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Silber
„Werwölfe!“, schnaubte der Kleine.
„Wenn es Werwölfe gibt, bin ich Tarnet der Zerstörer!“ , erklärte er der Welt.
Der Bürgermeister war ein schwergewichtiger, würdiger Mann und befingerte seine Amtskette. Er wandte sich dem anderen zu:
„Ihr müsst mir glauben.“ , sagte er drängend.
„Vieh wird verstümmelt, halb gefressen gefunden, und der Jäger schwört Stein und Bein, dass er ihn gesehen hat.“
„Na schön.“ , sagte der Große. „Und was machen wir dann?“
„Ihr seht aus wie Kämpfer.“
„Also finden wir euren Werwolf, töten ihn und bekommen dafür…“, er wandte sich mit fragendem Blick an den Kleineren.
„Silber!“, schlug jener vor.
„Silber.“, bestätigte der Große.
„Silber“, wiederholte der Bürgermeister. „Nun gut.“
Später fragte der Große den Kleinen:
„Mein Freund, was weißt du über Werwölfe?“
„Man kann sie nur mit Silber töten, sie sehen aus wie normale Wölfe, wenn sie tot sind, und es gibt sie nicht. Das weiß jeder, jeder außer offenbar dir und diesem dreckigen kleinen Dorf.“
„Silber.“, antwortete der Große verträumt.
„Wenn du dir sicher bist, dass wir aus diesem Unsinn Silber kriegen können, meinetwegen.“
„Ich bin mir sicher.“ , sagte der schlicht, und
„Ha! Bier für die Wolfsjäger!“ bellte der Kleine, und der Große zwinkerte der Schankmaid zu.
Etwas später zog der Kleine, den man Krähe nannte, seine Dolche und zog den übrigen Gästen mit seinen Tricks das Geld aus der Tasche; während der Große, der Rabe, erzählte, wie sie am anderen Ende des Kontinents zwei verfeindete Lords mit scheinbaren Spionagediensten um einige Münzen erleichterten, bis jene hinter ihre Masche kamen.
Noch etwas später saß die hübsche Schankmaid auf dem Schoß des Raben, und Krähe war so betrunken, dass er sich mit dem Messer vertat, die Haut am Finger aufriss und fluchend schlafen ging.
Am nächsten Morgen vertrieb der Rabe sie mit sanften Worten und sanften Gesten aus dem Zimmer und schlug die Decke vom Lager der Krähe. Der bedachte ihn mit einem Schwall von Flüchen, und sagte schließlich:
„Wegen dem Gejaule hab’ ich die ganze Nacht kein Auge zugetan. Ich warte sehnsüchtig auf den Tag, an dem dir der Schwanz abfault. Sehnsüchtig.“
„Die Krähe nennt den Raben schwarz, wie?“, sagte der und verzog das Gesicht. „Was war denn letzte Woche?“
„Da war ich betrunken.“
„Wann bist du’s denn nicht?“
„Jetzt zum Beispiel. Schrecklicher Zustand. Willst du immer noch mit dem Jäger reden?“
„Ja. Beweg dich.“
Der Jäger mit den zitternden Händen starrte sie an wie Dämonen.
„Natürlich hab’ ich sie gesehen.“, sagte er in ungefähre Richtung der Söldner.
„Groß wie ein Mann….zwei Männer! Mit glühenden Augen und.“ Er brach ab und nahm einen Schluck aus der Flasche. „Und.“ Wiederholte er.
„Und?“, fragte der Rabe freundlich.
„und… Stimme…Geheule…grausam.“
„Keine Spur von normalen Wölfen?“
„Hä? Junge. Wir hatten seit vielen Wintern keine Wölfe. Und ich hab’ das Viech gesehen, mit meinen eigenen Augen. Groß wie zwei Männer.“
„Hrm.“, machte Krähe.
„Danke für eure Hilfe.“, sagte der Rabe.
„Es wird ein harter Winter.“, sagte der Jäger zu niemandem im Besonderen.
Außer dem Jäger hatte niemand etwas gesehen, nur einige etwas gehört. Manche Wolfsgeheul, andere schworen auf unmenschliche Schreie, und eine taube, alte Frau wollte ein merkwürdiges Zittern gespürt haben, als sie sich des Nachts auf den Abort begeben hatte.
„Eine Schande.“, sagte Krähe später. „Dieser Jäger könnte nicht mal seinen eigenen Schwanz aufspüren. Was haben wir den Göttern nur getan?“, seufzte er theatralisch.
„Vielleicht der ganze Mord, Betrug und die Sauferei?“, schlug der Rabe grinsend vor.
„Ach was. Unfug. Die Götter mögen solche Sachen. Ich glaube eher, es liegt an deiner furchtbaren Angewohnheit, in jedem Dorf ein paar Mädchen mit kleinen Raben zurückzulassen. Und außerdem...“
„Shh.“, unterbrach der Rabe das Gespräch.
„Ha!“, machte Krähe und sah dann den Bürgermeister kommen.
Der streichelte seine Amtskette und setzte an zu reden, aber der Rabe kam ihm zuvor.
„Übermorgen ist Vollmond. In dieser Nacht wird sich niemand, auch nicht die Nachtwache, auf den Straßen aufhalten. Könnt ihr das arrangieren?“
Der Bürgermeister nickte.
„Gut.“, sagte der Rabe freundlich. „Bald ist alles vorbei.“
„Füllt schon mal einen Beutel mit Silber.“, rief Krähe dem Bürgermeister hinterher.
Am nächsten Tag besuchten sie den Schmied. Die Resultate waren unhandlich und schlecht ausbalanciert, aber der Schmied zuckte nur mit den Schultern.
„Besser wird es nicht.“, sagte er. „Mit Silber arbeite ich nicht.“
„Es wird ausreichen.“, sagte der Rabe und nahm die zwei Silbermesser an sich.
Eins davon gab er Krähe, der einzige Sekunden unzufrieden damit herumfuchtelte und es dann verschwinden ließ.
Der See war ein romantischer Ort, umso mehr bei Mondschein. Der Vollmond stand an bewölktem Himmel und spiegelte sich von Zeit zu Zeit im ruhenden Wasser, und der Junge und das Mädchen nahmen sich dann bei den Händen und sahen auf die weiße Scheibe inmitten der Dunkelheit. Und es gab Schatten in der Dunkelheit, die sich bewegten.
„Sie haben sich Messer aus Silber machen lassen.“, sagte der Junge und grinste.
„Aber mein Vater hat nicht alles verbraucht.“ Er griff sich in die Tasche und holte eine schlichte Kette aus Silber hervor. „Die hab’ ich für dich gemacht.“
Statt einer Antwort küsste sie ihn, ohne die Kette zu berühren.
„Die kann ich nicht tragen.“, flüsterte sie ihm zu. Und die Schatten waren lautlos, und die Liebenden bemerkten sie nicht, als sie näher kamen.
„Warum? Ich dachte, sie würde dir gefallen.“, sagte der Junge, und wieder küsste sie ihn.
„Ich liebe sie.“, sagte das Mädchen. „Sie ist zu schön für mich.“
„Nichts ist zu schön für dich.“, sagte er schlicht.
Und die Wolken bewegten sich, und die Schatten traten über die Trennlinie zwischen Hell und Dunkel, und warfen eigene Schatten und blieben unbemerkt.
Er trat hinter sie, die Kette in der Hand, und sie schmiegte sich an ihn.
Mit dem Finger strich er ihr zärtlich über Hals und Schlüsselbein, und dann nahm er die Kette und streifte sie ihr über. Das kalte Metall berührte ihre Haut, und sie zuckte zusammen und drängte sich enger gegen ihn; und der Mond brach durch die Wolken und badete sie in Silberweiß, und sie hob ihr Gesicht den Strahlen entgegen, und dann weinte sie und sagte endlich „Ich liebe dich.“ unter Tränen,
und die Schatten sprangen.
Sie wollte schreien, aber ein Messer drückte gegen ihre Kehle.
„Hallo. Bist du ein Werwolf?“, fragte Krähe freundlich,
und der Rabe hielt sich nicht mit Freundlichkeiten auf. Sein Schwert durchtrennte mit Leichtigkeit den linken Arm des Junges unter der Schulter. Und er schrie, und es klang wenig menschlich, und ein Wolf heulte.
„Macht auf, verflucht noch mal!“, rief Krähe. Ein Sehschlitz in der Tür öffnete sich.
„Wer ist da?“
„Tarnet der Zerstörer, wer denn sonst?“, bellte Krähe.
„Weckt euren Herren“, sagte der Rabe. „Wir bringen gute Nachricht.“
Im Schlafraum entfachte der Diener ein Feuer, und der Bürgermeister richtete sich verschlafen auf. „Was wollt ihr?“, fragte er.
„Silber.“ Sagte Krähe.
„Schickt eure Männer“, sagte der Rabe. „Die Überreste liegen am See.“
„Zwei Beutel Silber.“, betonte Krähe genüsslich.
„Es waren zwei“, erklärte der Rabe und wischte sich das Blut von der Wange.
„Und ein Bier wär’ nicht schlecht.“ , sagte Krähe.
Die Stadtwache fand sie dann am Ufer des Sees. Die Kampfspuren waren nicht zu übersehen, und inmitten des Blutes lagen zwei tote Wölfe mit Silbermessern in den Herzen; einem fehlte das Vorderbein, dem andren der Kopf, und ein menschlicher Arm und das blicklose Gesicht eines der Mädchen aus dem Dorf fanden sich stattdessen. Es herrschte Einigkeit darüber, dass es ganz offenbar zwei Werwölfe gewesen waren; und so wurden die Söldner ausbezahlt und die Leichen verbrannt und die Asche von der Kräuterfrau erst besprochen und dann über die Felder verteilt.
Sie verließen die Stadt mit zwei Beuteln voll Silber und neuen Narben. Zunächst ritten sie schweigend, bis die Sonne ein gutes Stück gewandert war. Dann brach der Rabe die Stille.
„Hallo, bist du ein Werwolf?“, wiederholte er. „Was sollte das denn?“
„Ich wollte nur höflich sein.“, verteidigte sich Krähe. „Was glaubst du, wann finden sie die Leichen?“ „Tage. Wochen. Irgendwann werden sie hochgeschwemmt.“
„Die Götter müssen uns lieben. Versorgen uns mit zwei echten Wölfen und einem Dorf voller Idioten.“
Der Rabe strich über die schlichte Silberkette, die er nun über der Kleidung um seinen Hals trug.
„Ja. Die Götter müssen uns lieben.“, sagte er nachdenklich.
U
nd sie ritten weiter. Etwas später stießen sie auf einen Gesetzlosen, der auf der Flucht vor der Wache aus Tel war; sie ritten eine Strecke gemeinsam und tauschten Geschichten aus; und später, als er betrunken war, beeindruckte der Gesetzlose sie mit der Höhe seines Kopfgelds; und sie schlugen dann eine Decke um seinen Kopf, begruben die Leiche und ritten gemächlich gen Tel.