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Singularität

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04.07.2006
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Singularität

Ich wache. An mir kommt keiner vorbei. Keiner schleicht sich unbemerkt an Luigi heran. Boß Marchese weiß das ganz genau. Er weiß, daß er mir vertrauen kann. Daß er sich hundertprozentig auf mich verlassen kann. Daß ich sein bester Mann bin.

'Luigi', hat er heute Mittag zu mir gesagt und dabei väterlich mein Gesicht getätschelt. 'Luigi, ich weiß, du bist mein bester Mann. Deshalb bitte ich dich, pflanz' dich hier vor die Tür, klemm' dir dein Maschinengewehr unter den Arm und lass keinen vorbei. Ich weiß, daß ist eigentlich keine richtige Aufgabe für einen wie dich, aber da drinnen' - er nickte zu dem baufälligen kleinen Haus mit der Terrakottaveranda und dem grünen, löchrigen Dach hin - 'gibt's auch nicht viel besseres zu tun. Wir müssen buddeln, das heißt, meine Leute müssen buddeln. Und ich, ich muß zuschauen, wo sie buddeln, wie sie buddeln und was sie möglicherweise ausbuddeln, capiche? Ist alles mit Holzdielen zugepflastert da drin. Wir müssen also zuerst den Boden mit Spitzhacken bearbeiten, bevor wir an das Erdreich darunter gelangen. Aber irgendwo da unten, so viel steht fest, liegt die Truhe mit dem ganzen Bargeld, das Eddy der Falke - Gott sei seiner Seele gnädig - dort vergraben hat, bevor ihn die Mexikaner durch die Mangel gedreht haben. - Leider hat auch der Clan von Andrea Fratelli wahrscheinlich Wind von der Sache bekommen und weiß womöglich, daß hier 'ne Menge Zaster zu holen ist. Könnte deshalb sein, daß ein paar von seinen Jungs hier aufkreuzen. Könnte bleihaltig werden bei unserem momentanen Verhältnis.
Also, Luigi, bleib schön hier hocken, halt die Guckkugeln offen und wenn sich wer blicken läßt, halt besser mit einer schönen Garbe dazwischen statt zu viele unbeantwortete Fragen zu stellen, capiche?

Der Boß zwickte mich freundschaftlich in die Backe. Dann stieg er mit den Jungs die Verandastufen empor. Ich drehte mich kurz um und konnte nicht anders als die spiegelnd blank geputzten Cowboystiefel mit den Sporen zu bewundern, die er trug. Selbst hier draußen in dieser staubigen, gottverlassenen Einöde glänzte ihr Leder im Sonnenlicht. Ich drehte mich wieder um und hörte das Knarzen der alten, schiefhängenden Tür in ihren rostigen Scharnieren, als sie aufgezogen wurde. Schritte polterten dumpf über die Schwelle, und ein weiteres, lang gezogeneres Quietschen ertönte, als die Tür sich wieder schloß.

Ich zog mich in den Schatten der Veranda zurück, nachdem ich mir aus dem Auto die Kühlbox mit eisgekühlten Getränken besorgt hatte - kein Alkohol, versteht sich, da versteht der Boß keinen Spaß - und pflanzte mich in einen leidlich bequemen Korbstuhl, von wo aus ich das Tal mit seinen Kakteenwäldern und den Serpentinen der Schotterpiste, die zu dem Haus hinaufführten, prima im Blick hatte. Ich trank, ließ die Augen umherschweifen und legte die Beine auf die verschlissene Sitzfläche einer alten Hollywoodschaukel, die dem früheren Besitzer eines der wenigen kleinen Vergnügen in seinem ansonsten armseligen Dasein gestattet haben mochte. Drinnen hörte ich die Jungs mit ihren Hacken und Schaufeln emsig arbeiten und kam zu dem Schluß, daß ich es doch sehr gut getroffen hatte. Wenigstens mußte ich nicht den Kuli spielen und den ganzen Boden dieser verschissenen Hütte umkrempeln - im Schweiße meines Angesichts, wie meine selige Mutter gesagt hätte. Stattdessen konnte ich ganz bequem hier draußen sitzen, mir eimerweise eisgekühlte Softdrinks die Kehle runterperlen lassen und im Schatten verschnaufen. Ich hatte definitiv nicht die Arschkarte gezogen in diesem Schatzsucher-Spiel. Okay, wenn sich die Fratelli-Bande blicken ließ, stand ich in vorderster Front und mußte zusehen, daß ich sie erwischte, ehe sie mich mit ihren Bleispritzen aus den Pantinen kippen konnten. Aber das war nun mal mein Job. Wie hatte es der Boß ausgedrückt? In dieser Hinsicht war ich nun mal sein bester Mann. Worauf jeder, der Ahnung hatte, unweigerlich einen lassen mußte, das war klar. Ich strich mir unwillkürlich über die Wange, da wo der Boß mich geknuddelt hatte und lächelte. Ja, er wußte was er an mir hatte. Ich war sein bestes Pferd im Stall, seine Numero Uno, sein Italian Stallion, der noch jeder Herausforderung stand gehalten hatte.

Außerdem, selbst wenn ich gewollt hätte, stundenlang da drinnen zu hacken und zu schaufeln, wär' nicht gegangen. Ich war ehrlich gesagt ziemlich kaputt. Zwei Sonderaufträge, die mich praktisch drei Tage und drei Nächte nonstop auf Trab gehalten hatten. Zirka 1200 Kilometer kreuz und quer mit dem Auto unterwegs, hinter zwei Typen her, die Scheiße gebaut hatten und deshalb liquidiert werden mußten. 72 Stunden Benzingestank, Hamburgers, Hot Dogs und jede Menge Adrenalin und schwarzer Kaffee. Nicht, daß mir das Spaß machen würde, aber erstens ist es mein Job, zweitens bin ich der Italian Stallion, und drittens waren das zwei echt fiese Typen, die die ganze Familie beschissen hatten, sogar Mamma Rosalinda. Den zwei Hackfressen wäre es echt total egal gewesen, wenn nicht mal mehr genug Geld da gewesen wäre, um Mamma Rosalindas Herzmedizin zu kaufen. Solche verfickten Hurensöhne waren das!

Na, egal, Schnee von gestern. Jetzt sitze ich hier und die Sonne ist schon halb untergegangen. Seit vier Stunden hacken die Jungs jetzt schon da drinnen herum und graben den Boden um. - Haha, Schnee von gestern ist lustig angesichts dieser Gluthitze, die einem selbst jetzt am frühen Abend noch die Schweißperlen aus den Poren treibt.

Die Tür geht auf, und der Boß steht über mir und wischt sich das gerötete, schweißnasse Gesicht mit einem seiner großen, baumwollenen Taschentücher mit den gestickten Initialen ab.

"Mensch, Luigi", sagt er. "Heilige Maria Mutter Gottes! Du kannst dir nicht vorstellen, was für eine Affenhitze in dieser Bude herrscht. Sollten wir demnächst jemand haben, der singen muß, weiß ich schon, was wir mit ihm anstellen."

"Und ich kann mir nicht vorstellen, wie Sie und die Jungs es stundenlang da drinnen aushalten konnten, ohne mal nach draußen zu kommen und Pause zu machen."

Ich greife mir eine Flasche kalten Mineralwassers aus der Kühlbox und reiche sie dem Boß mit einem Flaschenöffner. Ich höre das Zischen des abgezogenen Kronkorkens und blicke in die zwielichtige Dämmerung hinaus. Die Sonne ist gerade ganz unter gegangen und es wird jetzt schnell dunkel.

Ich drehe mich nach dem Boß um und der Boß wirkt ganz gelb im Gesicht und teigig, sein Leib seltsam verschwommen und aufgdunsen. Ich verspüre einen jähen Schmerz in der Magengrube und alles was ich noch sehen kann, ist ein grellroter Hintergrund, der mit merkwürdigen fleckigen, gelbblitzenden Girlanden durchzogen ist. Dazwischen tauchen fluoreszierende schwarzblaue Punkte auf, wie Aufnahmen von namenlosen Gegenständen auf dem Negativ eines Fotos.

Mir stockt der Atem, ich schlucke und reiße jäh die Augen auf.

Es ist taghell. Die grelle Mittagssonne blendet mich. Ich hocke auf meinen Knien. Die Arme hängen schlaff an mir herunter. Eine dunkle Silhouette zeichnet sich gegen das erbarmunglos gleißende Sonnenlicht ab. Ich fühle mich wie ein Käfer in einem Brennglas, für den es kein Entrinnen gibt. Meine Eingeweide scheinen sich zusammengeklumpt zu haben zu einem großen, feuchten Bündel des Schmerzes. Unter dem Gaumen spüre ich den metallischen Geschmack von Blut. Eine Hand fährt mit unter das Kinn. Sie ist kalt wie Eis. Ich erkenne die Umrisse eines Schlagrings, in dem das Sonnenlicht funkelt. Den Mann erkenne ich an seinem Duftwasser und an dem Geruch seiner Pomade, mit der er sich den schwarzen Schopf flach an den Schädel zu gelen pflegt.

"Luuu-iiigi", ertönt viel zu laut und langgedehnt eine ölige Stimme über mir, so daß es in meinen Ohren schmerzt. "Die Numero Uno, der Italian Stallion schläft, wenn er wachen soll? Hätte ich es nicht selbst gesehen, würde ich es nicht glauben. Aber wenn du schon so müde bist, wollen wir es auch wieder gut machen, daß wir dich geweckt haben, eh? Du weißt, Francesco Fratelli ist dein Freund!"

Direkt vor mir das Aufblitzen von Mündungsfeuer, so kurz wie der Moment des Urknalls.

 

Haha, Schnee von gestern ist lustig angesichts dieser Gluthitze, die einem selbst jetzt am frühen Abend noch die Schweißperlen aus den Poren treibt.
hehe wie geil. Also, wenn das die Dummheit des Prots zeigen soll, ist dir das gelungen

Hi Vernon Berridge,

na also, jeht doch, jeht doch ;)

Gut, die Geschichte ist ausdifferenzierter. Aber ... oh Mann ... das Ende kam voll übnerraschend. Es war alles also nur ein Traum? Voll die neue Wendung, hab ich gehört. Wie ist dir nur dieser Geniestreich eingefallen?

Na gut. Wie auch immer.

Die Geschichte finde ich insgesamt gut, und ich glaube, dabei sollten wir es dann auch belassen.

Das Einzige, was stört, sind die Fehler, du schreibst z.T. noch alte RS und so ... na ja, Käsebrot.

Yeahboyyy!

 

Hi, Tserk,

echt vielen Dank dafür, daß dir die Geschichte gefallen hat:thumbsup:

Was die Orthographie angeht: ja, du hast recht, eigentlich bin ich immer noch der Meinung, daß es eine ungeheuerliche Anmaßung ist, wenn Politiker (Kultusministerkonferenz) in der deutschen Schriftsprache herumfuhrwerken und diese nach eigenem Gutdünken verhunzen. Ich bin nach wie vor der Meinung, daß es für diese ganze sogenannte Reform keine wirkliche Legitimation gibt. Ich krieg' echt 'nen dicken Hals, wenn ich nur dran denke.
Das "dass" mit Doppel-s einzuführen ist übrigens ein Einfall, den die Nazis erstmals hatten, der aber dann in der Schublade liegen blieb. Von all den sonstigen Unsäglichkeiten der "Reform" mal abgesehen (Stichwort: sinnentstellende Getrenntschreibung), reícht mir das allein schon.

 

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