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Seine Zeit ist abgelaufen
Wo bin ich? Was ist hier los? Gleissendes Licht raubt mir die Sicht. Langsam beginnen sich Umrisse zu formen. Ich komme zu mir, in einem hell beleuchteten Raum mit vielen Vorhängen. Ich stehe in der Mitte, sehe hastigen Leuten bei ihrer Arbeit zu. Männer in grünen Kitteln mit weissen Handschuhen unterhalten sich angeregt vor hellen Zeichnungen der Innereien eines Körpers. Weiss gekleidete Frauen, fast noch Mädchen gleiten schnellen Schrittes durch den Raum. Einige von Ihnen tragen silberne Tabletts mit Tupfer und Zangen, einige gebraucht, andere neu. Einige eilen mit blutgefüllten Kunststoffbehältern von einem Ende zum andern des Raumes. Keiner beachtet mich. Sie umgeben mich, aber nehmen mich nicht wahr. Doch es stört mich nicht. Ein Frieden erfüllt mich, keine Angst, keine Sorgen und keine Verlangen etwas zu tun. Der Raum ist unterteilt mit Wänden aus Stoff, Grüne Tücher die über notdürftig gespannte Seile gehängt wurden. Ein Vorhang wird zur Seite geschoben und ein Bett auf Rollen kommt zum Vorschein. Die Silhouette unter dem grünen Stoff lässt einen menschlichen Körper vermuten, ich weiss es ist vorbei, ich spüre es, seine Zeit ist abgelaufen. Ich gehe von einem Abteil zum nächsten, betrachte die Betten und die Namen auf den Schildern. Einige stöhnen vor Schmerzen, andere sind nicht bei Bewusstsein. Einige von Ihnen kommen mir bekannt vor, andere sind mir fremd. Was tue ich hier? Was will man mir sagen.
Da ist diese Gestalt. Eine helle Aura umgibt sie. Ein Mann von stattlicher Grösse, er kommt auf mich zu. Ich habe keine Angst, ich weiss wer er ist obwohl ich ihn noch nie gesehen habe. Er hat eine Botschaft für mich das spüre ich. Er spricht und seine Stimme klingt wie das plätschert eines Baches. Ich befolge seine Anweisung und gehe den Korridor des Raumes nach hinten ins hinterste Abteil. Dort liegt ein Mann Mitte vierzig. Sein Atem geht langsam und schwer. Sein Herz ist müde, ich weiss es, ich bin es. Mein Körper liegt vor mir im sterben. Ich spüre die Hand des Wesens auf meiner Schulter und erinnere mich an das was geschah. Ich war es, der aus Unachtsamkeit mit dem Reisebus von der Fahrbahn abkam. Der LKW war zu stark, er streifte nur, doch die Folgen waren verheerend. Ich fühle Reue. Es öffnet sich vor mir ein Bild, wie ein Film fängt es sich an zu bewegen. Ich sehe meine Frau, unser Kind. Sie ist älter geworden und feiert ihren 6. Geburtstag. Ich komme dazu. Sie grüssen mich freudig und umarmen mich. Ich freue mich, mein Kind zu sehen. Das Bild verschwimmt, vor mir ist die Gestalt. „Ich werde Leben? Ist das meine Zukunft?“ Das Gesicht der Gestalt verrät mir, dass ich keine Zustimmung bekommen werde. Ohne seine Worte erkenne ich die Wahrheit. Es wäre meine Zukunft gewesen, ich habe Sie zerstört. „Bin ich ein schlechter Mensch? Ist das die Strafe?“ Seine Antwort ist klar und lässt mich erschaudern. „Deine Strafe ist es all die Dinge zu sehen, die die Anderen noch hätten erleben können.“ Es raubt mir den Atem, schnürt meine Kehle zu, ich möchte schreien doch ich kann nicht. Einsamkeit umgibt mich. Mein Körper liegt vor mir, der Atem wird schwerer, der Herzschlag verstummt, ich weiss, es ist vorbei, ich spüre es, meine Zeit ist abgelaufen.