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Schwingen der Zeit

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15.10.2003
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Schwingen der Zeit

Schwingen der Zeit

Die Haut seines Brustkorbes schien zu zerreißen als er tief einatmetete, die modrige Luft mit seiner Zunge schmeckte und das Würgen nur schwerlich unterdrücken konnte. Was war nur aus ihm geworden? Ein trauriges Bildnis seiner Selbst, dessen war er sich sicher, die schuppigen Hände sprachen ihre eigene Sprache, wie kleine Münder, die mit ihren spitzen Zähnen an seiner Achtung nagten. Hier oben, hier war er in Sicherheit. Täglich beobachtete er das An- und Abschwellen der Meere und auf ihnen die Schiffe, die seinen Weg zu kreuzen schienen und in ihrer so unendlichen Selbstgefälligkeit sein Innerstes zu zerbersten drohten. Und dies war immer der Moment wenn er anfing Reflexionen anzustreben, die letztlich stetig an seinem Schwermut, aber vor allem an seiner Unfähigkeit scheiterten.
In dieser Unfähigkeit lag dann auch schließlich das Dilemma, das seine Flügel nicht mehr zu tragen vermochten. Auch sah er sich nicht mehr in der Lage bittere Tränen, die in ihrer Reinheit sich selbst zu reproduzieren vermochten, zu vergiessen; sogar zu dieser zutiefst menschlichen Regung schien er unfähig, waren sie im Laufe der Zeit immer öfter ohne Geschmack, ohne erkennbare Farbe geblieben. Und dies war wohl die schlimmste Nebenerscheinung seiner Veränderung, die die Tage und Jahrzehnte mit sich gebracht hatten, der Verlust der sich selbst produzierenden Menschlichkeit, die das Diesseits zusammenzuhalten schien. Konnte er denn dann überhaupt noch Teil dieser Zeit, dieser Welt, seiner Erscheinung sein oder war er, hier oben auf dem Berg, gleich dem Prometheus oder eher gleich den Krähen, die ihn innerlich zerhackten, sich und seinem Dasein ausgeliefert?
Natürlich, er vermochte von hier auf sie herabzublicken, was dennoch für ihn keine Überlegenheit bedeutete. Denn was nutzte ihm seine Position, wenn die Einsamkeit ihm verwehrte seine Überlegenheit mitzuteilen?
Daher war sie für ihn im Umkehrschluss ohne Relevanz und folglich non-existent. Immer wieder die Suche nach der Existenz und im Resultat das Schmunzeln darüber.
Den Schwefelgeschmack noch immer auf der Zunge breitete er seine Schwingen aus, gedachte seiner bitteren Tränen und wurde Teil des Horizonts, der ihn mit unsäglicher Sanftheit schon vor langer Zeit empfangen hatte.

 

Ein für mich beispielhaft schlechter Text. Gut als Anschauungsmaterial für einen künstlerischen Schreiblehrgang geeignet. Die Teilnehmer könnten damit lernen, wie man möglichst nicht erzählen sollte.


Zur Begründung:

1. Der Text ist an etlichen Stellen übermäßig pathetisch.
2. Einige Sätze oder Satzteile ergeben keinen Sinn oder stellen falsche Sachbezüge her
3. Einige Sätze widersprechen sich selbst oder anderen Sätzen des Textes gegenüber
4. Der Text stellt zahlreiche Behauptungen auf, die dieser nicht weiter illustriert und lässt weiterhin für das Verständnis des beschriebenen Geschehens relevante Details unter den Tisch fallen.
5. Der Text ist stilistisch nicht konsistent
6. Der Text ist für eine Kurzgeschichte zu handlungsarm


Falls Interesse besteht veranschauliche ich diese Kritik anhand passender Beispiele.

 
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Hallo!

Nach deiner Kritik hab ich erst überlegt den Text zu überarbeiten mich aber dennoch dagegen entschieden.


Es ist ein Text, für den ich zu 98% Schelte eingesteckt habe, was ich z.T. auch nachvollziehen kann. Dennoch denke ich , dass er nicht unentschlüsselbar und so mies und inkonsistent ist wie du proklamierst. Dennoch gebe ich zu, jetzt mit einigem Abstand betrachtet, dass er in seiner Hauptaussage für jeden Einzelnen nicht unbedingt sofort ersichtlich ist. Das ist jetzt keine Aussage, die Arroganz vermitteln soll. Ich weiß selber, dass ich noch sehr viel zu lernen hab. Dennoch versuche ich immer doch hinter meinen Texten zu stehen. Soviel dazu. ;)

Deinen Vorwurf zum übertriebenen Pathos kann ich nicht unterstützen, da dieser Pathos wichtig zur Erschließung der Aussage des Textes ist.

Und auch die Kürze des Textes ist gewollt. Klar, viele Bilder werden nur angerissen. Aber auch das ist bewusst von mir so gestaltet worden. Ob das letztlich gut oder schlecht ist bleibt natürlich jedem selbst überlassen. In eine schematische Erzählstruktur ließ und lasse ich mich eh nicht pressen. Mögen viele nicht gut und dumm finden. Aber ich habe ja nicht den Anspruch diesem Schema zu entsprechen.

Handlungsarmut? Finde ich persönlich einen nachvollziehbaren Kritikpunkt, aber nur in einer oberflächlichen Betrachtungsweise. Denn gerade aus dieser Armut gewinnt das Bild des Protagonisten seine Bedeutung. Weitere Figuren und Handlungen würden meine Schreibintention umkehren und von ihr unnötig ablenken.

Ich hab mich mal dazu entschieden, ein bißchen über den Text aus meiner Sicht zu berichten.
laut meinem Verständnis wollte ich schon das Bild eines Engels zeichnen, der sich auf einem Berg "ÜBER den anderen schwebend" auf die Welt herabblickt. Wie einige Stellen andeuten war er nicht immer ein Engel gewesen, da er vorher salzige Tränen geweint hatte und nun dem Verlust der "menschlichen Regungen" hinterhertrauert (siehe auch die Wut gegenüber den Schiffen, die in ihrer für ihn nicht zu ertragenden menschlichen Freiheit über das Meer fahren, als wüssten sie nicht, was sie ihm damit antun). Ein weiteres Anzeichen des Engelsstatus' ist die "Reinheit" der Tränen und eben seine Schwingen, seine eigentliche "Last". Die schuppigen Hände bieten einen zusätzlichen Anhaltspunkt des Verfalls des "Mensch-Seins".
Die modrige Luft bietet m.E. nur ein Gegenbild zum eigentlichen Bild des Himmels als christliches Heilland; das Paradies wird hier für den Protagonisten zur sinnbildlichen Hölle (daher auch der "Schwefelgeschmack" im letzten Satz der Geschichte).
Die weiteren Bilder (wie der bspw. Prometheus bauen dieses Bild nur weiter aus und bedürfen natürlich einige Kenntnisse zum Prometheus und auch seiner Behandlung in der Literatur, wie bspw. bei Goethes "Prometheus" im "Sturm und Drang").

So, zur Interpretation möchte ich mich nicht groß äußern. Als angehender Germanist hab ich als erstes gelernt, dass es gemäß der verbreitesten Hermeneutikposition keine allumfassende Allgemeinaussage gibt. Natürlich, ich hab mir was bei der Geschichte gedacht. Dennoch möchte ich Platz zu einer eigenen Interpretation lassen(es sei denn es wird ausdrücklich gewünscht ;) ).

Desweiteren möchte ich nochmal klar sagen, dass ich wirklich ganz klar weiß, dass ich kein großer Literat bin und auch nicht meine ganzen Texte mit eben dieser Arroganz betrachte. Sonst hätte ich eine Überarbeitung nicht in Betracht gezogen. Doch stehe ich (noch :D ) zu dem Text. Weiteren Diskussionen bin ich aber nicht abgeneigt. :thumbsup:

Über eine Rückmeldung freuen! :)

 

Hallo, ich bin die Rückmeldung.

Ich bin ein Text, der sich selbst schreibt. Ich benötige keinen Autoren um mich zu äußern und bin darüber hinaus fähig, selbstständig fremde Texte zu rezipieren.

Ich habe gerade Gesellschaft gefunden, denn auch der oben stehende Text "Schwingen der Zeit" scheint ganz ohne einen Erzähler auszukommen.
Es sei denn, der beschriebene Held erzählt sich selbst - in der dritten Person. Da ich aber nicht an Engel glaube, gehe ich eher davon aus, dass sich dieser Text - so wie ich es ja auch für gewöhnlich tue - selbstständig geschrieben hat.

Besagter Text ist ganz offenbar einer der pathetischen Sorte. Erst neulich auf dem Textmarkt in der Innenstadt hab ich eine Menge anderer Sorten gesehen: prosaische, lakonische, moderne, profane Texte... nicht wenige davon zwar mit mehr oder weniger unschönen Kitschflecken verunziert, aber insgesamt war die Auswahl doch recht groß.

Weiterhin vermag ich zu bemerken, dass besagter Text sich offenbar gegenüber seinem Inhalt an seiner statt ganz gerne in den Mittelpunkt der Rezeption stellt. Besonders fällt mir das an den Stellen auf, an denen suggestive wie rhetorische Fragen gestellt werden. Aber auch die betont auktoriale Erzählweise lässt einen nie vergessen, wer gegenüber diesem Text das Sagen hat.

Der Pate des Textes spricht von einer Wichtigkeit des pathetischen Stils des Textes hinsichtlich der Aussage desselben. Jedoch vermag ich ihm keinen Glauben zu schenken, denn einem Text, der selbst "der Zeit" "Schwingen" verleiht und ein "Dilemma" mit Hilfe von "Flügeln" zu tragen (oder auch nicht mehr zu tragen) vermag..., ja, auch einem solchen Text vermag ich schon nicht zu glauben, wovon er erzählt.

Daraus folgt für mich, dass ich annehmen muss, über das tatsächlich Geschehene, wovon der Text zu erzählen vorgibt, nichts zu erfahren. Der Inhalt des Textes verschiebt sich damit für mich von der Sachebene auf die Stilebene. Ein Stil erzählt sich selbst. Für meinen Anspruch unbefriedigend.

 

Hallo Mitsurugi,

du wolltest Rückmeldungen, und so habe ich mich mal drangesetzt und ein bisschen Zeit investiert. Ich hoffe, es bringt dir was. Ich habe auf jeden Fall was dabei gelernt.

*Witzel-Modus on*

Es ist ein Text, für den ich zu 98% Schelte eingesteckt habe
Bedeutet das, du hast ihn noch 49 anderen gezeigt, die ihn alle schlecht fanden? :D
*Witzel-Modus off*

Zum Inhalt:

laut meinem Verständnis wollte ich schon das Bild eines Engels zeichnen, der sich auf einem Berg "ÜBER den anderen schwebend" auf die Welt herabblickt.
Schade, kommt nicht rüber
Was war nur aus ihm geworden? Ein trauriges Bildnis seiner Selbst, dessen war er sich sicher, die schuppigen Hände
das klingt nach einem alten Mann

In dieser Unfähigkeit lag dann auch schließlich das Dilemma,
Ein Dilemma hat zwei Teile. Unfähigkeit und ?

Konnte er denn dann überhaupt noch Teil dieser Zeit, dieser Welt, seiner Erscheinung sein oder war er, hier oben auf dem Berg, gleich dem Prometheus oder eher gleich den Krähen, die ihn innerlich zerhackten, sich und seinem Dasein ausgeliefert?
häh? Welchen Bezug willst du hier herstellen? zu Prometheus könnte man noch einen Bezug erahnen, aber bei den Krähen beißt sich der Hund in den Schwanz ( :aua: ), falscher Bezug (Setze natürlich einige Kenntnisse zum Prometheus und auch seiner Behandlung in der Literatur, wie bspw. bei Goethes "Prometheus" im "Sturm und Drang" bei mir voraus, denn Goethes "Prometheus" bildet den Kern in meiner Geschichte Götterdämmerung oder der Abschied des P.)

Natürlich, er vermochte von hier auf sie herabzublicken, was dennoch für ihn keine Überlegenheit bedeutete. Denn was nutzte ihm seine Position, wenn die Einsamkeit ihm verwehrte seine Überlegenheit mitzuteilen?
kein Indiz für Überlegenheit, eher für Abgehobensein

Daher war sie für ihn im Umkehrschluss ohne Relevanz und folglich non-existent. Immer wieder die Suche nach der Existenz ... - wurde Teil des Horizonts, der ihn mit unsäglicher Sanftheit schon vor langer Zeit empfangen hatte.
:bla:

Immer wieder die Suche nach der Existenz und im Resultat das Schmunzeln darüber.
völlig unmotiviert: wer schmunzelt, warum?

Zum Stil:

die schuppigen Hände sprachen ihre eigene Sprache, wie kleine Münder, die mit ihren spitzen Zähnen an seiner Achtung nagten.
Was´n das für´n Bild, Hände wie Münder?

bittere Tränen, ...waren sie im Laufe der Zeit immer öfter ohne Geschmack, ohne erkennbare Farbe geblieben.
welche Farbe haben deine Tränen?

der Verlust der sich selbst produzierenden Menschlichkeit - der Verlust der sich selbst produzierenden Menschlichkeit
sich selbst reproduzierende Hohlphrasen


Gruß, Elisha

 

Danke, Elisha. Stimme mit deinen Kritikpunkten voll überein.

Das könnte man jetzt auch noch gut drei Seiten lang weiterführen. Der Text ist einfach weitgehend unstimmig, an vielen Stellen unnötig ausschweifend und darüber hinaus insgesamt unklar.

Nur noch ein weiteres Beispiel neben vielen anderen, die mir persönlich auffallen: Zu Beginn trägt die "Zeit" "Schwingen". Am Ende trägt "er" "Schwingen". Ist "er" nun die "Zeit"? Oder hat sich die "Zeit" von ihren "Schwingen" gelöst und einem anonymen "ihm" zum Geschenk gemacht? Oder tragen am Ende beide diese "Schwingen"? Wenn ich auf solche Unklarheiten stoße, die auch nicht mehr durch den lyrischen Stil zu rechtfertigen sind, kann ich einen Text nicht mehr ernst nehmen.

 

Hier ist eine Rückmeldung, die auf dem Standpunkte steht, daß "Logik" für einen Prosatext keine Notwendigkeit ist. Dieser Text erzeugt ein starkes Bild, einfach durch die Sprache, eben den Stil, nicht primär durch den Inhalt. Das finde ich legitim. Bildbrüche o.ä. zum Vorwurf zu machen, zieht aus diesem Grunde auch nicht - wo keine Logik ist, funktioniert jedes Bild.
Allerdings ist die Handlungsarmut tatsächlich ein Problem, da es die Handlung ist, die eine Geschichte zu einer Geschichte macht (jedenfalls nach hier gängiger Definition des Begriffes). Der Text wäre sicher ein schöner Teil einer Geschichte, aber auf sich alleine gestellt kaum als solche aufzufassen.

Zur Interpretation: Ein Engel ist mir nicht in den Sinn gekommen, aber die Themen "Altern" und "(falsche) Überlegenheit" konnte ich aus den Bildern gut herauslesen. Ich dachte eher an eine Art verbitterten, weisen, alten Mann, der über die Welt verzweifelt.

 

Hi mitsurugi!

So im Prinzip lese ich gern mal solche Texte mit sehr bildhafter Sprache, aber hier fehlt mir eine direktere Ansteuerung der Aussage. Was ich mitnehmen konnte ist die Tatsache, dass dem Engel (und nicht nur ihm) selbst Überlegenheit nicht nutzt, wenn sie nicht in einer, na, sagen wir Gemeinschaft anwendbar ist.
Wenn ich das richtig verstanden habe, ist der Himmel für ihn eher höllisch, welche Schuld liegt auf ihm?

aquata

 

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