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Sehnsucht

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20.12.2007
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Sehnsucht

«Ich weiß sehr gut wie du dich fühlst, und wie du es verabscheust» sagte sie. «Aber irgendwann kommt jeder an einen Punkt, an dem er nach einem Ort namens Heimat blickt. Es spielt keine Rolle wie weit weg er ist. Es genügt zu wissen, dass er einfach existiert. Und dass man dort endlich Geborgenheit findet». Ich sagte nichts. Sie hatte Recht und das wusste sie. Ich spürte ihren Blick auf mir, der meinige war glasig. Ich fühlte mich oft hilflos in ihrer Nähe, besonders in Momenten wie diesen, wo sie das, was ich denke, dem Anschein nach schon vor mir denkt und aus mir unbegreiflichen Gründen ständig damit Recht hat. Ich selbst weiß nicht halb so viel über sie wie sie über mich, eigentlich kannte ich sie kaum. Irgendwann tauchte Vanessa einfach auf und auf gleicherweise seltsame Art waren wir uns schnell vertraut. Nachdem ich einige Minuten in's Leere blickte, wandte ich mich in Gedanken langsam um und sah dass sie nicht mehr da war. Ich ging nach Hause.

Ich ging mehrere Stunden. Ich blieb stehen und beschloss, diesen Ort nicht mehr aufzusuchen und wusste gleichzeitig, dass ich schon bald wieder hier sein würde. Verloren in Gedanken ging ich geradeaus und folgte meinem Weg ohne bewusst auf ihn zu achten und hörte nebenbei Musik, deren jede einzelne Note mich an eine einzigartige Persönlichkeit erinnerte und an Momente, die ich mit ihr verbringen durfte oder die ich mit ihr zu verbringen wünschte. Ich rempelte einen Fußgänger, beachtete ihn nicht, ging weiter. Meine Füße begannen zu schmerzen. Wir saßen dicht nebeneinander auf einer Bank, und die Lichstreuung der Atmosphäre des Himmels brachte mit dem abendlichen Übergang ein Spiel der schönsten Farben der Dämmerung hervor, einzelne Schleierwolken mischten sich unter die Strahlen der Abendsonne und verzierten zusammen mit einigen Kondensstreifen das beeindruckende Bild; und im lauen Wind, der um unsere Köpfe strich, wogten vielerlei frühlingshafte Düfte von Blumen und Bäumen umher und lagen miteinander im Streit. Von ihrer Ausstrahlung fasziniert blickte ich sie an und all die Schönheit des Himmels, des Frühlings und der Sterne kam zu uns hernieder und vereinte sich in ihrem Gesicht. Ich küsste sie. Ich kniff meine Augen zusammen, öffnete sie, schloss sie erneut und stellte alsbald mit inzwischen zur Gewohnheit gewordener, aber nicht minder schmerzender Enttäuschung fest, dass derselbe neblige Novembertag, in dem ich mich bis vor Kurzem noch befand, noch nicht beendet war.

Wo immer ich auch hingehörte, nichts wo ich bisher war hatte Bestand, schmeckte nach erkaltetem und verlebtem Dasein, fern von jeder Art heimatlicher Geborgenheit. Ich sprach oft mit Vanessa über meine Wünsche und Hoffnungen, ich wusste, sie würde mir zuhören und mir mit guten Ratschlägen aushelfen. Ihr erzählte ich auch von Lia, dem Menschen, dessen Antlitz in Tagträumen zur Realität wurde, den ich mehr lieben lernte als mich selbst, den ich verehrte und für den mir niemals irgendein Opfer zu groß schien. Und in diesem Menschen erkannte ich eine fast aufgegebene Hoffnung, die wieder in mir aufflammte, wieder Luft bekam und loderte wie nie zuvor, ja, ich sah eine elysische, vollendete Form von Vollkommenheit in ihr. Ich war wie verwandelt, Vanessa merkte das und sprach mich mit ihrer typisch weisen und etwas mysteriösen Art an. «Vermutlich ist es für dich nichts Neues was ich dir erzähle, und ich denke auch dass dir meine Antwort besser bekannt ist als mir selbst, sie ist dir mehr bewusst als du wahrhaben willst. Dieses Mädchen hat dich gegen deinen und auch gegen ihren Willen in ihren Bann gezogen, und nun kommst du aus dem Strudel unerwiderter Liebe nicht mehr hinaus, du hast dich zu sehr driften lassen und jenen Moment verpasst, an dem du noch hättest abspringen können. Sie ist für dich der Mensch, der als einziger in der Lage ist dich aus diesem Strudel noch rechtzeitig zu befreien, und für den du ebenfalls alles tun willst wenn dieser Mensch selbst mal in Gefahr ist, und du auch all deine Heiligtümer hergeben würdest, wenn du damit nur irgendwie dafür sorgen könntest, dass sie erst in gar keine Gefahr mehr kommen mag. Doch sie nimmt keine Notiz von dir, richtig? Du bist ihr so gleichgültig geworden, dass sie selbst diesem Strudel keine Beachtung schenkt. Und Ertrinken ist ein grausamer Tod. Ist es nicht so? Ist das dein Verhängnis?» Ich nickte, nickte, nickte.

In meinem Zimmer leuchtete momentan wieder ein lange erloschen geglaubtes und verschwommen gesehenes Licht, und ich sah mich von einer aufdrängenden Euphorie bestürmt, deren Zügel ich nicht mehr beherrschte. Sie war gerade bei mir und ich lag im Bett neben ihr und kuschelte mich an sie. Ich streife mit meiner Hand durch ihr wunderschönes braunes Haar, über ihren Rücken, gebe ihr einen Kuss auf die Wange. In ihren braunen Augen lese ich ihre teils glücklose Vergangenheit und sehe sie vor mir, sie sind der Spiegel ihrer persönlichen Geschichte und der Eingang zu ihrer Seele. Worte sind überflüssig und in diesem Moment absolut nutzlos, und so lasse ich nur ihre aparte Schönheit, wie sie der herrlichste Dichter nicht beschreiben könnte, auf mich wirken, mit weiteren Küssen, mit weiteren Zärtlichkeiten. In meinem Herzen spüre ich einen drückenden Schmerz, der erst vorübergeht wenn ich ihr Erde und Himmel und das ganze Universum zum Geschenk gemacht habe, der mit jeder Umarmung jedoch zumindest gelindert werden kann. Vanessa hatte wie immer unangefochten Recht, ich möchte nicht mehr zulassen dass sie erneut negative Erfahrungen durchmachen muss. Ich liebe sie.

Als ich aufwachte, war ich vorerst nur von schwarz umhüllt und machte mir erst langsam bewusst, dass ich mich in meinem gewohnten Raum befand, gewohnt allein, alles so wie immer. Das Fenster war offen, es drang leichter Wind von draußen ein, er war kalt. Ich streckte meinen Arm aus, fand nur die Wand, sie war kalt. Ich rief ihren Namen, wartete auf irgendeine Reaktion, doch auch der Wind war nun verstummt, es herrschte Totenstille. Mir war kalt.

Die Tage wurden kürzer und die Nächte wurden dunkler, die Sehnsucht brannte heißer und die Wirklichkeit wurde trister, und so kam es erneut dass ich einen meiner Spaziergänge in nebliger Dunkelheit lief, vorbei an wohlbekannten Orten und Plätzen und umhüllt von wohlbekannter Musik die gemeinsam im Chor von tatsächlich erlebten und fantasierten Erlebnissen erzählten, jene Erlebnisse die ich mit einem bestimmten Menschen teilte oder zu teilen gehofft hatte. Meine Schritte verfolgten ein Ziel, trotzdem wurden sie immer langsamer und ich zog die Möglichkeit in Betracht, stehen zu bleiben und umzukehren. Die Kälte zwang mich, weiterzugehen, ebenso wie das nicht weit entfernte und immer lauter und schneller werdende rauschende Geräusch. Ich passierte viele nebeneinander liegende Holzschwellen und lange Stahllinien, die in einer geraden Linie in der Dunkelheit verschwanden, das Rauschen kam näher. Im Nebel brannte das grün leuchtende Ausfahrsignal.

Nun, nach meinem Tod kann ich freilich nicht mehr sagen, was danach noch alles passiert ist und wie alles weiterging. Ich erinnere mich allerdings schwach wie ich mich kraftlos auf einem Bett liegend wiederfand, in einem Raum den ich nicht kannte, und um mich herum standen die grauhäuptigen Richter und Mediziner in ihren Roben und Talaren, beratend über mein Schicksal und ich sah, wie Lia Vanessa fragte - ich habe Lia oft von Vanessa erzählt -, ob sie wisse ob ich nun meinen Frieden, meine Ziele erreicht habe, ob ich glücklich sei. «Nein» sagte sie, «aber weißt du, als er aus dem Fenster blickte und sagte er suche seine Heimat sah er nicht in die Richtung seines Hauses. Er sah in deine Richtung.»

 

Hallo Merian und willkommen auf kg.de.

verabscheust» sagte sie.
Komma fehlt hinter den schließenden Anführungszeichen.

Aber irgendwann kommt jeder an einen Punkt, an dem er nach einem Ort namens Heimat blickt.
Das finde ich schön tiefgründig und gut als Einstieg geeignet.

findet».
Der Punkt kommt in die wörtliche Rede.

Der Rest des ersten Absatzes wirkt etwas schal, und du hast etwas oft 'Ich' am Anfang des Satzes stehen.
Der kurze Rückblick ist etwas sehr kurz. Das gegenwärtige lässt keine Bilder im Kopf entstehen.

Ich ging nach Hause.

Ich ging mehrere Stunden.

Abgesehen von den ständig sich wiederholenden 'Ich's an den Satzanfängen frage ich mich als Leser, wie der Protagonist da hingekommen ist, wo er im zweiten Absatz ist.

Ich rempelte einen Fußgänger,
an?

Wir saßen dicht nebeneinander
Wer ist 'wir'? Und wie kommen sie plötzlich dahin?

wogten vielerlei frühlingshafte Düfte von Blumen und Bäumen umher und lagen miteinander im Streit.
'Streit' sorgt hier für eine negative Stimmung, obwohl alles andere Harmonie ausdrückt. Das finde ich unpassend.

Dieses Mädchen [...] keine Gefahr mehr kommen mag.
Dieser Satz ist viel zu lang geraten. Setz lieber ein paar mehr Punkte dazwischen.

Sie war gerade bei mir
Mittlerweile habe ich dann auch begriffen, dass mit 'sie' vermutlich Lia gemeint ist und dass jeder Absatz zu einer anderen Situation springt... ;)

sie war kalt.
Und wieder eine Wortwiederholung.

Ich rief ihren Namen,
Klingt, als ob er den Namen der Wand ruft, siehe Satz davor.

«aber weißt du, als er aus dem Fenster blickte und sagte er suche seine Heimat sah er nicht in die Richtung seines Hauses. Er sah in deine Richtung.»
Das ist ein schöner Schlusssatz. :)

Ein paar Absätze würden deiner Geschichte noch gut tun, aber das sei erstmal nebensächlich.

Wenn mir bestimmte Sätze deiner Geschichte anschaue meine ich, dass ich ein großartiges Werk gelesen habe, doch beim richtigen Lesen verfliegt der Eindruck leider, aufgrund der Punkte, die ich bereits nannte. Du schreibst mit einem leicht poetischen Hauch, aber du verschenkst dadurch viel, dass du alles so kurz hältst, dass es nicht auf den Leser wirken kann. Da steckt viel Potenzial in der Geschichte, bin ich der Meinung.

Also, bleib dran. Mit einem bisschen Übung, dann wird das schon.

Grüße von Jellyfish

 

Oh, ich finde es wunderschön.
Zeitweilig ein bisschen schwierig zu lesen. Aber am besten liest man den Text daher in absoluter Stille. Dann entfaltet er seinen ganzen Zauber.
Es ist so traurig, verträumt und dennoch echt.
Am Ende hab ich feuchte Augen bekommen. Hey, das erinnert mich gefühlsmässig so sehr an die Situation, die ich im Moment im echten Leben durchstehe. Vielleicht bin ich daher zu "vorbelastet", um den Text neutral beurteilen zu können.
Aber auf meinem Emotionsbarometer bekommt er 5 von 5 Sternen :)

 

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