Sensorium des Seins
Und Sie stehen eines Nachts auf. Nein – zuerst öffnen Sie Ihre schlaftrunkenen Augen, stellen fest, dass Sie in Ihrem Bett liegen. Alles gewöhnlich, da es vertraut riecht und auch anfühlt. Erst zögern Sie. Schließlich wandert der Blick zu dem kleinen Radiowecker auf dem Nachtisch, diese grellen Zahlen springen Ihnen förmlich ins Gesicht 4:20Uhr. Also doch mitten in der Nacht. Sie schließen Ihre Augen und nicht einen Moment später springen diese wieder auf. Jetzt erst beschließen Sie nach 4 Minuten und 17Sekunden gründlichste Überlegungen anzugehen. Erst jetzt. Sie stellen unweigerlich fest, dass es eindeutig zu früh ist um den Tag zu beginnen, diesen Tag, den 17.Mai. Es ist selbst zu früh um den nächsten Schritt zu planen. Ihr Gedankengang schweift zwischen Duschen, Kaffee und der ersten Zigarette und während dessen wandern die Füße schon fast heimlich und unbemerkt die Treppe hinunter. Mit dem Beschluss eine Zigarette zu rauchen und anschließend doch wieder ins Bett zu kehren, finden Sie sich auf der Terrasse wieder. Mit nackten Füßen. Und? Es ist egal. Zuerst wippen Sie leicht mit den nackten Füßen auf der gefliesten Terrasse auf und ab, als ob Sie sich dadurch mehr Gefühl versprechen würden. Sie spüren den kalten, leicht nassen Stein, als wäre es etwas neues, schier unbegreifliches. Mit dem Betätigen des Feuerzeuges, das kleine Klicken, welches sonst immer vom Alltag verschlungen wird, bemerken Sie etwas, was Ihnen unbegreiflich vorkommt.
-Nichts-
So sehr Sie nun Ihre Ohren auf Spannung halten und sogar für einige Sekunden den Atmen anhalten – Sie können Nichts hören. Es scheint als ob die Welt, oder viel mehr nur Ihre kleine Welt genau jetzt, gerade am 17.Mai um exakt 4.48Uhr aufgehört hat zu sein, zu atmen, sich zu drehen. Alles erstickt , wie Sie vorhin, um zu lauschen.
Was fühlen Sie jetzt gerade? Es scheint unfassbar. Gemächlich zünden Sie Ihre Zigarette an und lauschen gebannt dem Knistern. Verträumt gleitet der Blick von dem Nichts gen Himmel. 1000 kleine Hoffnungsschimmer. Helle Flecken. Fremde Welt. Das Draußen. Das Nichts.
Vereint im dem Hier. Es scheint, als stehe alles still. Zeit und Raum. Selbst Ihre Gedanken sind hinfort, irgendwo da draußen in der Nacht, verstummt im Nichts. Mit jedem Zug und jedem Knistern fühlen Sie sich ein Stück Freier –Freiheit. Ist es das? Was Sie wollen? Was wollen Sie? Nein, Sie wissen definitiv, dass Sie diesen Gedankengang nicht jetzt, nicht hier fortsetzen wollen. Nicht hier, Barfuss mit einer halb abgeglühten Zigarette, morgens auf der Terrasse – im Nichts.
Und dennoch wissen Sie eines. Sie fühlen sich frei. Mit jedem Zug spüren Sie wie der blaue Dunst Ihre Lunge durchströmt. Und für einen kurzen Augenblick noch schließen Sie Ihre Augen und stocken den Atem. Sie hören nun nicht nur dieses Nichts, Sie spüren es auch. Manchmal streichelt ein sanfter ,kalter Windzug Ihre Haut und dann ruht wieder alles. Noch ein Zug, ein letztes Knistern. Für einen vergifteten Atemzug sich noch frei fühlen. Das Gefühl auskosten, es ist unbezahlbar. Haben Sie schon einmal die Nacht gespürt? Mit dem Zerdrücken der Zigarette verabschieden Sie sich von Ihrer Idylle und Sie verabschieden sich von Ihrem, in Form einer kleinen, schwarzen Amsel, die den Anbruch des 17.Mai verkündet, ewig selben, alten Lied.