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So steht es geschrieben

Seniors
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02.01.2002
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So steht es geschrieben

Die Hütte sah von außen zwar kaum komfortabler als ein Gartenhaus aus, aber sie würde ihren Zweck sicher erfüllen. Meine beste Freundin Sarah, ihr Freund Robert, Lukas und ich hatten gerade das Abitur bestanden und wollten das gemeinsam feiern. Die Hütte hatte uns Robert besorgt, der hier schonmal mit seinem Cousin übernachtet hatte. Sie war günstig, sie lag abgeschieden und sie hatte drei Zimmer für zwei Pärchen, das genügte uns völlig. Gemeinsam schleppten wir unsere Rucksäcke vom Auto zum Eingang. Robert kramte den Schlüssel hervor und öffnete die Tür mit einem leisen Quietschen. Anschließend drehte er sich zu uns und vollführte eine Verbeugung.

"Meine Damen und Herren, werte Gäste, ich präsentiere Ihnen ... die Suite!"

"Spinner" sagte Sarah, kniff ihn in den Arm und wir traten ein.

Robert hatte nicht zuviel versprochen, hier ließ es sich für drei Tage aushalten. Geräumiger Wohnraum, großer Tisch, mehrere Stühle und Sessel, eine Kommode, zwei Schränke und ein paar Wandregale. In der Ecke eine kleine Kochnische mit Spüle, eine Tür führte zu einer Toilette mit Waschbecken. Nebenan zwei Schlafzimmer, beide identisch aufgebaut mit Doppelbett, Nachttischen und jeweils zwei Stühlen.

"Kein Fernseher, kein Computer, keine Playstation, keine Stereoanlage ... worauf hab ich mich hier eigentlich eingelassen?", fragte Robert und verdrehte die Augen. Sarah kicherte und gab ihm einen Klaps auf den Arm. Immer wieder erstaunlich, die beiden zusammen zu sehen. Sarah, blond und zart. Großes Haus, noch größerer Garten, reinrassige Collies, Klavierunterricht. Robert in löchrigen Jeans und Heavy-Metal-T-Shirts. Blaue Briefe, Klassenbucheinträge, Anrufe für die Eltern. Eine dunkle Locke wie der junge Elvis und immer über alle Partys informiert. Abi nur dank Sarahs Unterstützung. Oft hatten sie im Pausenraum zusammen gesessen, Robs Füße auf dem Sofa, eine Chipstüte neben sich, während Sarah sich über das Buch beugte. "Je voudrais, tu voudrais, il voudrait ..." Brav wiederholte er die Vokabeln, bis ihm gewöhnlich nach einer Viertelstunde der Geduldsfaden riss und er die kichernde Sarah aufs Ohr küsste. Es war kein Traumabi, aber für die Uni würde es reichen.

Seit zwei Monaten waren die beiden verlobt, was ihre Eltern mit gemischten Gefühlen aufgenommen hatten. Ich anfangs auch, doch das wusste Sarah nicht. Sie und ich waren seit über zehn Jahren befreundet und ich wollte anfangs nicht, dass sie bei jemandem hängenblieb, der sie alle paar Wochen versetzte und erst an ihrem Geburtstag ein Geschenk besorgte. Die letzten Monate allerdings waren immer besser verlaufen und Sarahs Erziehungsmethode hatten angeschlagen, wie sie es nannte. Für die Feier hatte Robert sich in einen geliehenen Anzug gequetscht und ein sensationelles Buffett organisiert. Sarah sah aus wie eine überglückliche Elfenprinzessin in ihrem gelben Kleidchen und ihre Eltern hatten Robert wahrscheinlich zum ersten Mal nicht mit hochgezogenen Augenbrauen gemustert. Gut, am Ende hatte er zwar ein wenig über den Durst getrunken, aber er riss sich mittlerweile wirklich verdammt oft zusammen, um Sarah einen Gefallen zu tun. Eigentlich Beneidenswert. Lukas machte keine Anstalten, das Thema Verlobung anzuschneiden oder auch nur über eine gemeinsame Wohnung zu sprechen. Dabei waren wir ein Jahr länger zusammen als die beiden.

"Maria, halt das mal bitte", riss mich Lukas aus den Gedanken und drückte mir eine Bierflasche in die Hand. Ich zog eine Grimasse und stellte sie vorsichtig auf den Tisch. Sarah deponierte das mitgebrachte Essen, das vor allem aus Chips, Schokolade, Ravioli und ein paar Sandwiches bestand, neben die Spüle, Robert packte das Geschirr aus und ich suchte aus der Kommode ein paar zusätzliche Kissen hervor, damit wir uns später auf den Boden setzen konnten.

Wochenlang hatten wir auf Partys verzichtet und gemeinsam gelernt und nach den Prüfungen hieß es bangen, ob wir alles gut bewältigt hatten. Außer Robert musste zwar keiner von uns sich ums Bestehen sorgen, aber Lukas und ich hatten hohe NC-Vorgaben. Erst als wir unsere Zeugnisse in den Händen hielten, fiel die erste Anspannung von uns ab und dieses Wochenende wollten wir endgültig alles hinter uns lassen. Besonders Robert hatte Grund zum Feiern, seine Eltern hatten ihm als Belohnung seinen ersten Wagen geschenkt, den er wie eine zweite Freundin behandelte. Als wir uns das erste Bier gönnten und anstießen, lachte er am lautesten. In seiner aufgedrehten Stimmung ließ er es sich nicht nehmen, uns ein paar Parodien auf unsere Lehrer vorzuspielen. Mit dramatischer Stimme und ausladenen Bewegungen imitierte er die Rede des Direktors auf dem Abiball, unsere altjüngferliche Englischlehrerin, die amazonenhafte Sportlehrerin und den schwulen Musiklehrer. Obwohl wir es schon so oft erlebt hatten, wie er sie alle nachahmte, mussten wir andauernd lachen über seine Grimassen, seinen Tonfall und die exakt kopierten Gestiken. Sarah versuchte, ihren Stolz hinter gespielter Genervtheit zu verbergen, was ihr nicht gelang. Ab und zu strich mir Lukas über das Haar und wir verhakten unsere Finger ineinander. Es war warm und die Luft in der Waldhütte roch angenehm würzig.


Später am Abend wurden wir ruhiger und machten es uns mit vielen Decken und Kissen auf dem Boden gemütlich. Wir ließen unzählige Anekdoten aus dreizehn Jahren Schulzeit Revue passieren, all die Peinlichkeiten, die witzigen Zwischenfälle, die Wutausbrüche der Lehrer, die dümmsten Ausreden. Roberts gefälschtes Arzt-Attest aus der fünften Klasse, die Suche nach dem Umkleidendieb und natürlich die Sache mit der Stinkbombe. Nach zwei Stunden genügten bloße Stichwörter, hineingeworfen in die Runde, um immer neue Lachanfälle zu produzieren. Sarah stand ein paar Mal auf, um uns neue Sandwiches zurechtzuschneiden, ich besorgte den Cola-Nachschub und die Jungs schenkten reichlich Alkohol aus. Als Robert nach dem vierten Bier vorschlug, eine Wahl der "heißesten Hasen" unserer Stufe durchzuführen, zuckte Sarah kurz zusammen. Ich gab Lukas einen leichten Stoß und warf ihm eindringliche Blicke zu. Er reagierte sofort und versuchte, Robert abzulenken. Ich liebte diese stumme Verständigung zwischen uns.

Sarah war in den nächsten Minuten schweigsamer als sonst. Ihre Finger spielten mit dem kleinen goldenen Ring an ihrer Hand. Es war kein Geheimnis, dass Robert sich nicht gerade wie ein Vorzeige-Verlobter benahm, auch wenn ich sicher war, dass er Sarah vergötterte. Eben auf seine Art. Unwillkürlich umfasste ich Lukas' Arm und kuschelte mich an ihn. Er küsste mich kurz auf die Haare, eine Geste, die ich so sehr liebte, und kitzelte mich verstohlen am Handgelenk. Meine Haut kribbelte angenehm. Es war noch verhältnismäßig früh, aber irgendwann in der Nacht würden wir ins Bett kriechen. Ich fuhr mit der Hand über seinen Oberschenkel. Sein tiefes Atmen verriet mir, dass er es gespürt hatte. Lächelnd dachte ich an die Dessous, die ich extra für heute gekauft hatte, schob den Gedanken aber schnell wieder beiseite, um nicht unaufmerksam zu werden. Gerade erzählten Robert und Lukas abwechselnd von einer Party, bei der die Nachbarn die Polizei wegen Ruhestörung gerufen hatten und der Gastgeber in den Swimmingpool gefallen war. Robs Stimme ging ein wenig schwer und immer wieder verschluckte er einzelne Silben. Mittlerweile hatte ich den Überblick verloren, wie viele Biere er sich schon genehmigt hatte. Sarah schien meine Gedanken zu teilen. Mit einem Handgriff, der deprimierend geübt aussah, nahm sie ihm die Flasche weg.

"Lass mal", murmelte sie und Robert brummte als Antwort etwas Unverständliches.

"Komm schon, iss erst mal was und trink später weiter", mischte sich Lukas ein und drückte Robert eine Chipstüte in die Hand. Sarahs Miene entspannte sich wieder. Ich löste mich von Lukas, rückte an meine Freundin heran und verwickelte sie in irgendein Gespräch über eine Tussi, die wir mal im Fitnessstudio gesehen hatten und deren Hose gerissen war. Es war eine alberne und dämliche Geschichte und ich sprach viel zu schnell, aber es erfüllte seinen Zweck. Sarah gluckste und lachte, während Lukas dem leicht weggetretenen Robert ein Sandwich reichte und ihm ein Glas Wasser eingoss. Auf Robert musste man eben ein bisschen aufpassen, aber ich konnte ihm nicht böse sein. Mein Gott, er hatte so viel gelernt, nicht wenige Lehrer hatten ihm prophezeiht, dass er die Prüfungen versauen würde, aber er hatte es allen gezeigt und ich konnte gut verstehen, dass er jetzt einen draufmachen wollte, dafür waren wir schließlich hier. Aber für heute war es genug, wir konnten ihn schlecht den ganzen Alkohol an einem Abend trinken lassen. Ich hoffte, dass er später wieder einigermaßen fit werden würde.

Ein lautes Stöhnen unterbrach unser Gespräch. Sarah und ich fuhren herum und sahen, wie Robert die Hand auf den Mund presste. Er hatte sich halb erhoben und schien die Orientierung verloren zu haben. Lukas reagierte als Erster.

"Verdammt, los, rüber zum Klo!" Robert schwankte ein paar Schritte auf die Tür zu, aber noch ehe Lukas ihn erreichen und stützen konnte, brach es aus ihm heraus und er übergab sich auf den Holzboden.

"Scheiße", hörte ich von Lukas und Sarah gab ein schluchzendes Geräusch von sich. Wenigstens wird er heute nicht mehr trinken, schoss mir durch den Kopf und kurz darauf schämte ich mich für diesen Gedanken. Lukas half Robert in das winzige Badezimmer und schrie uns zu, dass wir nach Handtüchern schauen sollten. Ich erinnerte mich, einen Stapel in der Kommode gesehen zu haben und durchwühlte die Schubladen. Mit blassem Gesicht, ansonsten aber wieder recht sicher auf den Beinen, kehrte Robert vom Waschbecken zurück. Er konnte uns kaum in die Augen sehen, riss mir die Tücher wortlos aus der Hand und wischte die Schweinerei auf. An Reinigungsmittel hatte natürlich keiner von uns gedacht, also holten wir unsere Duschgels aus den Rucksäcken hervor. Sarah öffnete die Fenster. Gottseidank war es eine laue Sommernacht; der saure Geruch verflüchtigte sich rasch und wurde von Lukas' frischduftendem Sportlerduschgel überlagert.

"Alter, heute gibts aber nur noch Kräutertee für dich", versuchte er es mit einem Witz und brachte Robert immerhin zu einem verschämten Grinsen.

"Sorry", sagte er, an niemand Bestimmten gerichtet. Sarah hatte ihren Freund in den Arm genommen. Robert sah mit einem Mal wie ein kleiner Junge aus, der die Lieblingsvase seiner Mutter zerbrochen hat. Lukas machte seine Ankündigung wahr und kochte tatsächlich einen Tee, während ich mein Pfefferminzöl hervorkramte, das Robert gegen die Übelkeit inhalieren sollte. Als sich der Pfefferminzgeruch mit dem Duschgelduft vermischte, zogen wir alle gleichzeitig eine Grimasse und brachen schließlich in Gelächter aus.

Ich wollte nach ein paar weiteren Handtüchern schauen, um sie auf den feuchten Boden zu legen und stieß dabei in der Schublade auf etwas Hartes. Einigermaßen verwundert holte ich ein dickes, ledergebundenes Buch hervor. Der Einband war dunkelrot und mit schwarzen Ornamenten geschmückt. Ich musste sofort an meine Tante denken, die alte Bücher sammelte und viele solcher Schwarten bei sich aufbewahrte. Einige waren recht wertvoll. Ich erwartete dichtbeschrieben Seiten, vielleicht sogar mit altdeutscher Schrift, doch zu meiner Überraschung waren sie leer.

"Was hast du da?", fragte mich Sarah und ich zeigte ihr den Fund.

"Muss wohl ein leeres Tagebuch oder so sein", meinte ich. "Hat vielleicht ein Vormieter vergessen."

"Tagebuch? Redet ihr da über eure kleinen Geheimnisse?" Robert war hinzugetreten. In sein Gesicht war bereits das alte schelmische Lächeln zurückgekehrt und abgesehen von einer leichten Blässe sah er aus wie immer.

"Deines, Sassi?", fragte er mit Seitenblick auf seine Freundin und streckte die Hand aus. "Zeig doch mal ..."

"Das gehört nicht uns, wir haben es gerade hier gefunden", wiegelte Sarah ab. "Sieht richtig edel aus ... ist aber leer."

Robert wolte es nach flüchtigem Durchblättern gerade beiseite legen, als er plötzlich stockte.

"Äh, ja, Und warum steht dann dein Name drin?" Er zeigte die erste Seite. In großen schwarzen Buchstaben stand dort "Sarah" geschrieben.

Sarah starrte auf ihren Namen.

"D-da ist nicht meins, ich hab da nichts reingeschrieben", stotterte sie. Zu Recht. Ich hätte geschworen, dass beim ersten Durchblättern dort nichts gestanden hatte. Sarah riss Robert das Buch aus der Hand, sie blätterte - und erstarrte erneut.

"Da steht ... da steht: Die vier Freunde standen in der Mitte des Zimmers."

Wir sahen uns gegenseitig an.

"Soll das witzig sein?", fragte Lukas und griff nach dem Buch. Ich schaute ihm über die Schulter und las den Satz, genauso, wie Sarah ihn eben vorgetragen hatte. Lukas sah auf.

"Sarah, hast du das geschrieben?"

Sarah schoss die Röte ins Gesicht, wie bei den Referaten oder dem Vorrechnen an der Tafel. Aber hier ging es um etwas anderes als um verdammte Rechnereien.

"Nein, ich sagte doch, ich hab das blöde Buch noch nie vorher gesehen! Keine Ahnung, wer das da reingeschrieben hat ..."

Robert sah nicht aus, als würde er ihr glauben. Eben noch kotzte er auf den Boden und jetzt schaute er seine Freundin als, als wolle sie ihn verarschen.

"Gott, dann war's vielleicht der Besitzer, der es vergessen hat, es gibt tausende Sarahs und wohl auch mehr als vier Freunde auf der Welt, oder?", platzte ich heraus.

Lukas fasste mich sanft am Nacken.

"Okay, tun wir das Ding weg. Ist ja auch egal, das alles." Aber an seiner Stimme hörte ich, dass er auch nicht recht wussten, was er von der Sache halten sollte. Verübeln konnte ich es ihm nicht. Total verdrehte Sache, die hier ablief. Aber Sarah hatte nun wirklich schon genug durchgemacht. Lukas legte das Buch auf den Tisch, sie allerdings nahm es direkt wieder an sich und blätterte darin. Auf der ersten Seite stand immer noch ihr Name, auf der zweiten der seltsame Satz mit den vier Freunden. Sie blätterte um - und auf einmal stand dort auch etwas auf der dritten Seite. Sarahs Hände zitterten und sie hatte Mühe, das Buch festzuhalten.

"Was ist los?", herrschte Robert sie an, nahm ihr das Buch weg und las den Satz laut vor.

"Einer der Rucksäcke fiel um."

Unmittelbar nach dem letzten Wort hörten wir einen dumpfen Plumps. Unsere Blicke schossen zu den Rucksäcken. Oh, scheiße.

Meine Knie waren so weich, als hätte ich einen Schlag erhalten. Verdammt, das war nicht mehr witzig. Ich drängte mich an Lukas und sehnte mich danach, in den Arm genommen zu werden. Sicher, es waren Zufälle. Alles Zufälle.

"Komm schon Sarah, das Buch muss dir doch gehören. Da steht doch nicht einfach zum Spaß dein Name drin ..."

"Verdammt, ich weiß es nicht!", schrie Sarah und schleuderte das Buch auf den Boden. Es schlug auf der vierten Seite auf und ich starrte auf den Satz, der dort in großen Buchstaben erschienen war.

"Ein Fenster schlug zu."

Auf die Worte folgte der Knall. Ich sank auf einen Stuhl. Meine Finger hatten sich in Lukas Arm gekrallt. Mechanisch streichelte er mir übers Haar. Sarah stand wie angewurzelt, sie zitterte. Robert hob langsam das Buch vom Boden auf. Sarah begann leise zu weinen. Als wir elf waren, hatte wir uns einmal abends im Wald verlaufen. Es wurde immer dunkler irgendwann hockten wir uns auf den Boden und klammerten uns aneinander, bis wir endlich gefunden wurden. Sarahs Schluchzen klang wie damals, als wir uns in der Finsternis festhielten.

"Ich weiß nicht, was da los ist, ich weiß es nicht, verdammt ..."

Robert gab einen überraschten Laut von sich.

"Was zum Teufel ..."

Er las den neuen Satz vor.

"Gib Sarah das Buch."

Er schaute auf.

Lukas riss sich von mir los.

"Das ist doch alles bescheuert! Robert, leg es weg, was soll der ganze Scheiß?! Ist das irgendwas mit unsichtbarer Tinte, oder so?"

"Frag das nicht mich, frag Sarah!"

Auch Robs Stimme war laut geworden. Mit einer heftigen Bewegung drückte er Sarah das Buch in die Arme.

"Ist es das, Zaubertinte? Hast du dir da irgendwas ausgedacht?"

Sie schüttelte stumm den Kopf. Keine Ahnung, ob sie nicht sprechen wollte oder nicht konnte. Aber einer von uns trieb ein ganz übles Spiel. Es musste so sein. Sarah konnte das nicht inszeniert haben. Ganz sicher nicht.

Gib Sarah das Buch.

Sie blätterte zur nächsten Seite, mehr Automat als Mensch. Ein neuer Satz, schwarz auf weiß. Ich konnte ihn nicht erkennen. Wollte es auch gar nicht. Aber Sarah las ihn vor.

"Sie musste ihn fragen, warum er letzten Dienstag abgesagt hatte."

Sie ließ das Buch sinken und sah ihren Freund an.

"Du bist gemeint", sagte sie. Ihre Stimme klang rauer als sonst. "Ich weiß nicht, was das soll, aber ... aber du hast unsere Verabredung abgesagt. Am Dienstag." Sie starrte ihn an. "Wir wollten ins Kino."

Keiner von uns anderen wagte, etwas zu sagen. Mir ging alles viel zu schnell. Robert war plötzlich rot im Gesicht geworden.

"Gib das Scheißbuch her, wirf es weg, und wir vergessen das Ganze. Das ist irgendein beschissenes Spiel ..." Er brach ab.

"Moment, ich verstehe hier grad gar nichts mehr", ging Lukas dazwischen, aber ich fasste ihn am Arm. Das war irgendeine Sache zwischen Sarah und Robert, da war ich mir sicher und ich war mit einem Mal nicht mehr so überzeugt davon, dass Sarah das Buch nicht gehörte.

"Warum hast du abgesagt?", fragte sie mit ihrer immer noch seltsam dunklen Stimme. Robert sah sie an, lachte unsicher, winkte ab und fuhr sich durch die Haare.

"So was Bescheuertes ...", murmelte er und sagte dann laut: "Also schön: Ich musste mit meinen Eltern wegfahren. Zu meinem Onkel. Ging um meine Oma. Altersheim und so, du weißt das doch alles. Da muss ich manchmal mit, sie bestehen darauf. Aber ich versteh nicht, was du jetzt hier für eine Kacke abziehst ..."

Sarah atmete schneller. Mit einer steifen Bewegung schlug sie die Seite um. Das Buch schien in ihren Hände zu glühen, aber ich war völlig sicher, dass es eine optische Täuschung war.

"Sie fragte ihn nach Nadine."

Beim letzten Wort bekam ihre Stimme einen krächzenden Ton. In meinem Kopf ratterte es und Sekunden später wusste ich es: Nadine war Robs Ex-Freundin. Robert hatte seine Farbe wieder verloren. Auf seiner Stirn glänzten Schweißperlen und sein Shirt hatte dunkle Flecke bekommen. Er öffnete den Mund und klappte ihn wieder zu. Dann machte er zwei schnelle Schritte auf Sarah zu. Ich war sicher, er wollte ihr nur das Buch entreißen, wollte selber lesen, was dort stand, aber Lukas sprang vor und hielt seinen Freund an den Schultern zurück.

"Alles okay, alles okay", murmelte er und ich fragte mich, wen er damit meinte.
Sarahs Lippen bebten.

"Was ist mit Nadine?", fragte sie gepresst. Robert atmete tief aus. Er schloss die Augen. Seine Lider flackerten.

"Nichts", sagte er dann so leise, dass ich ihn kaum verstand. Aber ich sah, dass Sarah ihm nicht glaubte. Ich auch nicht. Ich wusste nicht, was diese beschissene Lage, was dieses beschissene Buch bedeuteten, aber Robert sagte nicht die Wahrheit. Sarah las mit brüchiger Stimme den nächsten Satz. Sie sprach, als wenn jedes Wort ihr einen Stich ins Herz verpassen würde. Und so war es wohl auch.

"Er dachte an ihre seidigen, dunklen Haare."

Ich hatte Nadine nur einmal auf einem Foto gesehen. Ihre seidigen, dunklen Haare. Treffer, versenkt. Sarah schluchzte auf, ein nasses Geräusch in der Stille. Unwillkürlich wollte ich sie in den Arm nehmen, sie trösten, wie an den vielen Abenden, an denen sie mit mir über die Verlobung und ihre Eltern gesprochen hatte. Aber wie sie so dastand, so stocksteif und mit starrem Blick, die Finger fest um den roten Einband geklammert, traute ich mich. Ich traute mich einfach nicht. Stattdessen griff ich nach Lukas und drängte mich an seine Brust. Sein Herz pochte so schnell wie nach einem langen Lauf und ich roch seinen Schweiß, scharf und beinah animalisch.

"Was ist mit Nadine?"

Ihre Stimme schallte durch den Raum. Robert sah unendlich müde aus, als sei er seit Tagen auf den Beinen. Unter seinen Augen hatten sich dunkle Schatten gebildet.

"Ich hab keine Ahnung, wie du dahinter gekommen bist", sagte er so leise, dass ich ihn kaum verstand. "Und ich weiß nicht, was diese beschissene Inszenierung mit dem Buch soll. Aber, ja, ich hab mich mit ihr getroffen."

Ich löste mich von Lukas und fasste Sarah an der Schulter.

"Sarah ...", begann ich, aber sie stieß mich zurück.

"Lass mich!", kreischte sie mit einer Stimme, die ich noch nie an ihr gehört hatte. Sie stolperte ein paar Schritte zurück an die Wand, das Buch fest an sich gepresst. Lukas bewegte sich auf sie zu, doch ich hielt ihn zurück. Die Luft schien immer knapper zu werden und ich spürte den dringenden Wunsch, einfach nach draußen zu rennen und all diese Scheiße hinter mir zu lassen. Aber ich konnte mich nicht rühren.

"Sarah, verdammt, ich wollte das nicht. Ich wollte das alles nicht und ich wollte erst recht nicht, dass es so kommt wie jetzt ... ich wollte es hinter mir lassen ..."

Sarah schluchzte auf, die Tränen flossen ihr über die Wangen. Was sie sagte, ging in ihrem Weinen unter. Robert bewegte sich langsam auf sie zu und sprach dabei beschwörend auf sie ein. Unmöglich zu sagen, ob er sie beruhigen oder sich aussprechen wollte. Er liebte Nadine schon lange nicht mehr, die Verlobung hatte ihm Angst gemacht, er hatte sich eingesperrt gefühlt und darunter gelitten, dass ihre Eltern ihn nicht richtig akzeptierten. Alles schon tausendmal in schlechten Filmen gehört. Sie starrte geradeaus, drückte das verdammte Buch an sich. Lukas rieb unaufhörlich meine Schultern, bis es fast schmerzte, doch ich sagte nichts, aus Angst, dass er mich loslassen würde. Als Robert Sarah beinah erreichte, machte sie einen Schritt zur Seite, sodass der Tisch zwischen ihnen stand. Sie schlug das Buch auf, blätterte zur nächsten Seite und keuchte. Mit hoher, kreischender Stimme las sie:

"Egal wie lange er mit ihr zusammen war, er würde nie die Nächte mit Nadine vergessen, den Duft ihrer Haut, ihrer Haare, ihrer ..."

Ich erfuhr nie, wie der Satz endete. Mit einem Schrei stürzte sie vorwärts, griff sich etwas vom Tisch, wo die Sandwiches lagen, und warf sich auf Robert. Alles verschwamm vor meinen Augen. Sarah und Robert, die gemeinsam gegen die Wand prallen, Lukas, der dazwischenspringt und Sarah nach hinten reißt, ein Stöhnen, ein Röcheln, von gottweißwoher und plötzlich war alles rot, alles rot ... Sarahs T-Shirt, ihre Jeans, auch Lukas' Hände und vor allem Robert ... Robert, der auf den Boden gefallen war und sich kaum noch bewegte. Robert, der an seine Brust griff, um dann plötzlich zu erschlaffen, ohne auf Lukas' Erste-Hilfe-Versuche zu reagieren. Viel später, als die Polizei da war, sah ich erst das Messer, das dort steckte, obwohl ich die ganze Zeit dorthin gestarrt haben musste.

Fotoapparate blitzten, jemand breitete ein Tuch über Robert aus und alle möglichen Menschen stellten mir Fragen. Ich sagte nichts, sondern klammerte mich nur an Lukas. Undeutlich hörte ich, dass er mit stockender Stimme ein paar der Fragen beantwortete.

Sarah wurde hinausbegleitet. Ich glaube, sie wehrte sich nicht. Ich wollte ihr etwas sagen, etwas zurufen, doch mir fiel nichts ein. Und kurz darauf war sie aus der Hütte verschwunden.

Das Buch hatte sie dagelassen. Die Beamten blätterten es durch. Verwenden konnten sie es nicht.

"Leer?", fragte ich einmal, als ich kurz die Kraft dazu hatte. Meine Stimme war heiser vom Weinen. Und eigentlich kannte ich die Antwort schon vorher.

 

Mahlzeit,
ehrlich gesagt konnte mich diese Geschichte nicht so recht überzeugen.
Ich fange mal mit dem Positiven aus meiner Sicht an: Wie von dir gewohnt sehr flüssig geschrieben. Die Charaktere werden sehr schön herausgearbeitet - als Leser ist man sofort in der Geschichte drinnen.
Und nun zu dem, was mir nicht so gefallen hat: Für mich liest sich das wie eine typische Mystery-Geschichte: Nicht wirklich gruselig, von Gemetzel ganz zu schweigen, sondern "sanfter Grusel" für alle Altersklassen. Kurzum: Da fehlt einfach der nötige Biss.
Etwas Mysteriöses passiert, und anstatt sich darüber zu wundern oder sich gar lustig darüber zu machen, wird das Mysteriöse akzeptiert. Vor allem das rasche Einknicken Roberts wunderte mich.
Der Schluss ... nun ja: Irgendeinen Schockeffekt muss man ja in Szene setzen. Nur kommt dieser auch nicht gerade überraschend: Gehörnte Verlobte tötet ihren Freund.
Das war mir angesichts der Länge des Textes zu dürftig.
Apropos: Fast die Hälfte (!) dieser doch sehr langen Geschichte verwendest du mit der Charakterisierung. Das ist prinzipiell sehr löblich, aber das Problem ist: Diese Geschichte steht in der Rubrik "Horror". Da erwarte ich als Leser das Aufbauen einer gewissen Spannung, und zwar von Anfang weg. Nicht, dass sofort ein Vampir über alle herfallen muss oder ähnliches; aber da genügen schon - und davon bin ich einfach ein Fan - zarte Andeutungen auf kommendes Ungemach.
Hier geschieht bis Halbzeit der Geschichte eigentlich überhaupt nichts, und ungeduldige Leser brechen da vermutlich sogar ab. Ich habe ehrlich gesagt nach ein paar Seiten eine gewisse Ungeduld gefühlt: "Wann passiert denn endlich was?"

Nicht, dass die Story schlecht wäre. Sie ist meines Erachtens nach nur ganz einfach zu "harmlos" und rechtfertigt im Nachhinein nicht die ellenlange Einführung der Charaktere. Es gibt auch keine "Pointe" oder wenigstens ein halbwegs überraschendes - und somit versöhnliches - Ende. Das wirkt auf mich ein bisschen so, als hättest du ursprünglich eine noch längere Story geplant und plötzlich wäre dir eingefallen, dass du gar keine "richtige" Auflösung hättest und wolltest die Geschichte nur noch rasch zu einem Ende bringen.

 

Danke euch beiden. Ja, irgendwie weiß ich nicht recht, was ich mit der Geschichte machen soll. Sie hat jetzt eine Weile auf meiner Festplatte geschlummert, ohne dass mir in der Zwischenzeit von selber eine zündende Idee zur Verbesserung gekommen wäre, deswegen hab ich mich entschlossen, sie doch reinzustellen. Mir ist sie für die Länge auch zu harmlos und zu "dahinplätschernd", eigentlich mag sich solche "seichten" Geschichten mit langer Einführung und recht banalem Höhepunkt selber nicht besonders. Bin noch unentschlossen, ob ich sie straffen, dramatisieren oder ausbauen soll oder ob eine komplett neue Geschichte hermüsste, weil dieser Inhalt einfach zu "klassisch" ist und sich da nichts Besonderes rausholen lässt.

Ginny

 

Hallo Ginny-Rose,

Die Geschichte hat gute Ansätze, aber wie meine Vorkritiker finde ich sie auch noch verbesserungswürdig. Stilistisch gibt es nichts zu meckern - du kannst gut schreiben und deine Figuren sehr gut charakterisieren. Die Idee mit dem Buch gefällt mir auch.
Aber das Ende wirkt ein bisschen aufgesetzt, so, als ob du unbedingt noch einen Schockeffekt reinbringen wolltest - und der ist für mich nicht ganz glaubwürdig. Sarah, die liebe Elfenprinzessin mit Collies und Klavierunterricht, rastet plötzlich aus und ersticht jemanden? :hmm: Es ist zwar angedeutet, dass das Buch irgendeine Art von Zwang auf sie ausübt, aber dass es sie durch ein paar Andeutungen über die Ex ihres Freundes bis zu einem Mord treibt, finde ich doch etwas überzogen.
Vielleicht kannst du vorher deutlicher machen, wie mächtig das Buch ist - die vier könnten vielleicht ein bisschen mehr gegen es ankämpfen, zum Beispiel versuchen, es wegzuwerfen - dann taucht es wieder auf und auf der nächsten Seite steht: "Das Buch lag wieder dort, wo es vorher gelegen hatte" :naughty: - das ist noch nicht so toll, aber ich meine halt, dass der gruselige Teil, der "Kampf" mit dem Buch, ausgebaut werden könnte. Dass du dir für die Charakterisierung der Protagonisten so viel Zeit nimmst, finde ich gut, ich würde den Anfang auch nicht sehr kürzen (vielleicht ein bisschen, z.B. das Nachahmen der Lehrer müsste nicht so ausführlich beschrieben werden) aber der unheimliche Teil ist im Verhältnis dazu ziemlich kurz, mir fehlt da noch etwas. Ich denke, wenn die Macht des Buchs ausführlicher beschrieben würde, wäre es für mich glaubwürdiger, dass Sarah völlig austickt.

Ein paar formale Sachen:

Die Hütte hatte uns Robert besorgt, der hier schonmal mit seinem Cousin übernachtet hatte.

schon mal

Eigentlich Beneidenswert.

beneidenswert klein

Erst als wir unsere Zeugnisse in den Händen hielten, fiel die erste Anspannung von uns ab und dieses Wochenende wollten wir endgültig alles hinter uns lassen.

Das mit den Zeugnissen müsste eigentlich Vorvergangenheit sein, das liegt doch schon hinter ihnen, oder? ("Erst als wir unsere Zeugnisse in den Händen gehalten hatten, war die erste Anspannung von uns abgefallen...")

Lächelnd dachte ich an die Dessous, die ich extra für heute gekauft hatte, schob den Gedanken aber schnell wieder beiseite, um nicht unaufmerksam zu werden.

Wieso? Erfordert ihre Situation denn besondere Aufmerksamkeit? Sie wollen doch feiern und entspannen, da kann sie doch eigentlich denken, woran sie will. :)

Mein Gott, er hatte so viel gelernt, nicht wenige Lehrer hatten ihm prophezeiht, dass er die Prüfungen versauen würde, aber er hatte es allen gezeigt und ich konnte gut verstehen, dass er jetzt einen draufmachen wollte, dafür waren wir schließlich hier.

Daraus würde ich mindestens zwei Sätze machen. Zum Beispiel nach "versauen würde" würde sich ein Punkt anbieten. Dadurch wäre es übersichtlicher.

Ich erwartete dichtbeschrieben Seiten,

dicht beschriebene

Robert wolte es nach flüchtigem Durchblättern

wollte

"D-da ist nicht meins, ich hab da nichts reingeschrieben"

D-das

Aber an seiner Stimme hörte ich, dass er auch nicht recht wussten

n weg


Meine Knie waren so weich, als hätte ich einen Schlag erhalten.

Na ja, werden einem die Knie weich, wenn man einen Schlag erhält? Da wird man doch eher sauer oder hat Schmerzen. Ich würde irgendeinen Vergleich mit etwas Angsteinflößendem nehmen - warum nicht eine Abiprüfung, das ist den Vieren doch noch frisch im Gedächtnis :)

Sarah begann leise zu weinen. Als wir elf waren, hatte wir uns einmal abends im Wald verlaufen. Es wurde immer dunkler irgendwann hockten wir uns auf den Boden und klammerten uns aneinander, bis wir endlich gefunden wurden. Sarahs Schluchzen klang wie damals, als wir uns in der Finsternis festhielten.

hatten wir uns [...] verlaufen, und das Kursive müsste eigentlich auch Vorvergangenheit sein (auch wenn's dann umständlicher klingt).

Er las den neuen Satz vor.

"Gib Sarah das Buch."


Sonst gibt das Buch doch aber keine direkten Befehle. Da würde ich "Robert musste Sarah das Buch geben" oder so was ähnliches draus machen.

Robert, leg es weg, was soll der ganze Scheiß?!

Ein Satzzeichen reicht :)

Das Buch schien in ihren Hände zu glühen, aber ich war völlig sicher, dass es eine optische Täuschung war.

Aber wieso ist sie da völlig sicher? Inzwischen sollte sie doch zumindest eine Ahnung haben, dass das Buch nicht so ohne weiteres rational erklärbar ist. Sollte sie nicht wenigstens in Betracht ziehen, dass es wirklich glüht? Vielleicht gefällt dir: "Aber ich wollte glauben, dass es eine optische Täuschung war."?

Aber wie sie so dastand, so stocksteif und mit starrem Blick, die Finger fest um den roten Einband geklammert, traute ich mich. Ich traute mich einfach nicht.

Beim ersten Satz fehlt das "nicht".

und ich spürte den dringenden Wunsch, einfach nach draußen zu rennen

Ich weiß nicht, "spürte den dringenden Wunsch" finde ich etwas zu hochgestochen formuliert.

machte sie einen Schritt zur Seite, sodass der Tisch zwischen ihnen stand.

Ich glaube, man kann "sodass" zusammen schreiben, aber ich finde es irgendwie nicht schön.

Grüße von Perdita

 

Hallo Ginny,

Sie war günstig, sie lag abgeschieden und sie hatte drei Zimmer für zwei Pärchen, das genügte uns völlig.
Aus Gründen der Wortökonomie würde ich es bei einem „Sie“ belassen.

Sarah deponierte das mitgebrachte Essen, das vor allem aus Chips, Schokolade, Ravioli und ein paar Sandwiches bestand, neben die Spüle,
Der Einschub ist zu lang.

Es war warm und die Luft in der Waldhütte roch angenehm würzig.
Das waren jetzt fünf Absätze, in denen eine halbe Lebensgeschichte erzählt wurde. Der Rocker und die Prinzessin, die Erzählerin und ihr Typ, der nicht in die Puschen kommt. Erzählerisch ganz schick gemacht und mit Dampf erzählt, aber doch handlungslos. Und sehr klischee-lastig.

Wenigstens wird er heute nicht mehr trinken, schoss mir durch den Kopf und kurz darauf schämte ich mich für diesen Gedanken.
Die Erzählerin ist eine kleine Misses Perfect. Da die Geschichte unter „Horror“ steht, hoffe ich, dass sie besonders grausam und brutal zu Tode kommt! Und zwar bald!

der saure Geruch verflüchtigte sich rasch und wurde von Lukas' frischduftendem Sportlerduschgel überlagert.
In der Realität würden sich die beiden Gerüche vermischen und es würde noch viel, viel ekliger stinken. Warum gehen sie nicht einfach raus, wenn es eine lauwarme Sommernacht ist?

Ich erfuhr nie, wie der Satz endete. Mit einem Schrei stürzte sie vorwärts, griff sich etwas vom Tisch, wo die Sandwiches lagen, und warf sich auf Robert. Alles verschwamm vor meinen Augen. Sarah und Robert, die gemeinsam gegen die Wand prallen, Lukas, der dazwischenspringt und Sarah nach hinten reißt, ein Stöhnen, ein Röcheln, von gottweißwoher und plötzlich war alles rot, alles rot ... Sarahs T-Shirt, ihre Jeans, auch Lukas' Hände und vor allem Robert ... Robert, der auf den Boden gefallen war und sich kaum noch bewegte. Robert, der an seine Brust griff, um dann plötzlich zu erschlaffen, ohne auf Lukas' Erste-Hilfe-Versuche zu reagieren. Viel später, als die Polizei da war, sah ich erst das Messer, das dort steckte, obwohl ich die ganze Zeit dorthin gestarrt haben musste.
Zu früh! Das war ja nur ein Schubs und sie geht gleich mit dem Messer auf ihn los? Überleg mal, wenn das wirklich so wäre, dann gäb’s jeden Tag in jeder Stadt mindestens einen dieser Morde. Zu mal du Sarah so weichgezeichnet hast. Und hier gleich Messer und gib ihm … also, nee.

Die Idee mit dem Buch ist gut (wenn auch nicht neu). Und es ist auch gut geschrieben, aber die Zeichnung der Charaktere und das unmotivierte Handeln … das ist so 08/15 alles. So eine Kaugummi-Welt auch. Die Erzählerin tut nichts anderes, als sich in die Arme des starken Freundes zu verkriechen. Und die andere fällt sofort wie eine Furie mit dem Messer über den Typen her, den sie wie ein Schoßhündchen domestiziert hat. Was ist das denn überhaupt für ein Frauenbild? Dafür sollte man dich in einen Emanzipationszwangslager schicken. ;)
Im Prinzip brauchst du diesen Lukas auch gar nicht, der steht eh nur rum und ist irgendwie männlich und der Mister Right. Eigentlich brauchst du auch die Erzählerin nur, um das ganze in einer „Ich“-Perspektive zu schreiben. Die beiden stören eigentlich nur. Das Verhältnis von Sarah zu Rob ist ja das Entscheidende.
Prinzessin domestiziert Rocker. Gut. Teil 1. Rocker sehnt sich nach Freiheit und schläft mit einer anderen..Teil 2. Sie beiden fahren auf eine Hütte, dort findet die Prinzessin ein Buch, erfährt die Wahrheit und stürzt sich mit dem Messer auf ihn.Teil 3.
Da sieht man, dass noch ein Teil zwischen 2 und 3 fehlt, die Innenwelt von Sarah, die so einen Schritt glaubwürdig machen würde. Wie sehr sie ihn liebt, wie er ihre „Lebensaufgabe“ wurde. Und dann müsste diese Enthüllung mit dem Buch eben stückweise kommen, ein langsames Andeuten von Indizien, über einen längeren Zeitraum, so ein Shining-Szenario eben.
So zeichnet die Geschichte recht behäbig ein Bild von vier Leuten, dann kommt (wirklich wie aus dem Nichts) ein Mystery-Element, die Geschichte schaltet von Null auf Hundert und rast diesem Furien-Ding entgegnen, ohne dass das überhaupt irgendwie vorbereitet wurde.


Sprachlich ist es okay. Flüssig geschrieben, temporeich, die Erzählstimme eingehalten. Das ist schon alles gut, aber so richtig unterhalten hat mich die Geschichte leider nicht.

Gruß
Quinn

 

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