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Silentium - Stille
Silentium – Stille, war was mir zunächst in den Sinn kam. Wann war es das letzte Mal so ruhig gewesen ?
Sanft streichen die Schatten der Bäume über mich hinweg. Ich öffne die Augen. Wo bin ich? Ich bin im Auto. Sie fährt. Ich blicke aus dem Fenster. Eine nicht enden wollende Allee erstreckt sich den Weg entlang. Jeder Baum scheint seine eigene Geschichte zu erzählen. Geschichten, die die einen zu hohen, stolzen Wesen geformt haben und die anderen unter Leid knechteten und beugten. Knorrige Äste berühren den Wagen. Sie scheinen ihre langen Finger nach uns auszustrecken. Nach vorne hin wird die Straße immer enger, die Bäumen scheinen näher zusammen zu rücken, es scheint, als wollten sie uns aufhalten.
Unsinn. Die Straße scheint kein Ende zu nehmen. Ich beobachte sie, wie sie da vorne sitzt, beinahe reglos. Ihr Blick starr auf die Straße gerichtet. Ihre Hände krallen sich geradezu in das Lenkrad. Sie kämpft. Kämpft mit unsichtbaren Mächten. Nun bemerke ich dass sie gar nicht reglos ist, vielmehr verkrampft sie sich, jeder Muskel ist verhärtet.
Im Spiegel sehe ich wie sie sich langsam ihre Lippen zerbeißt. Von Minute zu Minute wird die Haut dünner. Ich sehe, wie ein schmales Rinnsal Blut aus ihrem Mund rinnt. Sie scheint es nicht zu bemerken.
Sie ist sichtlich verzweifelt. Ich beobachte sie nun, ihre Augen sind unfähig mich zu bemerken, denn sie schwimmen in Tränen. Sie sind zwar starr auf die Straße gerichtet, doch sie sieht den Weg nicht. Ihr Blick geht ins Leere.
Was denkt sie? Natürlich war sie schon oft verzweifelt. Sie hatte es ja auch nicht leicht. Erst verlor sie ihre Eltern, dann ihr Kind und nun ist er auch noch gegangen.
Der Ärmel ihres Oberteils rutscht hoch. Ein mit hässlichen Wunden übersäter Arm wird entblößt. Die alten Narben stammen von ihm, aber die neuen noch offenen Wunden hat sie sich selbst zugefügt.
Ich war immer dabei gewesen, hatte ihr versucht zu helfen die Dinge zu verarbeiten. Die Auseinandersetzungen und- ihre Folgen.
Wie oft hatte ich ihr Spiegelbild betrachtet, wenn sie versuchte ihr vom Weinen verschmiertes und verquollenes Gesicht wieder herzurichten.
Aber was hatte sie nun vor? Wo fuhren wir eigentlich hin?
Sie war 30, doch die Zeit hatte deutliche Spuren hinterlassen. Sie wirkte verbraucht und müde. Es war als würde ständig ein dunkler Schatten auf ihr ruhen.
Sie war eigentlich immer nett gewesen. Hatte immer versucht es allen recht zu machen. Und letztendlich war sie dabei selbst auf der Strecke geblieben. Nicht mal ihr Mann mochte sie wirklich. Er hatte sie zwar geheiratet, aber sie waren damals noch jung gewesen und sie hatte sein Kind in sich getragen.
Mochte ich sie? Ich wusste es nicht. Sie war schon okay, aber auch schwierig.
Während ich nachdachte, begann die Frage nach dem Ziel mich immer weiter zu quälen. Wo würde dieser Weg enden? Was hatte sie vor. Sie schien zweifelnd und doch so entschlossen.
Plötzlich hielt sie an. Ich sah in der Ferne ein verlassenes Gehöft. Es schien herunter gekommen zu sein. Ein zerbrochener Zaun umsäumte es. An mehreren Stellen konnte man Vandalismus erkennen. Der idyllische Wald drum herum schien es höhnisch zu verlachen und bildete einen scharfen Kontrast.
Was wollte sie hier? Eine ungewohnte Stille breitete sich aus, nicht einmal Vögel konnte man zwitschern hören.
Plötzlich wurde diese Stille unterbrochen. Sie klappte die Sonnenblende herunter und schaute in den Spiegel. Sie versuchte zu lächeln, doch es wirkte außerordentlich grotesk in ihrer Situation. Sie öffnete das Handschuhfach und etwas fiel heraus. Ich konnte nicht erkennen was es war. Sie schien es nicht zu kümmern. Sie griff nach der Schminktasche. Und wischte sich zunächst ihr Gesicht ab. Dann begann sie sich sehr langsam und gründlich zu schminken. Ihre Hand zitterte, doch sie ließ sich davon nicht beirren.
Sie färbte ihre Lippen. Es war mir nie vorher aufgefallen, aber die Farbe erinnerte mich unweigerlich an Blut. Und auch die dunklen Farben, die sie für ihre Augen benutzte wirkten nun nicht mehr edel, sondern verwandelten sie in dunkle, leere Höhlen. Als sie fertig war, schien sie mit sich zufrieden. Sie lächelte, doch ihre Augen blieben stumpf. Ich bekam Angst. So hatte ich sie noch nie gesehen.
Sie erinnerte mich an eine zurecht gemachte Leiche. Man kann versuchen die Zeichen des Todes zu lindern, doch niemals kann man sie ganz verbergen. Wahrscheinlich war sie das auch, tot- zumindest innerlich.
Nun war nichts mehr von zweifeln zu sehen.
Plötzlich griff sie auf den Boden des Beifahrersitzes und zog den zuvor heraus gefallenen Gegenstand hervor. Er war schwarz und glänzte metallisch. Sie nahm ihn in beide Hände, atmete tief durch und öffnete die Wagentür.
Ich stieg aus dem Wagen aus. Die Waffe hielt ich fest in den Händen. Ich strich mein Kostüm glatt, es war das beste was ich hatte, danach ordnete ich mein Haar, gestern hatte ich mein letztes Geld darin investiert. Wenn dann richtig, dachte ich mir. Ich ging auf das Gehöft zu. Als ich am Zaun stand, warf ich einen flüchtigen Blick zurück. Meine Augen verharrten auf dem Auto. Ich blickte auf den leeren Rücksitz. Niemand war bei mir. Ich war ganz allein. Ich atmete noch einmal tief durch und ging gradewegs zu dem kleinen Schuppen neben dem Haupthaus. Die Tür war mit Sprüchen beschmiert, wahrscheinlich spielende Kinder. Ich musste unwillkürlich lächeln.
Ich öffnete die Tür. Sofort stieß mir der Geruch von sonnen gewärmten Stroh in die Nase. Hier hatte ich oft als Kind gespielt, Erinnerungen wurden wach. Tränen stiegen erneut in mir hoch. Ich biss die Zähne zusammen. Haltung bewahren, wenigstens jetzt. Nur einmal in meinen Leben.
Ich ging in die Mitte des Raumes und hob die Waffe zur Schläfe. Ein Leben, eine Kugel. Ich drückte ab und das letzte was ich dachte war Silentium – Stille.