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Sechster Sinn?

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10.05.2005
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Sechster Sinn?

Schon seit mehreren Tagen begann der Winter sich in das kleine Städtchen einzunisten. Immer kältere Stunden verhindern die schönen Spaziergänge in der Sonne durch den Wald. Und ausgerechnet an diesem Nachmittag hatte ich meinen Mantel vergessen. Solange ich im warmen Krankenhaus durch die Patientenzimmer streifen konnte, ging es mir noch ziemlich gut. Ich unterhielt mich mit ihnen übers Wetter, die bevorstehenden Weihnachtseinkäufe und die großen Treffen der Familien an Heiligabend. Es war eine schöne Arbeit als Praktikantin. Ich machte eigentlich die gleiche Arbeit wie die Krankenschwestern, außer die fleischigen und blutigen Dinge natürlich. Die überließ ich getrost den Examinierten.
Wie an jedem anderen Tag sonst, ging ich auch heute wieder mit meiner Kollegin durch die Zimmer und sah nach den Patienten. Von Bett zu Bett wechselte ich den Matratzenbezug, schüttelte Kissen aus und maß hier und da Blutdruck oder Puls. Es schien mir nichts ungewöhnlicher als die Tage zuvor. Frau Pauli erzählte mir noch von ihren Kindern, die sie über die Festtage besuchen wollten. Selbst wenn sie dann noch im Krankenhaus liegen sollte, dessen war ich mir sicher, würde sich diese Frau nicht davon abhalten lassen, eine ordentliche Fete steigen zu lassen. Wobei ich ihr natürlich mit vollem Herzen behilflich wäre.
Nachdem ich noch über die Tische und Stühle wischte, nahm ich die Schmutzwäsche mit und wollte mich gerade verabschieden, als Frau Pauli plötzlich sagte: „Schwester!! Bitte sehen sie doch mal nach der Frau Bengheim. Ich glaube, der geht es nicht allzu gut.“ Da ich kurz vorher noch bei allen Blutdruck und Puls gemessen hatte, und wirklich alles in Ordnung schien, war ich doch leicht verdutzt.
„Keine Angst, Frau Pauli. Ihrer Zimmernachbarin geht es blendend. Sie hat sogar bessere Werte heute Abend als sie. Nicht, dass ich mir um sie noch Sorgen machen muss.“
Nach diesen Worten sah sie zwar ziemlich bedrückt drein, gab sich aber jedoch zufrieden mit meiner Diagnose.
Ungefähr drei Stunden später saß ich zusammen mit zwei anderen Krankenschwestern in unserem Stationszimmer und schmierte mir genüsslich mein Butterbrot, als es klingelte.
„Hey, Melinda! Könntest du gerade gehen? Ich sitze mal gerade seit fünf Minuten!“
„Wie?? Wohin denn gehen?“ Wahrscheinlich arbeitete sie auch schon zu lange, denn die Müdigkeit ließ sie immer leicht in ihre Welt abschweifen. „Na, auf die Klingel, du Dummchen!! Nach Hause bestimmt noch nicht.“ Jetzt sah sie mich doch leicht verwirrt an: „Es hat doch überhaupt nicht geklingelt.“ „Natürlich. Es klingelt ja immer noch!“ Nachdem mich auch noch Jessika darauf aufmerksam machte, nicht zu hören, gab ich es schließlich auf und ging einfach auf dem Flur nachsehen. Doch so sehr ich mir auch den Hals verrenkte, keines der Anwesenheitslämpchen über den Türen zeigte an, dass jemand schellte.
Zehn Minuten später hörte ich wieder dieses mir mittlerweile im Alltag nur zu gut bekannte Geräusch. Diesmal fragte ich die anderen beiden gar nicht erst, sondern sah direkt auf dem Flur nach. Nichts. Keines der Lämpchen brannte. Doch als ich mich schließlich Richtung Zimmer 7 näherte, wurde das Klingeln immer deutlicher und irgendwie dringlicher.
Nach kurzem Zögern drückte ich dann doch die Klinke herunter und betrat das im Mondlicht getauchte Zimmer. Alles schien still. Niemand war mehr wach. Wie ich es schon vermutete. Aber als ich den Raum wieder verlassen wollte, rief plötzlich jemand nach mir.
„Schwester!! Bitte sehen sie doch mal nach der Frau Bengheim. Es geht ihr wirklich schlecht. Sie sagt, sie bekommt keine Luft.“ Als ich mich umdrehte, sah ich in das hellwache Gesicht von Frau Pauli. „Ach, sie haben geklingelt! Hat Frau Pauli gestöhnt, oder wie kommen sie auf ihre Vermutung?“ „Sie sagt immerzu, dass sie keine Luft bekäme und es ihr schlecht geht. Sie sagt es immer noch.“ „Ich höre aber nichts. Sie schläft doch tief und fest.“ Ich konnte nicht wirklich zuordnen, ob diese Dame hier vor mir nur träumte oder wirklich etwas nicht stimmte.
Ich verließ mich einfach auf den Rat meiner Mutter: „Sobald du denkst, irgendetwas stimmt nicht, ruf sofort Hilfe und unternimm etwas.“
Das tat ich auch. Mit eiligen Schritten ging ich ins Schwesternzimmer und sagte den beiden Bescheid. Trotz der erstaunten Gesichter von Melinda und Jessika begleiteten sie mich zu Frau Bengheim. Und als wir im Zimmer ankamen, lag sie doch tatsächlich total schief im Bett und röchelte unnachgiebig nach Luft. Sie erbrach sich und hielt verkrampft die Hände vor die Brust. Von da an ging alles Schlag auf Schlag. Ich rief das Notarztteam und die dementsprechenden Maßnahmen wurden eingeleitet um dieser Frau das Leben zu retten.

Ich weiß noch immer nicht, wie es dazu kam oder warum wir vorher nichts bemerkten, aber der größte Schock kam am nächsten Morgen. Meine Stationschefin kam ganz aufgelöst ins Stationszimmer gerannt und berichtete uns vom Tod der Frau Pauli. Es traf mich wie einen Schlag. „Das kann nicht sein. Ich habe doch gestern Abend noch mit ihr gesprochen. Sie war topfit.“ „Quatsch. Topfit war sie schon lange nicht mehr, sagte Melinda, sie litt bereits Jahre an ihrem schlimmen Herzleiden.“ „Ja, aber ich könnte schwören...“ „Ach und außerdem, unterbrach sie mich, war sie gestern Abend noch bei einer OP, und hatte daher eine Narkose bekommen. Die Frau hat bestimmt für sechs Stunden schon mal durchgeschlafen. Zudem, so wie sie aussieht, wird sie wohl schon längere Stunden tot sein.“
Ich konnte es nicht glauben. Nie konnte ich mir erklären, was da passiert war. Auch nicht warum nur ich die Klingel hörte und wie man mit einer bereits Verstorbenen reden kann. Doch eins weiß ich. Niemals wieder wäre ich einem so lieben Weihnachtsengel wie Frau Pauli begegnet.

 

Hallo Sarah,
bisher hast du zwar einige Geschichten gepostet, aber noch nie einen Kommentar zu einer fremden Geschichte verfasst. Deshalb verschiebe ich Lesen und Kommentare zu deinen Geschichten auf einen späteren Zeitpunkt, an dem das Verhältnis zwischen geposteten und kommentierten Geschichten ausbalancierter ist.
Gruß, Elisha

 

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