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Seelen on the rocks
Sie ist zart, ihr Blick scheu, der Schritt leicht. Es scheint fast, ihre Füße berühren den Boden gar nicht. Lautlos bewegt sie sich auf dem Asphalt. Ihr glattes Haar fällt glänzend auf ihre Schultern herab, gibt ihrem feinen Anlitz einen geheimnisvollen Rahmen. Das schwarze Kleid umhüllt ihren Körper, aber es verbirgt ihn nicht. Ein feingliedriges Geschöpf, welches Beschützerherzen anrührt.
Der Weg durch die Dunkelheit ist ihr vertraut. Schon als Kind ist sie hier entlang gegangen. Sie kennt jede Biegung der Straße. Jede Hauskante ist ihr vertraut. Sie lenkt ihre Schritte auf einen, hinter Hecken verborgenen Pfad. Sanft führt der Weg in eine parkähnliche Landschaft.
Die Dunkelheit legt sich wie fließende Seide auf ihre nackten Arme. Im Laufe der Jahre hat sie sich alle Unebenheiten des Bodens eingeprägt. Das ermöglicht ihr diesen beinahe lautlosen, schwebenden Gang eines Menschen, der mit keinem Hindernis zu rechnen braucht.
Sie geht erwartungsvoll vorbei an den alten, fast senkrecht gewachsenen Birken. Ihre Stämme sind von zerfurchtem Weiß, durchzogen von den zarten schwarzen Strichmalereien der Natur.
Kaum ein Geräusch ist vernehmbar. Nur hie und da ein Seufzen einer Baumkrone, das Aufflattern eines in der Nachtruhe gestörten Vogels.
Ein prächtiges Jugendstilhaus wird zwischen den Baumreihen sichtbar. Träge glänzt das Mondlicht in den verschlossenen Fenstern. Irgendwo kreischt ein Tier auf, dann ist es wieder still. Sie verweilt einen Moment, lauscht dem einzig verbliebenen Geräusch. Dem feinen Rascheln der Blätter im Abendwind. Eine ganze Weile steht sie regungslos.
Sie kann den Blick nicht von dem Haus abwenden. Einmal mehr, scheint sie ihm zu verfallen, sich in den Giebeln und steinernen Verziehrungen zu verlieren. Gleichzeitig spürt sie das Verlangen nach körperlicher Berührung. Sehnsucht nach Händen die über ihre weiße Haut streicheln.
Die Fassade des Hauses ist weiß und glatt wie eine Wand aus gefrorenem Schnee. Von den Fenstern klettern gold gefärbte Hecken aus Metall empor. Wuchern an kalten, dunkelblauen Steinfliesen entlang. Schlängeln sich hoch bis zum aufrecht gemeißelten Körper eines Engels in Frauengestalt und verlieren sich in den ebenmäßigen Flügeln.
Diese bieten nicht Schutz. Sie wahren Abstand. Die anmutige Himmelsbotin strahlt die Würde einer unnahbaren Siegerin aus. In ihrer ausgestreckten Hand hält sie einen goldenen Lorbeerkranz. Der Atem der Frau wird hörbar flacher, ihr Blick hingebungsvoll und gleichzeitig fordernd. Erregt gibt sie sich der eleganten Schönheit des Gemäuers hin.
Als Kind hat sie in einem der Bäume gesessen, stundenlang hinübergestarrt. Schon damals träumte sie davon die Villa in Besitz zu nehmen. Später musste der Wunsch einer regelrechten Besessenheit weichen. Was verspricht ihr dieses Haus? Schutz, Geborgenheit, ein Versteck, sucht sie eine Gefahr die es auszukosten gilt? Sie hat keine Antwort, nur das Begehren, Herrin dieser Mauern zu sein.
Langsam und ehrfurchtsvoll nähert sie sich dem Haus. Schreitet über den Kiesweg ohne den Blick von den stummen Fenstern zu nehmen. Bald steht sie vor der dunklen, fast schwarz anmutendenden Holztüre mit Messingbeschlägen. In die Tür ist ein bunt schimmerndes Glasfenster eingelassen. Dieses ist reich verziert mit wundersamen Ornamenten.
Sie schließt kurz die Augen. Lässt das helle Leuchten vor ihrem geistigen Auge entstehen, wenn Sonnenlicht das bunte Glas durchbricht. Farbige Schatten tanzen dann an der gegenüberliegenden Wand. Eine kurze Zeitspanne, in der Leben in das Haus eindringt, Wärme. Doch mit jeder Dämmerung kommt auch das Schaudern wieder. Macht Kühle und räumliche Distanz sich breit.
Sie berührt den Türklopfer, streicht sinnlich über das kalte Metall.
Das Tor öffnet sich wie von Zauberhand und legt den Blick frei auf die Eingangshalle.
Das schwarzweiße Schachbrettmuster des Fußbodens lockt sie verführerisch ins Innere des Hauses. Sie lässt ihren Blick über die Gemälde wandern. Landschaften von fast geometrischer Gleichmäßigkeit, aber intensiv in den Farben. Dazwischen Bildnisse distanziert wirkender Frauen, welche das Leuchten ihrer Augen zu verbergen suchen.
Sie betrachtet den Luster, bestehend aus unzähligen Glasröhrchen in denen sich das in Messing gefasste Licht bricht. Leise bewegen sich die feinen hohlen Glaskörper, spielen mit feinem Gesang im hereingelassenen Abendwind. Sie betritt das Gemäuer, welches sie gleichermaßen verschlingt.
Seine Anwesenheit witternd wendet sie sich um. Dort steht er, zur Hälfte in der dunklen Nische verborgen, und beobachtet forschend jede ihrer Bewegungen. Der Herr des Hauses.
Aalglatt, machtbesessen, erobert er als Kunsthändler die wertvollsten Arbeiten der alten Meister. Sie zu besitzen, sie zu erkaufen und sie zu benutzen oder damit zu handeln ist seine Leidenschaft.
Er betrachtet die elfenhafte Frau wie einen vom Leben geschliffenen Diamanten. Funkelnd und hart erkennt er ihn unter dem weich geformten Körper.
Mit abschätzendem Blick beurteilt seinen Wert.
Den einstigen Rohdiamant hatte er im Alter von dreizehn Jahren seiner wärmenden Schutzschicht beraubt. Vom Kind zur Frau gemacht. Das Schweigen des Mädchens erkaufte er mit einem kostbaren Armband aus der Zeit der Jahrhundertwende. Verziert mit dunkelroten Rubinen.
Das ist Jahre her, ihr Wert ist gestiegen, ihr Preis auch.
Der Mann schließt die Tür. Presst seinen Körper drängend an den der jungen Frau. Ihr sanftes, wohl berechnetes Winden in seinen Armen, übt einmal mehr unwiderstehlichen Reiz auf ihn aus. Sie ist sein Kunstwerk, von ihm, zu seiner Bereicherung erschaffen.
Er zieht sie behutsam an sich, um nichts von dem Zauber zu stören. In seiner Arroganz ahnt er nicht, dass weder seine Männlichkeit, noch seine Macht, weder Geld noch Einfluss, sondern einzig die Herrschaft über dieses Haus ihm gestattet, ihren feingliedrigen Körper bereits an der Schwelle in Besitz zu nehmen.
Sie sieht über seinen schwer auf ihr liegenden Körper hinweg. Blickt mit dunklen Augen auf die goldgeränderte Vase in der Glasvitrine. Betrachtet auf dem weißen Porzellan dünne, nach unten hin breiter werdende, schwarze Striche. Tränengleich laufen sie dem Vasenboden zu.
Dort füllen sie die Leere zweier einsamer Lorbeerblätter mit tiefem Schwarz.