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SIE
Den Gang herunter, schneller, nach links abbiegen, Spintreihen. *Boom* Mädchenkörper zittert - an die Tür gepinnt - fällt zu Boden, blutet. Weiter. Nicht ausrutschen. Überall Blut. Nicht reintreten. Leute schreien. So laut - fuck, haltet doch die Fresse ihr Wichser, das war nicht meine Idee! Einen Jungen anrempeln, zurückschubsen. Blond - David landet im eigenen Saft. Urin? *Peng* rutscht wegen der einschlagenden Kugeln herum. Hände klatschen wie Hüpfefische auf das Linolium. Urin spritzt auf. Ich wollte das nicht tun, Davie! Losrennen, hinfallen, aufrappeln. Waffenlauf gegen den Kopf der Lehrerin. *Patsch* und *dongs* gegen die Wand. Sie schreit.
Nicht meine Schuld. Haltet doch die Fresse. Hört auf zu schreien. Blindfeuer in einen Gang. Erstaunlich wenig Rückstoß. Wow, Händevibrieren aber sonst nichts. Herz klopft. Leute fallen zu Boden. Um die Ecke schauen. Vier. Tot am Boden. Einer spuckt noch Blutsabber. Ich wollte das hier nicht.
Polizeisirenen werden lauter. Alles laut. Hand von hinten an der Schulter. Erschrocken umdrehen und *kawhoosh* abknallen. Herzschlag, Knoten im Hals. Trockene Fresse. Riker, mein Kumpel. Zuckt noch. In den Kopf schießen. Tränenwegwischen und nochmal wegwischen und irgendwas brüllen und Knieezittern und rotzen und jammern und schluchzen beim Schießen. Noch drei wegmachen, dann rausrennen. Weiterschießen. Niemand da. Bullen noch nicht da. Weiterrennen. Pumpgun in den Rinnstein fetzen. Weiterrennen. Weinen und weiter. Taxistand. „einmal aus der Stadt raus. Keine Fragen, hier Geld!“
Wegfahren.
Curtis fürchtet sich vor vielen Dingen. Vor der Dunkelheit und vor Spinnen - die großen mit den spitzen, kleinen Fängen. Manchmal vor den langen Busfahrten im Grayhound, wenn er die Grenzen der Zivilisation von L.A hinter sich lassen muss und der Bus mit ihm, als den letzten Passagier, durch die dunkle Wüste rast. Er fürchtet sich auch vor den Menschenmassen am Gettycenter, wenn er morgens früh zur Arbeit durch den Strom der Menge gedrückt wird, die Laptoptasche fest an die Brust gepresst und sich nicht sicher sein kann, ob er die Subway, die ihm ebenfalls Unbehagen bereitet, heute überleben wird. Hin und wieder läuft ihm ein Schauer über den - meist eh verschwitzten Rücken - wenn er in den Nachrichten neueste Kriegsberichte sieht. Doch an die gewöhnt er sich seit Bush (einer der gruseligsten Präsidenten seit langem! Wie Curtis gern betont, wenn er mit sich selbst spricht, um die bedrückende Stille zu übertönen) in den Irak einmaschieren lässt und die Todesberichte fast täglich über seinen Schirm flimmern. Er giesst dann Kaffee nach, führt die Tasse mit zittriger Hand an den schmalen Mund und wartet auf die Ansage der liebreizenden Wetterfrau. Sonne...morgen gibt es Sonne.
Curtis fürchtet die Sonne, allein wegen der Brände in den Hollywood Hills, doch nicht so sehr wie ihn die Regenzeit ängstigt, wenn die Gärten überfluten und man jeden seiner Schritte im Matsch nachvollziehen kann. Doch nichts schreckt ihn sosehr wie SIE, die ihn verfolgen. SIE, die ihm immer einen Schritt voraus sind.
Gestalten die ihn jagen und seine Gedanken ins stocken bringen, ihm den kalten Schweiß auf die Stirn treiben und ihn rastlos im Zimmer des Motels auf und ab tigern lassen, aus Angst sie würden ihn erwischen. Natürlich ist er deswegen beim Arzt gewesen. Er hat einen neuen Namen, ein neues Zuhause und neue Arbeit - aber die alten Ängste.
Einmal haben SIE ihn bereits erwischt, damals an seiner Schule, als sie ihm die Pumpgun gaben und ihn zwangen sie zu benutzen. Noch hat ihn niemand belangt und wenn SIE nicht wären, könnte er hin und wieder vielleicht wagen zu lachen. Vorm Lachen fürchtet er sich. Es ist anstrengend und tut in den Mundwinkeln weh. Also wie gesagt ist er beim Arzt gewesen, Auflage vom Chef der IT-Abteilung, in der Curtis arbeitet - und natürlich sagte man ihm, das SIE nicht existieren. Nur in seinem Kopf. Seit dem hat Curtis Angst vor seinem Kopf. Denn jeden Abend wenn er den Fernseher ausschaltet und der Raum für einen Moment ganz finster ist, nur das Neonlicht der Motelreklame einen Streifen vor sein Fenster malt, sieht er SIE. Sieht wie SIE sich auf dem Parkplatz rotten und auf ihn warten. Seit ein paar Nächten weiß er sicher, das Riker bei ihnen ist. Curtis hat es längst vermutet und jetzt, da er ihm unmittelbar ins Gesicht gesehen hatte, ist er sicher.
SIE sind hinter mir her, sagte er dem Therapeuten.
Wo SIE denn jetzt gerade wären, wollte der junge Mann wissen.
Curtis war zu dem Entschluss gekommen, dass es nicht wichtig sei ihm zu sagen, das SIE direkt hinter ihm lauerten.
Jetzt sitzt er wieder im Motel und verfolgt den Bericht.
Junger Mann, Therapeut, in seiner Praxis tot aufgefunden.
Er steht auf, sieht zu ihnen rüber auf den Parkplatz und zieht die Gardinen zu.
Ab heute fürchtet er sich vor Therapeuten.