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Seltsam - eine Kafkaeske

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19.02.2021
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Seltsam - eine Kafkaeske

„Seltsam“ war es. Seltsam, dachte er, als er seinen Haustürschlüssel in keine seiner beiden Jacketttaschen fand. Henrik Lumié stand an diesem Abend unter dem Vordach seines Eingangs und verfluchte sich dafür, dass die Glühbirne der Außenleuchte noch nicht gewechselt worden war, wie er es unlängst seinem Assistenten in Auftrag geben wollte, was er aber aus reiner Bequemlichkeit immer wieder verschoben hatte. Gerade einmal seine Hand vor Augen hätte er sehen können, es war doch eine außergewöhnlich düstere Nacht. Die Straßenlaterne vor seinem Anwesen hatte Lumié bereits vor Jahren von einem Freund in der Stadtverwaltung abschalten lassen, hatte sie ihm doch direkt durch das bodentiefe Schlafzimmerfenster gestrahlt und ihn in vielen Nächten seinen heiligen Schlaf gekostet. Wozu war auch eine Straßenlaterne nötig, wenn das Licht der Außenleuchte neben seiner Haustür den Weg von der Einfahrt durch den Vorgarten, ja sogar trotz der zahlreichen in Form geschnittenen Buchsbäume in jenem, bis hin unter das Vordach erleuchtete.
Als Lumiés Finger den Schlüssel noch immer nicht zu fassen bekamen, bemerkte er, dass die Luftfeuchtigkeit in dieser Nacht äußerst hoch zu sein schien. Die perfekt gegelten Haare begannen sich strähnchenweise aus der Föhnfrisur zu lösen und kräuselten sich, ehe Lumié die Möglichkeit bekam, jene zu bändigen. Der Stoff seines Anzuges war hochempfindlich, extra aus dem Ausland importiert und nicht an eine hohe Luftfeuchte angepasst, die im Gegensatz zu der alltäglichen, ganztägig trockenen und kühlen Büroluft stand. Henrik Lumié gab das Suchen in seinen Taschen auf und stützte seine Hand auf die Türklinke, um besser nachdenken zu können. Die Tür schwang auf. Überrascht stand Lumié einen kurzen Moment bewegungslos da, bevor er schnellen Schrittes seine dunkle Eingangshalle betrat.
Leichter wäre es gewesen, hätte ihm einer der Angestellten die Tür öffnen können. Nach einem unglücklichen Vorfall vor einigen Tagen musste er die drei Frauen und den Gärtner jedoch entlassen. Lumié war bereits auf der Suche nach neuen Haushaltshilfen, denn er war es nicht gewohnt und auch nicht in der Lage dazu, das Anwesen alleine instand zu halten. Wahrscheinlich hatte er deshalb an diesem Morgen den Schlüssel vergessen mitzunehmen, unter anderen Bedingungen hätte er nämlich keinen gebraucht. Auch im Haus war es düster, die Notwendigkeit, von einem Lichtschalter Gebrauch zu machen, sah Lumié jedoch nicht.

Den Mann, der ruhig auf der Kücheninsel saß, bemerkte Lumié erst, als er sich dort die Hände wusch und den Fuß des Mannes zur Seite schieben musste, um an das Handtuch zu gelangen, das am Haken seitlich an der Kochinsel hing.
„Wären Sie wohl so freundlich und würden Ihre schmutzigen Straßenschuhe von meinem Geschirrtuch nehmen?“
„Oh selbstverständlich. Verzeihen Sie bitte.“
Der Fremde, dessen Aussehen Lumié noch immer gänzlich unbekannt war, rutschte hörbar auf der Kücheninsel zur Seite. Seine Stimme war rau, er roch nach Rauch. Lumié wendete sich der Küchenzeile an der Wand zu.
„Kann ich Ihnen etwas anbieten? Ein Wasser?“, fragte er in die Dunkelheit.
Der Fremde gluckste. „Danke, nein.“
„Warum gehen wir nicht in das Esszimmer?“
Lumié war neugierig, er wollte aber nicht unhöflich sein. Wie war der Fremde in sein Haus gekommen? Hatte er vergessen die Tür zu schließen? Warum hatte der Fremde die Tür offengelassen? Ein dumpfes Geräusch war zu hören, der Fremde war von der Kücheninsel gesprungen. Seine schweren Schritte bewegten sich wie selbstverständlich in die Richtung des Speisezimmers des Anwesens und – Lumié glaubte fast, er müsse halluzinieren- der Mann pfiff eine Melodie. Verdutzt, aber nicht weniger neugierig setzte nun auch er sich in Bewegung.
Als er wenige Augenblicke später in besagtem Raum ankam, stellte er fest, dass der Fremde sich bereits auf dem Stuhl in der Mitte der Längsseite des Tisches niedergelassen hatte. Eine einzelne rote Stabkerze stand angezündet auf dem Tisch und warf kleine Schatten auf das Gesicht des fremden Mannes. Sein tiefer Atem bewegte die Flamme, ließ sie wild tanzen. Lumié ging langsam auf den Tisch zu und setzte sich dem Fremden genau gegenüber. Die Tafel war lang, aber nicht sonderlich breit und hätten beide Männer ihre Unterarme auf den Tisch gestützt, so würden sie sich an den Händen fassen können.
„Wie war Ihr Tag?“
Lumiés Blick flog nach oben. Das Gesicht des Mannes hätte auch auf einem „Gesucht- Plakat“ im wilden Westen abgebildet sein können. Zumindest stellte Lumié sich die gesuchten Verbrecher immer so vor, gesehen hatte er noch keinen solchen Film oder dergleichen.
„Wieso fragen sie das?“
„Ich muss das fragen. Wie war ihr Tag?“
„Muss ich Ihnen antworten?“
„Nein.“
„Soll ich es trotzdem tun?“
„Das ist egal.“
„Also gut. Wenn Sie es wollen. Das Büro hat zurzeit viel zu tun. Es ist stressig und wir können nicht alle Kunden zufriedenstellen.“
„Wie geht es Ihnen?“
„Es ging mir schon besser. Meine Angestellten, wissen Sie. Im Moment bin ich alleine und habe viel zu tun. Auf der Arbeit, im Haus. Warum wollen sie das wissen?“
„Weiß ich nicht.“
Der Fremde hatte sich zurückgelehnt, die Arme vor der Brust verschränkt. Er war kaum noch erkennbar, das Licht der Kerze reichte nicht aus, um ihn vollständig zu erleuchten. Seine Augen lagen im Schatten, Lumié konnte aber den buschigen, dunklen Bart ausmachen, der das Gesicht des Fremden verhärmt wirken ließ. Lumié war schlecht im Schätzen, es war ihm nicht möglich herauszufinden, wie alt der Mann sein mochte.
„Müssen Sie das fragen?“
„Ja.“
Stille.
„Wie“, der Fremde machte eine bedeutungsvolle Pause und sah sich, soweit Lumié das in dem spärlichen Licht erkennen konnte, im Raum um. Dann stützte er die Unterarme auf den Tisch und beugte sich nach vorne. Die kleine Flamme der roten Kerze war kurz davor, unter dem rauen Atem des Mannes zu erlöschen. „Wie können Sie sich das leisten?“
„Müssen Sie auch das fragen?“
„Nein.“
„Muss ich es dann beantworten?“
„Ja.“
Lumié schluckte. Der Fremde hatte die Stimme gehoben. Er war bestimmt und wirkte bedrohlich. So nach vorne gelehnt, warf die noch immer wild tanzende Flamme gespenstische Schatten auf das Gesicht des Mannes. Dessen Augen konnte Lumié noch immer nicht erkennen, sie lagen in der Dunkelheit.
„Ich habe geerbt.“
„Finden Sie das fair?“
„Wie bitte?“
Lumié konnte nicht einmal im Ansatz erahnen, wohin das Gespräch führen sollte. Warum stellte der Fremde so viele Fragen? Was wollte er damit bezwecken?
„Ich verstehe nicht ganz, was“
„Finden Sie das fair?“
Der Fremde wurde lauter, er beugte sich noch weiter nach vorne. Noch wenige Zentimeter -das bemerkte Lumié, als er versuchte irgendwo anders hinzusehen, nur nicht in das Gesicht Fremden- und die Flamme würde den Bart entzünden.
„Ich bin nicht sicher. Ja und nein.“
Der Fremde nickte, lehnte sich wieder zurück und strich sich über sein Bartende, als wollte er sichergehen, dass die Flamme nicht doch einige Haare angesengt hatte.
„Warum sind Sie hier?“
„Das wissen Sie doch.“
Hatte er einen Kunden zu sich nach Hause gebeten und es vergessen? Oder hatte sich jemand zu Besuch angekündigt und Lumié wusste es nicht mehr?
„Es tut mir leid. Ich“
„Das ist auch nicht wichtig.“
Es folgte eine Pause. Lumié rutschte unruhig auf seinem Stuhl hin und her. Sein Mund war mit einem Mal so trocken.
„Entschuldigen Sie mich bitte einen Augenblick.“
„Sicher. Es ist schließlich Ihr Haus.“
Etwas schwerfällig erhob sich Lumié -die Müdigkeit war ihm inzwischen in die Knochen gekrochen- und mit schnellen Schritten verließ er das Esszimmer. Den Blick des Fremden konnte er im Rücken spüren. Auf dem viel zu kurzen Weg in die Küche spielte er mit dem Gedanken -er hatte es vorher schon erwogen, die Idee jedoch wieder verworfen- einfach das Haus zu verlassen und in einer Unterkunft die Nacht zu verbringen, bis der Fremde das Haus wieder verlassen hatte. Doch auch diesmal schob er derartige Anflüge von Fluchtreflex wieder beiseite, hatte Lumié noch immer keine Ahnung, wie der Mann in sein Haus gelangt war. Wenn die Angestellten noch da gewesen wären -so überlegte Lumié, als er sich ein Glas aus der Vitrine und in die andere Hand eine Wasserkaraffe nahm- hätte der Fremde nicht im Dunkeln auf ihn warten müssen. Er musste sie entlassen. Der Praktikant des Büros hatte ihm in einer Mittagspause im Vertraulichen gesagt, er wisse, dass die Angestellten Unrecht getan hatten. Verbrechen duldete Lumié nicht -vollkommen gleich, um welches es sich handeln mochte- und so kündigte er den Hilfen noch am selben Abend. Langsam lief er zurück in den Speisesaal, wo der Fremde noch immer unbewegt und regungslos dasaß, und stellte Karaffe und Wasser vor sich ab. Er goss sich ein, der übermäßige Schwung mit der er die Karaffe zum Gießen hob, ließ das Wasser auf den Tisch schwappen.
„Oh verzeihen Sie bitte. Sind Sie nass geworden?“
Lumié wagte es kaum den Blick zu heben. Er hoffte inständig, die Sachen des Mannes nicht ruiniert zu haben.
„Nein.“
Nun sah er ihn doch an. Die Augen des Fremden lagen noch immer im Schatten verborgen, er konnte den Mann einfach nicht einschätzen, so sehr er es auch versuchte. Die Gestalt, wie auch sein Auftreten, er wirkte undurchsichtig und mysteriös. Tiefgründig, als könnte man niemals alles über ihn erfahren, aber gleichzeitig schien der Fremde offen und lesbar zu sein, er sprach direkt. Lumié eilte in die Küche, um ein Tuch zum Aufwischen zu holen, und brachte dieses nach getaner Arbeit wieder an seinen Platz. Es musste einige Zeit vergangen sein -er hatte nicht darauf geachtet, wie spät es war, als er sein Haus betrat, jetzt war es nach seiner Armbanduhr kurz vor Mitternacht- denn Lumié bemerkte, dass die rote Kerze ein Stück kleiner war als noch am Anfang des Gespräches. Er setzte sich dem Mann wieder gegenüber und betrachtete eingehend die kleine, sich windende Flamme. Wenn er die Kerze ansah, so musste er den -doch sehr einschüchternden- Fremden nicht direkt ansehen, war aber gleichzeitig auch nicht so unhöflich in eine gänzlich andere Richtung zu schauen.
„Für wen müssen Sie diese Fragen fragen?“, Lumié konnte sich noch immer keine Vorstellung über die Absichten des Mannes machen.
„Das ist nicht wichtig. Sie wissen es bereits.“
„Was weiß ich denn? Wer Ihr Auftraggeber ist?“
„Ich weiß nicht, was Sie wissen. Und Sie auch nicht. Aber ich weiß, dass Sie es wissen. Und Sie jetzt auch.“
Lumiés Blick schweifte durch den Raum und blieb bei dem halbvollen, bisher noch unangerührten Wasserglas am Tischrand hängen. Da traf ihn die Erkenntnis wie ein Schlag: Er hatte vergessen, dem Fremden etwas anzubieten.
„Entschuldigen Sie bitte, ich habe Sie gar nicht gefragt, ob Sie ebenfalls ein Glas Wasser möchten?“
„Doch haben Sie.“
„So? Wann denn?“
„Vorhin. Oder gerade eben. Das ist egal. Ich habe bejaht.“
„Dann entschuldigen Sie bitte, dass es mir entfallen war. Ich hole Ihnen sofort eins.“
Energisch schob er den Stuhl zurück und zügig ging er in die Küche. Hatte er den Fremden bereits gefragt, ob dieser etwas trinken wolle? Oder erlaubte sich der Mann einen Spaß? Die Verwirrung in ihm wuchs immer weiter. Immer mehr Fragen umtrieben ihn, die er sich nicht traute zu stellen. Er nahm ein weiteres Glas aus der Vitrine und setzte dann behutsam einen Schritt vor den anderen, als er in das dunkle Zimmer, das nur von einer einzigen Kerze beleuchtet wurde, eintrat. Lumié stellte das Glas vor dem Fremden ab und goss ihm, langsamer als sich selber zuvor, ebenfalls Wasser ein.
„Vielen Dank. Das hätten Sie nicht tun müssen.“
Lumié setzte die Karaffe ab und schaute den Fremden erstaunt an. Lumié war eine äußerst friedliebende Person, doch in diesem Moment stieg Wut in ihm auf.
„Aber ich habe Ihnen doch gerade Wasser angeboten und Sie haben es angenommen.“
„Nein, das haben Sie nicht.“
„Welches Spiel spielen Sie mit mir?“
„Welches Spiel?“, der Fremde lachte tonlos. „Ich weiß nicht, wovon Sie reden. Sie wissen gewiss, warum ich hier bin.“
„Wie sind Sie in mein Haus gekommen?“, Lumiés Stimme war lauter, als er es beabsichtigt hatte. „Entschuldigen Sie bitte.“
„Das ist nicht wichtig.“
Lumié setzte sich wieder auf seinen Platz. Der Fremde nahm nun sein Glas und trank einen Schluck, was Lumié an seinen eigenen trockenen Mund erinnerte. Also setzte auch er das volle Glas an und leerte es in einem Zug. Das ungute Gefühl in seinem Bauch, welches er dem Fremden gegenüber hegte, wuchs. Die Kerze, die noch immer am selben Platz genau in der Mitte zwischen den beiden Männern stand, erregte Lumiés Aufmerksamkeit. Die Flamme, welche den gesamten Abend unruhig hin und her gezuckt war, bewegte sich nun nur noch leicht. Sie wiegte sich hin und her, als stünde sie in einer sommernächtlichen Brise. Auch das Ticken der Standuhr schien mit einem Mal viel lauter zu sein. Lumié hatte sie an diesem Abend vollkommen ausgeblendet, nun drängte sich der gleichmäßige Laut des Pendels in sein Bewusstsein. Er kniff die Augen zusammen, um das Ziffernblatt erkennen zu können, im dürftigen Kerzenschein erkannte er jedoch nur den auf 11 stehenden Stundenzeiger. Lumié wandte seinen Kopf wieder dem Fremden zu. Er wollte etwas sagen, doch die Fragen in seinem Kopf bekam er nicht zu fassen. Er schloss also seinen Mund wieder und suchte stattdessen den Blick des Fremden. Dieser hatte Lumié die ganze Zeit stumm beobachtet. Er verzog sein Gesicht zu einem Lächeln.
„Haben Sie mittlerweile herausgefunden, wieso ich hier bin?“
„Wie denn, wenn Sie keine meiner Fragen beantworten?“, wollte Lumié erwiedern, schüttelte aber lediglich mit dem Kopf. Das Gespräch ermüdete ihn, er wurde aus dem Mann nicht schlau.
„Sie wissen es bereits.“
Lumié schüttelte erneut mit dem Kopf und strich sich verzweifelt Über sein Gesicht. Er durchforstete seinen Verstand bis in die hintersten Ecken nach plausiblen Dingen, die der Fremde von ihm wollen könnte: Geld, Kontakte im Büro, jemanden zum reden? Er kam zu keinem Schluss, war sich dennoch der Konsequenzen, die ihn erwarten würden, wenn er es nicht herausfand. Lumié wollte keinesfalls bestraft werden, er fürchtete sich davor, was der Fremde tun würde, wenn Lumié zugab, dass er nicht wusste, wie der Mann ins Haus gelangt war. Das Ticken der Uhr wurde immer lauter, es dröhnte ihm in den Ohren. Er warf der Uhr einen vernichtenden Blick zu, als würde sie, davon eingeschüchtert, plötzlich aufhören zu schlagen. Lumié stellte dabei mit Erschrecken fest, dass es bereits kurz vor 12 war. Er sah zu dem Fremden, der ihn regungslos beobachtete, dann plötzlich anfing, dieselbe Melodie wie zu Beginn des Abends zu pfeifen, und sich einige Augenblicke später ruckartig erhob. Der Luftstoß ließ das zuletzt nur noch winzige Flämmchen der schwarzen Stabkerze auf dem Tisch erlöschen.
„Wissen Sie, Sie haben es mir einfach gemacht.“
„Wovon reden Sie?“
„Nun, Sie haben noch ungefähr zehn Minuten um herauszufinden, was ich meine und warum es nur noch zehn Minuten sind. Der Grund dafür sollte Ihnen bekannt sein.“
Lumié spürte, wie sich das ungute Gefühl in seinem Bauch von vor einigen Minuten ausbreitete. Es war nicht das Gefühl dem Fremden gegenüber, es kam vom Magen.
„Ich fühle mich nicht gut. Ich würde Sie jetzt bitten zu gehen. Ein wenig Ruhe wäre angebracht, mein Schlaf ist mir sehr wichtig“
„Gewiss ist er das. Den bekommen Sie, aber denken Sie an meine Worte.“

Lumié wollte aufstehen und den Fremden zur Tür begleiten, doch seine Beine wollten ihm nicht gehorchen. Da entfernten sich das Pfeifen und die schweren Schritte. Augenblicke später fiel auch schon die Tür ins Schloss und ein Motor heulte auf. Aus seinem Vorhaben, sich ins Bett zu begeben, wurde jedoch nichts. Bei dem Versuch aufzustehen fiel Henrik Lumié mit dem Gesicht voran auf den polierten, kalten Marmorboden. Das Aufstehen blieb ihm verwehrt, seine Gliedmaßen ließen sich nicht kontrollieren. Er drehte den Kopf zur Seite, das Licht der Straßenlaterne schien ihm ins Gesicht. Sein Atem ging schwer und langsam, seine Lider wurden schwer.
Warum hatte er den Mann nicht nach seinem Namen gefragt?
Wo waren seine Haustürschlüssel?​

 

Puh, @Crash, der Titel ist ja mal eine Ansage.
Kafkaesk - ein Wort, das (meiner Ansicht nach) ein ziemlich hohes inhaltliches und stilistisches Niveau verspricht.
Zunächst finde ich, dass dein Erzählstil wirklich gut ist. Sprachlich ein sehr gelungener Text, du schreibst in einem angenehmen Tempo und bildhaft. Daher freue ich mich schon auf andere Geschichten von dir.

Wegen des Titels gehe ich davon aus, dass du den kafkaesken Schreibstil anstrebst und in eigener Form nachahmen willst. Dazu kann ich sagen: Kafkaeske Ansätze sehe ich auf jeden Fall, aber weiß nicht, ob diese auch ausreichen, um den gewünschten Effekt zu erzielen. Prinzipiell steht ein Fremder im Haus und Lumié weiß nicht, warum. Er versucht die Umstände seines Besuchs herauszufinden, doch der Fremde antwortet nur ständig, dass Lumié wisse, warum er dort sei. Das ist bis dato ganz gut gelungen.
Aber am Ende hätte ich definitiv mehr erwartet. Die Geschichte sollte da nicht zu Ende sein. Mein Vorschlag wäre: Der Fremde verrät ihm nicht, warum er ihn besucht, also verstrickt sich Lumié immer mehr in seinen eigenen Gedanken, spinnt sich selbst die Geschichte des Besuchs und der Gründe dafür zusammen. Erinnerungen kommen hoch, die tief aus seiner Seele hochsprudeln und seine düstere Seite zeigen, welche er zusammenfasst und irgendwie auf die aktuelle Situation zurechtlegt. Er denkt schließlich, dass der Besucher ihn für etwas Vergangenes bestraft, er ist ein Kopfgeldjäger seines eigenen Gewissens. Irgendwann hat er sich so in seinem eigenen Verstand verworren, dass es ihn vor Schuld und Ausweglosigkeit zerfrisst. Zusammengefasst: Der Fremde macht selbst nichts, aber Lumié zerstört sich mit eigenen Gedanken selbst.
Ist nur eine Idee - ich habe Kafkas "Der Prozess" selbst nur einmal gelesen (und war sehr begeistert), aber erwarte von einem "Nacheiferer" etwas mehr.

Selbst, wenn dir mein Kommentar nicht weiterhilft, einen Tipp habe ich noch: Arbeite unbedingt an der Formatierung! So wirkt der Text wenig attraktiv.
Absätze bei Szenenwechsel (z.B. wenn sie ins Wohnzimmer gehen) und Textumbrüche bei Sprecherwechsel.
Ein Beispiel (ich glaube zumindest, dass es so geht):

Dessen Augen konnte Lumié noch immer nicht erkennen, sie lagen in der Dunkelheit. „Ich habe geerbt.“ „Finden Sie das fair?“ „Wie bitte?“ Lumié konnte nicht einmal im Ansatz erahnen, wohin das Gespräch führen sollte.
Dessen Augen konnte Lumié noch immer nicht erkennen, sie lagen in der Dunkelheit. (Umbruch) „Ich habe geerbt.“ (Umbruch) „Finden Sie das fair?“ (Umbruch) „Wie bitte?“ Lumié konnte nicht einmal im Ansatz erahnen, wohin das Gespräch führen sollte.
„Es tut mir leid. Ich“
Wenn man Wörter weglässt, macht man das, denke ich, so:
„Es tut mir leid. Ich ...“

Du bekommst bestimmt mehr Kommentare, wenn du das mit der Formatierung zeitnah änderst.
Schreib gerne, ob dir das weitergeholfen hat. :)

Liebe Grüße,
Waldläufer

 

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