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Seewasser
Ein Tonband, gefunden von der Freundin, die mit zwei Koffern und einer Entschuldigungsformel im Kopf nach vier Monaten der Abwesenheit, und nachdem sie sich mit Pauken und Trompeten von ihm getrennt hatte, mit ihrem alten Schlüssel seine Wohnung aufschließt. Die Aufschrift „An alle, die es hören wollen“. Kein Datum. Sie legt das Tonband ein, da aus der Stille der Wohnung niemand geantwortet hat. Ein Knistern, dann eine ihr altbekannte Stimme.
nur ein Traum
in einem Traum sind.
Doch wenn die Hoffnung geht, ob langsam
oder schnell,
bei Tag oder bei Nacht,
ist sie doch
fort.
Ein schönes Gedicht, nicht wahr? Ich schätze Poe, seine Melancholie. Schade, dass sie ihn verrückt gemacht hat.
Früher hätte ich gelacht, wenn mir jemand gesagt hätte (und dabei bin ich nicht einmal ein humorvoller Mensch) dass sie gehen würde. Sie könnte gar nicht, hätte ich gesagt, wir seien doch eins. Wir hätten uns gefunden.
Es war, so lyrisch das klingt, Frühling, als wir uns trafen. Ist es nicht seltsam, dass gerade im Frühjahr so viele Menschen eines Partners bedürfen? Dann, wenn alles erblüht und letzte Depressionen in der Sonne verbrennen? Im Herbst hingegen, wenn es fröstelt, schließen sich die Menschen ein, was – schon Rilke wusste es, den sie übrigens so gerne las, dass ich gar nicht damit hinterherkam, ihr seine Bücher zu schenken – was dazu führt, dass man wacht, liest und lange Briefe schreibt , zumindest wenn man kein Fernsehgerät besitzt, was wohl auch den guten Rilke zum Genuss einiger hochwertiger Unterhaltungssendungen verleitet hätte, und er hätte vermutlich nicht einmal den Kopf geschüttelt über RTL2, oder Busenfernsehen, wie sie es immer nannte. Sie sah nicht gerne fern.
Um noch einmal auf das Gedicht zurück zu kommen – Herbsttag heißt es übrigens- in dem ich eine Stelle besonders bemerkenswert finde, nämlich die mit dem…warten sie, lassen sie mich sehen…. „und wird in den Alleen hin und her unruhig wandern, wenn die Blätter treiben.“ Ich denke eher, dass die Blätter wandern, denn sie verschwinden, als lenkte eine Geisterhand sie in ein Ziel. Ich bin derjenige, der treibt. Sie war mein Ziel.
Und nun, den Herbst und seine bedrückende Stimmung berücksichtigend, fühle ich mich nicht besonders gut. Sie müssen wissen, dass ich Freunde habe, zahlreiche, die mich anweisen, sie einfach zu vergessen, doch je öfter sie kommen um mich aufzumuntern, desto suspekter erscheint mir ihr Leben. So schnell, wie ein Zerrbild der Realität, und so kalt. Hektik, leere Hüllen die einander Gefühle vorspielen. Das was wir hatten, war wenigstens echt. Sie und ich.
Ich hatte früher nie kalte Hände, zumindest vermag ich mich nicht daran zu erinnern. Meine Hände waren immer warm. Nicht diese feuchte Wärme, die man verspürt, wenn man manchen Menschen die Hand gibt ( und schnell wieder los lässt), nein, ganz einfach trockene, warme Hände. Mich fröstelt, und meine Finger schmerzen. Meine Gitarre ist kaum noch zu bespielen, ich wollte ohnehin nicht. Bestimmt können sie sich vorstellen, warum?! Sie liebte es, wenn ich spielte, vor dem kleinen Kaminofen im Wohnzimmer, und sie sang. Sie konnte wirklich singen. Ich hätte sie damit vielleicht nicht auftreten lassen, aber die Liebe lässt einen ja sowieso über einiges hinwegblicken. Auch über die eigenen Fehler?
Alles erinnert mich an sie.
Meine Wohnung gleicht einem Kabinett, einer Geisterbahn, dabei gehören die wenigsten Dinge, die hier liegen und stehen ihr…es reicht schon, wenn sie sie einmal berührt hat, es ist als sähe ich die Fingerabdrücke. Dann treibt es mich nach draußen. Haben sie nicht auch manchmal das Gefühl, die ganze Welt sehe sie an, gerade wenn es ihnen schlecht geht? Ich habe nicht nur das Gefühl, nein, die Leute beginnen über mich zu reden. Nachbarinnen tuscheln. Ich würde eine Trennung schlecht überwinden, von meiner Freundin, sagt die eine.
Interessant, sagt die andere. Sie habe mich immer für schwul gehalten.
Wenn sie mit ihrem Partner Zeit verbringen, und er geht, aus Termingründen, weil er Besorgungen machen muss oder weil sie eine Wochenendbeziehung führen, und sie schließen die Tür hinter ihm, ist ihnen dann nicht manchmal auch als ob sein Geruch in der Luft hängen bliebe? Nun ist sie schon lange weg, und da ich mir frei genommen habe, differenziere ich nicht mehr zwischen Tagen und Nächten, Zeit hat keine Bedeutung mehr für mich.
Egal wie oft ich lüfte, ich kann sie immer noch riechen. Ihr süßliches Parfüm. Ihr Geruch im Dunkeln. Ihre Haare. Ihren Atem.
Wenn man über die holprigen, alten Wege fährt, erreicht man bald – in meinen Augen sind einige Stunden mittlerweile eine kurze Zeit geworden- erreicht man bald einen kleinen Forst.
Es gibt dort so einen wunderschönen kleinen See, ich denke nicht dass sie ihn kennen, im Sommer waren wir dort jedenfalls immer allein. Jetzt ist es Winter.
Ich möchte schwimmen gehen.
Eine kurze Pause.
Wer auch immer sie sind – danke, dass sie sich die Zeit genommen haben, zuzuhören. Vielleicht wird das Tonband ja wirklich gefunden. Ich wollte keinen Brief schreiben, das liegt mir nicht. Und, werter Freund, liebe Freundin – leben sie wohl. Leb wohl, Klara.
Erneut die Stille der Wohnung. Die junge Frau kauert sich auf den Boden. Sie wünscht sich, eine Ahnung gehabt zu haben. Doch sie hatte keine.