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Sie ist Taub-Stumm

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24.04.2003
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Sie ist Taub-Stumm

Wir haben heute Jahrestag.
Eigentlich kennen wir uns schon vier Monate länger, aber da ging es bloß immer um das gegenseitige schnorren von Zigaretten.
Am ersten Tag war mir ihre stille Art nicht aufgefallen. Kurzer, fast freundschaftlicher Stoß mit dem Ellebogen, und der Blick auf meine Marlboros.
Mittwochs hatte sie mir dann wortlos eine Pall Mall hingehalten.
Bahnsteig für die Gleise acht bis zehn. Hier ist morgens viel Gesocks unterwegs. Zuerst hatte ich mich erschrocken; und das alles wegen einer blöden Zigarette.
Sie lächelte, steckte mir den Filter gegen die Lippen, bis ich sie endlich ein Stück weit öffnete.
In der Nähe gibt es eine Schule für Taub-Stumme.
Anfangs haben wir nur jeden Morgen Zigaretten ausgetauscht.
Irgendwann - keine Ahnung, warum - bin ich ihr nach, ganz unauffällig. Sie ist nicht zu irgendeiner Schule gegangen. Natürlich nicht.
Es war ein Plattenbau, und die Nummern der Wohnungen dreistellig.

Es ging so weiter; Morgen für Morgen ... ich ihr eine Zigarette anbietend, sie mir tags darauf eine Zigarette gebend; augenblickliches Lächeln, stilles Zwinkern, aneinander besser kennen lernen in drei Sekunden; in fünf Werktagen, das Wochenende ausgeschlossen ... und so war mein Leben.
Nachts ein Augenzwinkern lang am dornenbesetzten Strohhalm ihrer Gegenwart saugen dürfend; wissend, dass sie ein Traum bleiben wird.

Wir haben heute Jahrestag. Es waren vier Monate mehr, bis wir zusammen kamen.

Und nun sitzen wir hier.
Plötzlich, ohne jede Vorwarnung, die im Morgengrauen aufgehende Sonne zwischen flauschigen Wolken betrachtend, sagt sie: "Es ist wunderschön!" - Und ich kann kaum glauben, weil ich nicht höre.
Ich vermute bloß.
Ich wünschte, ich könnte sprechen, oder schreiben, oder hören, dass sie gerade "wunderschön" gesagt hat.
Doch das kann ich nicht.

Dann schlafe ich ein.

Wir hätten heute Jahrestag. Ich bilde mir ein, mit dem Rauchen aufgehört zu haben. Ich bilde mir ein, sie jemals gekannt zu haben.
Ich bilde mir ein, hören oder sprechen zu können.

Still schreie ich in die Nacht hinein.

 

Hi Cerb,

also sozusagen eine Pointengeschichte, da man die ganze Zeit annimmt, das Mädchen wäre taubstumm. Es ist aber nicht mal real, auch kein Traum, sondern eine Fantasie vor dem Einschlafen. Die Zigarette kann man dabei als orales Symbol für den Wunsch nach Zärtlichkeit lesen, auch wenn das eine Überinterpretation sein kann.
Sprachlich mal wieder ein bisschen geschlampt, gerade als Fantasie ist der Text ja nicht auf Umgangssprache angewiesen.

Eigentlich kennen wir uns schon vier Monate länger, aber da ging es bloß immer um das gegenseitige schnorren von Zigaretten
Wenn schon so ein grauenhafter Satz, dann bitte "Schnorren" groß. Ich würde aber vorschlagen: ... länger, aber in denen haben wir nur gegenseitig Zigaretten geschnorrt.
Kurzer, fast freundschaftlicher Stoß mit dem Ellebogen, und der Blick auf meine Marlboros
Ellbogen oder Ellenbogen; kein Komma
in fünf Werktagen, das Wochenende ausgeschlossen
mE an fünf Werktagen - die schließen das Wochenende schon aus, der Teil ist also redundant.
Es waren vier Monate mehr, bis wir zusammen kamen
"bevor" statt "bis"


Lieben Gruß
sim

 

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