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Sekrete Wünsche
Die Tür zum Adagio öffnete sich. Herein kam Herr MO, Professor der klassischen Archäologie. Weder hatte man den Eindruck, er könne eigenständig Türen auftun, noch dass er energisch eintreten würde. Er war eine kleine geschmeidige und unscheinbare Person, trug einen Schnurbart wie zu Kaiser Wilhelms Zeiten, hatte im übrigen auch in Bezug auf sein Fach und seine Arbeit entsprechende Ansichten, das wussten seine Studenten zu berichten, und er stand kurz vor der Pensionierung. Die Frage nach einer Frau und wenn überhaupt, dann welcher Art, wurde immer mal wieder in den Raum gestellt, das Sexualleben öffentlicher Menschen interessiert ja doch hin und wieder ab und an usw.
Sabrina war neu im Adagio, ein, wie sie es nannte, Stehcafé zum Sitzen, bei weitem keine Kneipe, weil zu hell und zu wenig verraucht. Die meisten, die hierher kamen, kamen nicht hierher, sondern nur vorbei, um sich ihren Kaffe to go abzuholen.
Die Arbeit war einfach, ihr Angebot überschaubar, die Kunden nett und unkompli-ziert. Sicherlich würde sie sich schnell wieder langweilen, wenn nicht … . Ja wenn nicht ihre Kollegin eine ganz besondere Art gehabt hätte, etwas von ihrer Kundschaft zu haben.
- Machst du mit? Sie nickte.
- Die meisten, die kommen sind Stammgäste, aus der Musik oder von Gegenüber aus der Philfak.
- Philfak? Sie spielte seit einer Weile mit einem Zahnstocher herum. Sie hatte ihn zwischen Daumen und Mittelfinger geklemmt und drückte ihn federnd zusammen, eines jener regelmäßigen Kräftemessen zwischen ihr und den Objekten in der Umgebung. Die Enden des Zahnstochers waren spitz und bohrten in das Fleisch ihrer Finger. Als sie nachfragte, tat sie eine letzte Anstrengung, sie hatte genug gefedert, und als ihre Kollegin zur Antwort ansetzte, zerbrach das Holzstäbchen. Gewonnen.
- Philosophische Fakultät.
Da hätte ich auch selber drauf kommen können.
- Dozenten, Professoren, Bibliothekare, abends sogar der Sicherheitsdienst. Die machen gegen sieben ihre erste Runde und kaufen kurz vor unserm Feierabend noch’n Kaffee auf die Nacht.
Aha. Sie kam nicht zum Kern, ihr Kopf leerte sich, ihre Konzentration ließ nach.
- Jetzt zum Kern.
Ihr Blick schweifte umher und blieb an der Schale Pfirsiche hängen. Sie hatte Lust, einen davon zu essen. Oder ein paar Kirschen. Aber die sind selten mit Pfirsichen im Angebot. Eine Frage der Jahreszeit.
- Wir haben doch eine Reihe von Aromen für den Kaffee, außerdem verschiedenes Obst und Süßigkeiten. Ich habe bestimmten Geschmacksrichtungen bestimmte Stimmungen zugeordnet, nimmt einer immer dasselbe, kann man von einem Typus sprechen. Es funktioniert wie die Psychotest in den Frauenperiodiken. Ist vorher alles ausprobiert, erst habe ich versucht raus zu bekommen, welche Laune jemand hat, um dann diese Laune mit dem Geschmack in Beziehung zu setzen. Wenn nun eine Person schweigsam ist und eine bestimmte Geschmacksrichtung wählt, dann weißt du, aha, heute mal empört oder aha, ruhebedürftig. Und jedes Mal, wenn was Neues rein kommt, fragen wir die lebhaften Leutchen aus, um dann die schweigsamen besser einordnen zu können.
Sabrina griff nach einem Pfirsich und wunderte sich. Der Pfirsich hatte keinen Kern!
- Einen neue Sorte, ohne Kerne.
- Raffiniert , gib es zu.
Ihre Kollegin kniff dabei ein Auge zusammen und zielte, die Zeigefinger und Daumen zu Pistolen ausgestreckt, auf sie.
Prof. MO hatte Platz genommen. Er bestellte einen Tee, Kamille. Beinahe widerwillig und sehr ungeduldig zupfte er an dem Fädchen. Er hob ihn probeweise heraus, der Beutel drehte sich, der Faden troddelte auf. Immer wieder hob er ihn hoch und so fasziniert, als hätte er nie zuvor einen Teebeutel sich auftrödeln sehen. Tatsächlich schien die Drehenergie des Beutelfadens unerschöpflich. In den folgenden Tagen trank Herr MO am Tisch eins einen Tee, immer eine andere Sorte. Sehr missmutig, und er gab dem Tee kaum ausreichend Zeit zum ziehen und sein Aroma zu entfalten. Er rieb mit dem oberen Drittel seiner Finger beidhändig das Glas hoch und runter, die Daumen verschlungen, als würde er zärtlich das Gesicht eines Kindes zwischen sei-nen Händen liebkosen. Eine seltene Art, dachte Sabrina, sich die Hände zu wärmen.
- Ist ihnen kalt.
Sie bekam keine Antwort. Stattdessen begann er langsam über antike Trinkgefäße zu referieren. Die Namen waren zahlreich, sie merkte sich keinen einzigen. Sie sah nur vor ihrem inneren Auge den gigantischen Kampf zwischen roten Figuren gegen schwarze. Die roten gewannen, alles schwarze wurde in den Hintergrund gedrängt.
- Wissen sie, Fräulein, was eine Hetäre ist.
- Es war nach sieben Tagen der erste Tag an dem er keinen Tee, sondern einen Espresso bestellt hatte. Sie wollte gerade ein Glas Wasser dazu stellen, als sie stolperte und ein Schluck Wasser, klatsch, auf dem Keks neben der kleinen Espressotasse landete und ihn ganz durchnässte, aufweichte und er sich langsam, die Konturen verlierend in der Pfütze verlor und zu Brei wurde.
Zu Hause schlug sie nach und errötete nachträglich.
Eine weitere Woche lang bestellt Prof. MO nun täglich Kaffee. Sabrina beobachtete ihn heimlich. Seine Stimmungslage war unverändert unergründlich. Nur rieb er sich an einem Kaffee nicht die Hände warm. Er variierte die Weise seinen Kaffee zu trinken. Mal warf er ein Zuckerstückchen achtlos in die Flüssigkeit. Dann wieder streute er eine Portion auf den Löffel und senkte diesen langsam in den Kaffee, der über den Rand flutete und langsam das weiße Gekörn mitnahm. Milch gab er nicht immer dazu. Auch der Keks wurde in das Ritual mit eingebunden. So knabberte er daran, ließ ihn auf der Zunge liegen und flößte Kaffee darüber, titschte, als er durchweicht in die Tasse fiel, lächelte er. Am Kaffee glaubte Sabrina nach Monaten, die größte Spielfreude zu erkennen.
- Wie geht es ihnen, wagte Sabrina den Mann eines morgens zu fragen.
- Mein Blutdruck ist zu hoch. Es war gerade die eine Woche lange Phase des Fruchtsafttrinkens.
Dabei stellte er sich äußerst umständlich mit den hochbeinigen Stühlen um seinen Tisch herum an. Er stieß gegen sie, stellte sie mehrmals um, schlängelte sich hin-durch. Er befühlte die hölzerne Sitzgelegenheit, konnte sich aber nicht durchringen, darauf Platz zu nehmen. Er blieb stehen.
Sabrina räumte dezent mit, wenn sie die Tische leerte und säuberte.
- Was haben sie denn da für Kringel.
- Das sind Donuts. Wir haben welche mit Schokoüberzug, mit Zuckerglasur oder mit Vanillecreme gefüllte.
- Ja, dann geben sie mir doch mal so einen gefüllten.
Er beugte sich über die durchsichtige Abdeckung.
- Sind das Mandelsplitter. Bitte geben sie mir so einen mit Mandelsplittern. Mandel-splitter.
Er murmelte noch eine zeitlang, nachdem er sich neben einen Stuhl gestellt hatte, dieses Wort vor sich hin.
- Mann… splitt… . der… . Mann ………. er … splitter … Mann.
In Wellen kamen die einzelnen Silben aus seinem Mund. Er betonte das Wort so unterschiedlich, dass Sabrina andere Worte zu hören glaubte. Sie hatte den Donut mit einer Zange heraus genommen und auf einen kleinen Teller mit einer Serviette gelegt. Sie zögerte, kaum merklich und stellte dann den Teller an eine von der Tasse weit entfernte Stelle und schob ihn das letzte Stück über die Tischplatte. Der Professor, der sich mit beiden Händen an diese geklammert hatte, er war nicht besonders groß, sodass seine Hände auf Brusthöhe hingen, wurde von dem Geräusch aus seinen Gedanken geholt, diesem Schieben des Tellers. Vor der Nase des Prof. MO lag nun also ein Kringel, den er anstarrte ohne ihn auch nur zu sehen. Sabrina starrte mit. Ein Gebäck, das in der Mitte ein Loch hatte. Eine bäckertechnische Leerstelle. Der Professor ließ aus dem Zuckerspnder ein wenig Zucker in die Mitte rieseln. Plötzlich zuckte sein Bein und er trat gegen den Tisch. Er stellt den Zucker hin. Er trank schnell aus, ließ den Donut stehen und ging. Ein paar Minuten später kam er zurück.
-Haben sie eine flache Schale, nicht so flach wie der Teller, dass ich den Donut hinein legen könnte.
Sie hatte solche Schalen. Sie nahm eine vom Stapel und reichte sie ihm. Er wollte den Donut anfassen, überlegte es sich anders, er bat um die Zange. Mit ihrer Hilfe verfrachtete er das Gebäck in die Schale.
- Einen Espresso bitte.
Schnell war der durchgelaufen.
- Stellen sie ihn doch bitte noch mal in die Mikrowelle.
Sie tat das verlangte und mit spitzen Fingern auf ein Untertellerchen gestellt reichte sie ihm diesen. Langsam goß er ihn über dem Donut aus-
- Noch einen.
Während sie einen zweiten Espresso zubereitete ließ er durch die Mitte des sich in der Auflösung befindlichen Donut den halben Zuckerspender rieseln. Mit einem kleinen Löffel rührte er durch die Öffnung um. Die Schale füllte er ganz auf mit dem zweiten Espresso. Er klopfte sacht auf die Decke des Donut. Er spreizte die Finger, die Hände flach auf dem Tisch, dann wirkte er sie mehrmals auf eine Weise ineinander, die Sabrina nicht nachvollziehen konnte, die Finger schauten aus der Hand immer an einer anderen Stelle heraus, und ging. Draußen war in der Zwischenzeit ein Regenguss herunter gekommen und Prof. MO trat in eine Pfütze. Doch das schien er nicht mehr zu merken.