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Sechzig Milliliter Herrenduft
Er stand unter der Dusche in ihrem Appartement. Die Nacht hatte er bei Lea verbringen können, da seine Frau für das Wochenende ein Seminar über Mentaltraining in der Lüneburger Heide gebucht hatte. Seit die Kinder aus dem Haus waren, unternahm sie öfter solche Exkursionen. "Ob sie damit vor ihm flüchtete?" schoss es ihm durch den Kopf.
Er verließ die Dusche und öffnete das Fenster, damit der Wasserdampf, der das winzige Badezimmer einnebelte, abziehen konnte.
Vorsichtig rubbelte Ludger seine Haare trocken und achtete darauf, dass er mit dem Handtuch nicht versehentlich die Fläschchen, Tiegel und den sonstigen Krimskrams von der Ablage fegte. Nachdem er seine Unterwäsche angezogen hatte, stellte er fest, dass seine Haut noch unangenehm feucht war. Es dauerte immer ewig, bis sich der Dunst aus dem engen Raum verflüchtigt hatte.
„Kommt mein Phönix noch mal kuscheln?“ säuselte Lea, als er aus dem Bad kam. Sie lag nackt auf dem Bett, bemüht, eine aufreizende Pose einzunehmen.
Lea war eine hübsche Dreißigjährige. Sie hatte eine gute Figur, die sie mit zaghaftem Essen und viel Sport im Fitnesscenter auf exakt sechsundfünfzig Kilo hielt. Vor gut einem Jahr lernten sie sich auf der Weihnachtsfeier kennen, auf die Ludgers Chef großen Wert legte. Lea gehörte zum Mitarbeiterteam der Eventagentur, die die Feier ausrichtete. Dass er mit ihr und nicht ein Verhältnis mit einer jüngeren Kollegin hatte, machte Ludger fast stolz. In bekannten Gefilden erfolgreich jagen konnte jeder, und so rümpfte er die Nase über die Tête-à-Têtes unter den Kollegen. Er tat sie als „Bürogefummele“ ab, die nur dem Klatsch der Anderen dienten. Lea und ihn verband da mehr. Er war überzeugt, dass sie an Ludger dem Mann und nicht Ludger dem Abteilungsleiter Gefallen fand. Allerdings hatte sie noch niemals den Wunsch geäußert, nicht mal andeutungsweise, dass sie gerne aus ihrem Verhältnis eine Beziehung gemacht hätte. Selbst die Frage, ob er sie liebe, wurde ihm nie gestellt. Wenn er darüber nachdachte, was er selten tat, dann erklärte er es sich damit, dass sie beide erwachsen genug waren behutsam mit ihrer Liebe umzugehen. Wäre er ehrlich zu sich gewesen, hätte er sich eingestehen müssen, dass es sein Ego ärgerte, da sie nicht mehr verlangte. Andererseits würde es ihm die undankbare Aufgabe der Entscheidung auferlegen, worüber er erst recht nicht nachdenken wollte.
„Immer wieder gerne, mein Kleines“, sagte er und drückte ihr einen flüchtigen Kuss auf die Stirn, „aber heute ist Sonntag, da bin ich mit Klaus auf dem Tennisplatz. Das weißt du doch!“
„Ja, ja der liebe Klaus, der ist natürlich wichtiger als die kleine Lea“, entgegnete sie und er war sich nicht sicher, ob es ein Vorwurf oder bloß eine Feststellung war. „Was macht eigentlich deine Frau am Wochenende, so ganz ohne ihren Mann?“ „Sie stärkt ihr mentales Ich am Busen der Natur.“ Lea legte sich auf den Rücken und verschränkte die Arme hinter dem Kopf: „So, so am Busen der Natur,“ resümierte sie und schaute gegen die Decke: „Alleine?“ „Nein, mit zwei Freundinnen.“ Was interessierte sie sich plötzlich für seine Frau? Lea drehte sich zu ihm um: „Mit zwei Freundinnen? Bist du dir da sicher?“ Sie schaute ihn herausfordernd an. Für einen Moment verspürte er den Impuls, ihr eine Ohrfeige zu geben wie einem kleinen Kind, dass etwas Unartiges gesagt hatte.
„Was meinst du damit?“ Fragte er und im selben Moment ärgerte er sich, auf ihre Provokation eingestiegen zu sein. „Nichts“, sagte sie unschuldig und schlüpfte in ihren Bademantel. Ludger stand schon in der Tür und sah zu ihr rüber: „Ich bin jetzt weg, Kleines.“ Er könnte mal eine Wäsche vertragen, dachte er beim Hinausgehen und ließ sie in ihrem fleckigen Mantel stehen.
Er freute sich auf das Tennisspiel mit Klaus. Klaus war sein bester Freund, ein ehrgeiziger Sportler und seit drei Jahren geschieden. Seine Ex-Frau Miriam war wieder verheiratet und ihr neuer Mann war der Grund ihrer gescheiterten Ehe. Ludger erinnerte sich noch gut an das ewige Hin und Her zwischen den beiden. Sie hatten mehrere Versuche unternommen ihre Ehe zu retten, bis Miriam sie schließlich doch beendete. Klaus, der an einem Tag guter Hoffnung und am nächsten Tag voller Verzweiflung war, zerrte damals erheblich an Ludgers Nerven. Seiner Meinung nach litt Miriam an mangelndem Realitätssinn.
Klaus gegenüber sprach er von „Panik, hervorgerufen durch ein aus den Fugen geratenem Hormonhaushalt beginnender Wechseljahre.“ Obwohl er Miriam immer gemocht hatte, fand Ludger sie damals verlogen und feige. Schließlich hatte ihr Mann das Verhältnis erst aufdecken müssen, bevor sie mit der Sprache, was ihr alles mißfiel, rausrückte. Anfangs konnte er den Schock verstehen, unter dem der Freund litt. Wer erfährt schon gerne vom Fremdgehen seiner Frau? Aber Klaus` Verhalten in der Krise war für Ludger schlicht und ergreifend unmännlich.
Miriams Ehebruch brachte Ludger häufig um den sonntäglichen Sport. Statt zu spielen wollte Klaus reden. Das hatte erst ein Ende, als er eine nette Frau kennen lernte. Die Beziehung hielt zwar nicht lange, aber danach hatte die Trauer um Miriam endlich ein Ende, was Ludger aufatmen ließ.
Klaus wußte von seinem Verhältnis mit Lea. Obwohl Ludger öfter das Bedürfnis verspürte, über seine Liaison zu sprechen, hielt er sich zurück. Er wollte keine gutgemeinten, aber überflüssigen Ratschläge. Wer sagte ihm denn, ob Klaus die Situation überhaupt richtig einschätzen konnte. Möglicherweise wollte sein Freund nicht mal damit behelligt werden, was Ludger allerdings unfair gefunden hätte. Schließlich hatte er geholfen die Scheidung zu verarbeiten. Als er Klaus von Lea erzählte war sein einziger Kommentar: „Der Krug geht solange zum Brunnen bis er bricht.“ Was wollte Ludger damit anfangen?
Sie spielten ein anstrengendes Match, das Ludger gewann. Als sie aus der Tennishalle gingen, klopfte Klaus ihm auf die Schulter: „ Hey, Alter, warst heute wirklich in guter Form! Bin ganz schön ins Schwitzen gekommen!“ Ludger freute sich über das Lob. Es kam nicht oft vor, dass er den gut trainierten Freund besiegte. „Woran liegt`s? War die letzte Nacht mit Lea geruhsam?“ foppte Klaus. Ludger zog eine Grimasse: „Woher weißt du, dass ich bei Lea war?“ „Ich habe Elisabeth getroffen. Sie erzählte mir von ihrem Mentaltraining am Wochenende, also hattest du sturmfrei.“ „Aha,“ raunzte Ludger. Elisabeth hatte ihm gar nichts davon erzählt. „Sah richtig gut aus, deine Frau“, fuhr Klaus fort. „Hattest ja schon immer eine Schwäche für sie,“ bemerkte Ludger, der nicht wirklich Lust hatte über Elisabeth zu sprechen. „Ja, stimmt. Sie ist eine attraktive und auch eine sehr interessante Frau.“ erwiderte Klaus. Was sollte das? Wollte Klaus ihm ein schlechtes Gewissen einreden oder ihn gar bekehren? „Ich frage mich nur manchmal: Bekommt sie wirklich nicht mit, dass du ihr fremdgehst? Ich meine, der Partner verhält sich doch plötzlich anders, das muß sie doch merken.“ Ludger hatte sich das selbst schon gefragt, ohne sich jedoch um eine Antwort zu bemühen.
Auf der Heimfahrt im Auto dachte Ludger an Elisabeth. Sie war in der Tat ein vielseitig interessierter Mensch. Er erinnerte sich an lange, gute Gespräche mit ihr. Seit zweiundzwanzig Jahren waren sie verheiratet, in denen sie ein Haus gebaut und zwei Kinder großgezogen hatten. Elisabeth war weiter berufstätig geblieben, so dass sie sich jedes Jahr einen Urlaub und in regelmäßigen Abständen ein neues Auto leisten konnten. Sie pflegten einen gemeinsamen Freundeskreis, gestatteten sich aber auch gegenseitig den Freiraum, einen Teil ihrer Freizeit ohne den Partner zu gestalten. Es hatte immer gemeinsame und getrennte Interessen gegeben.
Ihr Sohn Marc hatte vor drei Jahren das Elternhaus verlassen, um in Berlin Medizin zu studieren. Letztes Jahr war dann auch Nadine ausgezogen. Sie hatte eine Lehrstelle als Mediengestalterin angetreten und teilte sich mit ihrer Freundin Kati eine kleine Wohnung in der Stadt. Er und Elisabeth waren dadurch noch unabhängiger geworden. Elisabeth buchte Kurse und verabredete sich mit Freundinnen. Ludger trieb Sport und verabredete sich mit Lea. Die letzten gemeinsamen Unternehmungen waren Nadines Umzug und ein Besuch bei den Schwiegereltern, da Elisabeths Mutter ihren Siebzigsten feierte.
Ludger fragte sich, was man wohl bei einem Mentaltraining lernte.
Sie hatten vereinbart, dass er Elisabeth vom Bahnhof abholen sollte. Er kam gerade auf dem Gleis an, als der Zug einlief. In den vorbei ratternden Waggons versuchte Ludger seine Frau zu entdecken. Als der Zug endlich hielt, sah er sie aus einem Wagen weiter vorne aussteigen und eilte zu ihr. Von Weitem sah er, wie sie sich mit ihren mitgereisten Freundinnen lachend unterhielt. Es schien ein entspanntes Wochenende gewesen zu sein. Ludger begrüßte die Drei mit einem “Hallo“. Für Sabine und Tanja gab es Küsschen rechts und links auf die Wangen, für seine Frau einen Kuß auf den Mund. „Na, wie war`s?“ fragte er gutgelaunt, während er Elisabeth den kleinen Koffer abnahm. „Wir sind jetzt nicht mehr nur ‘Gehirn-Besitzer’, lieber Ludger, wir sind jetzt auch ‘Gehirn-Benutzer’“, bemerkte Tanja im scherzenden Ton. „Ja, genau“, alberte Sabine weiter, „wir wechseln im Handumdrehen vom ‘Betazustand’ in den ‘Alphazustand’.“ Beide Frauen kicherten wie zwei Teenager. Elisabeth stand schweigend daneben. Zusammen verließen sie das Gleis und stiegen die Treppe zu den Ausgängen hinab. Tanja und Sabine wollten zum Haupteingang zu den Taxen, Ludger und Elisabeth mussten zum Parkhaus über den Hinterausgang. Man verabschiedete sich und wünschte sich noch einen schönen Sonntag. Auf dem Weg zum Auto fragte Ludger erneut: „Wie war`s? Erzähl mal!“ „Ganz gut“, erwiderte Elisabeth knapp. „Wie ‘ganz gut’? Mehr nicht?“ „Es war stellenweise aufschlußreich, aber auch anstrengend“, bemerkte sie etwas ausführlicher. „Was bedeutet vom ‘Betazustand’ in den ‘Alphazustand’?“ wollte Ludger wissen. Elisabeth rieb sich die Schläfen. „Jetzt nicht“, erklärte sie, „lass uns nach Hause fahren. Ich bin müde. Wo hast du das Auto geparkt?“ Mit ihren Freundinnen konnte sie lachen, mit ihm nicht mal ein paar nette Worte wechseln. „Aber ganz wie du willst“, dachte Ludger beleidigt.
Am nächsten Tag erzählte er ihr, dass er ein Meeting hätte und der Chef anschließend zum Abendessen einladen würde. „Kann spät werden“, sagte Ludger und wunderte sich, wie leicht ihm das Lügen fiel. „Hm, okay“, nuschelte Elisabeth, ohne von ihrem Buch aufzusehen, in das sie gerade vertieft war. Sie schien ihm jede Lüge zu glauben. Warum wurde sie nie stutzig? Er hatte noch nie so viele berufliche Termine wie in den letzten Monaten, das musste ihr doch aufgefallen sein? Ludger dachte das erste Mal an die Möglichkeit, dass Elisabeth ihrer Ehe überdrüssig war.
Lea erwartete ihn schon. Wie immer war sie perfekt gestylt. Sie trug Hüftjeans und darüber ein beiges Top im Lingerie-Look. Die glänzende Seide des Tops schmeichelte ihrer gebräunten Haut. Um den Hals trug sie eine verspielte Kette und die Riemchensandalen mit den hohen Absätzen verliehen ihr unendlich lange Beine. Das dezente Make-up und die Haare, die sie offen trug, gaben ihr eine mädchenhafte Ausstrahlung, die Ludger sehr sexy fand.
Sie wollten portugiesisch essen gehen. „Was wollen wir nach dem Essen unternehmen?“ fragte Lea fröhlich. „Mal schauen, Kleines“, sagte Ludger und hoffte, dass sie nicht schon wieder Tanzen vorschlagen würde. Einmal hatte er Leas Wunsch nachgegeben. In dem Lokal, das sie ausgewählt hatte, lag das Durchschnittsalter bei höchstens neunundzwanzig und Ludger fühlte sich den ganzen Abend unwohl in seiner Haut. Er tanzte eben nicht gerne.
Wahrscheinlich würden sie, wie eigentlich immer, in Leas Bett landen. Zu vorgerückter Stunde würde er sich dann übermüdet nach Hause quälen und hoffen, dass Elisabeth den Geruch der fremden Frau nicht wahrnahm.
Während des Essens erzählte Lea ihm von einem neuen Kollegen, mit dem sie ein großes Event eines wichtigen Kunden durchziehen sollte. Sie beschwerte sich darüber, dass man ihr dafür den noch unerfahrenen Mitarbeiter zur Seite gestellt hatte. „Alles wird an mir hängenbleiben, wie soll ich das schaffen“, meckerte sie, „das ist doch untragbar! Wie findest du das?“ „Du wirst das schon schaffen. Gib ihm eine Chance“, antwortete Ludger in väterlichem Ton. Lea verzog schmollend den Mund. Sie wechselte das Thema und berichtete von der Kollegin, mit der sie im Dauerclinch lag. Als sie bemerkte, dass auch diese Geschichte ihn nicht zu interessieren schien, stellte sie das Gespräch ein. Wer war sie denn, dass sie versuchte einen Stockfisch zu unterhalten.
Nachdem Ludger die Rechnung gezahlt hatte, verließen sie zügig das Restaurant und fuhren zu Lea. Er bremste den Wagen vor ihrer Tür, ließ den Motor aber laufen. „Kommst du nicht mit nach oben?“ fragte sie enttäuscht. „Nein Kleines. Ich muß meinen Chef morgen um fünf Uhr dreißig vom Flughafen abholen. Er kommt von einem Meeting aus München zurück. Das wird mir dann zu spät, nicht böse sein“, er beugte sich zu ihr rüber um ihr einen Abschiedskuß zu geben, aber Lea hatte den Wagen schon verlassen. „ Verstehe“, sagte sie „gute Nacht“ und schlug die Autotür hinter sich zu. Ludger fuhr los. Er hatte sie das erste Mal angelogen.
Zwei Wochen später machte Lea mit ihm Schluß. Sie erklärte ihm, warum sie der Meinung war, dass sie nicht zueinander passten und Ludger nickte verständnisvoll. Trotzdem kam er nicht umhin, sich mit einer theatralischen Geste von ihr zu verabschieden. Er hatte das Gefühl, dass sei er ihrem Verhältnis schuldig. Im Bad nahm er das Eau de Toilette, dass Lea ihm vor fast einem Jahr zum Geburtstag geschenkt hatte, von der Ablage. Der Flacon war fast leer. Ludger hatte das Parfüm nicht oft benutzt, da es seine Haut irritierte. Ihm fiel auf, dass selbst der Duft und die dazugehörenden Pickel an seinem Hals von Elisabeth entweder nie bemerkt oder einfach nicht kommentiert wurden.
Die Flasche Eau de Toilette war wie eine Eieruhr. Sechzig- Milliliter- Herrenduft- lang hatte seine Liebe zu Lea gehalten. Er hielt den Flacon gegen das Licht, schüttelte ihn kurz, seufzte und ließ ihn in seiner Jackentasche verschwinden. Dann verließ er Leas Appartement und ihr Leben.
Ludger fuhr nach Hause. Unterwegs hielt er kurz an und warf das Parfum in den Abfalleimer einer Bushaltestelle.
Obwohl er das Aus seiner Affäre letztendlich als Erleichterung empfand, fühlte Ludger sich müde und ausgelaugt. „Ein Jahr lang habe ich ein junges Ding gebumst und meine Frau betrogen“, dachte er verächtlich. Er stellte fest, dass er weder Elisabeth noch Lea gegenüber Gewissensbisse hatte. Vielleicht hätte er lieber ein schlechtes Gewissen als das Gefühl der Leere gehabt.
Ludger machte Elisabeth den Vorschlag, für ein verlängertes Wochenende an die Spree zu fahren. Sie hatten dort, kurz bevor Marc zur Welt gekommen war, in einer kleinen, gemütlichen Pension die letzten Tage als kinderloses Paar genossen. Die Pension gab es noch immer, und Ludger hatte bereits nach einem freien Zimmer gefragt. Elisabeth zögerte erst und fragte, ob es einen besonderen Grund für die Reise gäbe. „Soll ich am Ende unseren Hochzeitstag vergessen haben?“ meinte sie spöttisch. Für einen Moment bereute Ludger ihr den Vorschlag überhaupt gemacht zu haben. Dann aber wurde ihm bewußt, dass er für seine Ehe sonst keine Alternative hatte.
Als sie vor der Pension den Wagen abstellten, schaute Elisabeth ihn lächelnd an: „ Sieht noch genauso aus wie damals.“ Sie hatte ihn schon lange nicht mehr angelächelt und Ludger freute sich. Das Zimmer, das sie bezogen, roch nach muffigem Teppichboden und Ludger hätte schwören können, dass die vergilbte Tapete noch die Gleiche war wie vor einundzwanzig Jahren. „Laß uns einen Spaziergang machen. Vielleicht finden wir ja auch unsere Pizzeria wieder und essen dort zu Abend “, sagte er und Elisabeth willigte ein. Gemeinsam schlenderten sie durch das Dorf. Der Abend war mild und das strahlende Rot am Himmel versprach schönes Wetter für den nächsten Tag. „Erinnerst du dich daran, wie du damals sagtest, dass egal wieviel Kinder wir haben werden und egal wie anstrengend es werden wird, wir uns niemals aus den Augen verlieren dürfen?“ fragte Ludger. „Ja, daran erinnere ich mich“, nickte Elisabeth. Für eine Weile gingen sie schweigend nebeneinander her. „Haben wir uns verloren?“ fragte er vorsichtig weiter und fürchtete sich vor der Antwort. „Wir haben zwei Kinder“, antwortete sie traurig und Tränen schossen in ihre Augen. Bevor sie ihr über die Wangen laufen konnten, fing sie sie mit einem Taschentuch auf.
Ludger nahm sie in den Arm und sie ließ es zu.
Sie fanden die Pizzeria, aber der Besitzer und der Name hatten bereits zum vierten Mal gewechselt. Seine „Capricciosa“ schmeckte versalzen und den Lambrusco hatte er fruchtig und nicht so süß wie dieses Gesöff in Erinnerung.
Nach den dreieinhalb Tagen waren sie froh wieder nach Hause zu fahren. Sie hatten ausgiebige Spaziergänge bei wunderbarem Sonnenschein unternommen, morgens lange geschlafen und gut gegessen. Aber das romantische Dorf von einst, war ihnen nun als langweiliges Nest erschienen.
Als sie auf die Autobahn fuhren, dachte Ludger an die noch lange vor ihnen liegende Strecke.
Autobahnfahren war eintönig, und so hatte er das Gefühl einer nicht enden wollenden Heimfahrt.
Er stellte fest, dass ihm die Rückreisen schon immer viel länger vorgekommen waren als die Hinreisen. Aber er hätte nicht sagen können, woran das lag.