sElBst
Und noch eine alte Story von mir. War auch fünfzehn als ich sie geschrieben habe.
sElBst
Ich hasse diese Nächte, ja ich hasse diese Nächte.
Nun sitze ich hier und starre aus dem Fenster, Schatten, nichts als Schatten. Etwas das sich verzerrt da draußen, verzerrte Hautfetzen aufgespannt auf diesem Nichts. Denn ich bin noch längst nicht da.
Hastig erhebe ich mich von meinem abgenutzten Holzstuhl und gehe zu meinem Schreibtisch. Der Terminkalender liegt dort aufgeschlagen, mit zerfledderten Seiten, die mich ausgefranst angaffen, und alles deutet auf diesen einen Tag.
Heute werde ich endlich diese Wohnung verlassen und Essen gehen. Dieser Nebel in meiner Wohnung kommt von draußen herein, heute habe ich es endlich erkannt.
Der Verkehr rauscht und trägt mich gleichmäßig davon. Als ich an dem Restaurant ankomme finde ich auch sofort einen neuen Parkplatz für meinen Wagen, etwas zu weit entfernt, aber dieses Stück werde ich noch an der frischen Luft laufen können.
Der Mann an dem Gästebuch überprüft meinen Namen und schon bald sitze ich an einem kleinen runden Tisch, eine rote Rose hält die Speisekarte, aber ich bin alleine.
Nach einiger Zeit füllt sich der Raum mit Menschen und ein leichter Dunst der Zigaretten liegt in der Luft. Innerlich will ich Husten, unterdrücke es aber so gut ich kann.
Dann kommt auch schon meine verspätete Verabredung und setzt sich geschwind an meinen Tisch. Zuerst kann ich nur ein beruhigendes Braun erkennen, blicke aber schon bald in das Gesicht eines Vierzigers, eines Mannes, vor mir.
“Sind Sie sicher daß sie hier richtig sind.” frage ich.
Er mustert mich eine Weile und blickt dann an den Empfang, durch den gerade eine große Gruppe Geschäftsleute kommt.
“Ja, richtig, denke ich schon, verabredet, davon weiß ich nichts.” entgegnet er und blickt während er redet nur auf die Rose vor uns. Hat sie nicht eben etwas gesagt? Redete er nicht irgendwie durch sie.
“Ja, ich bin verabredet, sehen sie nicht die Rose dort?” frage ich wieder, er blickt aber nur wieder zu den anderen Gästen um uns herum.
“Deswegen bin ich hier richtig, sehen Sie nicht diese Rose, eine Rose, warum steht sie dann hier, und wo bleibt die Verabredung?” sagt er.
Ich führe meine Finger auf die Rose zu.
“Glauben Sie daß sie beißt?” frage ich. In diesen Situationen muß ich immer vorsichtig sein.
Der Mann dreht seinen Kopf wieder nach den Gästen.
“Nein, gebissen habe ich noch niemanden.” erwidert er.
Plötzlich schreckte ich auf und starrte der jungen Frau in die Augen, die sich vor mich gesetzt hatte. Sie blickte mich verwundert an und ich wäre fast aufgesprungen.
“Dort ist ein Leben...” stammelte ich.
Ihre Augen hielten mich in ihrem Blick und ihr rotes Kleid ließ meine Augen nicht von ihr Abschweifen.
“In allen Dingen ist ein Leben, wissen Sie das nicht, jeder muß es doch wissen!” Schweiß floß meine Stirn hinab.
Der Mann dreht seinen Kopf wieder den Gästen zu.
“Ich kannte einmal jemanden.” sagt er.
“Ich auch, glaube ich, wenn ich lange nachdenke fällt mir vielleicht auch sein Name ein.” erwidere ich.
“Derjenige, ich glaube er war, hatte einen Käfer, diesen kleinen Blechhaufen, und dann kaufte er sich einen neuen Wagen und stellte diesen Käfer immer in seine Einfahrt und der Regen ließ ihn durchrosten. Jeden Morgen wenn er herauskam beschimpfte er ihn und trat gegen seine Stoßstange. Eines Tages fanden ihn Leute in seinem Bett, tot, mit Reifenspuren auf dem Gesicht.” sagt die Rose.
Ich blicke mich auch um und sehe den Kellner nicht.
“Sollten wir nicht langsam etwas bestellen?” frage ich.
Der Mann blickt auf den Kellner.
“Nein, warum sind wir hier, bestellen können wir auch wo wir herkamen.” erwidert er.
“Wo wohnen Sie?” frage ich.
Er nimmt einen Zettel hervor und der Zettel lachte mich kurz an.
“Vor ihrem Fenster, da draußen, Sie kennen den Ort sicher.” sagt er.
Ich stehe auf und verlasse das Restaurant. Mein Wagen steht vor mir und ich steige in ihn ein.
Brausend fahre ich davon.
Die Straßen waren leer. Ich wußte nicht wo ich war.
“Was geschieht nur mit mir, ich muß hier weg, wo bin ich?” sagte ich.
Nach einigen Kilometern hatte ich auch schon meine Wohnung erreicht.
Als ich an meiner Haustür klopfte kam mir plötzlich in den Sinn, daß ich doch alleine lebe. Ich fand meine Wohnung wie immer dunkel vor und legte mich sofort in mein Bett.
Diese Fratzen in der Dunkelheit, dieser Stuhl der mich angafft. Und plötzlich kommt Bewegung in ihn und er schnellt nach vorne und zurück und nach vorne und zur Seite. Ich verlasse mein Bett und versuche ihn festzuhalten, aber er verwundet mich und wirft mich auf den Boden.
Ein warmer Strom fließt meinen Hinterkopf herunter und der Stuhl bäumt sich auf.
Ich lag auf dem Boden und sah dort diese bunte Leuchtreklame vor meinem Fenster, auf der anderen Straßenseite. Was geschah nur mit mir? Ich wurde hineingezogen, herausgerissen aus. Es war ein Leben in allen Dingen, überall war ein Leben. Ich dürfte nicht ihr Selbst beleidigen. Sonst kamen sie und sie waren überall. Sie waren meine Waffen, die ich gegen sie brauchte und sie waren überall, selbst ich war sie. Nun lag ich hier auf dem Boden, starrte an die Decke und wartete bis ich dort ankam, wo ich hingezogen wurde, und es würde bald sein, sehr bald.