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Shining süß sauer
Shining süß sauer
Die folgende Geschichte beruht auf Tatsachen; verdrehten Tatsachen zwar – aber immerhin.
Meine Reisen nach China, beschränkten sich bis vor wenigen Jahren, lediglich auf die Besuche bei »Shing-Kang«, dem Chinesen meines Vertrauens und Ernährer eines Großteils der letzten Jahre. Ein Wirtshaus der Gemütlichkeit, welches den unverwechselbaren, »Jepp-so-stell-ich-mir-China-vor«-Plastikcharme vermittelte; unterstützt durch ein zentral platziertes Zierfischaquarium nebst Tellerwärmern im SCUT-Raketen-Format und irgendwie beunruhigendem, asiatischem Gebabbel aus der Küche.
Die – Originalton meiner Flamme: »Hach, so eine kuschelige Atmosphäre«, wurde komplettiert durch eine schier endlose Bandbreite frittierter Gerüche und untermalt von arglistigen Klangteppichen geheimnisvoller Panflötensolos, welche sich klammheimlich ins Hirn schrauben, um noch Stunden später ein Vergessen des Besuches auszuschließen.
Mir ging jedes Mal die Kotze über, ob des Augennervzersetzenden Grün-Rot-Gedöns um mich herum. Ein Fensterplatz war die einzige Alternative, den Brechreiz mit Hungergefühl zu konfrontieren; die Nähe zum Ausgang die innerliche Rettung.
Dass der alte Kang wohl eher Vietnamese war, unterstrich die Zuversicht, die ich für seine fernöstliche Küche sowie das örtliche Veterinäramt hegte. Obendrein war ich bis dato der Ansicht, meine kühne Gleichgültigkeit (weil, gleichgültige Kühnheit halte ich für schwachsinnig) gegenüber nicht abgewaschenem Geschirr, dreckigen Toiletten sowie SambalOelek und diesem beschissenen Pflaumenwein, rühre von einer mir gegebenen Superheldenkraft, die ich bei einem dieser typischen »unscheinbarer-Typ-erhält-Superkräfte-durch-Gammastrahlen«-Unfälle erwarb, als ich elf war oder so.
Die chinesische Kultur eröffnete sich mir demzufolge und nicht zuletzt, in Form von Pekingente, Krabbenchips, schier unglaublich Realitätsnahen Wandmalereien und BruceLee-Filmen; sofern samstagabends, bei Video-Schröder nicht schon alle guten Filme weg waren oder bumsen einfach die bessere Alternative darstellte.
Stellen sie sich die Überraschung vor, als die Volksrepublik China, eine ihrer Borgdrohnen entsandte, um meiner Wohngemeinschaft einen dreimonatigen Assimilierungsbesuch abzustatten.
Dieser Borg – nennen wir ihn erstmal Locutus, wurde zu meinem persönlichen Kryptonit.
Gut, nur weil Kryptonit im Allgemeinen grün ist und kein Visum beantragen muss, bedeutet das noch lange nicht, dass kantonesische Cyborgs, die »sooooo cool aussehen«, nicht minder aufenthaltsberechtigt und gefährlich sein können.
Ich kann mich noch genau an den Tag des Einzugs erinnern.
Es war Sonntag, im Jahr des Affen.
Es regnete Frösche, alle Flüsse schwollen zu blutigen Strömen heran, Heuschrecken plagten das Stadtviertel, innerhalb einer Minute gingen sieben dürre Jahre ins Land und es war, als ob Gott den Arm ausstreckte, klingelte und seinen gewaltigen Zorn bei uns einziehen ließ.
Warum er das tat?
Ich weiß es nicht, eventuell weil sich der Großteil meines Religionsunterrichtes in der Dessousabteilung von Karstadt abspielte oder infolge meiner »Es-gibt-keinen-Gott«-Aussage, anlässlich Kahns Patzers im Finale der Fußballweltmeisterschaft 2002.
Brasilien..., pff (bitte verächtlich lesen!).
Vielleicht war es aber bloß ein geschickter Schachzug der Hausverwaltung, das kleinste Zimmer (von uns liebevoll als Abstellkammer und gelegentlich als alternative Bumsbude genutzt) an alles und jeden zu vermieten, der bereit war, gegen ein erhebliches, auf ein Zürcher Nummernkonto zu überweisendes Entgelt, mit Besen und Schrubbereimer um die Wette zu schnarchen.
Da Fremdverwaltete Wohngemeinschaften tückisch sind; warum das so ist, kann ich hier leider nicht plausibel machen (Copyright und so), machte es urplötzlich *PUFF* und schon stand er da, mitten im Flur. Mao Tse-tung und sein großer roter Koffer.
Ich habe bis heute keinen blassen Schimmer wie die das machen. Ehrlich. Wie Houdini.
Es kann aber auch sein, dass er einfach klingelte; ich weiß es beim besten Willen nicht mehr.
Bevor ich die Tür öffnete, hockte ich gerade vor meinen Nikes und deodorierte sie liebevoll mit Rexona. Die Art, wie ich das handelte, machte mich dermaßen geil, dass ich heute noch jogge. Sachen gibt´s…
Als ich Johnnie (so nannten wir ihn schlussendlich, da es für uns wohl nicht vorgesehen war, seinen richtigen Namen jemals aussprechen zu können und sein Grinsen, dem von Jack Nicholson in Shining in nichts nachstand) aufmachte und so ansah, stellte ich mit Erstaunen fest, dass panikartiges Zittern und erhöhter Blutdruck eine Geißel unserer Zivilisation sein müssen. Außerdem war ich überzeugt, dass dies nicht der neue Lieferjunge mit Bestellung Nummer dreiundvierzig, fünfundvierzig ohne Zwiebeln aber extra Sojasauce und ner Büchse Coke light sein konnte.
Als mein Blick ungefähr ein dutzend Mal zwischen Koffer und Johnnie hin und her wechselte, wurde mir klar, wie viel lieber mir der Koffer gewesen wäre. Ohne Inhalt natürlich, denn wie ich später feststellte schien der Zoll bewährt schlampig zu arbeiten (aus psychologischen Gründen und der gruseligen Sendung KofferHoffer wegen, möchte ich nicht näher auf das Thema eingehen).
Die Tür, die hätte ich gar nicht erst aufmachen sollen; warum mir das damals nicht in den Sinn kam, ist mir bis heute ein Rätsel. Schließlich dämmern die Worte des Hausmeisters noch immer in meiner totalen Erinnerung: »Keine Sorge, die Türen halten Einbrechern bis zu hundertachtzig Kilo stand, sind wasserdicht und Feuer abweisend, haben ein fast reelles Holzdekor und falls mal jemand Kryptonit gegen schmeißt, müssen sie ja nicht aufmachen. Flurwoche ist immer samstags. Scheiß Studentenpack.«
So ne Kacke, aber zu jener Zeit war ich der festen Überzeugung, Studentenpack sei ne Stange Billigfluppen ausm ALDI und Flurwoche nur Spaß.
»Krosse Ente, sön saaf«, würgte mein Kehlkopf, mit tief empfundener Abscheu mir selbst gegenüber hervor.
Es ist schwer zu veranschaulichen, aber die sprachliche Kompetenz, sogar die fremdenfreundliche Selbstkontrolle, ging geradewegs flöten.
Das Hilfsbereitschaftszentrum im linken Hirnlappen, sendete aber rechtzeitig warnende, stechende Gewissensbisse an mein Herz.
»Zimmer, da«, sprudelte ich anmutig, in höchstem deutsch und vor Nächstenliebe getrieben über, ehe Gott mein Leben - mit Donner, Blitz, vierzig Jahre Wüste und so - stornieren konnte.
Nachdem das Begrüßungszeremoniell abgehakt war, schloss ich mich in meinem Zimmer ein, sackte könnerisch aufs Bett und versuchte in aller Eile ins Land der Träume zu rennen; joggen ging ja nicht mehr, überall Heuschrecken und blutüberströmte Frösche. Also echt.
Ein penetrantes Klopfen wummerte sich hartnäckig einen Weg in meine, herrlich brünstige Elle-McPherson-REM-Phase.
Als ich die Augen öffnete, stand mein alter, der völligen Verzweiflung verfallene Mitbewohner im Raum. »Ey Keule, bist ja auch da«, verriet ich schlaftrunken und mit der sprachlichen Präzision eines Zweikommaachtpromillesechsjährigen.
»Chinese.In.Küche.Hab.Angst.Brauche.Hilfe«, konnte ich noch Morsecodeartig erfassen, der Rest war in einem derart gestotterten Gebrabbel zusammengeschnoddert, dass ich erstmal entschieden lachen musste.
Aber bevor sich mein Zwerchfell an die erheiternden, rhythmischen Krämpfe gewöhnen konnte, hatte ich den TotalRecall, verbunden mit der Befürchtung ich könnte Arni sein und unsere Wohnung würde die Invasion der chinesischen Volksarmee nicht überstehen.
Ich sah unsere Menschenrechte schon von Panzern überrollt; Glückskekse backend, im Arbeitslager Sprüche klopfen.
Mein Vestibularorgan (ja, ich hätte auch Gleichgewichtsorgan schreiben können – wollt ich aber nicht, hap ja schlisslich abie) hatte anscheinend anderes vor, wodurch ich mir den Schwindelanfall erklärte. Ich stürmte elfengleich ins Bad – ganz schön gekonnt nebenbei, denn immerhin war ich ja drehkrank am Start – und es krampfte versäuert speiend »brwürghblubberspuckgrbl« aus mir heraus.
Es war faszinierend, aber in Anbetracht des sich aufbauenden Anblicks, blieb mir ein beachtlicher Teil im Halse stecken.
Das Badezimmer glich dem Vorhof einer tropischen Hölle.
Über der Dusche hingen ein halbes Dutzend Schlüpfer in den farbenprächtigsten Grautönen, das Klo verschluckte sich an diversen chinesischen Tageszeitungen und blubberte bedrohlich vor sich hin; ferner schien mein Handtuch von Dreck vergewaltigt und das Waschbecken…
…»jaleckmichamarsch« wo verflucht war das Waschbecken?
Überall Nebelschwaden, es war schwerlich etwas zu erkennen; die Luftfeuchtigkeit war so hoch, dass ich Angst hatte zu ertrinken.
Brodelnd stieg meine Körpertemperatur auf Kampfjettriebwerkniveau; ich litt an persönlicher Kernschmelze und drohte in einem menschlichen China-Syndrom durch den Erdball zu rauchen.
Haare raufend und vor Wahnsinn lachend, stolperte ich hinaus, und atmete tief die trockene Luft des Raufasertapetenumrahmten Flurs.
Als sich meine Sinne wieder an das gemäßigtes Klima gewöhnt hatten, sammelte ich all meinen Mut und ängstigte mich Richtung Küche. Total im Arsch by the way.
Dresden, Hamburg oder Köln. Auf jeden Fall 1945.
Die Küche war nur noch Schutt und Asche und im Gegensatz zum Bad, der wahrhaftige, zugebomte Ort der Verdammnis. Mittendrin stand unsere neue, volkseigene Errungenschaft, spärlich bekleidet mit schickem Schlüpper, breit grinsend vor seinem (offenbar explodierten) Werk.
Ich weiß im Übrigen nicht wie er es machte, aber in drei Töpfen und zwei Pfannen kochte und brutzelte es - bei insgesamt nur zwei Herdplatten. »Fas-zi-nierend«, um einmal Spock zu zitieren.
Gerade im Begriff ohnmächtig zu werden, reichte er mir eine kleine Schüssel, gefüllt mit – tja, ich hoffte inständig Lebensmitteln und bellte dauernd so etwas Ähnliches wie: »Hund. Hund«.
Mit der größten Abscheu und ungeheuerlichsten Tierliebe, die ich jemals bei der Nahrungsaufnahme Gassi geführt hatte, probierte ich ein Häppchen.
»Wenn ich schon sterben muss, wenigstens mit akutem Darmverschluss«, reimte ich so vor mich hin. YO!
Schluckend kalkulierte ich die Diagnose meines Internisten ein: »Mit dem größten Bedauern muss ich ihnen mitteilen, dass ihr Gaumen im Arsch ist aber sie können von Glück reden; ihr Darm hat wieder offen.«
Die Konturen der gesprengten Kombüse und des untermieterischen Schiesser-Models verschwammen, während es prächtige Farben regnete und sich mein Körper der unvermeidlichen Besinnungslosigkeit hingab.
Die Freuden des Komas dauerten drei Monate, denn glücklicherweise hatte sich mein Gehirn Beschützerinstinkthaft entschieden, dieses temporäre Andenken zu löschen und mich Zeitversetzt zu rebooten.
Nachdem die Wohnung in ihren Urzustand zurückversetzt worden ist, kehrte ich wieder in mein gewohntes Leben zurück. Die Tage in meinem Herzen waren erneut sonnig und von unbekümmerter Leichtigkeit erfüllt. Bis…
…das Schloss knackte und die Tür aufschwang.
Ich roch es, ich verdammtnochmal roch es und behielt Recht. Er war wieder da. Zack. Mitten im Flur. Grinsend.
Es war wie in Planet der Affen; nur ohne Affen, und Zukunft.
Ich sah meine wohngemeinschaftliche Zivilisation am Strand, vor den verfaulten Resten der Freiheitsstatue zusammenbrechen.
Doch bevor ich erneut abklappte, knallten mir die unheimlichsten Bilder durch den Kopf; Blut schoss aus Fahrstuhltüren; bluttriefende, verkehrtherume Wörter erschienen auf Spiegeln; ein kleiner Junge nervtötete kehlköpfig »redrum, redrum«, …
…letzte faselnde Worte; es klang wie: »Here´s Johnnie!«