Das "verarbeitende" Schreiben, das therapeutische Schreiben, würde ich jedoch klar von dem "literarischen" trennen. Ist wie mit Tagebucheinträgen und Zeitungsartikeln. Die einen schreibt man für sich, die anderen für anderen. Die einen sollen dem Leser "dienen", die anderen einem selbst.
Was mich betrifft, ist es nicht nur ein therapeutisches Schreiben, dafür müßte man es nicht veröffentlichen. Obwohl das Schreiben natürlich
auch Therapie ist. Aber ich verstehe darunter keine Tagebucheinträge, sondern ich habe auch viel aufzuzeigen, und es ist mir wichtig, die Geschichten bis ins letzte Detail auszufeilen - bei autobiographischen Geschichten mehr als bei fiktiven.
Daß ich die Geschichten nicht nur für mich schreibe, zeigen mir auch die PMs, die ich zu meinen Anna Irene-Geschichten schon öfter erhalten habe. Einmal hat sich eine Frau nur registriert, um mir eine PM schicken zu können, in der sie schrieb, daß ich ihr mit meinen Geschichten sehr viel aufgezeigt habe, was sie erst jetzt erkennt - sowohl in ihrer eigenen Kindheit als auch in der Erziehung ihrer eigenen Kinder. - Sowas gibt mir die Bestätigung, daß es richtig ist, was ich mache.
Und meiner Überzeugung nach geht es die Gesellschaft auch etwas an, denn weggeschaut wurde ja schon, als es passiert ist und es sie interessieren hätte sollen!
Und es ist auch die Gesellschaft, die mit den Folgen leben muß. Denn jeder Mißhandler oder Mißbraucher, jeder Mörder und jeder Amokläufer könnte keiner sein, wenn er rechtzeitig in eine Therapie gefunden hätte, was am ehesten dann geschieht, wenn der Betreffende getriggert wird, was wiederum durch solche Geschichten geschehen kann, und ihm auch der Mut gemacht wird, aus sich herauszugehen, und das können natürlich solche autobiographischen Geschichten auch, denn da ist ja schon jemand, der sich das traut.
Auch denke ich, daß man durch das Lesen solcher Geschichten ein feineres Gespür bekommen kann, um eventuelle Mißhandlungen (insbesondere auch psychische) oder Mißbrauch in der eigenen Umgebung besser zu erkennen, wenn man auch selbst nicht davon betroffen ist.
Ich finde es äußerst unangenehm, mich mit den persönlichen Tragödien von Menschen auseinanderzusetzen, die ich nicht kenne. Und die zu ihrem eigenen Stoff keine Distanz aufgebaut haben, wahrscheinlich gar nicht aufbauen können.
Wenn es nicht dabeisteht, Du es also nicht weißt, beschäftigst Du Dich ja auch damit, wo also ist der Unterschied? Nur, weil einer es offen zugibt, der andere nicht? Theoretisch kann jede authentisch wirkende Geschichte auch autobiographisch sein oder zumindest autobiographische Teile oder Wurzeln haben.
Zur Distanz: Verarbeitet sollte, wie gesagt, spätestens während des Schreibens werden, und je länger man sich mit dem Text beschäftigt, desto eher bekommt man auch Distanz. Natürlich nie so ganz, aber man sollte zumindest soweit sein, daß man sich nicht persönlich angegriffen fühlt, wenn ein Kritiker etwas ankreidet.
Das lernt man aber spätestens, wenn man es zwei-, dreimal falsch gemacht hat. 
Liebe Grüße,
Susi