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Schwingen der Zeit
Schwingen der Zeit
Die Haut seines Brustkorbes schien zu zerreißen als er tief einatmetete, die modrige Luft mit seiner Zunge schmeckte und das Würgen nur schwerlich unterdrücken konnte. Was war nur aus ihm geworden? Ein trauriges Bildnis seiner Selbst, dessen war er sich sicher, die schuppigen Hände sprachen ihre eigene Sprache, wie kleine Münder, die mit ihren spitzen Zähnen an seiner Achtung nagten. Hier oben, hier war er in Sicherheit. Täglich beobachtete er das An- und Abschwellen der Meere und auf ihnen die Schiffe, die seinen Weg zu kreuzen schienen und in ihrer so unendlichen Selbstgefälligkeit sein Innerstes zu zerbersten drohten. Und dies war immer der Moment wenn er anfing Reflexionen anzustreben, die letztlich stetig an seinem Schwermut, aber vor allem an seiner Unfähigkeit scheiterten.
In dieser Unfähigkeit lag dann auch schließlich das Dilemma, das seine Flügel nicht mehr zu tragen vermochten. Auch sah er sich nicht mehr in der Lage bittere Tränen, die in ihrer Reinheit sich selbst zu reproduzieren vermochten, zu vergiessen; sogar zu dieser zutiefst menschlichen Regung schien er unfähig, waren sie im Laufe der Zeit immer öfter ohne Geschmack, ohne erkennbare Farbe geblieben. Und dies war wohl die schlimmste Nebenerscheinung seiner Veränderung, die die Tage und Jahrzehnte mit sich gebracht hatten, der Verlust der sich selbst produzierenden Menschlichkeit, die das Diesseits zusammenzuhalten schien. Konnte er denn dann überhaupt noch Teil dieser Zeit, dieser Welt, seiner Erscheinung sein oder war er, hier oben auf dem Berg, gleich dem Prometheus oder eher gleich den Krähen, die ihn innerlich zerhackten, sich und seinem Dasein ausgeliefert?
Natürlich, er vermochte von hier auf sie herabzublicken, was dennoch für ihn keine Überlegenheit bedeutete. Denn was nutzte ihm seine Position, wenn die Einsamkeit ihm verwehrte seine Überlegenheit mitzuteilen?
Daher war sie für ihn im Umkehrschluss ohne Relevanz und folglich non-existent. Immer wieder die Suche nach der Existenz und im Resultat das Schmunzeln darüber.
Den Schwefelgeschmack noch immer auf der Zunge breitete er seine Schwingen aus, gedachte seiner bitteren Tränen und wurde Teil des Horizonts, der ihn mit unsäglicher Sanftheit schon vor langer Zeit empfangen hatte.