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Sonntag

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20.06.2021
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Sonntag

Die Gedanken beginnen zu kreisen. Die Sonne bricht durch die Wolkendecke. Es ist Ende Mai. Die Autos fahren durch die Stadt, der Wind steht so dass man es auch hier oben hört, das monotone Beschleunigen die Berge hinauf. Das pulsierende Leben, die unerträgliche Geräuschkulisse. Er schließt das Fenster. Die Unruhe an die er sich, wie er dachte, gewöhnt hatte ergreift von ihm Besitz.

Er sieht sich in seinen vier Wänden um, in ihrem Haus. Lässt den Blick über die vollen Bücherregale, den Schreibtisch, der Schnapsvitrine bis hin zu seinem Sessel schweifen. Wie oft hatte er hier gesessen und in den Büchern gestöbert, seinen Lieblingsliedern gelauscht? Früher war es seine Zuflucht gewesen, heute ein einsamer Ort. Die Bücher, die ihn einst allein mit ihrem Geruch in den Bann ziehen konnten, sprechen nicht mehr zu ihm, er hat es oft genug versucht. Er lässt seine Finger über die gebundenen Romane gleiten. Wie knüpft man an sein altes Leben an, ohne sich oder die Menschen, die man geliebt hat zu verraten? Das würde er noch gerne wissen. In der Tür bleibt er noch einmal stehen, bevor er sie leise und sanft schließt. Er steigt die Stufen in den Eingangsbereich hinab, horcht noch einmal in das stille Haus hinein, setzt seinen Stetson auf zieht seine Jacke an und steigt in die Schuhe. Die morgendliche Sonne, die vorhin durch die Wolken gebrochen ist, empfängt ihn jetzt wohlwollend. Sein Weg führt ihn durch die Felder, der Heide entgegen. Der Wind trägt den Geruch des goldenen Rapses heran, er atmet ihn tief ein. Seine Füße kennen den Weg, sie sind ihn oft genug gelaufen. Er hat es nicht eilig, geht seinen Gedanken nach und versucht die vergangenen Jahre zu fassen. Letzte Woche haben sie die Sommereiche unten am Wasserrad gefällt. Die Eiche, die ihre Viertel miteinander verbunden hat, unter der sie als Kinder gespielt haben. In dessen Schatten er beim Warten auf seine Freunde, dem Windspiel der majestätischen Krone gelauscht hat. Der Ort, wo sie sich zum ersten Mal mit klopfenden Herzen geküsst haben. 300 Jahre lang hat die Eiche das Stadtbild geprägt. Für außenstehende unbegreiflich aber für ihn mehr als nur ein Baum. Verblaste, längst vergangene Gesichter tauchen auf. Wie lang war das nun her? Er weiß es nicht und gibt auf. Es ist müßig und hat keinen Zweck darüber nachzudenken. Das Knacken der alten Brückenbohlen reißt ihn aus seinen Gedanken. Unter ihm im Wasser schießen Stichlinge durchs klare Wasser. Es ist nicht mehr weit. Vor dem grünen Gatter bleibt er stehen, legt die Hand auf die abgegriffene Klinke und drückt sie durch. Der Kies knirscht unter seinen Schuhen, er geht langsam fast schon vorsichtig. Frau Singer kommt ihm im geschäftigen Treiben entgegen. Schleppt eine volle Gießkanne mit beiden Händen vor sich her und grüßt im Vorbei gehen. Er nickt und guckt ihr nachdenklich hinterher. Das mit dem Tod war schon eine seltsame Sache. 20 Jahre lang hat Frau Singer unter ihrem Mann gelitten, jeden Abend hat er sie verdroschen. Er war ein Hundesohn im Leben, der Tod hat ihn aber zu einem Musterbeispiel der menschlichen Güte werden lassen. Der gebrochene Arm und die Veilchen unter den Augen sind längst vergessen. In seiner Todesanzeige war die Rede von unendlicher Trauer und Dankbarkeit.

Und dann steht er vor ihm, dem polierten Granitstein mit ihrem Namen und den beiden Daten. Dem Stein, der vermitteln soll, wer hier seine Ruhe gefunden hat, dem durch das Einmeißeln von Buchstaben und Zahlen Erinnerung eingehaucht werden sollte. Er nimmt den Hut ab und erinnert sich an ihre erste Begegnung, die Leichtigkeit und Lebensfreude, die von ihr ausging. Das ansteckende Lachen und den federnden Gang. An das Gefühl den Boden unter den Füßen zu verlieren, wenn er sie sah. Ihr wallendes schwarzes Haar und die leuchtend grünen Augen. Er erinnert sich an die Menschen, die sie einst waren und schon lange nicht mehr sind. Das Haus was sie gekauft haben, obwohl es ein finanzielles Risiko war, den unerfüllten Kinderwunsch. Ihr gemeinsames Leben. Er lächelt müde, es war etwas Wahres daran, dass man an Sonntagen anders dachte. Vor allem an diesem.

Es war der 27 Mai. Ihr Geburtstag.

 

Die Bücher, die ihn einst allein mit ihrem Geruch in den Bann ziehen konnten, sprechen nicht mehr zu ihm,
Gefällt mir gut.
Wie knüpft man an sein altes Leben an, ohne sich oder die Menschen, die man geliebt hat zu verraten? Das würde er noch gerne wissen.
Das würde ich auch gerne wissen. Ein Rätsel macht die Sache spannend.
Das mit dem Tod war schon eine seltsame Sache.
Ein weiteres Rätsel. Würde mich auch interessieren.
Dein Text ist sehr melancholisch und in einer eigenen Gedankenwelt gefangen. Eigentlich schön, wenn man in die Köpfe der Helden blicken darf. Nur sollte dies mit einer spannenden Handlung verbunden sein. Deine Idee für einen Text ist da, nur irgendwie fehlt etwas Salz in der Suppe. Ein Eintopf schmeckt oft besser, wenn man ihn oft aufkocht. Also viel Spaß beim Überarbeiten und vergiss die Gewürze der Spannung nicht. Mach ihn richtig scharf.

 

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