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So rot wie Blut

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17.06.2004
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So rot wie Blut

So rot wie Blut
"Na sowas! Hat man Ihnen denn keine Manieren beigebracht, junger Mann?" Die dicke Frau in der Kittelschürze stemmte ihre Arme in die Hüften und sah Robert von oben herab vorwurfsvoll an.
"W-was?" war alles, was er herausbrachte.
"Wohl auch noch auf den Mund gefallen, was?" blaffte sie, und die Art, wie sie sich über ihn beugte und die Stirn in Falten legte, ließ vermuten, dass sie keinen Widerspruch duldete. Ihr rundes Gesicht war gerötet, und Robert hatte das Gefühl, dass er jeden einzelnen Schweißtropfen, jede geweitete Pore ihrer Haut mit mikroskopischer Genauigkeit erkennen konnte. Ihr gewaltiger Busen schwang unter ihrem massigen Oberkörper bei der kleinsten Bewegung hin und her, und ihm fiel beim besten Willen nichts besseres ein, als weiterhin mit offenem Mund nach oben zu starren.

Er hätte natürlich sagen können, dass sie seiner Ansicht nach nicht die geringste Ähnlichkeit mit einem verstopften Abwasserrohr hatte, und dass die weißgetünchte Küche, in der sie stand, das letzte war, was er hinter der aufgebrochenen Kellerwand erwartet hatte. Er hatte mit großen Spinnen gerechnet, mit muffiger Luft, mit flüchtenden Mäusen. Und natürlich mit dem verstopften Abwasserrohr, das er inspizieren sollte. Niemals im Leben hatte er jedoch erwartet, hinter der Mauer eine vor Dreck und Schimmel kaum sichtbare Schranktür zu entdecken, durch deren Öffnung ein leichter Bratengeruch strömte. Neugierig wie er war, hatte er zuerst den Kopf, dann den ganzen Oberkörper durch das Mauerloch gesteckt, um der Sache nachzugehen. Und als er bis zu den Knien in den immer breiter werdenden Hohlraum gekrochen war, hatte sich auf einmal die etwa einen Meter hohe Tür geöffnet. Erschrocken und geblendet hatte er sich die Hand vors Gesicht gehalten. Grelles weißes Licht strömte durch eine rechteckige Öffnung direkt vor ihm, und als er sich daran gewöhnte, sah er vor sich das schweißglänzende Gesicht der Dicken, die ihn ansah, als hätte sie ihn bei irgendwelchen Obszönitäten ertappt.

Die Frau sah Robert noch immer mit gerunzelter Stirn an, und richtete sich dann schnaufend zu ihrer vollen Größe auf. Von seinem Standpunkt aus, der ungefähr auf Bodenhöhe lag, sah Robert jetzt nur noch ihre nackten Beine bis zu den Knien, und ihre Füße, die in offenen Hausschlappen steckten. Ihre Beine waren unrasiert und ihre Zehennägel sahen aus wie etwas, das aus einem Baum hätte wachsen können. Die Zeiten, in denen ihr Anblick einen Klempnerlehrling im dritten Lehrjahr auf obszöne Gedanken hätte bringen können, waren definitiv vorbei.
Als hätte sie Angst, dass der Anblick ihrer nackten Beine ihn auf falsche Gedanken bringen könnte, machte die Dicke ein paar Schritte zurück, bis sie ihn wieder im Blickfeld hatte.
"Worauf warten Sie, junger Mann? Machen Sie, dass sie aus meinem Spülschrank raus kommen – oder wollen Sie mir noch länger unter die Schürze starren?"

Ohne recht zu wissen, warum, kam Robert ihrer Aufforderung nach und kroch auf allen Vieren durch die Öffnung ins Helle. Der Gedanke, auf demselben Weg zu verschwinden, auf dem er gekommen war, kam ihm gar nicht erst. Stattdessen stand er zögernd auf und sah sich ratlos um.
Die Küche war ziemlich groß, das fiel ihm als erstes auf. Nicht so groß wie eine Hotelküche, aber immerhin so groß wie die Küche eines kleinen Restaurants. Das wohl Verwunderlichste aber war, dass sie von hellem Tageslicht erhellt wurde, das durch zwei Fenster drang, wo eigentlich keine Fenster sein konnten. Die Scheiben waren so mit Fliegendreck und Dampf bedeckt, dass ein Hindurchschauen unmöglich war, aber Robert meinte, von 'draußen' Vogelgezwitscher zu hören.
In der Mitte des Raumes befand sich eine Kochstelle mit zwei altmodischen Herden und einem groben Holztisch, auf dem sich Kartoffelschalen und Gemüsereste türmten. Auf einer der Herdplatten stand ein riesiger Topf, aus dem dichter Dampf aufstieg. Dem Geruch nach zu urteilen, mußte es sich um eine Art Eintopf handeln. Am stärksten war allerdings der Duft von langsam im eigenem Saft schmorendem Fleisch, der Robert an die Besuche bei seinen Großeltern erinnerte. Seine Großmutter hatte sonntags immer Schmorbraten zubereitet.
Er rieb sich die Augen und nahm einen tiefen Atemzug. Aber statt frischer Luft drang nur ein warmes, zähes Dampfgemisch in seine Lungen, legte sich über seine Bedenken wie Haferschleim. Sein Magen gab ein lautes Knurren von sich. Es war schon zwei Stunden her, dass er sein letztes selbst geschmiertes Käsebrot verdrückt hatte, und bis zum Feierabend waren es noch fast zwei Stunden.

Der Köchin entging Roberts Reaktion nicht, und ihr energisches Stirnrunzeln wich einem fast schon mütterlichen Ausdruck.
"Wollen Sie mir nicht Ihren Namen verraten, wenn Sie schon so mir nichts dir nichts in meine Küche geplatzt kommen?"
"Robert, Robert Kahrmann. Und ich bin hier, weil ich mir das Abwasserrohr der Brenners ansehen soll."

Die Frau schien sich nicht besonders für die Details zu interessieren. "Robert, ja? Ein schöner Name. Mich können Sie einfach Witta nennen, das tun alle hier." Sie machte einen Schritt auf Robert zu. "Sie sehen aus, als hätten Sie lange nichts mehr zwischen die Zähne bekommen, junger Mann. Sie hätten ruhig den normalen Weg nehmen können. Ich habe noch keinem Reisenden einen Teller Suppe und ein Stück Brot verwehrt. Der Braten ist allerdings tabu. Wenn meine Männer nach Hause kommen und merken, dass etwas davon fehlt, ist der Abend gelaufen."
Sie gab einen leidvollen Seufzer von sich und griff sich ein Küchentuch, um sich die verschwitzte Stirn abzuwischen. "Die alten Griesgrame können unglaublich engstirnig sein, wenn es um manche Dinge geht. Wehe, man genehmigt sich zwischendurch mal ein Schlückchen von ihrem kostbaren Feierabendbier! Nein, das ist den Herren vorbehalten. Als würde ich mich nicht genauso abrackern, nur um das Abendessen pünktlich auf den Tisch zu bringen."

Offenbar hatte die Frau erfolgreich verdrängt, dass Robert gerade aus ihrem Küchenschrank gekrabbelt war. Als sie ihn ansah, als erwarte sie seine Zustimmung, nickte er schnell. "Ja, sowas Ähnliches sagt meine Mutter auch immer." Als ihm bewußt wurde, dass er sich mit einer Frau unterhielt, die hinter der Kellerwand eines Einfamilienhauses unter der Erde lebte, als sei es die normalste Sache der Welt, hielt er inne und kaute verlegen auf seiner Unterlippe.

"Wissen Sie was, junger Mann?" Die Stimme der Dicken klang auf einmal unternehmungslustig, fast verschwörerisch. "Ich pfeife drauf, was die alten Ziegenböcke dazu sagen. Ich wette, Sie können jetzt ein kühles Bier vertragen." Sprach's, und schlappte zu einer niedrigen Tür, die Robert noch gar nicht aufgefallen war, da sie sich schräg hinter ihm in der Wand befand. Robert sah zu, wie die wohlgefüllte Kittelschürze über ein paar in den Boden gehauene Stufen nach unten verschwand, und versuchte zu verdrängen, dass sie sich jetzt ziemlich genau unter der Waschküche der Familie Brenner befinden mußte, der das Einfamilienhaus gehörte. Das Haus mit dem verstopften Abwasserrohr, das er eigentlich in diesem Moment inspizieren sollte.

Einige Ächzer und laute Verwünschungen später tauchte die Frau wieder auf, in den Händen einen riesigen Humpen.
"So, da wären wir!" schnaufte sie und stellte den Krug auf den Tisch, neben den Berg aus Kartoffelschalen. Sie bedeutete Robert, er solle es sich auf einem der herumstehenden Hocker bequem machen. Sie selbst schlurfte zu einem der vielen Wandschränke aus rustikaler Eiche und entnahm daraus zwei kleinere Becher, die sie großzügig mit dem mitgebrachten Bier füllte. Robert sah zu, wie sich Schaum auf der dunklen Flüssigkeit bildete und merkte, dass er nicht nur Hunger, sondern auch Durst hatte. Das tropische Klima in der Küche war beinahe unerträglich. Kein Wunder, dass die Frau so schwitzte.

Seine Gastgeberin führte ihren Becher mit einer resoluten Handbewegung an die Lippen und nahm einen kräftigen Schluck. Sofort schien sich ihre Stimmung zu bessern. "Aah, das ist eine echte Wohltat! Trinken Sie, trinken Sie, junger Mann, bevor es warm wird! So wie es aussieht, wird der Dampfabzug wieder mal verstopft sein. Verfluchtes Vogelpack! Und das Fenster klemmt immer noch, dabei rede ich mir seit Tagen den Mund fusslig, dass die Herren sich auch zuhause mal nützlich machen können."
Robert beschloß, den Dingen ihren Lauf zu lassen und nahm seinerseits einen vorsichtigen Schluck. Das Bier besaß einen würzigen Geschmack, der ihn an Starkbier erinnerte. Nach der ersten Kostprobe trank er seine Portion halb leer, worauf ihm seine Gastgeberin sofort nachfüllte.

Die Frau schien seine Wortkargheit nicht zu bemerkten, und wenn doch, dann störte es sie offenbar wenig. Anscheinend hatte sie nur auf jemanden gewartet, der geduldig genug war, ihr zuzuhören, und erwartete keine besonders originellen Beiträge von seiner Seite.
"Wissen Sie, es ist ein sonderbarer Zufall, dass Sie ausgerechnet heute reingeschaut haben. Ich dachte vorhin noch, es wird doch nicht etwa Besuch kommen. Ich hatte zu schnell getrunken, und habe mich verschluckt, und es hat eine ganze Weile gedauert, bis der Anfall vorbei war. Das war etwa eine halbe Stunde, bevor Sie hier hereingeschaut haben. Ist das nicht ein komischer Zufall?"
Robert nahm einen weiteren Schluck Bier, und wischte sich mit dem Handrücken den Mund ab. Die Frau hatte recht: Es war wirklich eine Wohltat.
Um die Frau auf die Probe zu stellen, fragte er im beiläufigen Plauderton: "Passiert Ihnen das denn öfter, dass Leute aus Ihren Küchenschränken steigen?"
Er unterdrückte einen Rülpser und nahm aus lauter Verlegenheit einen weiteren Schluck aus dem Krug.
"Jetzt, wo Sie es so direkt ansprechen..." meinte die Frau nachdenklich, "Es ist mir tatsächlich schon einmal passiert. Und ob Sie es glauben oder nicht - damals hatte ich mich ebenfalls verschluckt, an einem Apfelbutzen. Ein wirklich dummes Mißgeschick.
Aber das ist alles schon lange her. Damals war ich noch jung, und kein ordentlicher Bursche hätte mich von der Bettkante gewiesen, das kann ich Ihnen sagen." Sie seufzte und wischte sich eine feuchte Haarsträhne aus dem Gesicht. Robert konnte nur mit Mühe ein Grinsen unterdrücken. Die Vorstellung, dass seine Gastgeberin bei irgend jemandem auf der Bettkante sitzen sollte, vielleicht sogar in einem Nachthemd von den Ausmaßen eines Zelts, kam ihm absurd vor. Er erinnerte sich an den Anblick ihrer wabernden Brüste vor seiner Nase und nahm hastig einen weiteren Schluck.

"Schön, dass es Ihnen schmeckt!" sagte die Frau mit einem Lächeln, und fächelte sich mit der flachen Hand Luft zu, vertrieb dabei ein paar lästig brummende Fliegen. "Wie gesagt, die ganze Sache ist schon ziemlich lange her. Ich hatte es schon fast vergessen. Das liegt natürlich auch daran, dass ich die meiste Zeit über ohnmächtig war, als es passierte. Ich habe tatsächlich für eine Weile das Bewußtsein verloren." Sie schüttelte langsam den Kopf, als könne sie es im Nachhinein nicht fassen. "Stellen Sie sich vor – an einem Apfelbutzen zu ersticken! Wie tölpelhaft! Ich kann mir das Gesicht meiner Mutter förmlich vorstellen. Sie legt sehr viel Wert darauf, was die Leute sagen, müssen Sie wissen." Sie gab ein Glucksen von sich und zwinkerte Robert über ihre Fettmassen hinweg verschwörerisch an. Offenbar war ihr das Bier bereits zu Kopf gestiegen.

"Was war denn nun mit der anderen Person, der aus Ihrem Küchenschrank kam?" fragte Robert, dem es auch langsam schwummrig im Kopf wurde. Das Geschwafel über Apfelbutzen und ihre Mutter interessierte ihn zwar nicht besonders, aber wenn er aufhörte zu reden, hätte er eventuell darüber nachgedacht, wo er hier war und was er tat.
"Ach so. Der." Sie winkte ab, als sei es ihr unangenehm, darüber zu sprechen. "War ein hübscher Bursche. Eigentlich schade drum. Er hat mir den Apfelbutzen aus dem Hals geholt, kannte sich offenbar damit aus. Wie nannte er sich doch gleich – Samiräter?"
"Er war Sanitäter?"
"Ja, genau. Aber davor machte er noch einen Röhrenschnitt bei mir. Im Hals, sehen Sie die Narbe?"
"Er machte einen Luftröhrenschnitt? Wow!" Robert konnte sich daran erinnern, so etwas schon einmal in "Emergency Room" gesehen zu haben. "Scheint ja ein cooler Typ gewesen zu sein." Wie zur Bekräftigung goß er sich selbst noch etwas Bier nach. "Sie haben doch nichts dagegen? Es ist wirklich ziemlich heiß hier drin." Robert zupfte demonstrativ an seinem T-Shirt, das ihm am Oberkörper festklebte wie eine zweite Haut.

"Nein, nein, bedienen Sie sich ruhig. Es ist ja noch genug da. Wo war ich stehengeblieben?"
"Der Mann aus dem Schrank hat sie vor dem Ersticken gerettet."
"Ach ja, natürlich. Wirklich ein netter junger Mann. Wir haben hinterher noch ein Bierchen getrunken, wenn ich mich recht entsinne. Er hat genau an dem Platz gesessen, an dem Sie jetzt sitzen. War etwas breiter in den Schultern, und möglicherweise ein zwei Jährchen älter. Ein hübscher Bursche, wie gesagt, genau wie Sie. Aber natürlich war ich damals auch noch ein junges Ding. Jung und nichts als Flausen im Kopf, wie meine Mutter zu sagen pflegte." Sie seufzte tief und spielte mit einer Kartoffelschale herum. Dann richtete sie den Blick ihrer schwarzen Augen auf einmal ziemlich abrupt auf ihren Gegenüber. "Haben Sie schon einmal eine Dummheit gemacht?"
"Ich?" fragte Robert erstaunt?
"Ja. Kennen Sie das Gefühl, dass man etwas macht, obwohl man weiß, dass es kein gutes Ende nehmen wird? Dass man es vielleicht gerade deshalb macht?"
"Sie meinen, es übt einen gewissen Nervenkitzel auf Sie aus?"
"Ja. Sie können wirklich Gedanken lesen!" Die Dicke lächelte ihn an, als habe sie in ihm einen langersehnten Seelenverwandten gefunden. "Haben Sie so etwas schon einmal erlebt?"
"Schwer zu sagen," sagte Robert und merkte zu seiner Überraschung, dass er bereits leicht lallte. Auf einmal kam ihm eine Erleuchtung.
"Wollen Sie damit andeuten, Sie haben mit dem Kerl 'ne Nummer geschoben und sind dabei von ihren Eltern überrascht worden?" Die Worte schlüpften ihm heraus, bevor er es sich anders überlegen konnte, aber im Grunde war es ihm jetzt auch egal. Sein Kopf fühlte sich so leicht an, als würde er jeden Moment davon schweben.
"Eine Nummer schieben? Sagt man so heute? Ja, ich denke, ich habe genau das getan." Sie kicherte wieder, als erinnere sie sich an einen vergnüglichen Kinderstreich. Roberts Blick blieb an den ersten zwei Knöpfen ihrer Kittelschürze hängen. Komisch, er hätte schwören können, dass sie eben noch zugeknöpft gewesen waren.
"Und soll ich Ihnen was sagen? Es war nicht die schlechteste Nummer, jetzt wo ich dran zurückdenke. Aber es waren nicht meine Eltern, die uns überrascht haben. Habe ich nicht erwähnt, dass dieses Haus den Männern gehört, für die ich arbeite? Es sind redliche Handwerker. Wenn man mal davon absieht, dass sie stur wie Holzböcke sein können, sind sie nicht die schlechtesten Arbeitgeber. Und als Mädchen mit einem gewissen Ruf konnte man damals froh sein, überhaupt Arbeit zu bekommen. Stellen Sie sich vor, meine Mutter, ich meine natürlich Stiefmutter, wollte mich in so ein Haus stecken."
"In ein Haus?"
"Ja, Sie wissen schon. In so ein Haus." Ihre Augen schauten durch Robert hindurch, und sie preßte die Lippen zu einer dünnen Linie zusammen. "Jedenfalls sah ich damals keine andere Möglichkeit, als davonzulaufen. Meine jetzigen Arbeitgeber haben mich ohne Fragen aufgenommen. Kümmern sich einen Dreck um das, was die Leute im Dorf unten sagen. Wahrscheinlich, weil sie selbst wissen, wie es ist, schief angeguckt zu werden. Und abgesehen von ein paar Zwischenfällen ist ja auch alles gut gegangen."

Robert horchte auf. Die Frau redete zwar für sein Verständnis ziemlich wirr vor sich hin, aber irgendwie hatte er das Gefühl, dass ihm etwas Wichtiges entgangen war.
"Was für Zwischenfälle denn?"
"Ach, nicht der Rede wert. Die Sache mit dem jungen Burschen zum Beispiel. Sie wissen schon, der Samiräter."
"Sanitäter." entfuhr es Robert automatisch und konnte ein Grinsen diesmal nicht verhindern.
"Wie auch immer," sagte seine Gastgeberin mit einem Anflug von Gereiztheit, und kippte den Rest ihres Biers in einem Zug hinunter. "Er hat jedenfalls auch nicht viel vertragen. Genau wie Sie."

Robert sah verlegen auf die Tischplatte. Er hatte das Gefühl, dass es langsam an der Zeit war, zu gehen. Jenseits des Spülschranks wartete Arbeit auf ihn, und sein Meister mochte es nicht, wenn man zuviel trödelte. Er räusperte sich und sagte dann so unbeteiligt wie möglich: "Ich glaube, ich muß auch mal langsam wieder zurück in meinen...Schrank. Mein Meister sieht es nicht gern, wenn ich während der Arbeit Alkohol trinke, wissen Sie? Und dann muß ich noch das Rohr reparieren. Wahrscheinlich hat sich mal wieder eine Ratte auf dem Weg nach oben verkeilt."
"Sie wollen schon gehen?" fragte die Dicke alarmiert und griff nach seinem Unterarm. "Ich dachte, Sie wollten noch einen Teller Suppe? Sie schmeckt auch ohne Fleisch ausgezeichnet – ein Rezept meiner Großmutter väterlicherseits..."
"Nein danke, ich glaube, ich habe Ihre Gastfreundschaft schon zu lange beansprucht," sagte Robert förmlich und entzog ihr seinen Arm mit einem sanften Ruck. Aber als er aufstand, wurde ihm schwindlig, und er mußte sich wohl oder übel wieder auf den Hocker fallenlassen.
"Verdammt!" murmelte er und faßte sich an den Kopf. Die Welt um ihn herum schien zu zerfließen...oder war das nur der Dampf, der immer dichter und heißer zu werden schien? Er stöhnte leise.
"Na sehen Sie", sagte seine Gastgeberin erleichtert und tätschelte ihm mit einer ihrer gewaltigen Pranken die Schulter. "Ich dachte schon, sie wollten mir die ganze Freude verderben. Kommen Sie, nehmen Sie noch ein Schlückchen."
Für Robert begann die Welt langsam im Küchendunst zu versinken, und er mußte sich anstrengen, sich aufrecht zu halten. Zitternd griff er nach der Tischkante, verfehlte sie und wäre fast vom Hocker gekippt.

Dann drang eine andere Wahrnehmung an sein Bewußtsein. Waren das nicht Schritte und Stimmen draußen? Es klang so, als käme eine ganze Horde Bauarbeiter am Küchenfenster vorbei.
"Da sind sie schon." sagte die Frau erfreut und griff nach Roberts Hand. Ihre dicken Finger waren warm und feucht. "Genau wie damals." Ihr Lächeln hatte etwas Kindliches, gleichzeitig nach innen Gerichtetes an sich, und ihm wurde auf einmal mulmig zumute. Irgendwas stimmte hier nicht. Er konnte das Stapfen schwerer Stiefel auf harten Dielen hören, und irgendwo im Haus wurde eine Tür zugeschlagen. Roberts Mund fühlte sich auf einmal ganz trocken an, und er hätte jetzt doch noch einen Schluck vertragen können.

Durch den Nebel in seinem Kopf nahm er nur undeutlich wahr, wie Witta zwei weitere Knöpfe ihrer Kittelschürze öffnete, während sie weitersprach. "Wissen Sie, so gesehen wäre ja ohnehin nichts aus uns geworden. Aus mir und dem Samiräter, meine ich. Wahrscheinlich hätte es keinen Unterschied gemacht, hätte der junge Mann bei mir bleiben wollen. Meine Arbeitgeber hätten es in keinem Fall gern gesehen. Wir hätten höchstens fliehen können. Aber man kann ja nicht immer davonrennen. Heute wäre ich dazu auch gar nicht mehr in der Lage." Sie grunzte leise durch die Nase. "Und ich weiß auch gar nicht, ob ich das noch wollte. Die andere Sache hat auch ihren Reiz."

"Welche andere Sache?" murmelte Robert, und seine eigene Stimme klang in seinen Ohren auf einmal schrill. Er bekam kaum mit, dass sich die Küchentür öffnete und sich die Schritte in einem Rauschen verschwommener Konturen nun unmittelbar auf ihn zu bewegten.
Aber Witta lächelte nur versonnen, während sich die Axt des Zwerges in seinen Schädel grub und sein Blut die allerschönsten Muster auf ihren schmutzigweißen Kittel spritzte.

 

Ogott, ich glaube es nicht, dass ich diese Geschichte wirklich hier reinstelle. Sie modert seit einem Jahr auf meiner Festplatte vor sich hin, und ich habe das Gefühl, sie wächst mir langsam über den Kopf. Ich will einfach mal gern wissen, ob sie für andere 'funktioniert' oder nicht...irgendwie hänge ich an dem Ding.

Ach ja: Sollte jemand einen guten Vorschlag haben, was Robert da unten statt einer Wasserrohruntersuchung durchführen könnte - immer her damit. Ich habe von sowas keine Ahnung.

 

Hallo angua,

danke für deine Kritik. So wie's aussieht, liegt da noch einiges im Argen, was die Verständlichkeit betrifft. Das hatte ich ja sowieso befürchtet, deshalb schmort das Ding auch schon so lange vor sich hin. ;-)
Ich habe aber Angst, dass die Geschichte, wenn ich den Leser zu deutlich auf gewisse Dinge hinweise, irgendwie ihren (erhofften) Effekt verliert.

Ich halte mich lieber erstmal mit Gebrauchsanweisungen zurück und warte ab, ob noch irgendjemand etwas dazu sagt. Soll ja Leute geben, die manchmal zuerst die Kritiken lesen. *pfeif*

Der Titel war eigentlich ein Arbeitstitel, aber mir gefällt, dass er eine Art Bruch mit dem Text darstellt und wenig über die Natur der Geschichte oder das Ende verrät. Aber besonders toll ist er natürlich nicht, da hast du recht. Ich hätte da einen, der mir gut gefällt, der aber wieder ziemlich viel vorweg nimmt...ich muß mich wohl bald mal entscheiden.

Dass du das mit der "Landlady" von Dahl gemerkt hast, hat jetzt aber definitiv meinen Tag gerettet (bzw. die paar Minuten, die noch davon bleiben). :)

Jetzt müssten nur noch die anderen Andeutungen deutlicher werden, fürchte ich.

Danke fürs Lesen und Kommentieren,

Iris

 

Spät fällt der Groschen, aber umso tiefer. ;)

Das zeigt nur, dass ich die Geschichte nicht zu 100% im Griff habe. Auf so eine Idee kann man aber auch nur nachts um drei kommen, und so ähnlich war es auch.

Falls du hier noch mal reinschaust, angua: Was hältst du von dem Titel "So rot wie Blut"? Ist das zu fingerzeigmäßig?

Ich versuche mal, es ein bisschen umzuschreiben, damit es nicht so 'komisch' wirkt, dass Robert die Absurdität des Ganzen so kritiklos hinnimmt. Zu psychologisch-realistisch soll es aber auch nicht werden, eher ein bisschen surreal.

Vielleicht hätte ich die Geschichte doch bei 'Seltsam' einstellen sollen?

Gruß,
Megries

 

Nachtrag: Den Titel kann man gar nicht mehr ändern, wie es aussieht. Und den ganzen Thread löschen will ich auch nicht.

Noch was: Es gibt ein Sprichwort oder eine Bauernweisheit, wonach noch Besuch ins Haus steht, wenn jemand sich verschluckt oder einen Schluckauf hat. ;)

 

Auf Wunsch der Autorin umbenannt und aus Sonstige nach Seltsam verschoben.

 
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Das interpretiere ich mal als Kompliment, danke. ;)

 

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