Sie ist tot
Sie ist tot
Wintermorgen. Es ist früh und ein kalter, weiß-schimmernder Nebel sucht sich seinen Weg durch die eisbeschichteten Straßen unserer Stadt. Die Gehwege sind glatt, sie glänzen förmlich, als sei es eine dünne Wasserschicht, die dort aufgetragen wurde. Ich schaue aus dem Fenster und sehe keine Menschenseele. Das macht es interessant, weil kein bunter Fleck die monochrome Fläche bricht. Ich denke schwarz-weiß, sehe Bilder von früher, wie ich einst im Garten spielte, einen Schneemann baute, meine Nase und meine Ohren vor Kälte weh taten. Sehe den Kamin danach, als ich drin saß, meine Eltern mir Beachtung schenkten, wir zusammen Familie waren. Heute ist es dunkel, alles wie früher, nur einfarbig.
Ich wünsche mir, dass mich nun nichts unterbricht, ich die Szenerie genießen kann und nur mit meinen Erinnerungen den Augenblick bestreite. Es sind Geräusche im Hintergrund, die die Stimme, die mit mir spricht, zu unterbrechen zu versuchen, es aber nicht schaffen. Ich lass es nicht zu. Es ist meine Unterhaltung, meine Stimme, sie spricht zu mir, zu niemanden sonst. Ich fühle mich entspannt, ich bin ruhig, weil niemand anders uns beide hört, niemand etwas dazu sagen kann. Es ist einzigartig, es ist nur für mich, jetzt und sonst nie wieder. Das ist entspannt, das lässt einen den Filter verkümmern, das macht keine Zensur nötig.
Auf unserer Welt liegt eine schwarze Schicht von Pestiziden, gesprüht von den Leuten, die die Farben nicht mehr sehen konnten. Von Leuten, die es satt hatten, den Regenbogen jeden Tag zu sehen, weil er kein Individuum mehr war. Ich mag die Schicht, mag die Leute, aber die Welt darunter nicht.. Mit der Schicht ist die Wellt etwas heuchlerisches, sie ist nicht sie selbst. Oft scheint eine verdickte Farbe durch, wird gebrochen und erscheint in einem schlammigen Braunton. Niemand mag Braun, weil die Farbe an sich nicht ehrlich ist. Es sind immer zwei, so sagt man jedenfalls, es gehören immer viele dazu, einer allein macht sich nicht dreckig.
Ich fühle mich geborgen, weil ich reden kann und verstanden werde ohne erklären zu müssen. Wenn man etwas erklärt, dann ist diese Erklärung von Nöten, um sich selbst zu rechtfertigen, um überhaupt verstanden zu werden. Diese Art der Rechtfertigung macht Stress, geht einen auf die Nerven, wenn sie zu oft ausgenutzt wird. Die Stimme versteht mich ohne Worte, will mich verstehen, kann gar nicht anders. Sie muss mich verstehen. Das bin ich, das ist meine Stimme, die nimmt mir keiner, die will auch keiner.
Ich rede, sie hört zu und kommentiert nur dann, wenn ich es möchte. Sie selbst hat keine Meinung, nickt nur ab und tut gut. Ich sag ihr, dass ich keine Lust habe etwas zu tun, bei dem ich mich nicht wunderbar fühle, etwas zu tun, welches mir auferlegt wurde, weil jeder Mensch bestimme Sachen auferlegt bekommt und tun muss, obwohl er sich dabei nicht wunderbar fühlt. Die Stimme sagt, dass ich es nicht muss, aber die Folgen kennen würde. Natürlich kenne ich die Folgen, ich bin mir bewusst, aber kann den Mut, die Stärke nicht aufbringen, um mich selbst zu überwinden. Das ist Selbstdisziplin, das ist Akzeptanz, das ist das Leben, zumindest in seinen Grundzügen, ohne dessen, niemand überleben könnte. Mein Gewissen spielt Geige, das Lied vom Tod, ich höre es und kann es identifizieren, aber trau mich nicht den Spieler zu bitten, aufzuhören. Die Stimme gibt mir einen Stein in die rechte Hand und sagt mir, ich möge werfen, wenn ich ohne Sünde sein wolle. Ich frage nach, aber sie scheint es sehr ernst zu meinen. Ich bin unsicher. Ich denke nach, aber komme wieder nicht voran. Ich kenne dieses Gefühl, es macht nach einer Weile depressiv, traurig, melancholisch. Ich will das jetzt nicht und schließe die Augen. Ich hole Schwung, den Arm weit nach oben, jetzt runter, Spannungsausgleich und zertrümmere seinen Hinterkopf. Stille.
Ich bin ein Mörder und die Stimme in mir scheint verstummt. Ich frage sie, warum sie nun schweigt und sie fängt an Geige zu spielen, das gleiche Lied, welches auch der Tote gespielt hat, nur ein wenig leiser. Ich hasse sie dafür, hasse mich, hasse in diesem Moment alle, außer den Spieler, der tot am boden liegt.
Ich sehe den Stein in meiner Hand, sehe Blut daran und schlag ein weiteres Mal zu.
Die Stimme meint, dass ich ein Idiot sei, weil ich meinen Mund nicht aufgemacht habe.