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Socandis City

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02.06.2006
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Socandis City

Es war einmal ein Mann, der dachte, wenn er nur immer zynisch genug wäre, könnte ihm niemand etwas anhaben.

Dieser Mann träumte eines Nachts von einer Grotte in weißem Felsgestein, mit einem Boden aus Sand, der so weich war wie eine Seidendecke, und die glatten Wände dieser Grotte hatten ein ovale Öffnungen ins Freie, die wie kleine Gucklöcher das warme Sonnenlicht hineinspähen ließen, so dass es die Luft ganz zart zum flimmern brachte, und über allem lag eine Stille, die so lieblich klang wie Musik. Und wie er da so stand, meinte er auf einmal die Stimmen von Elfen zu vernehmen, die unsichtbar um ihn herumschwirrten, und sie flüsterten nur zwei Worte: „Socandis City!“; immer und immer wieder, denn dieser Ort war eine Elfenstadt.

Dieser Traum ließ den Mann nicht mehr los; er hatte nur noch eine Sehnsucht, und die war, diese Stadt aus Luft und Licht zu finden, und er hatte keine Ruhe mehr, so dass er eines Tages sein Zu Hause verließ und im ganzen Land nach einer Grotte wie dieser Ausschau hielt, doch es war vergebens. Also nahm er seine sieben Sachen und zog in die Welt hinaus. Zuerst durchstreifte er Europa, wo er überall auf Menschen traf, denen er Fragen stellen und mit denen er lachen und schwatzen konnte. Zwar fand er keine Grotte, aber nach all den netten Plaudereien dachte er bei sich: „Wie offen und warmherzig manche Leute doch sind! Bei denen hat man auf einmal keine Lust mehr, zynisch zu sein!“

Dann ging er weiter nach Amerika, und in den weiten dieses Landes stieß er auf fantastische Steinlandschaften, in denen sich auch unzählige Grotten befanden, bei denen er sich schon fast am Ziel glaubte, aber keine der Grotten war genau wie die in seinem Traum, also zog er weiter.

Als nächstes bereiste er Asien, und da gab es zwar auch keine Elfenstadt, aber dafür besuchte er dort viele alte Tempel, in denen er manchmal das Gefühl hatte, wieder die Stimmen der himmlischen Geschöpfe wahrnehmen zu können, ganz leise, tief in sich drin. Und wie er so dasaß und meditierte, wurde ihm mit einem Mal bewusst, dass er Angst hatte; er wusste nicht genau wovor, aber es ließ ihn weiter in sich hineinhorchen.

Seine Reise führte ihn weiter nach Afrika, wo es Sand gab, so rein und weich wie Seide, und wo die Luft in der Hitze flimmerte. Und viele Menschen, die er dort fragte, erzählten ihm auch von Elfen und andern Geisterwesen, doch niemand kannte Socandis City. Da war der Mann sehr enttäuscht, und er fühlte sich, als würde ihn sein ganzer Lebensmut verlassen, da sprudelte plötzlich die Angst, die er in den Tempeln verspürt hatte, mit einem Male an die Oberfläche, doch er schluckte sie ganz hastig wieder hinunter.
Jetzt sah er seine letzte Chance in Australien, das ja voller mystischer Plätze war, und er untersuchte jeden Berg und jede Felsschlucht nach dem Eingang zu einer Höhle.

Und dann- nach langer unermüdlicher Suche, - entdeckte er in einer Hügelkette aus weißem Fels eine Nische, die sich ein stückweit ins Innere fortsetzte. Er betrat sie. Und tatsächlich! Er hatte es kaum noch für möglich gehalten, aber er stand in einer Grotte, die bis aufs kleinste Detail der aus seinem Traume glich, und er wusste: Er hatte das Ziel seiner langen Reise erreicht, hier war Socandis City!
Er bestaunte die hellen Wände, den zarten Sand unter seinen Füßen und das warme Sonnenlicht, das die kühle Luft im Innern durch die Gucklöcher hindurch zum flimmern brachte. Er konnte es nicht fassen; er war endlich angekommen. Die Stille war so unbeschreiblich friedlich, und bevor er sich versah, begann er urplötzlich zu weinen an; er war selbst überrascht darüber, aber er fühlte sich auf einmal so frei, so unbeschwert, als ob all die Angst, die er gehabt hatte, und die er sich nicht erklären konnte, mit einem Schlag von ihm gewichen wäre, wie ein zu enges Kleidungsstück, dass er endlich abwerfen konnte. Er begriff, dass er sich all die Jahre davor gefürchtet hatte, sanft und weichherzig zu sein, weil er es immer für eine Schwäche gehalten hatte. Doch hier, in der Elfenstadt, musste sich niemand ängstigen; jeder durfte so sanft und fröhlich sein wie zu Kindertagen, hier war niemand außer den unsichtbaren Geschöpfen aus Licht. Und gerade, als sich zu seinem Weinen auch noch ein unbeschreiblich schönes Lachen gesellen wollte, hörte er eine zurückhaltende Stimme. Aber sie war viel zu tief, um einer Elfe zu gehören; es war die eines erwachsenen Menschen, und der rief den Mann beim Namen: „General Kirow! Hören Sie mich?“

Da schlug unser Mann die Augen auf, merkte, dass er auch seine Reise um die Welt nur im Schlaf erlebt hatte, fuhr sich mit den Händen übers Gesicht und richtete sich in seinem übergroßen Bett auf.
Er war immer noch in dem protzigen Schlafzimmer seines Regierungspalastes, und scheinbar hatte sein Wecker versagt. Die Tür war offen, und der Oberst in voller Militärmontur stand vor ihm. „Verzeihen Sie vielmals, Herr General! Aber es ist schon spät; die Exekutionskommandos warten dringend auf die Verurteiltenliste des heutigen Tages. Sie haben sie noch nicht unterschrieben...“ „Jaja, ich mach das gleich!“ brummte der General, während er in seine Hausschlappen glitt. Der Oberst hielt ihm unterwürfig einen Ordner mit mehreren Bögen Papier hin. Der General nahm den Ordner mürrisch entgegen, und der Oberst verschwand unter Respektsbekundungen so schnell wie möglich wieder aus dem Privatgemach. Als sich der höchste Mann im Staat in seinen Morgenmantel gekleidet an den ebenhölzernen Schreibtisch vor dem großen Fenster saß, blickte er einen Moment lang auf die Dächer der Hauptstadt, die gerade von der aufgehenden Sonne geblendet wurden, und er musste noch einmal an Socandis City denken. Leise seufzend dachte er: „Und morgen muss ich dann wieder in der westlichen Presse lesen, wie sehr die ganze Welt den Tyrannen Kirow hasst...“.
Eine Träne tropfte auf die Liste mit den Todesurteilen, als er sich an die Arbeit machte.

 
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Hallo jacksmouth,

ist in Socandis eigentlich noch ein Wortspiel für Insider verborgen, das sich mir dann nicht erschlossen hat ? auch wenn dem so sein sollte, habe ich Deine Geschichte unterhaltsam gefunden, auch wenn sie ein wenig unentschieden wirkt.

Anfänglich liest sie sich wie ein Märchen, wie eine Moralgeschichte, die dem Leser eine Botschaft, eine Vision nahebringen will, da schafft es jemand, seinen weichen Kern zu bvefreien aus einer harten, zynischen Schale und begibt sich auf die Reise in und zu sich selbst, da gefiel und gefällt mir der Ansatz der (er)läuterung, und dann ist es eine Wendung, die nicht völlig innovativ aber dennoch interwessant ist : er hat nur geträumt.
Und ist noch der alte zynische Arsch und Menschenverachter, der er geworden ist.
Das nimmt den positiven Grundtenor, negiert ihn völlig, doch dem Sarkasten in mir hast Du ein - zugegeben sehr dreckiges - Lachen entlockt, oder auch zwei davon :D

Wobei ich vielleicht den letzten Satz, nun, eine dünne Träne klingt etwas sehr pathetisch, eine einfache Träne reichte vielleicht, oder einfach ein neutrales Tropfen auf die Todesliste...

Dennoch, interessant in der Unentschiedenheit (oder Bandbreite, je nach Blickwinkel), hat Späßle g'macht zu lesen.

Grüße,
Cyniker Seltsem

 

Hallo Seltsam, danke für die dreckigen Lacher!

Ersteinmal: Ich weiß selber nicht, was "Socandis" bedeuten soll; das tauchte einfach so in meinem Hirn auf, aber es klang gut, also hab ich´s genommen.

Ansonsten war es meine Absicht, den Kontrast Märchen/harte Realität so derb aufeinanderprallen zu lassen, denn wie du richtig festbgestellt hast, soll das eine sarkastische Geschichte sein, in der eine heile Fantasiewelt entzaubert wird; und darum hab ich den Leser mit nem Brett aus pechschwarzem Humor vor den Kopf gestoßen ;)

Und ob der Prot wirklich nichts aus seinem Traum gelernt und ihn schon bald wieder vergessen hat, oder ob er doch noch mal in sich geht, das überlasse ich der Vorstellung des Lesers.

Wobei ich vielleicht den letzten Satz, nun, eine dünne Träne klingt etwas sehr pathetisch, eine einfache Träne reichte vielleicht, oder einfach ein neutrales Tropfen auf die Todesliste...
Hast recht, ich streich das wieder.

Salut,
jacksmouth

 

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