- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 22
Sein, wo man nicht ist
diese geschichte ist gewidmet
"Wenn Gott gewollt hätte, dass HipHop Musik ist, dann hätte er ihm Noten gegeben."
"Ich versteh ja, dass du nicht begeistert bist. Aber irgendwas muss passieren."
"Ich häng mir aber keine Goldkette um den Hals, Tom. Und die Band wird sich sicher auch keine Goldketten um den Hals hängen."
"Verlangt ja auch keiner. Wäre ja nur so ne Kooperation. Linkin Park haben auch mit nem Rapper zusammen..."
"Alter, tu mir einen Gefallen, ja... wenn wir uns hier schon über Musik unterhalten, dann komm mir nicht mit Kindergarten, okay?"
"Ja, mieses Beispiel, tut mir Leid. Aber selbst Aerosmith..."
"Meinst du diese peinliche Nummer mit den beiden Rappern, die nicht mal ihre Schuhe zubinden konnten? Nee... nichts was du sagst, könnte mich dazu bringen, so ne Scheiße mitzumachen."
"Aber eure Art Musik ist einfach out. Heutzutage muss man als Rockband entweder ordentlich unmotiviert ins Mikro grunzen, rappen oder aus Finnland kommen und ne Gothictussi als Sängerin haben. Seid ihr Finnen? Bist du ne Gothictussi?"
Scheiße, natürlich war ich keine Gothictussi. Und ich hatte auch noch nie eine sein müssen. Zum Glück, denn ich würde mich mit Brüsten doch irgendwie unwohl fühlen. Metal mit deutschen Texten, das war innovativ genug. Wir, meine Band und ich, schwammen zu Beginn auf einer Welle des hart erarbeiteten Erfolgs, tourten durch die Hallen, beglückten Groupies und hingen zwischenzeitlich als Poster in jedem dritten Kinderzimmer zwischen Salzgitter und Bitterfeld. Es war ein langsamer Aufstieg, aber er war stetig.
Warum ich Musiker geworden bin? Schuld daran trägt vermutlich mein Vater. Ich war elf, als er mich einweihte. Deep Purple - Child in Time. "Hör diese Platte und danach wird nichts mehr sein wie zuvor", sagte er. Ich hörte diese Platte und danach war nichts mehr, wie zuvor. Nächtelang saß ich seitdem vor der Anlage und ließ die Boxen für mich arbeiten. Schalldruck verwandelte sich in Magie. Pure Energie durchströmte die Luft, als ich den Sinn meines Lebens irgendwo zwischen Pink Floyd und Genesis fand, mit den Dire Straits weinte und Mike Patton meine Ohren zerfetzen ließ.
"Ach, komm schon. Deine Band ist am Arsch und das weißt du. Keine Sau will euch mehr hören."
"Wen juckt das? Ich bin Künstler, ich mach das hier doch nicht wegen der Kohle."
"Na klar, Mann... Und der Papst ist Katholik."
"Darum geht es nicht. Es geht darum, dass ich meine Ideale nicht verkaufen will, verstehst du?"
"Wenn aber keiner mehr deine Platten haben will, musst du bald irgendwas anderes verkaufen. Oder denkst du, der Joghurt, den du da gerade frisst, kommt in Gläsern abgefüllt an deinem Haus vorbeigeflogen?"
"Du weißt, dass unsere Band genug verkauft hat. Es reicht zum Leben. Gerade du musst das doch wissen. Wozu bist du denn mein Manager?"
"Ich bin dein Manager, damit ich dir sagen kann, wie du deine Kohle verdienst. Ich weiß doch, dass ihr Musiker nicht mit Geld umgehen könnt. In spätestens zwei Jahren wirst du pleite sein, mein Freund."
Verdammte Klischees. Das ist das, was mich an diesem Leben immer am meisten angekotzt hat. Ich liebe die Musik, ich brauche sie, aber ich bin kein Schauspieler. Ich beiße Fledermäusen nicht den Kopf ab, ich halte meinen nackten Arsch nicht in jede Kamera und ich lege nicht jede Frau flach, die bei drei nicht auf den Bäumen ist. Ich wollte immer nur Musik machen - die ganze Rockstarscheiße hat mich nie interessiert. Verdammt, ich hab sogar kurze Haare. Und ein Sparbuch.
Wenn ich auf der Bühne stehe und auf die anonyme dunkle Masse vor mir blicke, dann bin ich unsterblich. Die Welt um mich herum verliert an Bedeutung und außerhalb dieser Konzerthalle gibt es nichts mehr. Irgendwo aus den Boxen wummert der Bass, das Schlagzeug prügelt das letzte bisschen Ruhe aus der Luft und ein Gitarrenriff hebt die Welt aus den Angeln. Ich schließe die Augen, erhebe meine Stimme und weiß in diesem Augenblick, dass ich lebe. Nur deshalb mache ich Musik. Nur darum geht es.
"Komm, hör dir die Jungs doch wenigstens mal an."
"Vergiss es! Du kannst nicht von mir verlangen, dass ich meine Seele verkaufe."
"Hast du Angst um dein Image? Scheiße, Mann, das ist doch schon lange im Arsch."
"Wen juckt schon das Image..."
"Deine Fans, mein Freund. Deine Fans. Ich hab von Anfang an gesagt, dass ne Ballade euer Tod sein wird. Aber ihr habt ja nicht auf mich gehört. Und jetzt guck dir an, wo du gelandet bist!"
"Fang nicht wieder damit an! Du weißt, dass ich das tun musste."
Ja, ich musste es tun. Zwei Alben lang hatten wir die Scheiße an die Wand gerockt, wie irgendein Kritiker es mal lyrisch ausgedrückt hatte. Ich wurde von der Presse beschrieben als eine destruktive Mischung aus James Hetfield und diesem Typen von Nirvana. Da passte es ihnen natürlich gar nicht, dass ich plötzlich einen auf Michael Stipe machte und sie zum Weinen brachte.
Ihr Name war Laura. Klingt wenig romantisch, ich weiß, aber für den Namen konnte sie nichts. Ich lernte sie kennen auf irgendeiner Autobahnraststätte zwischen Pinneberg und Vechta. Wir waren gerade auf unserer zweiten Tour - Fire out of Darkness oder so hieß die. War nicht meine Idee. Wie gesagt, ich hasse Klischees.
Wenn du ein Weltstar bist, bekommst du deinen eigenen Privatjet. Ich glaube, Bono hat einen. Axl Rose hat sicher vier. Wir hatten keinen und darum fuhren wir Bus. Einer von diesen Reisebussen, die hinten derart unbequeme Schlafkojen haben, dass einem jeden Morgen ein anderer Rückenwirbel auf die Leber drückt. Mehr wollte uns die Plattenfirma nicht geben. Noch wären wir keine Weltstars, hieß es. Wenn wir das erste Stadion füllen würden, könnte man noch mal drüber reden, sagten sie.
Wir hatten also einen Platten und fuhren auf diese Raststätte. Und da traf ich Laura.
"Verdammt, in diesem Geschäft geht es nun mal vor allem um Glaubwürdigkeit."
"Nein, es geht um..."
"Du verstehst es nicht. Du hast es nie verstanden und du wirst es nie verstehen. Glaubst du im Ernst, die Kids kaufen dein Zeugs, weil sie deine Textmetaphorik mögen? Oder Billys Gitarrenkünste? Scheiße, nein! Die kaufen das Zeug, weil ihr anders wart. Ihr wart für die Fans die Rebellen der deutschen Musikszene. Die progressive Gegenbewegung zu diesem kommerziellen Mist wie Dieter Bohlen und Silbermond."
"Und das sind wir nicht mehr?"
"Hast du dir eure neue Platte mal angehört? Du schmachtest dich da durch wie Phil Collins durch die Greatest Hits von Cliff Richard! Und dann frag mich noch mal, warum das Ding wie Blei in den Regalen liegt."
"Eine Ballade, Tom. Es ist mal gerade eine verschissene Ballade."
"Und das ist genau eine zuviel, mein Freund."
Es war eine kurze Beziehung gewesen. Laura hatte es irgendwann satt, mich mit meiner Musik teilen zu müssen. Ich war ständig mit der Band unterwegs und somit immer dort, wo sie nicht war. Eine hoffnungsvolle Romanze verloren in der unerbittlichen Weite des Raumes. Und dann hatte sie mich vor die Wahl gestellt: Die Musik oder sie. Es war eine binäre Entscheidung. Auf der einen Seite meine große Liebe, auf der anderen Seite die Frau meines Lebens. Eigentlich war es eine singuläre Entscheidung: Es gab nur eine mögliche Antwort für mich.
Manchmal überlege ich, was wohl passiert wäre, wenn ich mich für Laura entschieden hätte. Vielleicht wären wir glücklich geworden. Ein kleines Häuschen irgendwo am Stadtrand, ein gutes Einkommen aus meinen Tantiemen und einmal im Monat Wetten, dass...? im Fernsehen... Vielleicht hätte es funktioniert.
Die Musik ist eine harte Geliebte. Sie hatte es mir nicht verziehen, dass ich sie mit einer Frau betrogen hatte. Auch dann nicht, als ich mit eingezogenem Schwanz zu ihr zurückgekrochen kam. Gnadenlos ließ sie mich am ausgestreckten Arm zappeln und verwehrte mir die Nähe, in der ich mich früher so geborgen gefühlt hatte. Es wollte einfach nicht mehr funktionieren zwischen uns.
Unser Manager meinte, es wäre an der Zeit für ein drittes Album. Aber ich konnte nicht. So sehr ich mich anstrengte, meine Feder blieb stumm. Der Gedanke an Laura hatte sich wie ein Virus in meinem Kopf festgesetzt und beanspruchte jedes Bisschen Verstand für sich. Und so tat ich das letzte, was mir zu tun übrig blieb. Ich schrieb auf, was mich bewegte. Ich öffnete meine Seele und kotzte alles aus, ließ die Welt meine Sehnsucht spüren, spuckte ihr meine Gefühle ins Gesicht.
Heraus kam diese gottverdammte Ballade.
"Wie gesagt, irgendwas muss passieren. Und diese Jungs sind genau der frische Wind, der euch wieder auf die Beine helfen kann."
"Und das soll glaubwürdig sein? Mit irgendwelchen Gangsterrappern um brennende Mülltonnen tanzen?"
"Glaubwürdiger jedenfalls, als wie Bon Jovi zu enden. Wir könnten sagen, dass ihr euch neu orientieren wolltet und auf der Suche nach Einflüssen an der Upper Eastside gelandet seid."
"Deine Rapper kommen aus New York?"
"Rostock."
Die Platte wurde ein absoluter Flop. Vielleicht hätten wir diese Ballade nicht als Single rausbringen dürfen. Unsere Fans hassten uns dafür und der Bravo waren wir immer noch zu suspekt. Ich glaube, das Geheimnis in der Musikwelt besteht schlicht darin, dass du alles machen darfst, solange du dich nicht weiterentwickelst und immer dein Image beibehältst. Das ist die Regel. Wenn Metallica Country machen, sind sie Kommerz. Wenn Rammstein zu singen anfangen, sind sie Kommerz. Wenn wir eine Ballade schreiben, sind wir Kommerz. Und Kommerz ist immer schlecht. Es ist ein mieses Geschäft.
"Okay, ich hau dann ab. Leg dich aufs Ohr und denk drüber nach."
"Brauch ich nicht. Ich will nicht mit HipHop."
"Dann wird deine Band den Bach runtergehen... Naja, deine Entscheidung. Morgen früh ruf ich dich an und dann will ich ein Ja oder ein Nein."
Ich nickte müde und Tom verließ mich. Nicht ohne sich noch einmal umzudrehen und mir mit ausgestrecktem Zeigefinger "überlegs dir" zu suggerieren. Ich überlegte es mir und dann traf ich meine Entscheidung. Musik und Frauen haben eine Sache gemeinsam: Sie sind wunderschön, doch irgendwann brechen sie dir dein kleines, verfluchtes Herz.
Ich nahm mein abgegriffenes Notizbuch und suchte die Nummer von Laura.