Schwarzarbeit - Der Neger in der Mülltonne
Ich habe Angst. Draußen höre ich Stiefelschritte. Gerade eben noch waren sie ganz langsam, unregelmäßig, jetzt plötzlich bleiben sie stehen. Ganz unvermittelt gehen sie nun sehr schnell fort. Es ist wieder ruhig.
Eigentlich habe ich hier immer Angst. Niederschwellig, unbeständig stark und oft durch Radiomusik und anderen Lärm fast verdrängt. Doch wachsam bin ich trotzdem immer.
Mein Onkel, der früher hier war und nun wieder zuhause lebt, gab mir den Ratschlag „Junge sei Wachsam! Egal was gerade ist, egal was im Radio läuft, egal ob dir dein Rücken weh tut, egal ob du vor Kälte zitterst oder vor Hitze kaum noch atmen kannst. Sei wachsam!“. Und da er schon seid mehr als fünfzehn Jahren auf den verschiedensten Baustellen in Europa gearbeitet hatte und SIE ihn nie erwischt haben, nahm ich mir seine Worte zu herzen.
Mein Onkel wirkte immer irgendwie Traurig wenn ich ihn sah. Eine Art von Trauer, die nur Menschen, mit einem Leben wie er es führte haben konnten. Denn es war ihm nie direkt anzusehen dass er irgendwie unglücklich oder sonst unzufrieden war. Im Gegenteil, er lachte viel und machte Scherze und war auch sonst immer sichtbar gut gelaunt. Nur in den Momenten wo er selbst nicht redete sonder anfing anderen Menschen zuzuhören konnte man es sehen. Mein Onkel war ein guter Zuhörer. Wenn ich selbst mit ihm sprach hatte ich immer das Gefühl, er würde einem richtig zuhören, als sei seine ganze Aufmerksamkeit nur den Worten gewidmet, welche gerade meinen Mund verließen, als würde er wirklich wissen wollen was in mir vorgeht, was ich getan habe und beabsichtige zu tun. Das war auch der Grund, warum ich mich immer so sehr wohl fühlte in seiner Gegenwart. Ich fühlte mich im Ganzen ernst genommen und verstanden, obwohl er meistens bei diesen Gesprächen selbst kaum etwas sagte. Nur gelegentliches nachfragen des Verständnisses halber, gab er von sich. Doch wenn ich nicht selbst mit ihm sprach sondern ihn nur beobachtete wie er sich mit anderen unterhielt, dann konnte ich es sehen, dann konnte ich sie sehen, diese Traurigkeit die man sonst nicht bemerkte. Doch auch in diesen Momenten mischte sich unter seine Traurigkeit eine seltsame Art von Freude. Träudigkeit habe ich es mal im scherz genannt und zwar deshalb, weil sowohl seine Freude als auch seine Trauer aus demselben Topf gespeist wurden. Es war die Freude darüber endlich einmal wieder alle seine Freunde und Verwandten, seine Familie und seine Heimat wieder sehen zu können und es war die Trauer, bald nun wieder seine Freunde und Verwandten, seine Familie und seine Heimat zu verlassen. Wie er es abermals schaffte, in diese Festung namens Europa einzudringen, verriet er niemandem. Er sagte immer, dass er befürchte, dass dieser Weg sonst verloren gehen könnte. Doch war dies eh ein Thema, dem er schnell auswich; das einzige soweit es mich betraf.
Ich fange an zu schwitzen. Der Müll über mir, der meinen Aufenthalt hier verbergen soll reizt meine Lunge und ich muss mich sehr beherrschen nicht zu husten. Plötzlich höre ich jemanden laut rufen.
>> Peter, komm ma her, ick will hier noch die Ecken und Zwischenwände durchsuchen. Pass uff dass, dir keener durch die Lappen jeet, wenn da plötzlich welche rausjerannt komm.<<
Ich höre wie sie zwei von meinen Kollegen hinter den Rigipsplatten rausholen. Keiner kommt um auch hier nachzusehen. Unterm Dreck; beim Neger in der Mülltonne.