Sommer auf Ischia
„Morgen um diese Zeit sitzen wir schon wieder im Flieger nach Hause und landen in einer halben Stunde in Hamburg. Und ich könnte wetten, daß es dann regnet.“
Kim seufzte abgrundtief und schickte einen sehnsuchtsvollen Blick in Richtung Castello Aragonese. Dort irgendwo zwischen den Felsen saß in diesem Moment bestimmt Angelo in seinem kleinen Taxiboot mit dem roten Sonnensegel und wartete auf Touristen, die gern in eine entlegene kleine Bucht gebracht werden wollten. Und morgen und übermorgen und in einer Woche würde es noch ganz genauso sein. Auch ohne sie. Die Welt war manchmal echt ungerecht.
Ihre Schwester Vanessa, die diesen Blick verfolgt hatte und genau wußte, woran Kim gerade dachte, rollte die blauen Augen gen Himmel und gab einen genervten Laut von sich.
„Kim, vergiß es, vergiß es einfach ganz schnell. Du kannst nicht einfach hier bleiben, das haben wir nun doch wirklich genug durchdiskutiert. Dein Angelo hat sich sowieso schon längst eine andere Touristin geangelt. Wie kann man nur einem Typen so hinterher trauern, noch dazu so einem schmalzigen Italiano! Du weißt doch, Pa sagt immer...“
„Jajaja, erspare mir, was Pa immer sagt!“ Kim schleuderte genervt Kieselsteine von der Kaimauer in die Wellen, die die gerade anlegende Fähre aus Neapel verursachte. Die glücklichen Touristen, die jetzt erst ankamen! Die hatten ihren Urlaub noch vor sich. Sie selbst dagegen... Kim seufzte erneut.
Vor zwei Wochen waren sie mit genau so einer Fähre im Hafen von Ischia Porto angekommen. Kim hatte kurz zuvor im zweiten Anlauf ihr Abitur endlich geschafft und wollte sich vor dem „Ernst des Lebens“, wie ihr Vater neuerdings immer sagte, noch eine kleine Auszeit gönnen und nebenbei den häuslichen Dauerdiskussionen über ihre Zukunftsvorstellungen entgehen. Kim verzog das Gesicht bei diesem Gedanken zu einer Grimasse und ließ die Kieselsteine gekonnt über das Wasser hüpfen. Wenn sie ihre Idee wirklich in die Tat umsetzen und einfach hierbleiben würde, würde er sie vermutlich enterben. Aber wahrscheinlich war sie nun sowieso in Ungnade gefallen, nachdem sie auch noch den fast perfekten Schwiegersohn von der Angel gelassen hatte.
Ursprünglich hatte sie diese Italientour nämlich mit ihrem Freund geplant. Logisch! Dummerweise hatte Dominic sich drei Wochen vor Abflug in eine hochgewachsene und zugegeben auch ziemlich hübsche Blondine verguckt und war statt nach Ischia nach Fuerteventura geflogen. Mit seiner neuen Flamme, versteht sich. Kim war zwar alles andere als blond, aber mit ihren kurzen roten Locken, der hellen Haut und den auffallend blauen Augen mindestens genauso hübsch. Allerdings war sie nicht gewillt, den Kampf gegen die Blondine aufzunehmen. Wer will schließlich schon einen Mann, der auf Blondinen steht?!
Hätte Vanessa diesen Satz von ihr zu hören bekommen, wäre sie sicherlich nicht mitgeflogen – schon gar nicht, wenn sie von der Vorliebe der Italiener für blonde Frauen gewusst hätte. Vanessa hatte nämlich beneidenswert langes blondes Haar, das glatt über ihre Schultern fiel. Trotz dieses Unterschiedes hatten beide eine erstaunliche Ähnlichkeit, die keiner recht erklären könnte. Vermutlich lag es an den Augen, denn sie hatte beide die tiefblauen Augen ihres Vaters geerbt.
Die Aussicht, als Wieder-Single nun ganz alleine nach Italien fliegen zu müssen, hatte Kim überhaupt nicht begeistert, also hatte sie kurzerhand Vanessa davon überzeugt, daß Italien im Juli gar nicht so heiß war, wie diese immer meinte, und die Italiener äußerst charmant und überhaupt nicht aufdringlich und nicht nur auf kurze Abenteuer aus waren.
„Und außerdem kannst Du Dir sonst die ganzen zwei Wochen, in denen ich als Diskussionspartner nicht zur Verfügung stehe, Vorträge über meine Unfähigkeit zur Zukunftsplanung anhören!“ Das überzeugte selbst Vanessa, die eigentlich gar kein großer Freund von Sommer, Sonne, Strand und Meer war und normalerweise ihren Urlaub lieber beim Skifahren in den Bergen verbrachte.
Bereits am ersten Abend allerdings bereute Kim schon, nicht doch alleine geflogen zu sein. Ok, das Zwei-Sterne-Hotel entsprach nicht unbedingt deutschem Standard und den Ansprüchen von Vanessa schon mal gar nicht, aber deswegen mußte man sich doch nicht gleich über den armen Portier so aufregen! Zu allem Unglück verstand der auch noch deutsch und hätte den einen oder anderen Kommentar vielleicht besser nicht verstehen sollen. Schließlich konnte der doch auch nichts dafür, daß das Zimmer auch drei Stunden nach ihrer Ankunft noch nicht bezugsfertig war. Naja, und die Tatsache, daß der Ventilator als einzige im Zimmer vorhandene Klimaanlage höchst bedenkliche Geräusche von sich gab und dieses Monstrum noch dazu an nur einem von drei Kabeln genau über dem Bett schwebte, war ja vermutlich auch nicht gerade seine Schuld. Aber Vanessa sah das anders.
„Hier schlaf ich nicht. Hier KANN ich nicht schlafen!! Ich hoffe wirklich, dieser sture Hund von Portier hat verstanden, daß ich es ernst meine! Das Ding muß ersetzt werden, sofort! Wir werden beide im Bett erschlagen, wenn dieser Schrotthaufen früher oder später herunterkommt, falls wir nicht schon vorher in dieser Bude erstickt sind! Diese Luft hier, einfach entsetzlich! Hast Du nicht gesagt, es wäre hier gar nicht so heiß?“ fragte Vanessa mit vorwurfsvollem Blick, während sie versuchte, sich mit der Hand etwas Kühlung zuzufächeln.
„Naja“ knirschte Kim, „ich habe vorhin gehört, daß der Sommer dieses Jahr hier ein echter Ausnahmesommer ist – normalerweise ist es wirklich total angenehm!“
Vanessa öffnete den Mund, vermutlich um etwas zu erwidern, doch glücklicherweise klopfte es in dem Moment. Vor der Tür stand ein mittelalterlicher Italiener mit einem kleinen Fernseher unter dem Arm. Etwas auf Italienisch vor sich hin brummelnd, schob er die verdutze Vanessa einfach zur Seite und knallte das Gerät auf den einzigen Tisch.
Vanessa und Kim sahen sich an.
„Nein nein, hören Sie- wir brauchen keinen Fernseher, wir wollen einen neuen Ventilator!“ versuchte Kim ihr Glück und sprang wild mit der Hand auf den Ventilator deutend auf dem bedenklich quietschenden Bett auf und ab. „Air Condition, capito?“ Man sah deutlich im Gesicht des Italieners „Nix capito“ geschrieben stehen, aber immerhin schnappte er sich erneut den Fernseher und zog unwillig vor sich hin fluchend wieder ab.
„Toll hast Du das gemacht, echt toll. Jetzt haben wir immer noch einen kaputten Ventilator und auch keinen Fernseher mehr. Der Urlaub fängt ja echt gut an!“ Vanessas Laune war trotz der Hitze in dem kleinen Zimmer nahe am Gefrierpunkt angelangt. Ihr war heiß, sie war müde und hatte Hunger, und bisher sah es nicht so aus, als würde sich wenigstens einer dieser Umstände in absehbarer Zeit ändern.
„Kim, geh runter zum Portier und sag ihm, wir wollen ein anderes Zimmer. Eines mit funktionierendem Ventilator und mit Fernseher, und bei der Gelegenheit kannst Du dann auch gleich unser Gepäck mit raufbringen“
„Geh doch selber runter und rede noch mal mit ihm, der versteht doch deutsch“ antwortete Kim lakonisch, „und unser Gepäck ist übrigens noch nicht eingetroffen – das wird frühestens mit der nächsten Fähre ankommen.
„WAS?!? Das ist doch wohl nicht dein Ernst! Geh sofort runter und rede mit dem Portier, oder ich nehme auf der Stelle die nächste Fähre und fahre wieder nach Hause!“
„Prima Idee, warum hab ich Dich überhaupt mitgenommen?! Wäre ich bloß alleine gefahren!“
Sind eigentlich alle älteren Schwestern so nervig oder nur ausgerechnet meine? fragte sich Kim, während Vanessa wütend auf den Balkon hinaustrat und verkündete, sie würde lieber draußen an der frischen Luft warten, bis Kim endlich den Portier zur Vernunft gebracht haben würde. Kim dachte allerdings gar nicht daran, dem Wunsch ihrer Schwester Folge zu leisten, sondern schloß stattdessen blitzschnell die Balkontür. Vanessa, die ahnte, daß ihre Schwester vorhatte, sie auszusperren, warf sich in dem Moment gegen die Tür, als Kim gerade den Hebel umlegen wollte. „Krrrachs“ machte es, und Kim hielt die Tür in der Hand. Die hatte den Ansturm von Vanessa nämlich nicht verkraftet und war aus den Angeln gesprungen.
„Mist!“ entfuhr es Kim. Beide schauten sich sekundenlang mit schreckgeweiteten Augen an (bezahlt so etwas eigentlich die Haftpflichtversicherung?) und fingen dann wie auf Kommando gleichzeitig an zu lachen. Mitten in diesen Anfall von Fröhlichkeit platze erneut der Italiener von vorhin, immer noch mit dem Fernseher auf dem Arm, aber diesmal mit einem nach Elektriker aussehenden (und nebenbei bemerkt ziemlich süßen!) Typen im Schlepptau. Warum nicht gleich so?
Abends saßen sie dann endlich auf ihrem Balkon mit einer notdürftig reparierten Tür, tranken billigen Rotwein aus dem Supermarkt von gegenüber und fühlten sich sehr “italienisch“, wie Kim sich ausdrückte. Selbst Vanessa machte einen zufriedenen Eindruck. Der Ventilator summte leise vor sich hin und verbreitete einen angenehmen Luftzug, der den Aufenthalt im Raum erträglich machte, ihre Koffer waren tatsächlich heile und vollzählig aus Neapel eingetroffen und der süße Elektriker hatte ihr (und nicht Kim!) zum Abschied heimlich zugezwinkert. Vielleicht war Italien ja doch gar nicht so übel?
Zumindest das Wetter ließ tatsächlich keine Wünsche offen. Am nächsten Morgen strahlte die Sonne erbarmungslos von einem wolkenlosen Himmel und trieb das Thermometer bereits gegen 10.00 Uhr mühelos an die 30 ° C – Marke heran. Lange schlafen konnte man da gründlich vergessen – da half auch kein Ventilator.
„In meinem Urlaub bereits um 9.00 Uhr nicht nur aufgestanden zu sein, sondern sogar schon beim Frühstück zu sitzen, das ist mir allerdings noch nie passiert!“ stöhnte Vanessa, die für gewöhnlich ein seltener Gast beim Frühstücksbuffet war – was ganz einfach daran lag, daß die Frühstückszeiten in Hotels selten länger als bis um 10.00 Uhr dauern und sie dann meist noch im Bett lag und überlegte, ob sie wirklich schon aufstehen sollte.
„Kim, Du könntest eigentlich mal Kaffee holen.“
Kim, die die Morgenmuffelligkeit ihrer Schwester zur Genüge kannte und selber dringend einen kleinen Koffeinkick vertragen konnte, erhob sich zum Erstaunen ihrer Schwester auch tatsächlich und schlenderte zum Kaffeeautomaten. Dort stand sie dann geschlagene zehn Minuten und versuchte herauszufinden, welchen der vielen kleinen Knöpfe sie denn nun eigentlich drücken mußte. Große Tasse Kaffee, kleine Tasse Espresso, mit Milchschaum, ohne Milchschaum, als Cappuccino oder Espresso longo (longo??) oder Latte Macchiato...was zum Teufel war ein Latte Macchiato?!
„Da hat man nun sein Abi geschafft und scheitert an einem Kaffeeautomaten“ brummelte sie vor sich hin, während sie sich vorsichtshalber für einen normalen schwarzen Kaffee entschied.
Erst als sie sich umdrehte, um zu ihrem Tisch zurückzukehren, bemerkte sie, daß einer der Kellner sie bei ihrer Aktion beobachtet hatte und sie unverhohlen angrinste.
Frechheit!
Kim schnitt eine Grimasse in seine Richtung und machte, daß sie zu Vanessa zurückkam. Erst der beleidigte Gesichtsausdruck ihrer Schwester erinnerte sie wieder daran, daß sie ihr eigentlich einen Kaffee hatte mitbringen sollen.
„Wieso bringst Du denn nur einen Kaffee mit? Willst Du doch keinen?? Und wo ist die Milch? Du weißt doch, daß ich immer viel Milch nehme!“ maulte Vanessa denn auch prompt.
„Sorry, aber der hier ist für mich. Ich wußte nicht, was Du haben willst, die haben da so eine große Auswahl...“ versuchte Kim sich zu verteidigen. „Außerdem hab ich mich schon genug blamiert – und dieser blöde Kellner hat auch noch die Frechheit, sich über mich zu amüsieren!“
„Welcher Kellner denn?“ fragte Vanessa.
„Na der da drüben – der mit dem Lockenkopf.“
„Hmm – na der sieht doch eigentlich ganz niedlich aus...“ Vanessa setze ihr schönstes Lächeln auf, das sie morgens ohne Kaffee zustande brachte, und erhob sich von ihrem Stuhl. „Der kennt sich doch bestimmt mit diesem Apparat aus.“ Kim blieb der Mund offen stehen, als ihr Schwesterherz geradewegs auf ihn zumarschierte. War das vielleicht zu fassen??
Sie bemühte sich, ein möglichst desinteressiertes Gesicht aufzusetzen, als Vanessa schließlich mit einem großen Glas mit gestreiftem (?) Inhalt zurückkehrte.
„Ich weiß gar nicht, was Du wieder gegen den armen Kellner hast, der war doch zur Abwechslung mal sehr nett. Guck mal“ strahlte Vanessa, auf ihr Glas deutend, „ ich dachte, ich nutze direkt mal die Gelegenheit und probiere etwas echt Italiensches aus: Latte Macchiato!“
„Wie schön für Dich.“ Kim`s Tonfall war frostig. „Ich halte mich da doch lieber an den guten alten Kaffee, da weiß man doch, was man hat. In dem Zeug da ist ja gar kein Koffein mehr drin, nur noch Milch mit Geschmack.“
„Du bist ja nur neidisch.“ Vanessa löffelte genüßlich ihren Milchschaum und verdrehte verzückt die Augen. „Hach, Du weißt ja gar nicht, was Du verpaßt. Willst du mal probieren?“
„Nein danke, kein Bedarf.“ So eine blöde Kuh. Wenn sie sich diese Nummer nun jeden Morgen antun mußte, dann verzichtete sie lieber freiwillig auf ihr Frühstück.
„Ich finde, wir sollten schon mal langsam losmachen, sonst kriegen wir am Strand nacher keinen Liegestuhl mehr.“ Kim machte Anstalten, sich zu erheben.
„Wieso Strand? Wir gehen nicht an den Strand.“ Vanessa beschäftigte sich seelenruhig mit ihrem Marmeladenbrötchen.
„Kein Strand??“ fragte Kim irritiert. „Was hast du denn wohl sonst gedacht? Vielleicht eine nette Bus-Tour bei 38 °C ?!“
„Wenn der Bus eine gute Klimaanlage hat, wäre das doch viel angenehmer, als wie die Ölsardinen am Strand rumzuliegen und sich grillen zu lassen!“ antwortete Vanessa lakonisch. „Du weißt genau, daß ich kein Strandfan bin. Überall nur Sand und schreiende Kinder – und ins Wasser gehe ich sowieso nicht. Da sind Fische!“
„Ach was Du nicht sagst!“ schnaubte Kim, „das ist ja wirklich eine erstaunliche Erkenntnis! Und um das rauszukriegen, sind wir also extra nach Italien gefahren?! Das hättest Du auch in Hamburg feststellen können!!! Du willst ja bloß keinen Bikini anziehen, kann ich bei Deiner Figur allerdings auch verstehen!“ Wütend den Stuhl zurückschiebend, während sie vom Tisch aufsprang, erwischte sie unglücklicherweise hinter sich ein kleines italienisches Mädchen, das natürlich auch sofort anfing zu heulen. Bevor Kim auch nur einmal richtig nach Luft geschnappt hatte, war auch schon die italienische Mama zur Stelle und begann wütend, eine gewaltige Schimpfkanone auf sie loszulassen. Geistesgegenwärtig ergriff Kim einfach die Flucht.
Zurück blieb eine verdutzte Vanessa, die sich plötzlich als das Opfer der italienischen Mama wiederfand. Ihre Schwester winkte ihr fröhlich aus sicherer Entfernung von der anderen Seite des Saales zu und trollte sich dann Richtung Hotelzimmer, um ihre Badesachen zu packen.
„War ganz schön gemein von Dir, mich da einfach hilflos diesem italienischen Kampfdrachen auszusetzen.“
Kim blinzelte nur träge von ihrem Strandlaken in Richtung des Schatten, der sich da einfach vor die Sonne schob. „Tja, das war die Rache für die Nummer mit dem Kellner.“
„Wie meinst Du das denn nun wieder?“. Vanessa guckte völlig unschuldig.
„Weißt Du ganz genau. Würde sagen, wir sind quitt. Vorläufig wenigstens.“
Vanessa grinste dieses Grinsen, das ihrer Schwester nur allzu bekannt war – meistens sah man es dann, wenn Vanessa sich durchschaut fühlte.
In schönster Eintracht verbrachten sie den Rest des Tages entgegen Vanessas Planungen am Strand und genossen die Sonne. Vanessa, die im Gegensatz zu ihrer Schwester eher der schnellbräunende Typ war, sah denn am Abend auch bereits aus wie andere nach zwei Wochen Aufenthalt auf Mallorca, während Kim zu ihrem Ärger nur ungefähr 100000 Sommersprossen mehr als vorher auf ihrer ansonsten schon gefährlich geröteten Haut feststellen musste.
„Wieso werde ich eigentlich überhaupt nicht braun? Du bist doch auch blond und siehst immer direkt aus wie aus einem Sonnenbank-Katalog entsprungen, und ich kriege immer nur noch mehr Sommersprossen. Und außerdem fängt meine Nase schon an, sich zu pellen!“ Kim stand vor dem großen Spiegel in ihrem Zimmer und krauste die tatsächlich etwas lädierte Nase und versuchte, durch Auftragen von ungefähr einem Zentimeter Nivea-Creme noch etwas zu retten.
„So willst Du aber nicht wirklich unter die Leute gehen, oder?“ fragte Vanessa und schüttelte vorwurfsvoll den Kopf. „ So nehme ich Dich jedenfalls nicht mit.“
„Na schön.“ Während Kim sich die Creme wieder von der Nase rieb und dabei einen guten Teil der Haut ebenfalls beseitigte, kam Vanessa bereits fertig umgezogen ins Badezimmer.
Sie trug ein sehr enges schwarzes und leicht durchsichtiges Spitzentop, das ihre Bräune toll zur Geltung brachte. Leider allerdings auch ihre kleinen Speckröllchen.
„So willst du aber nicht wirklich unter die Leute gehen, oder?“ echote Kim und grinste frech. Sie durfte auch grinsen, denn auch wenn sie nicht so schön braun wurde, hatte sie zumindest den Vorteil einer beneidenswerten Figur, der auch Pizza und Eis in rauen Mengen nichts anhaben konnte. Vermutlich trieb sie dafür einfach zuviel Sport, ganz im Gegensatz zu ihrer Schwester.
„Wieso?“ Vanessa zog den Bauch ein und drehte sich vor dem großen Badezimmerspiegel. „Ich hab immerhin extra vor unserem Urlaub noch drei Kilo abgenommen, das muß man doch auch mal zeigen!“
Um dieses Top wirklich tragen zu können, hätten es ruhig noch drei Kilo mehr sein dürfen, dachte Kim, sagte aber vorsichtshalber nichts. Eine schlechtgelaunte Vanessa war nur schwer zu ertragen, und nichts konnte ihr mehr die Laune verderben als anzügliche Sprüche über ihre Figur.
„Na dann muß ich mich ja auch schick machen. Soll ich das grüne Minikleid anziehen?“
„Nein!“ kam es sofort wie aus der Pistole geschossen. Vanessa war nie begeistert, wenn Kim dieses Kleid anzog, denn in diesem Kleid sah sie einfach so unverschämt gut aus, dass sie sich einbildete, keiner würde ihr an der Seite von Kim dann noch Aufmerksamkeit schenken. Kim wusste das natürlich ganz genau, nutze aber manchmal doch gerne die Gelegenheit, ihre Schwester ein bisschen zu ärgern.
Heute verzichtete sie auf diese kleine Gemeinheit und schlüpfte stattdessen in ein rotgeblümtes Hippie-Oberteil mit Schlaghose. Sie liebte einfach Klamotten aus den 70er Jahren. Damit konnte Vanessa leben, also zogen sie los Richtung Hafen-Kneipenviertel. Mal sehen, was das Nachtleben von Ischia so zu bieten hatte!
Das Nachtleben von Ischia spielte sich in erster Linie in dem Hauptort Ischia Porto ab. Zu dieser Erkenntnis mussten die Schwestern zu ihrem Bedauern ziemlich bald gelangen, denn sie wohnten in Forio – genau auf der anderen Seite der Insel. Nun war Forio sicherlich ein hübscher Ort und sie hatten sich auch durchaus bewusst gegen den Hauptort entschieden – aber den ganzen Abend wollten sie sich dort dann doch nicht aufhalten. Also – wo war die nächste Bushaltestelle nach Ischia Porto?
„Da, wo die meisten Menschen versammelt sind.“ Kim deutete auf eine durchaus größere Menschenansammlung an einer Kreuzung. „Naja, die wollen ja bestimmt nicht alle nach Ischia Porto.“
Oh doch. Sie wollten. Der Bus kam und sah nicht so aus, als ob auch nur noch ein Fuß irgendwo dazwischengepasst hätte. Aber oh Wunder – er hielt tatsächlich an, um noch mehr Menschen mitzunehmen! Und erstaunlichweise kamen sie tatsächlich auch noch irgendwie mit hinein – und wünschten sich zwei Minuten später, sie wären in Forio geblieben. Aber nun gab es kein Zurück mehr, denn eine Bewegung in irgendeine Richtung war nicht möglich. Sie steckten buchstäblich fest.
„Wenigstens kann man nicht umfallen.“ lächelte Kim ihrer Schwester etwas gequält zu, als der Bus schwungvoll um die nächste Kurve fuhr und sie unfreiwillig gegen einen dicken Touristen in geschmackvollem Hawaii-Hemd gedrückt wurde.
„Wilhem, du gucke mol, da wolle tötsäschlisch noch mehr Leude mitföhren!“ Eine ebenfalls dicke Frau bohrte dem Hawaii-Hemd ihren Ellenbogen in die Stelle, wo vermutlich irgendwo unter der Fettschicht die Rippen waren, und deutete aus dem Fenster. In der Tat standen dort ungefähr noch mal so viele Leute wie zuvor an der Haltestelle, wo Kim und Vanessa eingestiegen waren. „No denn höffe wir emol, dess dä ööch welsche öussteije wolle.“ grunzte Wilhelm.
Vanessa und Kim wechselten einen Blick. Als die Türen des Busses sich öffneten, schoben sie gnadenlos alles beiseite und kämpften sich gegen die einsteigende Masse (wo sollten die bloß noch alle hin??) nach draußen.
„Uff“ japste Vanessa, „das wurde aber auch Zeit“
„Lönger hädde isch des ööch nicht mehr öusjehalde“ grinste Kim. „ Sag mal, wo sind wir denn hier eigentlich?“
„Woher soll ich das wissen?“ Vanessa sah sich zum ersten Mal ein wenig um. „Sieht aber eigentlich ganz nett aus.“
Von der Bushaltestelle führte eine Promenade am Meer entlang vermutlich zum Ortskern. Auf dieser Promenade war reger Betrieb, Touristen bummelten an den vielen kleinen Shops vorbei oder stöberten ein wenig in der Auslage auf der Suche nach hübschen Mitbringseln.
„Ach jetzt weiß ich!“ sagte Kim und deutete auf einen großen, seltsam geformten Felsen, der unweit des Ufers mitten im Wasser lag und geheimnisvoll von unter der Wasseroberfläche liegenden Scheinwerfern angestrahlt wurde, „wir sind in Lacco Ameno! Siehst Du den Felsen? Das ist der `Fungho`, das Wahrzeichen des Ortes. Hab ich vorhin in dem Reiseführer gelesen.“
„Ich wäre sehr dafür, dass wir heute abend einfach mal hier bleiben, wo wir doch schon mal da sind, und uns diesen Ort ansehen – ich habe kein großes Bedürfnis, mich noch mal in diese schrecklichen Busse zu quetschen“ schlug Vanessa vor.
„Hervorragende Idee. Ich finde, wir haben uns erst mal ein Eis verdient“ sagte ihre Schwester und steuerte zielsicher auf die nächste Eisdiele zu.
Bewaffnet mit einem riesigen Eisbecher mit köstlichem Tiramisu-Eis, setzen sie sich anschließend auf die Hafenmauer und genossen den Blick auf die kleinen Boote, die leise auf dem Wasser dümpelten. Weiter hinten lagen sogar zwei größere Segelschiffe, die hell erleuchtet waren und vor denen sich ein paar Leute versammelt hatten, um sie zu bestaunen. „Da gehen wir auch gleich mal gucken, ja?“ fragte Vanessa und ließ genüsslich einen Löffel Eis auf der Zunge zergehen. „Vielleicht bekommt man die Besitzer ja mal zu sehen.“
„Hey, ciao bella, che cosa fate di bello? Siete di qui?“ ertönte plötzlich eine Stimme hinter Ihnen. Sie drehten sich erstaunt um und erblickten einen ziemlich gut aussehenden Italiener auf einer Vespa, der sie mit blendend weißen Zähnen anstrahlte.
Der hätte gute Chancen auf einen Werbevertrag mit Perlweiß gehabt, dachte Kim, während Vanessa sie verwirrt anschaute und nur fragte „Was hat der gesagt?“
„ Falls Du es vergessen hast, spreche ich leider genauso viel bzw. wenig italienisch wie Du“ zischte Kim, während sie vorsichtig zurücklächelte.
„Ah, no italiano? Tedesco? Deutsch? English? Francais?“ fragte der Typ, stieg von seiner Vespa, klappte den Sitz hoch und fischte zu ihrem grenzenlosem Erstaunen eine ganze Sammlung kleiner Wörterbücher hervor und hielt sie ihnen unter die Nase. Vermutlich, damit sie sich das richtige Buch daraus aussuchen sollten.
„Na der ist ja für alle Fälle gerüstet!“ prustete Kim los, „welches nehmen wir denn mal?“
Vanessa sagte gar nichts mehr, sondern bemühte sich nur krampfhaft, einen Lachanfall zu unterdrücken, was ihr allerdings nicht besonders gut gelang.
Der Typ guckte noch ein paar Sekunden erwartungsvoll von einer zur anderen, bekam dann allerdings wohl doch mit, dass seine Auserwählten sich auf seine Kosten ziemlich amüsierten, und suchte endlich schimpfend das Weite.
Am nächsten Morgen beim Frühstück spähte Kim verstohlen nach dem Kellner vom Vortag aus, konnte ihn aber zu ihrer Erleichterung nirgends entdecken.
„Heute bist Du dran mit Kaffee holen“ sagte sie zu Vanessa, „und ich hätte jetzt auch gerne mal so einen Latte Macchiato. Du weißt ja jetzt, wie das geht.“ Sie grinste ihre Schwester herausfordernd an.
Während Vanessa sich um den Kaffe kümmerte, bekam Kim Besuch. Es war das kleine Mädchen vom Vortag, das sie so unsanft mit ihrem Stuhl getroffen hatte. In seinem Schlepptau kamen noch zwei weitere Kinder. Während sie sich noch wunderte, seit wann sie so eine Anziehungskraft auf kleine Kinder ausübte, drückten sich die beiden eins nach dem anderen um den Tisch und um Kim herum und deuteten mit großen Augen auf irgendetwas in ihrem Rücken. Jetzt endlich dämmerte ihr, was die Kinder hier so magisch anzog: Ihr Tisch stand nämlich unmittelbar vor dem großen Aquarium, das die gesamte Breite des Raumes einnahm und wirklich wunderschön aussah. Für die Kinder war es offenbar DIE Attraktion. Schon bald war sie von Kindern geradezu umringt. An ein friedliches Frühstück war nicht mehr zu denken. Kim hatte den leisen Verdacht, dass die Mutter des Mädchens von gestern aus purer Rache alle anderen Kinder noch motivierte, sich doch das schöne Aquarium auch mal von Nahem anzusehen.
Vanessa zog erstaunt eine Augenbraue hoch, als sie erfolgreich mit zwei Latte Macchiato Gläsern zurückkehrte. Kim lächelte kläglich. „Ich kann nichts dafür. Scheint sich herumgesprochen zu haben, dass es hier was zu gucken gibt. Hoffentlich kommen hier allmählich mal die Eltern und sammeln ihre Gören wieder ein.“
„Den Gefallen werden sie dir kaum tun“ antwortete Vanessa trocken, die sind doch froh, mal ihre Ruhe zu haben.“ Gerade als sie eines der Gläser auf dem Tisch abgestellt hatte, beschloß eines der Kinder jedoch, den Rückzug anzutreten und bahnte sich seinen Weg an den anderen vorbei, indem es sich haltsuchend am Tischtuch festklammerte. Ein gekonnter Ruck, und Kim`s Kaffee ergoß sich über das Tischtuch und den kleinen Übeltäter, der nach einer Schrecksekunde natürlich furchtbar anfing zu kreischen. Als hätte sie nur darauf gewartet, war nach fünf Sekunden schon die dazugehörige Mama zur Stelle (zum Glück war es diesmal wenigstens eine andere!) und die arme Kim musste sich eine zweite Schimpfkanone anhören. Dabei konnte sie diesmal ja nun wirklich nichts dafür! Konnten die ihre Blagen nicht besser unter Kontrolle behalten?! Ganz abgesehen davon, dass sie nun schon wieder keinen Latte Macchiato hatte!!
„Morgen frühstücken wir woanders, allmählich hab ich genug von kreischenden Kindern und keifenden Müttern“ knurrte sie. „Oben auf dem Castel hab ich doch so ein kleines süßes Cafe oder Restaurant gesehen, da kann man bestimmt auch frühstücken, und die Aussicht ist da eh tausend Mal besser als hier! Überleg mal – frühstücken mit Blick auf Capri, das langsam aus dem Morgennebel auftaucht – wenn das nicht romantisch ist!“ schwärmte sie verzückt.
„Tolle Romantik mit meiner kleinen Schwester“ frotzelte Vanessa, „aber bitte sehr, von mir aus. Ist ja vielleicht nicht die schlechteste Idee.“
„Es ist sogar eine ganz hervorragende Idee“ konterte Kim mit Blick auf einen neuen Trupp von fünf Kindern, der sich vorsichtig ihrem Tisch näherte. Anscheinend hatte der unerwartete Kaffeeregen sie zwar ein wenig vorsichtiger gemacht, abhalten ließen sie sich allerdings nicht.
„Schon wieder Bus fahren! Können wir uns kein Auto oder eine Vespa oder so was mieten?“
„Klar, und Du meinst, dass wir dann schneller sind, ja? Du kannst doch in diesem Verkehr hier sowieso nicht fahren.“ Kim kannte die mäßigen Fahrkünste ihrer Schwester zur Genüge.
„So weit ist es doch gar nicht zum Castello.“
„Na schön. Lieber in den Bus quetschen, als die Gören beim Frühstück ertragen.“
Obwohl es noch nicht mal 10.00 Uhr war, war der Bus tatsächlich schon wieder fast so voll wie abends, und wieder bekamen sie keinen Sitzplatz.
„Ciao bella, di dove sei? Italiano? Tedesco?“
Kim blickte den Typ mit dem Piratentuch, der neben ihr stand, verwirrt an.
„Äh – tedesco.“ Wenn sie sich recht erinnerte, hieß das soviel wie „Ich bin deutsch.“
„Ah, tedesco!“ Der Pirat lächelte ein entwaffnendes Lächeln, fischte aus seiner Hosentasche ein schon etwas mitgenommenes Gänseblümchen und hielt es Kim galant vor die Nase.
„Benvenuti d`Ischia!“
„Was war denn das für einer?“
Vanessa guckte etwas beleidigt. Sie hatte der Piratentyp nämlich keines Blickes gewürdigt.
„Der war süß, nicht war?“ Kim hatte diesen verzückten Ausdruck in den Augen, den sie immer bekam, wenn ihr jemand gefiel.
„Ja, total süß“, sagte Vanessa trocken, „aber er ist auch ein Italiener und vermutlich zu allen Mädels süß.“
„Du bist ja nur neidisch, dass du keine Blume bekommen hast.“ Kim drehte anzüglich ihr lädiertes Gänseblümchen zwischen Daumen und Zeigefinger.
„Blume ist gut – viel übrig ist von dem Blümchen ohnehin nicht mehr. Überhaupt sehr bezeichnend, dass er mit Blumen in der Hosentasche herumläuft! Oder hast du gedacht, er hat extra auf dich gewartet? Du warst nur zufällig als erste da.“
Kim lächelte nur. Selbst wenn Vanessa recht hatte – vermutlich hatte sie ja sogar recht – aber süß war er trotzdem. Ob sie ihn wohl noch mal wieder sehen würde? Immerhin waren sie hier auf einer Insel – da bestand ja zumindest eine gewisse Chance…
Zu Vanessa`s Leidwesen trafen sie ihn einige Tage später tatsächlich wieder.
Er war nämlich ihr Bootsführer, als sie sich per Taxiboot zum Marontistrand fahren lassen wollten.
Als er Kim erblickte, lächelte er wieder dieses Lächeln, bei dem sie dahinschmolz wie Butter in der Sonne.
„Ciao bella, so sieht man sich wieder!“
„Du sprichst ja deutsch!“ Kim war baff.
„Ja, ein bisschen. Meine Mutter ist Deutsche. Sie hat meinen Vater in einem Sommer auf Ischia kennengelernt und ist dann hier geblieben. Es war Liebe auf den ersten Blick.“
Seine dunklen Augen waren dabei unverwandt auf Kim gerichtet.
„Wir möchten bitte zum Marontistrand.“
Vanessas Stimme war kühl und bestimmend. Sie hatte das Gefühl, irgendetwas sagen zu müssen, denn zumindest Kim sah ziemlich weggetreten aus.
Während der Fahrt zum Strand plauderten Kim und der Piratentyp (er hieß Angelo, wie sie inzwischen erfahren hatten) so vertraut, als würden sie sich ewig kennen, während ihre Schwester angesäuert daneben saß und die beiden mit einem unguten Gefühl beobachtete. Es sah ganz danach aus, als würde Kim tatsächlich auf dieses Geschwafel von Liebe auf den ersten Blick und seine schleimigen Schmeicheleien hereinfallen. Unglaublich. Wie konnte man nur so dumm sein! Nur gut, dass sie übermorgen sowieso wieder nach Hause fliegen würden.
Endlich waren sie am Strand. Angelo sprang aus dem Boot und zog es etwas höher auf den Strand. Erst half er Vanessa aus dem Boot. Als die Reihe an Kim war, hob er sie auf den Strand und hielt sie dabei etwas länger fest, als nötig gewesen wäre.
„Können wir uns wieder sehen? Ohne deine Schwester?“ flüsterte er leise.
„Ich weiß nicht – das wird schwierig…“
„Heute nacht um eins auf der Kaimauer in Forio – ich werde da sein und hoffen, dass du kommst.“
Er winkte ihr noch kurz zum Abschied zu, dann sprang er wieder in sein Boot und war weg.
„Was wollte der denn gerade noch? Wollte er sich etwa mit dir verabreden? Das hast du doch wohl hoffentlich abgelehnt! Der will dich nur rumkriegen und dann lässt er dich wieder fallen!“
„Du musst es ja wissen. Aber zu deiner Beruhigung: wir haben uns nicht verabredet. Leider.“
Kim seufzte abgundtief und versuchte, so enttäuscht wie möglich auszusehen, obwohl sie ihre Aufregung kaum verbergen konnte. Heute nacht um eins! Das war ja wie im Film! Sie musste nur Vanessa irgendwie loswerden. Am besten, sie würde ihr ein paar Schlaftropfen verpassen.
Aber das war gar nicht nötig. Kim sorgte dafür, dass Vanessa zum Abendessen reichlich Rotwein trank – das wirkte wesentlich besser als Schlaftropfen! Um 23.00 Uhr konnte Vanessa die Augen kaum noch offen halten. Kim ging es auch nicht viel besser, aber die Aufregung hielt sie wach. Natürlich tat sie so, als wenn sie ebenfalls furchtbar müde wäre, und so lagen sie bereits eine halbe Stunde später im Bett.
Um halb eins schnarchte Vanessa tief und fest. Kim stahl sich aus dem Bett, zog sich einen Pullover über und verlies leise das Zimmer. Draußen atmete sie die angenehm kühlere Nachtluft tief ein, um ihren wummernden Herzschlag zu beruhigen.
Dann lief sie durch die immer noch belebten Straßen von Forio hinunter zum Kai. Wo war er? Suchend blickte sie sich um. Eine schreckliche Sekunde lang glaubte sie, er sei gar nicht da und habe sie versetzt. Doch dann erblickte sie eine Gestalt ganz am Ende der Mauer. Die Gestalt war aufgesprungen und winkte ihr zu. Angelo! Er war doch gekommen! Hatte es also tatsächlich ernst gemeint!
Er begrüßte sie mit zwei Küsschen auf die Wangen.
„Ciao bella“ sagte er zärtlich, „wie schön, dass du kommen konntest. Ich hatte schon befürchtet, deine Schwester würde dich abhalten.“
„Oh, das hätte sie sicherlich auch getan, wenn sie nicht vom Rotwein eingeschlafen wäre.“
Er grinste.
„Komm, laß uns ein Stückchen am Strand spazieren gehen. Die Nacht ist wunderschön.“
Tja, und nun saß sie wieder hier auf der Kaimauer von Forio, wo sie sich vor nur wenigen Stunden von Angelo verabschiedet hatte. Sie seufzte. Warum musste man so jemanden aber auch immer erst am Ende des Urlaubs kennen lernen! Aber sie würde wiederkommen. So schnell es ihr nur möglich war. Aber dann ohne Vanessa. Denn dann würde sie jemand hier erwarten.
Hoffentlich….