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Sommertagstraum
Für alle, die Freunde sind
Schon oft habe ich müde und euphorisch an meinem Schreibtisch gesessen und versucht, all das zu Papier zu bringen, was mich bewegt. Schon oft habe ich es aufgegeben – die Zeit war noch nicht reif dafür. Aber gerade jetzt, wo ich mit dem Schreiben beginne, habe ich das Gefühl, als könnte es mir glücken, gerade jetzt, nur jetzt.
Manchmal bin ich so traurig, dass ich weinen könnte, dass alles vor meinen Augen verschwimmt und dass die schwarze Kontur der Brille sich in den Farben der Umgebung verliert. Aber dann denke ich an das letzte Mal, als ich etwas mit meinen Freunden gemacht habe, und daran, dass wir morgen schon alle tot sein könnten – dieser Gedanke liegt wie ein dunkler Schatten über mir, aber er stachelt mich jedes Mal dazu an, das Leben zu genießen. Ist das normal?
Es war letztes Jahr im Sommer, bei warmem Sonnenschein und klebriger Eiscreme, dass mein Leben sich gewandelt hat. Damals begann ich, zu erkennen, dass ich lebe – dass ich ein Mensch bin, dass ich liebenswert bin, dass ich doch ich selbst sein darf. Was für eine Erkenntnis für einen Menschen! Damals habe ich Leute kennen gelernt, die mich nicht gleich als Freak verurteilten. Hochintelligente Menschen, deren seltsame Gedankengänge sie zu Außenseitern gemacht hätten, hätten sie nicht einander gehabt. Erwachsene, die das Leben in einer Perspektive sahen, die ich nicht kannte – außer von mir selbst, die manchmal so taten, als sei alles ein Spiel. Und als ich schüchtern fragte, ob ich mitspielen dürfe, riefen sie „natürlich“ und freuten sich, dass ich da war.
Nachmittags haben wir uns im sonnigen Park getroffen, gegrillt, miteinander geredet und gelacht, uns gegenseitig geärgert und Fangen gespielt. Die großen Bäume - Birken, Ahorn - umringten ihn. Ein kleines Feuchtbiotop brütete Heerscharen von Mücken heran, und es galt als selbstverstänlicher Freundschaftsdienst, jemandem "eine Mücke totzuschlagen". Eines Nachts, wir hatten beinahe dreißig Grad, schlichen wir uns herunter zum Fluss und schwammen die paar hundert Meter bis zum nahegelegenen Freibad, wo wir ausgelassene Wasserschlachten veranstalteten.
Es war ein unbeschreiblich glücklicher Sommer, der Geschmack von kalter Coca-Cola und das Gefühl von Sonnenbrand erinnert mich immer daran, und als es langsam Herbst wurde und wir uns nicht mehr im Freien treffen konnten, da dachte ich, alles wäre vorbei, der Traum ausgeträumt, als der Morgen graute, besser gesagt, der Abend herandämmerte.
Aber das war es nicht. Fast jede Woche trafen wir uns irgendwo, und das erste Mal hatte ich etwas, auf das ich mich jeden Tag freuen konnte. Das erste Mal war ich auf einer Silvesterparty, auf der ich mir nicht verloren vorkam. Met getrunken habe ich, und gelacht, die ganze Nacht getanzt und dankbar für dieses große Geschenk das Leben voll umarmt. Das erste Mal habe ich diejenigen, die ihr hart verdientes Geld in die Luft sprengten, nicht als Idioten verurteilt, sondern mich mit ihnen zusammen über die bunten Lichter und den Lärm gefreut.
Einmal im Monat war da jetzt eine Party, deren DJ und mein exzentrischer Musikgeschmack größtenteils auf einer Linie lagen. Ich lernte haufenweise neue Menschen kennen, und solche, die vielleicht keine waren, wer wusste das schon, und im Grunde spielte es auch keine Rolle. Da waren Leute mit angeklebten Vampirzähnen, die sich scherzhaft darüber aufregten, wenn jemand von "Menschen" sprach. Wenn jemand eine Flasche mit etwas Trinkbarem hatte, konnte man einfach hingehen und fragen, ob er einem davon etwas abgeben wollte - und schon hatte man neue Bekanntschaften gemacht.
Da gab es auf einmal eine ganze Welt außerhalb meiner vier Wände, voller interessanter Menschen, voller neuer Musik, voller Spiel und Spaß und Leben.
Und ich erkannte, wie närrisch meine Depressionen gewesen waren. Es hatte einmal eine Zeit gegeben, da hatte ich mich umbringen wollen. War von niemandem geschätzt und von niemandem geliebt worden, war eine bloße Statistenrolle auf der Bühne des Lebens gewesen – ist es da ein Wunder, wenn man ihr Spiel nicht genießen kann?
Aber diese Zeit ist lange vorbei, heute, wo ich mit einem Lächeln auf den Lippen und dem Geschmack von süßer Cola auf der Zunge vor meinem Schreibtisch sitze – und endlich, endlich sind es nicht mehr Träume, über die ich schreibe, es ist die Realität. Sonnenbrand habe ich gerade keinen, denn es ist Herbst, aber der Sommer ist mir greifbarer als je zuvor. Ich könnte die ganze Welt umarmen!
Und der Gedanke daran, dass es Menschen gibt, die mich so mögen, wie ich bin, zwingt mich jedes Mal erneut dazu, mich darüber zu freuen – was für ein Wunder. Ich lebe. Und ich liebe! Und bald wird wieder Sommer sein.