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So leicht...
Er hielt die Rasierklinge in der Hand. Sie funkelte - so schön. Das Sonnenlicht, das duch das Fenster trat, wurde von diesem dünnen Stück Metall in seinen träumenden Blick gespiegelt. Er betrachtete die Klinge ganz genau. Sie war so makellos und rein - sie war genau das was er nicht war - nie gewesen war. Sie war die Lösung, und es war das erste Mal, dass er sie gefunden hatte. Seinen Erinnerungen nach, musste das hier der erste wirkliche Ausgang aus diesem Alptraum gewesen sein.
Die kalte Klinge. Ein Schnitt. Ein kurzer Schmerz. Das Warten. So leicht dachte er sich, so leicht. Keine Fragen, keine Antworten, nur ein Ausweg, nur der Tod. Ja, das musste es sein, das war die Lösung. Seinen Problemen entfliehen- vielleicht noch einmal zu leben - alles richtig machen - vielleicht auch nur Schwärze, das unvorstellbare Nicht-Mehr-Sein. Nichts hielt ihn mehr in dieser Welt, selbst die Hölle wäre besser - falls vorhanden. Aber warum tat er nichts. Er saß bereits seit Stunden hier, in Gedanken über sein Dasein, versunken. Sein Leben war ein riesiger Haufen Dung. Voll von Einsamkeit, Ärger, der Sucht, vertanen Chancen, angefangenen Dingen ohne sie zu beenden, unlösbaren Problemen, vor denen man nur weglaufen konnte, der Aussichtlosigkeit ein besseres Leben zuführen, dem Netz der Lügen in dem er sich verfing, um jemand zu sein, der er nicht war und vor allem den geplatzten Träumen. Es gab nur eine Möglichkeit. Doch noch immer tat er nichts. Er dachte nur nach, ließ sich sein Leben durch den Kopf gehen, tausende und abertausende Male. Und was geschah? Bisher noch nichts.
Vielleicht dachte er über eine Lösung nach, vielleicht gab es für ihn doch eine andere Möglichkeit. Hilfe zu suchen, die Sucht hinter sich zu lassen, seine Chancen fortan besser zu nutzen, Angefangenes zu beenden, sich seinen Problemen zu stellen, die Dinge wieder hoffnungsvoller zusehen, von nun an immer die Wahrheit zu sagen und den utopischen Fantasien den Rücken zu kehren. Möglich war es. Wahrscheinlich aber nicht. Die zweite Möglichkeit wäre besser, doch auch schwieriger. Vielleicht sogar viel zu schwer für ihn. Jetzt konnte er auch Schluss machen.
Er schaute auf. Niemand da. Natürlich war niemand da. Es war noch nie jemand da gewesen. Doch er wünschte es sich, wünschte sich, zumindest nicht alleine damit zu sein. Wie weit er wohl sein Leben ändern würde für diesen Wunsch. Vielleicht war es das wert dafür zu kämpfen. Vielleicht auch nicht.
Er drückte die Rasierklinge fest an seine Pulsschlagader. Eine Träne lief ihm über sein Gesicht, dann noch eine und daraufhin eine weitere. Er weinte. Er war nun an einem Punkt angelangt, an dem er eine Entscheidung zu treffen hatte. Noch immer wußte er nicht welche, aber zumindest war er sich bewusst, dass es auch einen anderen Weg gab.