dem Mond gehörten. Als die Zeit abgelaufen war, begann die erste Nacht und der Mond sah das Leid, dass die Menschen sich antaten. Weiß kämpfte gegen Schwarz und umgekehrt, aber er war zu stolz, zur Sonne zu gehen und darum zu bitten, damit aufzuhören. So vergingen viele Jahre. Noch immer wechselten sich Sonne und Mond in ihrer Regentschaft ab. Doch auch der Sonne war längst klar geworden, dass dies nicht der richtige Weg war. So ging sie zum Erfinder und bat um Rat. Dieser trat zu der Erde und sah das Leid und die Qualen. Inzwischen kämpfte auch Weiß gegen Weiß und Schwarz gegen Schwarz.
Unsagbar enttäuscht sprach er zu den beiden: "Wisst ihr, ich hatte mehr von euch erwartet. Die Menschen sollten unter euerem Schutz friedlich miteinander leben. So habt ihr alles kaputt gemacht. Sie töten und sie hassen sich. So war das nie geplant. Donnergrollen und Erdbeben erfüllten die Erde. Blitze zuckten durch den Himmel und Regen prasselte hernieder. Wild und ängstlich rannten die Menschen durcheinander. Vergessen war der Streit und der Hass. Jeder versuchte dem Unheil zu entkommen. Plötzlich war es still. Auch der Erfinder war verschwunden.
Sonne und Mond wußten nun nicht, was sie machen sollten und wechselten sich weiter ab. Tag um Nacht und Monat um Monat vergingen. Die Menschen liebten einander und stritten nicht mehr. Sonne und Mond wunderten sich. Sie konnten nicht ahnen, was geschehen war. Schwarz und Weiß hatten sich miteinander vermischt wie einst die Milch mit dem Kakao und da wurde ihnen bewußt, dass der Schöpfer damals Recht hatte. Das Mischverhältnis stimmte wieder. Dennoch begriffen sie nicht warum. Neugierig suchten sie nach dem Erfinder und fragten nach des Rätsels Lösung.
"Könnt ihr nicht erkennen, was geschehen ist? Seid ihr wirklich so verbohrt und von der Schuld des anderen überzeugt? Seid ihr immer noch so blind? So blind wie eure Menschen?"