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Sonne, Mond und Sterne

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10.04.2007
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Sonne, Mond und Sterne

“Als Kind dachte ich, ich sei unsterblich.
Die Vorstellung war großartig. Ich konnte tun und machen was ich wollte und nichts konnte mir schaden. Absolut nichts konnte mir schaden.
Ja, das war wirklich großartig.”

Er sah den Blick seiner Schwester gen Himmel gerichtet.
“Weißt du eigentlich, wie viele Sterne es im Universum gibt, Rosiel?
“Hm… vier Milliarden?”
Tino lachte.
“Nein! Es gibt viel mehr! Es gibt unzählige!”
Rosiel starrte in den dunklen Himmel.
“Aber wo sind die denn dann alle?”
Tinos Blick wanderte auch nach oben. Sein Gesichtsausdruck nahm fragende Züge an.
“Also… versteckt, denke ich. Die verstecken sich vor dem Mond. Der frisst die sonst nämlich alle auf!”
Das kleine Mädchen lachte ihren großen Bruder an. Ihre langen braunen Haare schüttelten sich von ihren Schultern.
“Und warum kommen sie denn dann nicht tagsüber aus ihrem Versteck?”
Tino stand auf und streckte sich. Irgendwas knackste.
“Ist doch klar, dann würde die Sonne sie ja verputzen.”
Das kleine Mädchen lächelte. Stolz.

Tino und Rosiel waren Leichenfledderer. Sie warteten ab, bis die Explosionen und der Kugelhagel vorbeigezogen waren und nahmen sich dann das Hab und Gut derjenigen, die es selbst nicht mehr benötigten.
Manchmal hatten sie Glück und fanden Geld oder nicht verbrauchte Rationen der Soldaten. Eingelegtes und trockenes hartes Brot. Dazu irgendeine rote Paste, die keiner der beiden richtig definieren konnte. Diese schmeckte jedenfalls scharf. Zu scharf für Rosiel. Sie probierte sie jedes Mal aufs neue und jedes Mal spuckte sie das ins Rot getunkte Brotstück wieder aus. Darüber amüsierte sich Tino köstlich.
Oft fanden die beiden Fotos oder Briefe. Nachrichten der Familien an die Geliebten in der Schlacht.
“Bis bald” und “Pass auf dich auf”, Sätze die die Beiden oft zum Weinen brachten. Sie weinten zwischen Leichen, Patronenhülsen, Kratern und Blut.
Einst zeigte ein Bild eine alte Frau und ein kleines Mädchen. Beide lächelten traurig in die Kamera.
Sie machten einen schlechten Job darin, dem Sohn und Vater die heile Welt vorzuspielen. Er käme sowieso nie zurück. Tino trug seine Schuhe. Rosiel trug sein Kopftuch.

Irgendein Tag in der Woche. Irgendeine Woche im Monat. Irgendein Monat im Jahr. Das siebzehnte Jahr im Leben von Tino. Die Geschwister wanderten durch die leere Einöde. Der Horizont war weiß.
Der Horizont war weit. Er wirkte, wie mit einem Lineal gezogen.
Es wurde kälter, bald würden eisige Flächen und Schnee das Gebiet noch lebensfeindlicher machen. Bis dahin mussten die Beiden mehr in die Mitte des Landes gekommen sein. Dort wo es auch noch zu dieser Zeit Sonne geben würde. Wenigstens etwas Sonne.
“Ich hab Durst, wie viel Wasser haben wir noch, Tino?”
Tino ließ, beim Gehen, den Rucksack von der Schulter gleiten und durchsuchte das Innere.
“Zwei Liter voll und zwei zur Hälfte ausgetrunken. Warum haben wir eigentlich zwei Flaschen auf einmal aufgemacht?”
Das kleine Mädchen zuckte mit den Schultern und hüpfte über einen kleinen Sandhaufen.
Er reichte ihr eine der angebrochenen Wasserflaschen und sie nahm sogleich gierig einen großen Schluck daraus.
Ihre Kehle empfing das Wasser freudig.
“Ah, danke!”
Ihre Augen leuchteten auf.
Tino genoss es, seine kleine Schwester so zu sehen. Lebensfroh. Nicht verrottet. Nicht tot, wie alles andere, dass er immer sah. Er beobachtete seine lebendige kleine Schwester und genoss es.

Der ruhige Moment wurde schlagartig von einem pfeifenden Geräusch unterbrochen. Etwas schoss an Rosiels Wange vorbei. Hinter dem Geschwisterpaar zerplatzte der Boden.
“Vorsicht Rosiel!”, schrie der Junge und griff nach der kleinen Hand seiner Schwester.
Die Beiden waren den mordenden Horden ausgeliefert. Das weite Land bot keinerlei Deckung für zwei Kinderkörper. Tino blickte hastig von links nach rechts. Er konnte eine Gruppe Menschen einige hundert Meter vor sich marschieren sehen. Diese setzten erneut an. Gleich würden sie ein zweites Mal schießen.
“Runter!”, brüllte er und drückte den Kopf seiner Schwester grob zu Boden. Wieder pfiff es laut in der Luft.
Das Mädchen zitterte vor Angst und auch der große Bruder wusste sich nicht zu helfen. Die Truppen der Regierung marschierten auf sie zu.
Vielleicht hielten sie die Beiden für Freiheitskämpfer, vielleicht wussten sie auch ganz genau, auf wen sie da schossen. Es war egal, gleich würden sie hier sein.
Tino drückte seine Schwester an sich. Er spürte ihre Angst. Sie spürte die seine ebenfalls.
“Mü… müssen wir jetzt sterben, großer Bruder?”, fragte sie zitternd.
Er hielt sie fester.
“Mach dir keine Sorgen. Wir sind unsterblich. Uns kann nichts geschehen!”
Die Beiden schlossen die Augen und hielten die Luft an.
“Uns kann nichts passieren”, flüsterte er.

Die beiden Kinder lagen auf dem harten Boden.
“Da, guck! Der Stern da leuchtet!”, rief Rosiel freudig aus.
Ihr Bruder blickte verschlafen in das große, dunkle Nichts über ihnen.
Seine Hände hatte er hinterm Kopf verschränkt.
“Hm? Das bedeutet, dass wieder jemand gestorben ist”, murmelte er.
Die Augen der kleinen Schwester weiteten sich.
“Was?”
Er drehte seinen Kopf vom Himmel zu ihr.
“Jedesmal, wenn jemand stirbt, wird er als Stern wiedergeboren. Wusstest du das nicht?”
Sie schüttelte energisch den Kopf.
“Ja, das ist aber so.”
Tino drehte sich auf die Seite und versuchte wieder einzuschlafen.
Rosiel starrte den Rücken ihres Bruders einige Sekunden an.
“Ich will aber kein Stern sein! Ich will mich nicht immer verstecken. Ich will nicht immer Angst haben, gefressen zu werden!”
Ihre Stimme zitterte. Ihre Augen glänzten. Tränen.
Ohne sich umzudrehen, sagte der Bruder ruhig: “Mach dir keine Sorgen, Rosiel. Uns passiert das nicht. Wir Beide sind unsterblich.”
Sie wischte sich die Tränen aus den Augenwinkeln.
“Wir Beide sind unsterblich?”, wiederholte sie ihn fragend.
“Ja... schlaf jetzt Rosiel.”

 

Hi Jekyll,

die Einordnung in die Rubrik verstehe ich nicht. Kindliche Fantasie zur Aufhellung der eher traurigen Erlebniswelt ist ja nicht seltsam, sondern ein psychischer Überlebensmechanismus.

Grundsätzlich kann ich nicht viel zu deiner Geschichte schreiben. Sie ist mir fast zu glatt. Kinder müssen sich ernähren, bedienen sich dabei an den Leichen, die der Krieg hinterlässt, geraten natürlich auch in Gefahr und retten sich beim Betrachten der Sterne in Geschichten.
Vielleicht bin ich ein Eisklotz, wenn mich das nicht rührt. vielleicht habe ich auch nur schon zu häufig in zu vielen Variationen gelesen, dass Krieg böse ist, eine Selbstverständlichkeit, sollte man meinen.
Es ist noch nicht mal so, dass die Geschichte schlecht oder schlecht geschrieben wäre, sie hebt sich für mich nur leider nicht ab und hallt nicht nach.

Ein Vertipper:

Das weite Land bat keinerlei Deckung für zwei Kinderkörper.
bot

Liebe Grüße
sim

 

HAllo Hide,

ja, ziemlich glatt ist deine Geschichte wirklich.
Dennoch muss ich sagen, dass sie mich irgendwie schon berührt hat. Diese unschuldige Naivität hast du ganz gut eingefangen und mit wenigen Sätzen einem passenden Kontast ausgesetzt. Aus den wenigen Zeilen kann man schön das enge Verhältnis der Geschwister ablesen, das hast du gut hinbekommen. Mir gefällt auch der Rahmen mit den Sternen. Die Sache mit der Unsterblichkeit, der letzte SAtz: Schlaf jetzt, ja, das gibt dem Text eine angenehme Rundung.
Aber so ganz ernst nehmen, kann ich ihn nicht, dafür ist er wirklich zu glatt. Hat eher so einen Märchen-Beiklang.

Schön geschrieben, aber die drei Dinger haben mich gestört:

Tino und Rosiel waren Leichenfledderer.
Holzhammer-Methode. Du zeigst doch, was die Kidner tun, dieser Erklärung bedarf es nicht

“Ich hab Durst, wie viel Wasser haben wir noch, großer Bruder?”
nee, das klingt wirklich zu sehr nach Märchen - oder Orwell

Die Truppen der Regierung marschierten immer weiter auf sie zu.
bei so einer Formulierung stellen sich mir die Nackenhaare auf ;)

grüßlichst
weltenläufer

 

Tag sim!,


die Einordnung in die Rubrik verstehe ich nicht.
Das die Geschichte nicht in die Seltsam-Rubrik gehört, habe ich auch schon gehört. Vielleicht magst du Recht haben, nur dann frage ich mich, wo sie besser aufgehoben wäre. Mir wurde SF geraten und da war ich eigentlich der Meinung, dass Seltsam dann doch die bessere Alternative wäre. Vielleicht hättest du ja einen geeigneten Vorschlag.

Grundsätzlich kann ich nicht viel zu deiner Geschichte schreiben. Sie ist mir fast zu glatt. Kinder müssen sich ernähren, bedienen sich dabei an den Leichen, die der Krieg hinterlässt, geraten natürlich auch in Gefahr und retten sich beim Betrachten der Sterne in Geschichten.
Du hast den Inhalt der Geschichte eigentlich ganz gut zusammengefasst und mh, ob es nun positiv oder negativ zu bewerten ist, genau das ist es was ich wollte. Ich wollte einfach nur erzählen, was diese zwei Kinder machen. Keine Ahnung, ob es wirklich durchgekommen ist, aber ich habe mich mit Informationen zu der Welt relativ zurückgehalten. Wo genau das stattfindet, zu welcher Zeit oder welcher Konflikt - wollte ich als unwichtig darstellen. Einfach nur das, was du eigentlich sehr treffend zusammengefasst hast, erzählen.
Wenn dir das zu wenig Stoff für eine Geschichte ist, dann war das natürlich nicht meine Absicht und ist schade. Vielleicht habe ich dich auch nicht richtig verstanden.

Vielleicht bin ich ein Eisklotz, wenn mich das nicht rührt. vielleicht habe ich auch nur schon zu häufig in zu vielen Variationen gelesen, dass Krieg böse ist, eine Selbstverständlichkeit, sollte man meinen.
Mh, ich hoffe, ich habe in der Geschichte keine Kriegskritik rübergebracht, denn das war nicht meine Absicht. Ich wollte nicht mit dem Finger drauf zeigen und sagen "Guckt mal, wie Kinder leiden, wenn Krieg is´!", sondern einfach nur einige Erlebnisse von Kindern, die in einem umkämpften Gebiet leben, schildern. Das einige dieser Erlebnisse negativ für die Kinder sind, oder sogar der Großteil, ist wahrscheinlich doch die Folge von Krieg. Aber das sollte nicht als Kritik gedacht sein, weshalb ich auch das mit der scharfen Paste eingebaut hatte, eine Szene in der sie "Spaß" haben und lachen.
Schade, dass ich das nicht so rübergebracht habe, wie ich es eigentlich wollte.

Es ist noch nicht mal so, dass die Geschichte schlecht oder schlecht geschrieben wäre, sie hebt sich für mich nur leider nicht ab und hallt nicht nach.
Das sie nicht nachhallt oder nicht diesen "Hm..."-Moment, kurz nach dem Lesen erzeugt, das ist schade. Denn doch, das wollte ich erreichen.

Das weite Land bat keinerlei Deckung für zwei Kinderkörper.

bot

Wird natürlich verbessert.

Vielen Dank fürs Lesen und Kommentieren, sim. Ist natürlich schade, dass die Geschichte bei dir nicht so rübergekommen ist, wie ich es wollte - oder, was natürlich viel bedauerlicher wäre, genauso rübergekommen ist, wie ich es wollte, aber nicht den Effekt hatte. Ich wollte keinesfalls auf die Mitleidstour fahren und sagen "Oh, wie schrecklich. Es ist Krieg!", sondern eher einen Ausschnitt aus dem Leben (sowie deren Ende) eines "Leichenfledderergeschwisterpaars" erzählen.
Trotzdem danke für die Mühe, sim.

Es grüßt dich herzlich und Currywurst essend,

Jekyll and Hide


Tag weltenläufer!,

ja, ziemlich glatt ist deine Geschichte wirklich.
Dennoch muss ich sagen, dass sie mich irgendwie schon berührt hat.
Vielleicht versteh ich auch dein "glatt" nicht wirklich. Mh, wär natürlich toll, wenn du mir das erklären könntest, was genau du damit meinst. Vielleicht gibt meine Antwort zu sims Aussage auch dir eine Antwort, falls ich ihn aber falsch verstanden haben sollte, so wird es bei dir dann wohl auch sein, hehe. Na ja, wäre toll, wenn du mir das erklären könntest, weltenläufer.
Dass dich die Geschichte berührt hat, find ich natürlich toll.
Es war nicht meine Absicht auf der Mitleidsschiene zu fahren, aber trotzdem ist es ein gutes Zeichen, wenn es eine Art von Mitgefühl für die beiden Protagonisten gibt.

Aus den wenigen Zeilen kann man schön das enge Verhältnis der Geschwister ablesen, das hast du gut hinbekommen.
Vielen Dank, das war mir sehr wichtig und freut mich auch richtig, dass das zu dir durchgedrungen ist.

Aber so ganz ernst nehmen, kann ich ihn nicht, dafür ist er wirklich zu glatt. Hat eher so einen Märchen-Beiklang.
Wieder dieses Glatt, das verfolgt mich ja richtig, hehe. Wie gesagt,so ganz versteh ich das nicht, eine Erklärung würde mich freuen. Mh... das mit dem Märchen wollte ich natürlich nicht, sollte es nicht haben, nein.

Tino und Rosiel waren Leichenfledderer.

Holzhammer-Methode. Du zeigst doch, was die Kidner tun, dieser Erklärung bedarf es nicht

Genau das sollte es sein, ich wollte es auf die Holzhammermethode einführen. Ich wollte den Begriff nehmen, weil, tja..., wie soll ich das sagen... ich wollte das Gefühl erwecken, als wäre das Wort "Leichenfledderer" so fest eingebürgert in diese Welt, dass es viele Leute gibt, die dieser Tätigkeit nachgehen, um so zu überleben. Deshalb sollte das so "Bang, da ist es!" im Text erscheinen.

“Ich hab Durst, wie viel Wasser haben wir noch, großer Bruder?”

nee, das klingt wirklich zu sehr nach Märchen - oder Orwell

Ich hab das jetzt mal ganz simpel ersetzt.

Die Truppen der Regierung marschierten immer weiter auf sie zu.

bei so einer Formulierung stellen sich mir die Nackenhaare auf

Auch das hab ich geändert.

So, dass du diesen Text nicht ernst nehmen kannst, ist schade. Das sollte er natürlich schon, war jedenfalls meine Intention, hehe. Das diese Beziehung der Geschwister und diese kindliche Naivität trotzdem bei dir angekommen ist, freut mich dagegen sehr. Das ist es auch, was ich unter anderem mit dem Text überbringen wollte.
Ich danke dir für deinen Kommentar und fürs Lesen, weltenläufer.


Es grüßt dich herzlich und inzwischen Bounty essend,

Jekyll and Hide

 

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