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Schwerelos

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21.04.2015
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Schwerelos

Wir laufen der Sonne entgegen. Sie hat den Höhepunkt längst überschritten, nähert sich Stück für Stück dem Horizont und schickt ihre weichen Strahlen über die Strandpromenade. Ein leichter Wind streicht über die Haut, kühlt unsere glühenden Gesichter, verfängt sich in den Haaren. Er riecht nach Sonnencreme.
Ich nippe an der Flasche, fühle den Rum die Kehle hinablaufen, die mulmigen Spuren in meinem Bauch. Wir folgen dem gepflasterten Weg schon eine ganze Weile. Vorbei an Menschen, vom Sonnenbad verbrannt, die unter den Strohdächern der kleinen Bars Schutz suchen, sich bunte Drinks bestellen, voll mit Eiswürfeln, die bei jeder Bewegung klirrend aneinanderstoßen.
„Ach du Scheiße, die ist ja knallrot.“ Meine Freundin zeigt auf eine ältere Dame, die sich auf einen Barhocker hievt. „Warte mal kurz.“ Sie geht auf die Strandbar zu, kramt in ihrer Handtasche und drückt der Dame eine kleine Tube in die Hand. Mir wird ganz warm im Bauch.
Sie kommt zurück und schnappt sich den Rum.
„Du bist toll“, sage ich.
„Du aber auch.“ Sie zwinkert mir zu.
„Hm.“
„Das weißt du doch, oder?“
Ich lecke mir über die Lippen, schmecke das Meer. Ein junges Paar schlendert an uns vorbei. Ich betrachte die Gesichter der beiden Verliebten, die unbeschwerten Gesten, lausche ihrem Gespräch, so als könnten sie mir Worte leihen, die ich gerade nicht finden kann.
„Hey, schau mich an!“
Da ist er wieder, dieser Blick. In ihm liegt etwas, das mich fertig macht. Andere würden ihn empathisch nennen, aufmerksam oder beschützend. Mich erdrückt er. Er gibt mir das Gefühl, kaputt zu sein. Ich weiß, meine Freundin meint es nur gut. Alle meinen es nur gut. Aber ich will, dass sie mich ansehen wie früher.
„Was denn?“
„Lass dir nichts anderes einreden, hörst du? Vor allem – red dir selbst nichts anderes ein.“
„Schon gut. Ich bin toll.“
„Geht doch!“

Wir passieren ein Hotel nach dem anderen, aus manchen tönt laute Musik, aus anderen wehen leise Klaviermelodien hinaus aufs funkelnde Meer.
Mein Kopf hängt in einer Wolke, sanft liegt sie auf meinen Schultern. Sie lullt mich ein, lässt die Konturen um mich herum verschwimmen, alles ist ein bisschen weicher als sonst. Die Gedanken bewegen sich frei, geschmeidig. Sie scheinen zufrieden zu sein.
Der Schatten hat von mir abgelassen mit seiner Schwere, seinen Vorwürfen. Manchmal denke ich noch an ihn, wie er hinter mir lauert, aber wenn ich mich umdrehe, sehe ich nur den gepflasterten Weg, der sich am Strand entlangschlängelt und unter der Hitze flimmert.
Immer wieder halten wir inne, setzen uns auf eine Bank und beobachten Kinder, die Bällen hinterherjagen, Sonnenschirme, die im Wind flattern oder Hunde, die im Sand herumflitzen.
„Fühlt sich an, als wären wir schon ewig hier“, sagt meine Freundin.
„Stimmt.“ Ich nehme noch einen Schluck Rum. „München ist weit weg.“
„Nur München?“
Vor uns landet ein knallgelbes Frisbee, ein Mann kommt schnaufend auf uns zu, hebt es auf und wirft es seinem Sohn zu.
„Wollen wir weiter? Sonst fängt die Party noch ohne uns an.“

Der dumpfe Beat wummert über den Strand. Ich stelle mir vor, wie die Sandkörner bei jedem Schlag in die Luft hüpfen. Vor dem Haupteingang zum Hotel hat sich eine Schlange gebildet. Wir reihen uns ein. Ich beobachte die beiden Türsteher, die mit ernsten Gesichtern die Taschen kontrollieren. Sehe im Hintergrund die tanzenden Menschen am Pool. Ich drücke die Hand meiner Freundin.
„Das wird mega!“
Sie erwidert den Druck und lächelt.
Die Türsteher nicken uns zu, werfen einen kurzen Blick in unsere Taschen und winken uns durch. Wir laufen durch einen Rundbogen und betreten die riesige Poollandschaft. Zwischen Palmen sind kleine und große Becken verteilt und durch Brücken miteinander verbunden. Am Kopf der Tanzfläche thront der DJ auf einer Bühne.
Ich weiß gar nicht, wohin ich zuerst schauen soll. Um uns herum tanzen junge Mädchen in kurzen Shorts und Bikinioberteilen, Männer in Bademänteln, Frauen in weißen, gehäkelten Kleidern, Betrunkene in Schwimmreifen. Wie ein Sog zieht uns die Menge zu sich. Wir treiben durch den Trubel, lächeln in verschwitzte Gesichter. Der Boden vibriert, der fette Bass wandert meine Beine hinauf, drückt auf meinen Brustkorb, bis mein Herz im Rhythmus der Musik schlägt.
Wir lachen, werfen die Arme in die Luft, werden Teil der tanzenden Menge, verschmelzen mit Fremden, drehen uns umeinander, springen im gleichen Takt, wir atmen gemeinsam, atmen diesen Augenblick.
Ein Knattern vermischt sich mit den harten Schlägen, die aus den Boxen dröhnen. Alle sehen in den Himmel hinauf zu dem Hubschrauber, der über die Party fliegt, die kreisenden Rotorblätter spiegeln sich zitternd in tausend glänzenden Augen. Wir strecken ihm die Hände entgegen, schreien, jubeln ihm zu, bis sich unsere Stimmen überschlagen. Wir fühlen uns vogelfrei, als würden wir mit ihm durch die Luft fliegen, unter uns die feiernde Masse, der feine Sand und das türkisblaue Meer, geküsst von der untergehenden Sonne.
Kanonen schießen Konfetti in die Luft. Ich schließe die Augen, spüre die winzigen Papierschnipsel auf Gesicht und Schultern rieseln, Gänsehaut jagt mir vom Rücken bis in den Nacken hinauf.
„Alles okay?“, schreit mir meine Freundin ins Ohr und legt den Arm um mich.
Ich öffne die Augen, sehe ein wenig verschwommen. „Das ist unfassbar!“
Sie drückt mich an sich. „Ich hab’s dir doch gesagt.“
„Was?“
„Du musst loslassen. Du musst endlich loslassen!“
Vor uns gehen die Scheinwerfer an. Rotes Licht übergießt die tanzende Menge. Grüne Laserstrahlen durchschneiden die Abenddämmerung, malen Muster in die Luft. Der DJ brüllt ins Mikrofon, wir lachen und grölen und springen. Ich tanze, drehe mich im Kreis, sehe in den Himmel, die ersten Sterne leuchten im dunklen Blau.
Ich spreche deinen Namen aus, flüstere ihn erst, sage ihn ein wenig lauter, noch einmal und noch lauter. Bis ich ihn schreie. Ich schreie ihn hinaus in die Nacht, sehe ihm nach. Der stampfende Bass zersetzt ihn in seine Einzelteile, sie verlieren sich zwischen blitzenden Lichtern, wirbeln umher, bis sie der Wind hinausträgt aufs Meer.


Die Wörter waren: Hubschrauber, Sonnenbad, vogelfrei, zersetzt, empathisch

 

Hallo Isegrims,

also, das Zirbeln hat es dir ja echt angetan :D

ein bisschen plätschert die Geschichte dahin wie die Spiele der deutschen Mannschaft bei der WM
Nach dem Spiel gestern muss ich sagen: Dieser Vergleich tut richtig weh. Wenn die Geschichte sich so liest, wie die da gestern gespielt haben, dann hab ich eindeutig was falsch gemacht. Aber ich häng mich mal nicht dran auf, sondern lese schnell weiter ...

Ich glaube, der Text würde gewinnen, wenn du konkrete Erinnerungen einbauen würdest und die Party als Verortungsfolie drunterlegst, den Textausweitest.
Das kann durchaus sein. Das wurde ja hier auch schon an anderer Stelle erwähnt. Mehr Hintergrund, mehr Tiefe, mehr Erzählen, was mit der Protagonistin los ist. Das Ding ist: Will ich hier nicht wirklich machen. Es ist immer das eine, was man sich als Leser erwartet und was man selbst beim Schreiben eigentlich ausdrücken wollte. Mal stimmt das überein, mal nicht. So auch bei dieser kleinen Geschichte. Manche akzeptieren, dass es hier um die Stimmung geht, um's Loslassen ohne große Erklärungen, andere wünschen sich mehr. Das kann ich verstehen, aber ich persönlich finde, dass Erklärungen, Hintergründe usw. hier eine Schwere in die Geschichte reinbringen würden, die ich nicht in ihr haben möchte.

den Nebensatz würde ich kürzen: die mulmigen Spuren in Bauch oder so… hinterlassen ist kein schönes Wort.
Ja, da hast du recht.

das wäre eine Stelle, aus der du mehr, konkrteres machen könntest
Ja, aber würde ich das tun, hätte ich das Gefühl, das grätscht total in die Stimmung, die sich da entwickelt. Das wird dann so ein "tell"-Element, was ich hier nicht haben will. Aber klar, würde man hier mehr in die Tiefe gehen, eine andere Art von Geschichte erzählen wollen, wäre dieser Satz ein guter Aufhänger, um tiefer zu graben.

was haben die Mädels eigentlich an?
ist das wichtig? :susp:

am Ende bleibt der Bass, den du insgesamt dreimal erwähnst, aber das Schlusstableau gefällt mir sehr.
Oha, ja, ich muss mal sehen, ob ich das noch reduzieren kann. Schön, dass dir das Schlussbild gefällt!
Tröpfelnde Regengrüße aus München
RinaWu

 

Hallo Isegrims,

also, das Zirbeln hat es dir ja echt angetan :D

Nach dem Spiel gestern muss ich sagen: Dieser Vergleich tut richtig weh. Wenn die Geschichte sich so liest, wie die da gestern gespielt haben, dann hab ich eindeutig was falsch gemacht. Aber ich häng mich mal nicht dran auf, sondern lese schnell weiter ...


oh ja, zirbeln finde ich auch als Wort sehr hübsch.

und nein: ich mag die von dir beschriebene Stimmung, die ist sehr gelungen, nur weil eben ausschließlich Stimmung beschrieben wird, fallen auch keine Tore, so in etwa meinte ich den Fußballvergleich :Pfeif:

 

Liebe RinaWu,

deine Geschichte versetzt einen in den Sommerurlaub mit der besten Freundin, wo man seine verflossene Liebe vergessen möchte.
Atmosphäre und Setting haben mir sehr gut gefallen. :thumbsup:

lausche ihrem Gespräch, so als könnten sie mir Worte leihen, die ich gerade nicht finden kann.
Du hast oft so grandiose Formulierungen. Das hier ist eine von ihnen.

Manchmal denke ich noch an ihn, wie er hinter mir lauert, aber wenn ich mich umdrehe, sehe ich nur das Kopfsteinpflaster, das unter der Hitze flimmert.
Nur eine Kleinigkeit: Aber das Kopfsteinpflaster ist doch unten. Und ihrem Ex hat sie bestimmt doch ins Gesicht gesehen (oben), wenn er hinter ihr gelauert hat.

Den Hubschrauber (eines der „geforderten“ Begriffe) hast du sehr gut mit „vogelfrei“ in Verbindung gebracht.

Ich schreie ihn hinaus in die Nacht, sehe ihm nach. Der stampfende Bass zersetzt ihn in seine Einzelteile, sie verlieren sich zwischen blitzenden Lichtern, wirbeln umher, bis sie der Wind hinausträgt aufs Meer.
Sehr schönes Ende. Der Name ist raus, zersetzt und in alle Winde fortgetragen.

Gerne gelesen, hat mir gefallen.

Schönes Wochenende und liebe Grüße.
GoMusic

War schön, dich beim Gathering kennengelernt zu haben (oder habe ich dir das schon mal gesagt?)

 

Lieber GoMusic,

freut mich, dass dir diese kleine Episode gefallen hat.

Du hast oft so grandiose Formulierungen. Das hier ist eine von ihnen.
Oha, vielen Dank!! Diese Formulierung habe ich bernadette zu verdanken, die mich zu Recht zusammengefaltet hat, weil ich für das Schweigen der Protagonistin in der Urfassung nur drei Auslassungspunkte gefunden habe, anstatt das in Worte zu fassen. Und so kam dann dieser Satz mit dem "Worte leihen" zustande. Arschtritte sind manchmal einfach gut! :)

Aber das Kopfsteinpflaster ist doch unten. Und ihrem Ex hat sie bestimmt doch ins Gesicht gesehen (oben), wenn er hinter ihr gelauert hat.
Ja, das stimmt, das ist nicht ganz stimmig. Da überlege ich mir was, danke für den Tipp.

Der Name ist raus, zersetzt und in alle Winde fortgetragen.
Ja, das habe ich mal gehört / gelesen, ich weiß es nicht mehr: Wenn man jemanden loslassen will, soll man seinen Namen laut aussprechen, damit er davonfliegen kann. Das kam mir hier bei dieser Geschichte in den Sinn.

Liebe Grüße
RinaWu

p.s.: Wir können uns ruhig noch ein paar Mal sagen, wie toll das Kennenlernen beim Gathering war :D

 

Liebe maria.meerhaba,

Das ist, liebe @RinaWu, eine echt tolle Beschreibung
Das ist, liebe Maria, der sanfteste Einstieg, denn du je hattest, wenn du eine meiner Geschichten kommentiert hast ;) Danke für das Lob, darüber freue ich mich natürlich sehr.

Das ist eine Geschichte, die nur Bilder erzeugt, für manche ist das genug, für mich aber nicht.
Kann ich nachvollziehen und ist völlig legitim. Dennoch ist es schön, dass du zwischendrin Formulierungen gefunden hast, die dir gefallen konnten. Das ist doch auch etwas!

Hab einen guten Start in die Woche!
LG
RinaWu

 

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