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Seelen on the rocks

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08.08.2002
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Seelen on the rocks

Sie ist zart, ihr Blick scheu, der Schritt leicht. Es scheint fast, ihre Füße berühren den Boden gar nicht. Lautlos bewegt sie sich auf dem Asphalt. Ihr glattes Haar fällt glänzend auf ihre Schultern herab, gibt ihrem feinen Anlitz einen geheimnisvollen Rahmen. Das schwarze Kleid umhüllt ihren Körper, aber es verbirgt ihn nicht. Ein feingliedriges Geschöpf, welches Beschützerherzen anrührt.

Der Weg durch die Dunkelheit ist ihr vertraut. Schon als Kind ist sie hier entlang gegangen. Sie kennt jede Biegung der Straße. Jede Hauskante ist ihr vertraut. Sie lenkt ihre Schritte auf einen, hinter Hecken verborgenen Pfad. Sanft führt der Weg in eine parkähnliche Landschaft.

Die Dunkelheit legt sich wie fließende Seide auf ihre nackten Arme. Im Laufe der Jahre hat sie sich alle Unebenheiten des Bodens eingeprägt. Das ermöglicht ihr diesen beinahe lautlosen, schwebenden Gang eines Menschen, der mit keinem Hindernis zu rechnen braucht.

Sie geht erwartungsvoll vorbei an den alten, fast senkrecht gewachsenen Birken. Ihre Stämme sind von zerfurchtem Weiß, durchzogen von den zarten schwarzen Strichmalereien der Natur.

Kaum ein Geräusch ist vernehmbar. Nur hie und da ein Seufzen einer Baumkrone, das Aufflattern eines in der Nachtruhe gestörten Vogels.

Ein prächtiges Jugendstilhaus wird zwischen den Baumreihen sichtbar. Träge glänzt das Mondlicht in den verschlossenen Fenstern. Irgendwo kreischt ein Tier auf, dann ist es wieder still. Sie verweilt einen Moment, lauscht dem einzig verbliebenen Geräusch. Dem feinen Rascheln der Blätter im Abendwind. Eine ganze Weile steht sie regungslos.

Sie kann den Blick nicht von dem Haus abwenden. Einmal mehr, scheint sie ihm zu verfallen, sich in den Giebeln und steinernen Verziehrungen zu verlieren. Gleichzeitig spürt sie das Verlangen nach körperlicher Berührung. Sehnsucht nach Händen die über ihre weiße Haut streicheln.

Die Fassade des Hauses ist weiß und glatt wie eine Wand aus gefrorenem Schnee. Von den Fenstern klettern gold gefärbte Hecken aus Metall empor. Wuchern an kalten, dunkelblauen Steinfliesen entlang. Schlängeln sich hoch bis zum aufrecht gemeißelten Körper eines Engels in Frauengestalt und verlieren sich in den ebenmäßigen Flügeln.

Diese bieten nicht Schutz. Sie wahren Abstand. Die anmutige Himmelsbotin strahlt die Würde einer unnahbaren Siegerin aus. In ihrer ausgestreckten Hand hält sie einen goldenen Lorbeerkranz. Der Atem der Frau wird hörbar flacher, ihr Blick hingebungsvoll und gleichzeitig fordernd. Erregt gibt sie sich der eleganten Schönheit des Gemäuers hin.

Als Kind hat sie in einem der Bäume gesessen, stundenlang hinübergestarrt. Schon damals träumte sie davon die Villa in Besitz zu nehmen. Später musste der Wunsch einer regelrechten Besessenheit weichen. Was verspricht ihr dieses Haus? Schutz, Geborgenheit, ein Versteck, sucht sie eine Gefahr die es auszukosten gilt? Sie hat keine Antwort, nur das Begehren, Herrin dieser Mauern zu sein.

Langsam und ehrfurchtsvoll nähert sie sich dem Haus. Schreitet über den Kiesweg ohne den Blick von den stummen Fenstern zu nehmen. Bald steht sie vor der dunklen, fast schwarz anmutendenden Holztüre mit Messingbeschlägen. In die Tür ist ein bunt schimmerndes Glasfenster eingelassen. Dieses ist reich verziert mit wundersamen Ornamenten.

Sie schließt kurz die Augen. Lässt das helle Leuchten vor ihrem geistigen Auge entstehen, wenn Sonnenlicht das bunte Glas durchbricht. Farbige Schatten tanzen dann an der gegenüberliegenden Wand. Eine kurze Zeitspanne, in der Leben in das Haus eindringt, Wärme. Doch mit jeder Dämmerung kommt auch das Schaudern wieder. Macht Kühle und räumliche Distanz sich breit.

Sie berührt den Türklopfer, streicht sinnlich über das kalte Metall.
Das Tor öffnet sich wie von Zauberhand und legt den Blick frei auf die Eingangshalle.

Das schwarzweiße Schachbrettmuster des Fußbodens lockt sie verführerisch ins Innere des Hauses. Sie lässt ihren Blick über die Gemälde wandern. Landschaften von fast geometrischer Gleichmäßigkeit, aber intensiv in den Farben. Dazwischen Bildnisse distanziert wirkender Frauen, welche das Leuchten ihrer Augen zu verbergen suchen.

Sie betrachtet den Luster, bestehend aus unzähligen Glasröhrchen in denen sich das in Messing gefasste Licht bricht. Leise bewegen sich die feinen hohlen Glaskörper, spielen mit feinem Gesang im hereingelassenen Abendwind. Sie betritt das Gemäuer, welches sie gleichermaßen verschlingt.

Seine Anwesenheit witternd wendet sie sich um. Dort steht er, zur Hälfte in der dunklen Nische verborgen, und beobachtet forschend jede ihrer Bewegungen. Der Herr des Hauses.

Aalglatt, machtbesessen, erobert er als Kunsthändler die wertvollsten Arbeiten der alten Meister. Sie zu besitzen, sie zu erkaufen und sie zu benutzen oder damit zu handeln ist seine Leidenschaft.

Er betrachtet die elfenhafte Frau wie einen vom Leben geschliffenen Diamanten. Funkelnd und hart erkennt er ihn unter dem weich geformten Körper.
Mit abschätzendem Blick beurteilt seinen Wert.

Den einstigen Rohdiamant hatte er im Alter von dreizehn Jahren seiner wärmenden Schutzschicht beraubt. Vom Kind zur Frau gemacht. Das Schweigen des Mädchens erkaufte er mit einem kostbaren Armband aus der Zeit der Jahrhundertwende. Verziert mit dunkelroten Rubinen.

Das ist Jahre her, ihr Wert ist gestiegen, ihr Preis auch.

Der Mann schließt die Tür. Presst seinen Körper drängend an den der jungen Frau. Ihr sanftes, wohl berechnetes Winden in seinen Armen, übt einmal mehr unwiderstehlichen Reiz auf ihn aus. Sie ist sein Kunstwerk, von ihm, zu seiner Bereicherung erschaffen.

Er zieht sie behutsam an sich, um nichts von dem Zauber zu stören. In seiner Arroganz ahnt er nicht, dass weder seine Männlichkeit, noch seine Macht, weder Geld noch Einfluss, sondern einzig die Herrschaft über dieses Haus ihm gestattet, ihren feingliedrigen Körper bereits an der Schwelle in Besitz zu nehmen.

Sie sieht über seinen schwer auf ihr liegenden Körper hinweg. Blickt mit dunklen Augen auf die goldgeränderte Vase in der Glasvitrine. Betrachtet auf dem weißen Porzellan dünne, nach unten hin breiter werdende, schwarze Striche. Tränengleich laufen sie dem Vasenboden zu.
Dort füllen sie die Leere zweier einsamer Lorbeerblätter mit tiefem Schwarz.

 

Servus Barde!

Wenn solche Geschichten, wie ich vermutete, nicht so ganz auf deiner Linie liegen und dir dennoch so positive und anerkennende Worte entlocken, dann ist das schon was Besonderes für mich.

Lieben Gruß an dich - Eva

 

Hei Eulchen,

da haben wir sie wieder, die Kunst des Schreibens, Erzählens, Ausdrückens, Aufzeigens, Verdeutlichens. Ja, sehr tief ist dieser Text wieder. Ausserdem hast du eine sehr schöne Art Themen zu verpacken. Aq, würde wohl das gleiche Thema auch anpacken, aber ganz anders verpacken. Beide auf ihre spezifische Weise.

Interpretationen liegen, bzw. will ich nicht machen, Susi hat auch schon alles gesagt. Ich lese eher den Stil und der ist voll Kreativität.

Liebe grüsse stefan

 
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Servus Archetyp!

Ich habe echt gehofft, dass du diese Geschichte nochmals ans Licht holst. Die mochte ich nämlich beim Schreiben schon gern, ist quasi mein Geschichtenlieblingskind. Sie ist eine von denen, bei denen ich mein Leben raushielt und doch meine Gefühle fließen lassen konnte. Dafür bot sich der Jugendstil regelrecht an.

Wenngleich ich Interpretationen gerne mag, weil ich ganz andere Perspektiven von Menschen, ausgelöst durch meine Geschichte, erfahren kann --- du bist der Leser, du allein entscheidest, wie du mir in der Antwort begegnest. Und mit der hast mir ja eine Freude gemacht.

Lieben Gruß an dich und einen schönen Tag - Eva

 

Hallo Eva!

Eine sprachlich wunderbar zu lesende Geschichte, fast wie ein Märchen für Erwachsene. Gleichzeitig kühl und melancholisch, wie Judgendstil. Ich habe jetzt bewußt nicht die vorigen Kommentare gelesen und beschreibe dir somit einmal ganz "unbefangen" meine Interpretation.

Der Wald steht für das Unbekannte, Gefährliche, Fremde, Geheimnisvolle und Unsicherheit. Die Prot. kennt diese Situation und findet sich gut darin zu recht. Sie hat sich "im Laufe der Jahre die Unebenheiten eingeprägt", sie war ein "ungeschliffener Rohdiamant" und wurde ihrer "Schutzschicht" beraubt. Ohne Schutzschicht, aber sicher aufgrund ihrer Erfahrungen geht sie somit eigenständig durchs Leben und ist sich der Gefahren im "Wald" bewußt, "braucht mit keinen Hindernissen zu rechnen".

Das Haus interpretiere ich als Sicherheit, sowohl im materiellen aber gerade auch im immateriellen Sinn. Im Haus findet sie Schutz vor der Dunkelheit, kann sich den Weg durch den Wald ersparen. Dafür muss sie den Mann in Kauf nehmen. Er interpretiert ihre Gefühle falsch, ahnt nicht seine Austauschbarkeit. Das hast du im vorletzten Absatz wundervoll ausgedrückt.

Ja, und den letzten Absatz interpretiere ich so, dass die Prot. auch den Preis kennt, den sie für die Sicherheit, das "Haus", bezahlt.

Ich weiß nicht, ob du beim Schreiben dieselben Gedanken hattest, wie ich sie eben beschrieben habe. In jedem Fall hoffe ich, dass du mit meiner Interpretation etwas anfangen kannst.

lg
klara

 

Liebe Judith!

Lieben Dank für deine "unbefangene" Interpretation.
Es war sehr interessant für mich, dass du in dem Wald das Unbekannte, Gefährliche gesehen hast. Vor allem, dass sie sich durch das Bewusstsein um die Gefahr anders durch Leben bewegen kann, ist ein guter Gedanke.

Das Haus definierst du als Sicherheit, ich dachte an ein Ankommen, ein Zuhause. Ob dies gleichzeitig Sicherheit wäre, ist ein weiterer Gedankenansatz.

Der letzte Absatz zeigt auf, dass Menschen dazu neigen sich etwas vorzumachen. Wenn dies oder das erreicht ist, dann ... Die schwarzen Linien auf weißem Porzellan sind ein Symbol. In den Tränen zeigt sich, dass der ursprüngliche Rohdiamant trotz des Hauses unwiederbringlich verloren ist. Eine bittere Erkenntnis.

Hat Spaß gemacht, deine Sichtweise zu lesen.
Lieben Gruß an dich - Eva

 

Hallo schnee.eule,

eine Geschichte mit Seele! So Vieles von dem, was ich dazu hätte sagen wollen, haben andere bereits mir vorweg genommen.
Was ich noch anfügen möchte, da der Titel in Frage gestellt wurde: Ich finde ihn sehr treffend, gerade wegen des Kontrastes zur Wärme des Textes. Er stellt die Hülle dar, verstärkt die Diskrepanz zwischen dem Innenleben der Protagonisten und Ihrer (Gefühls)kälte gegenüber anderen.
Hat mir sehr gut gefallen.

Gruß vom querkopp

 

Servus Querkopp!

... mit Seele. Das freut mich, das Entdecken der Seele hinter all der vordergründigen Kälte. Auch, dass du den Titel passend findest ist schön. Wenn eine warme bernsteinfarbene Flüssigkeit in der sich sanft das Licht spiegelt, auf erstarrtes Wasser trifft; wo endet die Wärme und wo fängt die Kälte an?

Einen lieben Gruß an dich - Eva

 
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Lieber Illu!

Ich freu mich riesig, dass du meine story aus den tiefen modrigen Verliesen des Vergangenen wieder in das Licht der Gegenwart geholt hast. Das tut ihr gut und mir das Wiederlesen auch. Dass deine Kritik dann bis auf jene, welche sich wahrscheinlich zu Recht auf eine etwas unelastische Satzstellung bezieht, sehr angenehm zu lesen ist, freut mich zusätzlich.

Einen schönen Tag für dich - Eva

 

Hallo Schnee.eule,

musste jetzt doch deine Geschichte noch einmal aus der Versenkung holen. Ich habe oft an sie gedacht, seit ich sie gelesen, aber noch nicht kommentiert habe.
Aber hier lohnt sich ein mehrmaliges Lesen wirklich. Dir gelingt es, den Leser auf zauberhafte Weise in Bann zu ziehen und nicht wieder loszulassen, sodass er einfach hängenbleiben muss bei einer Geschichte, die, wie aus den vorherigen Anworten hervorgeht, nicht ganz leicht zu fassen ist.

Märchenhaft, grausam, wunderbar!

Ellen

 

Servus Ellen !

Vielen Dank zum einen fürs Lesen an sich, zum anderen für die drei Worte mit der du die Geschichte umrahmst. Hab mich sehr über deine Kritik gefreut.

Lieben Gruß an dich - Eva

 

Servus PC!

Danke, dass du dich mit der Geschichte trotz Einwänden auseinandergesetzt hast und sie doch eines Blickkontakts für wert erachtest. Es ist schwer einen Text zu verteidigen der so lange zurückliegt. Die Gefühlswelt ist nicht mehr die gleiche, die Konturen würden heute klarer hervortreten. Wenn ich nun mit Abstand hinsehe, mag Kälte und Abhängigkeit zu kurz kommen. Jugendstil bedeutet ja aber auch eine Zeit der Sehnsucht, der Hingabe zu Material und Formen, der Wunsch nach neuen Werten. In diesem Fluss treibt aber auch noch die Süße der Jahrhundertwende. Deine Worte motivieren mich aber in jedem Fall, heute, aus einem veränderten Blickwinkel, eine Geschichte zu schreiben.

Alles Gute, Eva

 

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