Bis jetzt wurde ich verschont
Welch ein plastischer Einstieg, der den Leser sofort mit der Frage konfrontiert: "verschont? Wovon?" Dieser Einstieg entzündet ein Feuerwerk an Fantasien. Der atemlose Leser kann es kaum erwarten, sich das zweite Kapitel reinzuziehen. Umd prompt kommt es...
... habe mich hier den ganzen Tag über in meinem Zimmer verschanzt, Fenster und Türen verriegelt, die Bettdecke schützend um mich gewickelt und gewartet.
Oh mein Gott. Sogar verschanzt. Das Verriegeln von Fenster und Türen als konsequente Handlung eines konsequent Handelnden. Eine wahrlich überzeugende Sentenz, die sich in einem perfekten Spannungsbogen aufschaukelnd und in Richtung Bett bewegend den Leser umfängt mit bangem Schaudern und entsetzt geweiteten Augen ob der Dinge, die sich hier anbahnend den eisern gepflasterten Weg des Erzählers von statten gehen lässt. Ist eine Steigerung machbar? Sie ist.
Schlaf, Hunger, Durst und andere Bedürfnisse, alles habe ich eisern bekämpft.
Hier folgt das narrative Moment, das uns die vollkommene Ohnmacht gegenüber unsäglich waltenden Gefahren, die sich im Kopf des Prot zum völligen Entsagen sogar aller Lustbarkeiten steigern, eine Passage unmenschlicher Pein andeutend, die folgerichtig diese Geschichte in eine schwindelerregende Höhe erzählerischen Wagemuts katapultieren.
Jetzt sind es nur noch wenige Minuten ... wenige Minuten, in denen etwas passiert oder nicht ... wenige Minuten, die alles entscheiden werden ...
Mit dem Stilmittel der Repetitio Temporis erzeugt der Autor einen wilden Strudel sich aufwühlender Gedanken. Gedanken nach einer Zeit jenseits der Zeit und allem Zeitlichen, das der Prot zu segnen fürchtet. Wir wissen es nicht und verschlingen den nächsten Satz wie ein ausgehungerter Kodiakbär ein Häppchen Lachs.
Mit großem Geschick leitet der Autor an dieser Stelle über zu einem tatsächlich handelnden Protagonisten. Hatte er zuvor nur beschrieben, was bereits geschehen war, finden wir uns nun im Hier und Jetzt wieder. Es geht los! Es geht los!
In einer Sekunde würde dieser Spuk vorbei sein. Ich hatte es geschafft.
In diesem Moment kamen sie unter dem Bett hervorgekrochen.
Nur eine Sekunde! Eine Sekunde, in der eine Lanze ein Herz durchbohren oder ein nasser Furz entweichen kann. Herrje! Wie wird das enden? Was kriecht da unter dem Bette vor? Ekelhafte Schleimmonster? Aliens? Pippi Langstrumpf? Jetzt also das FINALE!
"ÜBERRASCHUNG!"
Oh nein, sie haben mich wieder drangekriegt.
Hier wird der Leser maßlos überwältigt und erschüttert sein ob dieser gerissenen Pointe. Nicht der Ausruf "AprilApril", nein, das hervorgestoßene "ÜBERRASCHUNG" ist es, das einen gleichsam erstarren lässt.
Kurzum: nett!
Grüße, nic