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Sowas wie Urlaub

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02.11.2005
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Sowas wie Urlaub

Sowas wie Urlaub
(von Farmer Fran und Snowsorrow)

Kapitel I.
Der Beginn einer voraussichtlich langen Reise


Savid, ein junger Mann, der wohl um die zwanzig Jahre alt sein mochte, kniete flehend im Matsch vor seiner einstigen Behausung, einer relativ großen und fein möblierten Holzhütte. Es donnerte, regnete in Strömen, doch trotzdem erlosch das Feuer nicht, das sein Haus langsam aber sicher auf die Grundmauern hin abnagte. Savid wusste nicht, was er tun sollte. Er lebte hier schon einige Zeit lang als Förster am Rande des Waldes, bis die Feuerwehr hier wäre würde es zu lange dauern.
Dabei hatte alles so harmlos begonnen.
Er hatte doch nur im Wohnzimmer grillen wollen ...
Nun hatte er nichts mehr als die Kleidung am Leib, seine Börse und die Hausschlüssel. Er war am Rande der Verzweiflung ... was sollte er jetzt tun? Trauernd schlurfte er los, in Richtung des Dorfes, in dem seine Eltern lebten. Ihm blieb wohl nichts anderes übrig ...
Langsam verzogen sich die Gewitterwolken, als er relativ unzufrieden – schließlich war soeben sein Haus mitsamt seines Steaks niedergebrannt – über Hügel und Täler zog. Es war schon ein wenig erleichternd, einfach so zu gehen, ohne etwa eine Säge oder Holz zu schleppen. Es machte ihm geradezu Spaß. Warum hatte er früher nie einfach mal eine Wanderung unternommen?
Savid atmete tief ein und versank glücklich im nassen Gras. Sanft kitzelte der Wind an seiner Nase und brachte ihn zum Niesen. Eine Zeit lang beobachtete er die Wolken beim Vorbeistreifen und versuchte Gestalten zu erkennen. Sein Vater hatte ihm vor langer Zeit erzählt, dass die Wolken die Geschichten der Ahnen wie in einem Bilderbuch erzählen, weshalb auch jeder etwas anderes am Himmel erkennen konnte. Angestrengt versuchte Savid etwas herauszulesen, doch das einzige, was er erkennen konnte, war ein alter Mann, der auf einem Schwein ritt.
„Wenn ich über meine Großväter nachdenke, bekomme ich das dringende Bedürfnis auf einem Schwein zu reiten“, murmelte er und rappelte sich auf. „Familienstolz ...“
Zufrieden ob der Freiheit, unzufrieden ob der Erkenntnis über seinen Stammbaum zog er weiter. Savid musste sich nun durch Brusthohes Gras kämpfen. „Wie ich diese Erdvertiefungen hasse. Gerade noch locker gehen, jetzt nass durch grüne Monster kämpfen“, ächzte er und schob mit den Händen die riesigen Halme bei Seite. Das Gras war hier ungewöhnlich hoch, dicht und breit; es hatte allgemein alle Eigenschaften, die es ihm ermöglichten im Weg zu stehen.
Unterwegs hob er einen abgestorbenen Ast von der Erde auf und bediente sich seiner fortan als Wegbegleiter und Wanderstab; nicht etwa, weil er etwas davon nötig gehabt hätte, nein, er hielt es einfach nur für ein stilistisch notwendiges Mittel.
Fröhlich summend streifte er durch die verwucherte Hügellandschaft, während das mittlerweile nur noch kniehohe Gras seine Hosen durchnässte. Die unberührte Landschaft wurde von einigen Liobäumen geziert, deren Stämme sich ab der Mitte abkringelten und so einen Kreis formten, der oft von Grasnymphen als Brutplatz gehalten wurde. Bei diesen humanoiden und etwa handgroßen Geschöpfen handelte es sich um zickige und lästige Tiere, die sich oft an Fenstern ansiedelten und sich von dort nur schwerlich wieder vertreiben ließen. Savid hatte mal eine solche Nymphenfamilie in einem seiner Fenster gehabt, und hatte nach vergeblichen Debatten und einigem Geklimper auf seinem Banjo, das nun wie sein Haus der Erde gehörte, aufgegeben sie zu verscheuchen und sie schließlich als Mitbewohner akzeptiert. Immerhin brachten die Grasnymphen einen wunderbaren honigähnlichen Nektar, wenn man es schaffte sie zu packen und auszudrücken. Sie gingen dabei zwar drauf, doch aufgrund der schnellen Fortpflanzung dieser Plagegeister ließen sich jeden Tag problemlos zwei neue Exemplare vorfinden.
Sie wurden von Savid mit Kissen gefüttert. Vergaß man dies, so konnte man sie bald beim Einverleiben von Matratzen beobachten.
Savid schlich vorsichtig an den weißen Liobaum heran und hob langsam seine rechte Hand, die wie gewöhnlich in einem fingerlosem Handschuh steckte, und griff nach einer Nymphe. Er erwischte sie und hob sie triumphierend in die Luft. Das Mistvieh hämmerte seine Zähne in Savids Finger und er warf es schreiend davon.
„Argh, ich hasse euch.“ Resignierend und hungrig wendete er sich ab und marschierte weiter den Hügel hinauf. Oben angekommen holte er tief Luft und blickte hinunter, wo er nach einem Abstieg von einigen Minuten die ersten Häuser eines Dorfes sehen konnte. Savid lächelte. Er mochte seinen Geburtsort, der Ruhe, Idylle und Harmonie ausstrahlte, wie es nur ein Dorf voller Schirmhäuser tun konnte.
Die Menschen hatten die riesigen Stämme der Bäume genutzt und die Baumkronen abgesägt, um schließlich unglaubliche Schirme hinaufzustellen, welche die Häuser, die größtenteils nur aus zusammengehämmerten Brettern bestanden, vor der stechenden Sonne, aber auch vor Schnee und Regen schützen sollten. Die Menschen machten die Dekoration ihrer Wohnungen zu einer Art Regionalsport, wer die auffälligste Bemalung und die ausgefallensten Accessoires an der Fassade hatte, war Präsident. Schon aus der Ferne sah Gorsta aus wie eine Schüssel voller Pralinen – bunt und einfach fröhlich. Doch etwas war anders als sonst, als Savid summend den Hügel hinunter stieg.

Kapitel II.​

Stan Sterling

Stan war nicht wie die anderen, er war es nie gewesen. Er war jemand mit Visionen. Bei seiner aktuellen Vision handelte es sich um ein dreirädriges Gefährt mit einer Flügelspannweiter von dreißig Metern, angetrieben durch Pedale. Und dieses Gefährt stand nicht irgendwo, es stand auf einer Klippe, zu deren Füßen das Tal begann, in der das äußerst liebreizend kitschig bunte Dorf Gorsta vorzufinden war.
Stan war auch nicht irgendwie gekleidet, er trug das, was man eines Tages eine Pilotenbrille nennen würde, zumindest nach seinen eigenen Angaben. Ursprünglich war es keine Pilotenbrille, er war schlicht blind wie ein Maulwurf und hatte sich das günstigste Brillengestell besorgt; wie es aussah hatte er ohne Brille nicht begutachten können.
Allerdings, das muss man ihm lassen, war er für seine fünfundsiebzig Jahre gut erhalten und trotz allem immer noch lebendig. Er hatte in seinem Leben sehr viele Erfindungen gemacht und einiges an Experimenten an sich selbst durchgeführt, nicht zuletzt deshalb war er senil und konnte sich nur noch an die wenigsten seiner Erfindungen erinnern.
Er zog seine synthetischen fingerlosen Lederhandschuhe an, warf sich seinen blassrosafarbenen Schal um und klappte die Fliegerbrille herunter, zupfte sein Hemd in Position und überprüfte den Sitz der zerrissenen blauen Stoffhose. Man hätte ihn für einen Mathematiker auf Drogen halten können, rein äußerlich betrachtet.
Mutig setzte er sich in sein selbstgebautes Gefährt. Viele nannten es Flugzeug, er nannte es Flugding, was er für viel passender hielt, da es die Maschine besser beschrieb. Er trat in die Pedale, das Gefährt gewann an Geschwindigkeit, immer schneller ging es voran, dann fiel es von der Klippe, erst senkrecht, dann diagonal, dann schaffte er es in die Horizontale. Fahrtwind blies ihm ins Gesicht, er lachte, er hatte es geschafft, er glitt durch die Luft, das gesamte hintere Antriebsgestell wurde ausgeklinkt und zerschellte am Boden, nur der Flugkorb und die Flügel reisten weiter durch die Luft.
Das Tuch der Flügel flatterte wild, war kurz vorm Zerfetzen, Stan griff das Ruder und zog es hoch, mal sehen, ob das Tuch tatsächlich reißen würde. Es hielt verwirrender Weise.
Die Fahrt ging schneller abwärts, direkt auf das Dorf zu, die Leute sahen ihn aus offenen Augen an, schon wieder dieser geisteskranke Techniker. Er lachte laut, ja, er flog! Er hatte es geschafft!
Die Flügel zerbarsten und der Pilotenkorb sauste weiter abwärts, donnerte in den Gartenteich des Präsidenten, der aufgrund der neuen fisch- und algenbesetzten Fassade auch weiterhin die skurrilste Wohnung haben würde.
Nach Luft holend und nass kroch Stan über den Rand der Teiches und lachte.
„Kontrollierte Bruchlandung!“, schrie er voller Freude. „Kontrollierte Bruchlandung!“
Ein paar leicht wütende Leute standen um ihn herum versammelt, er sah zu ihnen auf. Dann sah er, dass offenbar einige Schirme von Trümmerteilen eingerissen worden waren.
Einige Zeit lang geschah nichts, dann nahmen ihn ein paar Leute hoch, trugen ihn auf Händen – zum Dorfrand. In hohem Bogen wurde er hinausgeworfen, er solle nie mehr wieder kommen, genauso wie die letzten Male.
Voller Freude richtete er sich auf. Dann sah er es ... irgendjemand zündete aus Rache seine Werkstatt an. Nie wieder sollte dieser Irre sich und andere in Gefahr bringen. Stan sah, wie Flammen gen Himmel loderten. Er sprang auf, rannte ein paar Schritte in Richtung Werkstatt, machte auf der Stelle kehrt und rannte aus dem Dorf und einen Hügel hinauf.
Die Einwohner hatten nichts davon gewusst, dass er gerade ein wenig Feuerwerk gemischt hatte. Stan machte halt und sah in Richtung Dorf. Raketen schossen in den Himmel, Knallfrösche hüpften durch die Gassen, das Böllerlager ging mit einem Knall hoch und seine Werkstatt verteilte sich im ganzen Dorf.
Stan grinste, ein wunderschöner Anblick. Schade, dass sie nicht bis zur Nacht gewartet hatten.
Allerdings wurde ihm nun eins bewusst – wenn er das nächste Mal das Dorf betritt wird es massakriert. Er zuckte mit den Schultern, warum sollte er das Dorf betreten, seine Hütte verschwand gerade in einem Sturm von Blitzlichtern, in den Straßen rannten panisch Leute umher als würde das ganze Dorf niederbrennen, was es nicht tat, lediglich die Wunderkerzen waren durch die Explosion verstreut worden.
Stan legte sich hin, teils, um sich auszuruhen und die Aussicht zu genießen, teils, um nicht Opfer einer Rakete oder eines Bogenschützen zu werden. Er würde sich wohl eine neue Werkstatt aufbauen müssen, möglichst irgendwo, wo man ihn noch nicht kannte.
Stan lachte – ihn erwartete ein Abenteuer.
Stans Magen knurrte – heute würde das Essen ausfallen.

Kapitel III.​

Gemalte Wege

Savid blieb stockend auf dem Hang stehen und starrte mit offenem Mund auf die brennende Stadt hinunter. Schreie tönten bis zu ihm hinauf und die Farben der Häuser vermischten sich mit dem bunten Geblitze der explodierenden Feuerwerkskörper. Ein Fest – und ausgerechnet er, der es liebte zu tanzen, war nicht dort. Dass er das Tanzen liebte, hieß jedoch noch lange nicht, dass er es auch konnte. Auf einer Skala von Eins bis Acht wäre er sozusagen die Minus Vier, doch die Hauptsache für ihn mochte darin liegen es zumindest zu versuchen. Doch spätestens, wenn man im Buffet des Gastgebers landet, sollte man sich überlegen, ob es wirklich so eine gute Idee war, durch die Beine des Tanzpartners zu tauchen, um schließlich orientierungslos von ihm durch die Luft geschleudert zu werden. Savid hatte es sich bereits mehrfach überlegt.
Er begann den Hügel hinunter zu rennen und klatschte mit seinen schlichten Lederstiefeln elegant über das nasse Gras und wunderte sich, warum er plötzlich über eine Baumwurzel stolperte, die mitsamt ihres Stammes vor einigen Tagen sicherlich noch nicht an diesem Ort gestanden hatte. Ein Aufschrei, eine weiche Landung und überraschte Rufe – unversehrt rappelte sich der Mann auf und klopfte sich den Dreck von der Hose, blickte zum Boden.
„Danke für ’s auffangen.“, sagte er und betrachtete interessiert die Gestalt, die sich stöhnend aufsetzte und sich den Kopf rieb. „Kein Problem.“, murmelte der alte Mann und schaute Savid skeptisch an. „Scheinst wohl von weit her zu kommen.“, sagte er, „solche Kleidung habe ich seit meiner Kindheit nicht mehr gesehen. Heutzutage gilt ja so was nicht mehr als zeitgemäß, wie die Leute sagen würden.“ Savid errötete und blickte auf sein schlichtes Flachshemd hinunter, dessen Kapuzenband, das eigentlich zum Festigen des Beutels am Nacken dienen sollte, durch ein Amulett mit hübschen Mustern ersetzt worden war. Dann sah er den alten Mann an, der in einem kariertem Hemd mit V-Ausschnitt steckte und eine blaue robuste Hose trug, die aussah wie Leinen.
„Wenn sie meinen“, sagte Savid aus Mitleid lächelnd, da er die Kleidung des Alten genauso amüsant fand wie dieser anscheinend seine. Dabei hatte er doch erst vor einigen Tagen dieses Hemd für teures Geld gekauft – verwirrter alter Kauz.
„Was ist denn dort unten los? Feiert der Müller Leon seine Hochzeit schon vor, oder wie?“, fragte er mit einem Blick auf die Stadt, die immer noch knallend vor sich hin zischte. Mit einem einfachen Schritt zur Seite wich er einer andonnernden Rakete aus, die, wäre das Schicksal ein fieser, minderjähriger Junge mit grünen Haaren, bestimmt in das Gesicht des Alten gekracht wäre und dabei zufällig seine Arme gebrochen hätte. Doch da das nicht der Fall war, da jeder damals schon wusste, dass das Schicksal durch die Gabel der Gänsehaut kontrolliert wurde, traf sie nur eine Grasnymphe, die kurz zuvor Savids Händen entwichen war und sich schon gefreut hatte, dass dieser Tag nicht ihr Todestag werden sollte.
„Müller Julian?“, fragt der alte Mann schulterzuckend. „Wer ist das?“
Savid lachte etwas unhöflich auf und fing sich schnell mit einem einbringenden Husten.
„Ihm gehört die Mühle in der Stadt, er ist eine der reichsten Personen Gorstas.“
Der Alte blickte Savid stumm an und legte den Kopf schief. In dieser Stellung sah er aus wie ein Maulwurf mit Sehschwäche, dachte sich Savid und freute sich über einen angeflogenen Grashalm, den er mit einer Hand auffing. Skeptisch stand der Alte auf und gab dem Jungen die Hand. „Mein Name ist Stan Sterling, ich bin erfolgreicher Erfinder und der Herr der Winde,“, sagte er freundlich, „mehr oder minder.“ Savid nickte und schüttelte kräftig Stans Hand, die plötzlich abfiel.
„Oh mein Gott“, stöhnte Stan und hielt sich mit der linken Hand seinen Armstumpf, „oh mein Gott!“ Panisch begann er im Kreis zu rennen. „Meine Hand, du hast meine Hand...“
Savid ließ erschrocken das Körperteil fallen und schrie auf.
„Gib sie mir wieder, ohne meine Prothese kann ich nicht vernünftig agieren, musst Du wissen.“ Stan bückte sich und schraubte sich wieder die künstliche Hand an den Stumpf. „Oh mein Gott ... warum ist sie locker?“ Savid sah verwirrt drein, der Alte holte zu einer Erklärung aus. „Da soll mir einer weiß machen, dass Schweine nicht beißen können.“ Dabei wackelte er mit seiner künstlichen Hand und begann herzlich zu lachen und schlug dabei rhythmisch auf seine Oberschenkel. Dabei verrenkte er sich sein Kreuz und sein Lachen verwandelte sich in ein Stöhnen. „Uh... Rheuma...“ Savid fing sich wieder und legte nun wie Stan vor ihm den Kopf auf die Schulter. „Ja... Schweine...“ Bei diesem Satz schoss ihm wieder sein Ahne auf dem Schwein in den Kopf. Beißende Menschen. Womöglich war Stan seinen Verwandten begegnet.
„Mein Name ist Savid Undnichtsweiter.“, erklärte er ihm und verbeugte sich.
„Und weiter?“
„Undnichtsweiter.“
„Du heißt also nur Savid? Schöner Name“, warf Stan ein.
„Savid Undnichtsweiter“, verbesserte Savid.
„Alles klar.“ Der Alte rückte seine Brille zurecht und fasste Savid plötzlich an die Brust – genauer gesagt an das Amulett. „Woher hast Du das?“ Seine Stimme begann zu zittern. Savid bekam Angst, der Alte könnte vor seinen Augen an Altersschwäche den Löffel abgeben, weshalb er zögernd einen Schritt zurück tat.
„Das gab es gratis... zu diesem Hemd.“
„Und Humor hast Du auch noch, köstlich, mein Junge, köstlich.“ Stan fummelte nervös an dem Talisman herum, drehte ihn und näherte sich dem Metall.
„Das ist er... das muss er sein...“ Er begann vor Freude herumzuhüpfen und zu tanzen. „Ich habe so lange nach ihm gesucht, das muss er sein. Gottchen, das Schicksal muss uns zusammengeführt haben. Das eine Ding, von dem mir ein Bauplan fehlt!“
Er sprang vor Freude in die Luft und griff wieder nach dem Amulett.
„Darf ich?“, fragte er mit überschlagender Stimmt. „Ja... Nein, halt, ich brauche es no...“ Ratsch. Stan riss es aus der Kapuze und hielt es an seine Brille. Er begann noch breiter zu lächeln.
„Junge, das ist es...“
„Ich bin zwanzig, also kein...“, protestierte Savid, der sich bewusst war, dass er aussah, als wäre er knapp fünf Jahre jünger, da er auch nicht besonders groß war, wurde aber sogleich von Stan unterbrochen, der ihm den Talisman in die Hand drückte.
„Na toll, jetzt haben sie es auch noch kaputt gemacht, danke“, ärgerte er sich.
„Halt es ans Auge. Mach schon, Junge, mach schon.“ Verwirrt über Stan schüttelte Savid den Kopf, hob jedoch schließlich sein Amulett an das rechte Auge und blickte hindurch. Erstaunt fiel ihm die Mundklappe auf. Das war kein Metall, das war irgendein Stoff, der durchsichtig wurde, wenn man ihn nah genug ans Auge hielt. Er war wie eine Brille, nur dass er anstatt etwas zu vergrößern etwas erkenntlich machte.
„Wow ...“, sagte er und traute seinen Augen nicht. Von Gorsta, zwischen den bunten Häusern und Feuerwerkskörpern hindurch erblickte er eine Straße, die eigentlich gar nicht existierte: Eine breite, lange gelbe Straße . Sie wand sich die Hügel hinter Gorsta hinauf und verschwand schließlich zwischen den Bäumen des Wäldchens Rot. Er senkte den Talisman und die Straße vor ihm verschwand, die alte Graslandschaft kam wieder zum Vorschein.
„Was war das?“, fragte er unsicher. „Magie?“
„In gewisser Weise ja“, sagte Stan langsam, um theatralisch Stimmung aufzubauen. „Das ist der Talisman der Erkenntnis. Eine Legende, ein Märchen, wie viele meinten. Er sollte vor Jahrzehnten verschwunden sein, als ein Magier namens Toto ihn beim Wetttrinken an einen Schneider verloren hatte. Aber ich habe immer an ihn geglaubt. Ich habe immer gewusst, dass er existiert. Er macht die gemalte Straße sichtbar. Diese soll zu einem Schatz führen – zu einem gigantischem Schatz. Zu einem Schatz, wie ihn die Welt noch nicht gesehen hat; mal abgesehen von dem senilen Kerl, der Zeit genug hatte einen Talisman, eine Straße und einen Schatz zusammenzuschustern. ‚Alles Schwachsinn’, sagen die Leute. Doch wenn es diesen Talisman und auch den Weg gibt, gibt es auch das Ziel. Man muss nur der langen Straße folgen. Und offenbar führt sie durch Gorsta.“ Er legte Savid eine Hand auf die Schulter und zeigte mit einer langsamen Handbewegung auf das weite Land vor ihnen. „Und geht noch viel weiter, bis sie schließlich beim Schatz endet. Bei Gott, es war wahrlich ein Wink des Schicksals, dass du dieses Amulett in die Hände bekommen hast.“
„Nein“, antwortete Savid, „es war ein Werbegeschenk.“
„Schicksal“, widersprach Stan. „Sag, hast du heute noch was vor? Nein? Hervorragend. Komm, wir gehen.“ Ohne Widerworte zu ermöglichen griff er Savid am Arm und zog ihn in Richtung Gorsta. Dann stockte er und dachte einen kurzen Moment lang nach. „Wir gehen außen rum ...“

Kapitel IV.​

Rotwaldgeschwader und die große Depression

Stan und Savid waren bald an Gorsta vorbei und wanderten in Richtung des Wäldchens Rot, in das die gemalte Straße führte. Es war kein Problem gewesen um Gorsta herum zu gehen, das Problem lag viel mehr darin, den Pfeilen und der anpreschenden Vergeltungskavallerie auszuweichen. Es schien ganz so als wolle man Stan lieber tot und begraben als lebendig und gefährlich sehen; er mochte nun wohl als vogelfrei gelten, womöglich war auch ein Kopfgeld auf ihn ausgesetzt, es würde ihn nicht wundern, schließlich hatte er soeben passiv eine kleine Stadt in Schutt und Asche gelegt. Genau genommen hatte er natürlich keine Schuld, aber da drückten die Dorfbewohner noch einmal ein Auge zu. Irgendein Kopf musste rollen und seiner war rund.
Letztlich waren die beiden aber doch entkommen, teils durch rennen, teils durch verstecken, teils indem sie die Reiter von ihren Pferden schubsten, aufsprangen und verschwanden. Möglicherweise wäre die Reise schneller vorangegangen, wenn die Pferde – die wirklich dämlich sein mussten – nicht gegen die ersten Bäume des Waldes gerannt wären.
So mussten Savid und Stan, nachdem sie ihre Knochen wieder eingerenkt hatten, zu Fuß weitergehen; und das war beiden lieb, denn die Reiter von Gorsta legten ihren Pferden keine Sattel auf.
O-beinig schritten sie dahin, in die Tiefen des Waldes. Ab und zu wurde überprüft, wohin die gelbe Straße weiter geht, und ganz offensichtlich war der Verlauf ein wenig willkürlich, der Pfad machte weder davor halt durch einen See zu führen, noch scherte er sich um Liobäume, Eichen oder etwa Fallen.
Stan und Savid hatten eine solche Falle gefunden und schaukelten in einem recht kuscheligen Netz an einem Ast, gut drei Meter über dem Boden. Dies ließ nur einen einzigen Schluss übrig, der Erbauer der Falle musste ein Idiot gewesen sein. Nicht, weil die Falle in irgendeiner Form schlecht konstruiert war, er musste nur deshalb ein Idiot gewesen sein, weil Savid ihn als einen solchen beschimpfte, und das durchgehend..
Der Verdacht bestätigte sich, es war ein Idiot, genau genommen war es eine ganze Horde von Idioten. Es ist von niemandem als von den Goblins die Rede. Geifernd versammelten sich die kleinen Viecher am Boden des Waldes, ließen das Netz herabfallen. Savid und Stan standen nach dem Sturz auf, waren umzingelt.
Nun, was kann man über Goblins sagen? Sie sind äußerst dünne Wesen, nicht etwa, weil sie von Natur aus dünn wären, nein, sie sind einfach nur zu bescheuert etwas zu fressen zu finden. Von der Statur her recht gedrungen, mit breiten Schädeln und gelben Glubschaugen fürs Leben gebrandmarkt ziehen sie in Stämmen umher und versuchen irgendwie über die Runden zu kommen. Gut zwanzig der rauhäutigen dunklen Wesen hatten unsere Helden – na gut, sagen wir Hauptpersonen – umzingelt.
Die Goblins starrten ihren Fang an.
Der Fang starrte die Goblins an.
Die Goblins und der Fang starrten sich gegenseitig an.
„Habt ihr irgendetwas vor?“, fragte Stan.
Einer der Goblins lachte schrill auf, die anderen sahen ihn erst verwirrt an, brachen dann auch in Gelächter aus. Nicht, dass es einen Grund gäbe, weiß Gott nicht, aber lachen ist gesund und verlängert die Lebenszeit, nicht zuletzt deshalb war dieser Stamm noch nicht ausgestorben.
„Können wir gehen?“, fragte Stan skeptisch.
Die Goblins begannen zu tanzen.
„Ja, wir können gehen“, stellte Stan fest und machte einen Schritt vorwärts. Womöglich hätte er das nicht tun sollen, die kleinen Wesen reagierten äußerst erzürnt, zogen ihre Lanzen; eine normale Waffe für die feigen Goblins. Sie bevorzugten es ihre Feinde aus möglichst großer Entfernung zu befürchten, man erzählt sich von einem zwanzig Meter langen Speer, den einer von ihnen einst getragen haben soll, bis er unter dem Gewicht verreckte. Tragische Geschichte, so wie die gesamte Goblin-Gesellschaft an sich.
„Hö?“, fragte Stan.
„Höhö“, lachte der Goblinhäuptling, der den kurzen, aber witzigen Namen Ashi trug und klopfte sich auf den Schenkel. Die Goblins benannten sich nach ganz einfachen Regeln, sie trugen schlicht Goblin-Wörter als Namen; jeder Linguist und jeder, der jemals das zweiseitige Wörterbuch der Goblins gelesen hatte, verstand die Namen problemlos. So mochte Ashi der Bedeutung von Mainstream entsprechen.
„Ist was?“, fragte Stan.
„Ihr seid Gefangene!“, rief ein Goblin. „Wir sind Rot ... äh ... der ...“
Er grübelte. Ha, Scherz, natürlich nicht. „Wir sind Rotwaldgeschwader“, las er schließlich von seiner Hand ab. „Ihr seid Gefangene, werden abgezogen, gekocht, gegessen.“
„Ähm ...“, mischte sich Stan ein. „Ist euch bewusst, dass ihr etwa achtzig Zentimeter groß seid?“
„Wir ... Speere!“, rief ein Goblin.
„Ihr haltet sie verkehrt herum“, erklärte Stan.
Die Goblins drehten die Speere um. Gut, jetzt zielten sie mit Stümpfen auf die Gefangenen. Stan und Savid griffen sich je einen, waren nun bewaffnet. Die Goblins ließen alles fallen und rannten kreischend davon. Sie trauten sich nicht zu gegen bewaffnete Wesen zu kämpfen; intellektuelle Bewaffnung zu erkennen war ihnen leider vorbehalten.
Stan ließ seinen Speer fallen, ebenso Savid.
„Was war das?“, fragte Savid und dachte über das Geschehene nach.
„Ich weiß es nicht“, sagte Stan und ließ die verquere Geschichte Revue passieren. „Ich werde es nicht in mein Tagebuch schreiben“, sagte er schließlich im Willen die Sache zu vergessen.
„Du hast ein Tagebuch?“, fragte Savid.
„Nein. Ein weiterer Grund es nicht hineinzuschreiben.“
Savid nickte. Betroffen gingen die beiden weiter den gelben Pfad entlang, tiefer in den Wald hinein. Die Goblins legten die Falle später am Abend erneut aus und warteten. Sie warteten lange. Und wenn sie nicht gestorben sind – was anzunehmen ist –, dann warten sie noch heute.

Der gemalte Weg schien auch weiterhin keinen besonderen Regeln zu folgen. Man mochte meinen ein riesiger betrunkener Arzt hätte seine Unterschrift als Straße auf die Weltkarte gezeichnet. Hier ein Bogen, da eine Kurve, auch vor Loopings blieben die beiden nicht verschont. Witzig wurde es, wenn die Straße eine steile Wand hinauf fuhr oder sich soweit verengte, dass man ihr wie einem Faden folgen musste. Alles in allem war es todlangweilig. Savid hatte schon mehrere Pilze am Wegesrand gesehen und Selbstmord in Betracht gezogen, doch wirklich spannender würde es dadurch auch nicht werden.
So zogen sie weiter und gelangten schließlich an eine Lichtung. Es war eine außergewöhnliche Lichtung, eine heilige Lichtung, eine göttliche Lichtung, eine ... nein, eigentlich war alles ganz normal, abgesehen von den Engelserscheinungen und den heiligen Steinen hier und da.
In der Mitte der Lichtung befand sich eine riesige Eiche. Wirklich riesig; und alt. Man munkelt sie stände dort seit Anbeginn der Zeit und wache über die Welt. Doch wohl am Außergewöhnlichsten war die Tatsache, dass man klar ein Gesicht in den Konturen der Rinde erkennen konnte.
„Was ist das?“, fragte Savid erstaunt.
„Das“, sagte Stan, „ist die große Depression.“
„Buhuuu ...“, sagte der Baum.
„Bitte was?“, fragte Savid.
„So lautet der Name der Eiche“, erklärte Stan. „Die große Depression.“
„Life sucks“, sagte die Eiche.
„Und warum ist die Eiche depressiv?“, wunderte sich Savid.
„Ganz einfach“, mischte sich die große Depression ein. „Ich stehe hier seit Anbeginn der Zeit mit einer potthässlichen Fresse inmitten von pseudofröhlichen Engeln und alle halb Jahr wuselt ein Held in meinen Innereien herum, während ich durchgehend von Tauben bombardiert werde.“
„Das ist traurig“, sagte Savid.
„Wollt ihr in meinen Innereien herumwuseln?“, fragte die große Depression.
„Eigentlich nicht“, sagte Savid.
„Warum nicht?“, fragte die Eiche.
„Du sagtest doch du würdest es nicht mögen?“, wunderte sich Savid.
„Ach komm schon ...“, maulte der Baum. „Wo ihr schon mal hier seid ...“
Savid stolperte zurück, Stan zuckte mit den Schultern.
„Ich meine, eigentlich ist es ganz angenehm, wenn ein muskulöser, gutaussehender Held in meinem Inneren ... hey, wartet! Wo rennt ihr hin? Verdammt ... Buhuuu ...“

Kapitel V.​

Und was ist mit Tee?

Savid rannte mit Stan im Schlepptau vor der großen Depression weg. Alleine schon aus dem Grunde, dass es ihm immer gut ging und er deshalb Ärger und Wehmütigkeit nicht ausstehen konnte. Denn wenn es ihm mal nicht so gut ging, machte er sich das Leben schön. Und wenn das nicht klappte, redete er sich das Leben schön. Und Gott bewahre, Savid konnte verdammt viel und ohne auch nur einmal Luft zu holen reden, wenn man ihn nicht rechtzeitig niederschlug.
„Was soll das?“, keuchte Stan und riss sich aus Savids Griff, wobei nun zum zweiten Mal an diesem lustigen Tage dessen Hand abfiel. Während er sie aufsammelte blickte er zu dem nun gelassenen Jungen hinauf, der spielerisch den Talisman mit den Fingern hoch schnipste und in der Luft wieder auffing.
„Pass bloß auf, das Du ihn nicht verlierst, Junge“, sagte er, stand auf und dehnte sich ausgiebig, indem die Hände an die Hüfte legte und sich vorsichtig nach Hinten beugte und dabei versehentlich einer vorbeirauschenden Kugel auswich. Savid steckte das münzähnliche Amulett zurück in seine Hosentasche und sah dem Schützen nach, der sich hinter ein Gebüsch stürzte. „Feuer frei!“, rief eine piepsige Stimme und einige Goblins sprangen hervor, bewaffnet mit den fiesesten aller Waffen, die die Menschheit in ihrer törichten Naivität erfunden hatte, um den Kampf zu üben, ohne zu bedenken, welche Macht sie den Goblins damit verliehen.
„Lauf Savid!“, befahl Stan mit aufgerissenem Mund und packte nun den Jungen an der Hand, begann loszustiefeln, zurück in die Richtung, aus der sie gekommen waren.
„Was ist das?“, rief er und blickte zurück, sah, wie die gesamte Meute mit erhobenen Händen und bemalten Gesichtern auf sie zustürmte. Der Häuptling Ashi lief mit einem buntem Stirnband aus zusammengeflechteten Schuhbändern, die symbolisch für Ehre, Mut und schlechten Geschmack standen, er stieß brüllend seine Hände in die Höhe. Eine Wasserbombe klatschte knapp neben ihm auf das Gras. Stan zerrte Savid stärker hinter sich her und drehte sich wieder um, um nicht zu stolpern und den tödlichen Foltermethoden der Goblins ausgeliefert zu sein.
„Wir rennen vor Wasserbomben weg? Ich bitte dich, Goblins sind doch wie Schnittlauch: Außen grün, innen Hohl in sie treten immer in Bündeln auf. Wo ist da die Gefahr?“
Stan blieb ruckartig stehen, da die große Depression ihnen stöhnend den Weg versperrte. Er packte Savid unsanft am Kinn und drehte es den Goblins zu.
„Nicht vor den Wasserbomben – sondern vor den Feuerwerkskörpern.“
In der Tat, Ashi wirbelte zwei Raketen in der Luft herum, die kurz zuvor aus heiterem Himmel in sein Baumhaus gekracht waren und dabei sein fischfreies Goldfischglas zerschmettert hatten. Zwar schmeckten diese Dinger schrecklich, doch waren sie steif genug um sie als gefährliche Nahkampfwaffe zu benutzen – gefährlich für Ashi in dessen Händen.
„Oooh... kommt doch hinein...“, stöhne der Baum und offenbarte eine schmale Öffnung in die Innereien der Depression.
„Los!“, befahl Stan und schubste den verwirrten Savid in den Baum hinein. All das lief für seinen Geschmack viel zu hastig ab. Der Alte sprang hinterher und schon verschloss sich der Eingang wieder, kurz bevor neun Wasserbomben an die Rinde klatschten.
„Mist“, fluchte Ashi und warf beleidigt die Rakete auf den Boden. Sein Abendessen war ihm wieder entwischt. Dabei sprühte ein kleiner Funke auf, da der Stein, auf dem das Objekt gelandet war, den Schlag der Rakete nicht ohne Konter ließ und entzündete dabei die Lunte des Feuerwerkkörpers. Erstaunt und begeistert umkreisten die Goblins die leuchtende Rakete, bis sie schließlich pfeifend in den Himmel schoss, geradewegs in das rechte Nasenloch des Baumes.

„Ähm,“, murmelte Savid, während er interessiert durch den Raum blickte, „das ist also ein Baum, ja?“ Seine Hand erhob sich und deutete auf die lange Halle, in deren Mitte ein gigantischer Tisch stand. Er war genauso lang wie die Halle und endete außerhalb ihrer Sicht. Stan, der seine Nasenspitze ohnehin nur undeutlich am Horizont sah, kam dies keinesfalls seltsam vor.
„Ja, klar. Schau, er hat sogar Tee zubereitet.“
Lächelnd setzte er sich an einen freien Stuhl am Tischende und betrachtete die Teekannen, die hüpfend angeeilt kamen. Die gesamte Tafel setzte sich in Bewegung und die Tassen, Kännchen und Zuckerschälchen tanzten auf Stan zu. Würden sie nicht ebenso gelb wie die Tischdecke sein, würde man meinen, dass Ameisen versuchen würden den Tisch in ihren Besitz zu bringen, um ohne größeren Sinn gleich auf den nächsten zu klettern.
„Danke, zwei Stückchen genügen“, bedankte sich Stan bei einem Schälchen, das piepsend im Kreis zu hüpfen begann. „Und wie kommen wir hier wieder raus?“, fragte Savid und hob die Augenbraue, während er den Blick durch den Raum schweifen ließ. Der Baum war innen erstaunlich geräumig, viel geräumiger als seine einstige Hütte und der Baum, in dem er letzte Woche steckte, als er vergeblich versuchte, eine Katze von einem Ast zu holen, die sich später jedoch als tollwütiger Pandabär entpuppte. Einige Meter über ihm wölbte sich die Decke. Tantrische Skulpturen grinsten ihm entgegen. Nackte Männer tänzelten um Bäume mit Gesichtern herum und sahen aus, als würden sie das wegen den Messern in ihren Rücken machen.
Angeekelt, aber doch beeindruckt von diesen erstaunlich echt wirkenden Bilder fuhr Savid an den Rillen eines Baumes entlang. „Oooh... jaaa...“, fuhr die Stimme der großen Depression durch die Halle und ließ Savid zusammenzucken. „Mach weiter, Junge, mach weiter.“
Savid stolperte panisch zu Stan und schüttelte ihn unnachgiebig. “Müssen raus. Sofort.“
„Setz dich erst einmal hin und trink einen Tee.“ Er drückte Savid auf den freien Stuhl neben ihm. Sofort eilten drei Teekannen herbei und schütteten ihm ein Tässchen voll. Zögernd nahm Savid die Tasse und schnüffelte daran. „Würde mich nicht wundern, wenn der Tee aus körpereigenen Flüssigkeiten bestehen würde. Riechen tut er ja schon mal so.“
Er nahm einen kleinen Schluck.
“Und schmecken auch.“
Er brach auf den Boden und ließ den Becher fallen. Empört sprangen die Kännchen auf und spuckten ihn mit brühendem Tee ins Gesicht.
„Ah, lasst das!“ Er sprang von seinem Platz auf und wischte sich mit dem Ärmel über die Augen. Stan schüttelte über diese Hektik den Kopf und schlürfte nun auch an seinem Tee. Kurz darauf stand auch er spuckend neben Savid, während eine weitere Tasse zu Bruch ging und die Kannen noch verärgerter herumsprangen.
„Das ist ja sagenhaft hier“, meckerte der Alte. Nachgefüllte Porzellantassen sprangen vom Tisch und umzingelten die beiden. Die Kannen lachten schrill auf und ließen ihre Deckel klappern. „Trinkt doch noch was“, sangen die Kannen und drängten mit ihren Tassen und Schüsselfreunden Stan und Savid an die Wand, was den Baum zum Freuen veranlasste.
„Nein, danke“, lächelte Stan und versuchte an den bösen Tassen vorbeizukommen, doch die über fünfzig kleinen, wuseligen kleinen Viecher waren wie ein Feld voller Hundeminen, die nur darauf warteten bestiegen zu werden.
„Und was ist mit Tee?“, fragte eine Tasse an Savid hochspringend, der sofort mit seinem Stock nach ihr schlug und sie einige Meter weit fortkatapultierte.
„Weg hier“, schrieen beide gleichzeitig und sprangen geschmeidig wie ein Wäschesack über die Tassen hinweg. Wäre das Stagediving schon erfunden worden, wären sie sicherlich nicht zur Seite gehechtet und hätten unseren beiden Protagonisten den Weg zur Flucht bereitet. Doch so kam es, dass sie den aufdringlichen Porzellantassen und Kannen entflohen waren – zumindest für zweieinhalb Sekunden, in denen vier Kilometer entfernt ein Präsident begann eingetrocknete Fische an seiner Hausmauer zu bemalen. Da sprangen die Kännchen auf den Tisch vor ihnen und versperrten ihnen zwar nicht den Weg, da freilich links und rechts daneben ein schmaler Gang frei war, doch ihre Pyramide zog sie vollkommen in ihren Bann.
„Ich bin das Kännchen des Todes“, rief eine Teekanne.
„Ich bin das Kännchen des Hasses“, rief eine andere.
„Und ich bin das Kännchen der Dunkelheit“, rief wiederum eine andere.
„Ich bin das Kännchen des Verderbens“, rief eine weitere Teekanne.
„Ich bin das Kännchen des plüschig-flauschigen Kätzchens“, rief die mit Alkohol.
„Ich bin das Kännchen des Leides“, rief eine andere.
„Ich bin das Kännchen der Verachtung“, rief die größte.
„Und ich bin rosa“, tönte die letzte. Die anderen würden sie später massakrieren.
„Meine Name ist Stan und ich...“, begann der Alte und nickte Savid zu, „... bin weg.“
Mit diesen Worten rannten die beiden Hauptpersonen an beiden Seiten des Tisches entlang davon. Sie mussten sich nicht einmal umdrehen um festzustellen, dass die Kannen transformierten und zu einer ultrabösen Pussycat wurden, da ein unglaublich lautes Miauen den Baum durchfuhr. Die Katze jagte den beiden über den Tisch nach, die Tassen und Schälchen teilten sich nach einem Chaos, das Stan und Savid einen Vorsprung von dreihundert Metern verlieh, auf beide Seiten auf.
„Wohin laufen wir?“, keuchte Savid, während er versuchte sein Tempo zu halten, was ihm durch die Porzellankatze im Nacken nicht gerade schwer fiel; sie hatte Motivationscharakter.
„Nicht laufen – rennen“, sagte Stan. Das Alter machte sich langsam bemerkbar. In einer Geschichte voller Klischees und Standartelemente würde Stan jetzt eine Tür entdecken, Savid packen, über den Tisch zerren und erfolgreich entkommen ... ja ... warum auch nicht.
Die beiden fanden sich in einem engen Raum wieder. Savid zuckte zusammen, als ein Klirren an der verschlossenen Tür zu vernehmen war.
„Ich schätze, wir sind entkommen...“, sagte Stan und sah sich um. „Zumindest für’s erste.“
Kichern. Savid schrie auf und klammerte sich an Stan.
„Lass bitte los“, sagte er und schubste Savid von sich weg, blickte auf eine Wand, die wie in der großen Halle einen Baum mit Gesicht zeigte, doch hier bewegte er sich elegant und schien zu lachen.
„Wie ich sehe hat mein Schlaftrunk nicht gewirkt“, murmelte die enttäuschte Stimme. „Ich habe mich schon so sehr auf eine neue Dekoration gefreut, aber euch schmeckte ja mein leckerer Tee nicht.“
„Dekoration?“, fragte Stan und kratzte sich am Kopf. Wollte dieser Baum etwa seine Brille haben? In Savid schlug die Erkenntnis in den Kopf wie der Feuerwerkskörper in die Nase des Baumes ein. Und das im selben Moment. Temporale Anomalie oder Kunstgriff.
„Der will uns nackt sehen, an seinen Wänden... Hilfe!“
Wie auf Kommando schossen aus der Wand Ranken, die Savid und Stan, die hilflos nach Halt suchten, erfassten. Stan packte in seiner Verzweiflung nach einer Art Lampe, die von der Decke hing und riss das Objekt an sich.
„Oooh... das tut gut... ihr seht muskulös und stark aus... solche Männer wie euch hatte ich schon lange nicht mehr...“
Gierig pressten die Ranken die beiden an die Wand.
“Werden wir jetzt sterben?“, weinte Savid vor sich hin, „oder wird uns der irre Baum erklären, aus was der Tee bestand?“
Stan schüttelte den Kopf, sofern es ihm seine Situation zumindest erlaubte.
„Ich weiß nicht. Ich denke...“
Bei dieses Worten war nur ein gigantisches Niesen zu hören, das alles im Baum übertönte. Es übertönte sogar die Explosion des Feuerwerkkörpers vor einigen Sekunden, tief im Inneren des Nasenhöhle des großen Depression. Der Druck presste die beiden Hauptpersonen wie einen Korken aus der Wand, die eigentlich eine Nasenwand war, und sie schwebten unsanft auf den Rasen vor dem Baum. Ein enttäuschtes Stöhnen war das letzte Geschenk des Baumes, bevor er sich depressiv in sich zurückzog.

Die beiden rappelten sich auf und kontrollierten, ob noch alle Körperteile an der normalen Stelle waren. Alles passte. Der Alte steckte das Objekt aus dem Baum in die Jacke und erhaschte noch einen Blick auf die Goblins, die wegen der Explosion in den Wald verschwanden. Doch Ashis Beharrlichkeit nach seiner Beute würde ihn sicherlich noch einmal zu unseren beiden Männern führen.
„Entschuldige, wegen mir hast Du jetzt sicherlich eine Kannenphobie“, seufzte Stan und legte Savid beherzt eine Hand auf die Schulter.
„Das ist keine Phobie, die wollen mich umbringen.“

Kapitel VI.​

Ernährungswissenschaft

Und weiter ging die Reise der beiden, immer tiefer in den Wald, womöglich schon in Richtung Ausgang, immer weiter schritten sie den gelben Pfad entlang. Unaufhörlich tickte die Uhr, die keiner von beiden hatte, und langsam begann die Abenddämmerung. Es wurde Nacht im Wäldchen Rot, das sich derweil mehr als monströser Dschungel denn als kleines ‚Wäldchen’ herausgestellt hatte. Die Sonne traf auf den Horizont, würde bald dahinter versinken, das Zirpen erster Grillen war zu vernehmen, der Wind raschelte sanft im Blattwerk der Bäume. Solange man durch den Talisman sah, konnte man klar den gelben Weg erkennen, der nicht den Gesetzen von Licht und Schatten zu folgen schien, im Gegenteil, auch bei Nacht sollte er ihnen offenbar den Weg weisen. Bald war die Sonne versunken, bald warfen Sterne und Mond sanftes, doch gefährliche erscheinendes Licht, das nur flatterhaft durch die Blätter schien und die Umgebung lediglich in fadenscheinigen Konturen sichtbar werden ließ, von denen man nicht sagen konnte, ob sie mehr der Realität oder der Phantasie entsprangen.
„Wir sollten wohl eine Rast einlegen“, schlug Savid schließlich vor. Seine Füße hätten wohl geschmerzt, wenn er sie noch hätte fühlen können.
„Wohl wahr“, stimmte Stan ein, der sich die letzte Stunde lang mit einer Hand an Savid hatte festhalten müssen, um nicht abhanden zu kommen. Die beiden setzten sich mitten auf der Straße hin. Es war nicht zu erwarten, dass hier jemand vorbeikommt, zumal sie die einzigen waren, die den Pfad sehen konnten.
Die Grillen waren längst verstummt, nur noch der sanfte Wind verursachte hier und da ein Rauschen. In absoluter Stille saßen die beiden da und zogen ihre Schuhe aus. Erheblicher Mief stieg in die Luft auf und einige schlafende Tiere verreckten spontan. Mit einem simplen Pochen prallte eine Eule auf dem Boden auf und wirbelte einige Blätter hoch. Ein dunkles Brummen hallte wieder, Savid sah sich erschrocken um, was war das? Ein Schritt, gefolgt von einem Tierlaut? Hatte er da nicht irgendeinen Schatten gesehen?
„Ein Bär?“, fragte er an Stan gewandt.
„Fast“, sagte der. „Mein Magen.“
Und auch Savid konnte nicht leugnen, dass er Hunger hatte; seine letzte Mahlzeit war mitsamt seiner Behausung niedergebrannt.
„Du weißt nicht zufällig, wie man hier etwas zu essen findet?“, fragte Savid hoffnungsvoll.
„Ich habe auf dem Weg jede Menge Beeren gesehen, aber die kann man nur ein einziges Mal zu sich nehmen, dann nie wieder.“
„Magie?“, wunderte sich Savid.
„Nein, Gift.“
Beide ließen den Kopf sinken.
„Ich glaube ich könnte in wenigen Minuten ein Dutzend Giftampullen herstellen, aber zu essen ...“, bedauerte Stan. „Wir werden wohl warten müssen, bis etwas vorbeikommt.“
„Gute Idee“, sagte Savid. „Und falls es zu lange dauert weiß ich jetzt ja, wie ich mich im Notfall umbringen kann. Hervorragend.“
Stan rollte mit den Augen, so wenig es ihm in der Dunkelheit auch nutzen mochte, und legte sich dann zum Schlafen hin.
„Vielleicht sollten wir ... etwas suchen?“, schlug Savid vor.
Stan wog den Vor- und Nachteile ab; genial. „Okay.“ Er sprang wieder auf die Beine und war bereit zum weiteren Wandern. „In Richtung des Weges oder Querfeldein?“
„Ich weiß nicht ...“, murmelte Savid. „Möglichst zu irgendwelchen Menschen ... hier muss doch irgendwer leben.“
„Wohl kaum“, widersprach Stan. „Hier wird niemals irgendjemand ...“
Es klingelte. „Da drüben“, korrigierte er sich.
Schon nach wenigen Schritten durch das Gebüsch waren sie auf einem festen Gehweg angelangt. Ein Mann zündete seine Fackel an und stellte sich an eine Hauswand; die antike Version des automatisch anspringenden Lichts. Auch damals hat es nichts gebracht.
Erst jetzt, wo es einigermaßen hell war, stellten unsere Reisenden fest, dass sie offenbar eine halbe Stunde lang durch eine Allee gelatscht waren.
Es klingelte erneut, im Flackerlicht der Fackel ließ sich jemand erkennen, der kurz darauf durch eine geöffnete Tür verschwand. ‚Zum glücklichen Schlachtvieh’ stand über der Tür geschrieben, es handelte sich wohl um eine Taverne.
Ohne weitere Gedanken oder Absprache spurteten beide los und stellten fest, dass sie nicht zugleich durch die Tür passten. Nach kurzer Rangelei bewies Stan seine Überlegenheit, schließlich schafften es beide hinein und sprangen an einen der Tische.
Der Ober sah sie von hinter der Theke aus verwirrt an. Nur einige Betrunkene saßen noch an den Tischen und inmitten des Schlachtfeldes hockten ein Pyrotechniker und ein Retrofreak, zumindest der Kleidung nach.
„Was darf´s sein?“, fragte der Wirt etwas überrascht.
Stan und Savid sahen einen Moment lang nachdenklich drein. „Alles.“
„Alles?“
„Alles.“
Des Wirtes Augen weiteten sich und seine Mundwinkel verzogen sich nach oben.
„Und für mich einen O-Saft“, fügte Stan hinzu.
Der Wirt wollte schon mit seinem Werk beginnen, da sah er sich die beiden noch mal an. Sie wirkten nicht reich.
„Habt ihr Geld?“, fragte er.
„Können wir anschreiben lassen?“, fragte Savid.
Und dann saßen sie wieder auf der Straße. Niedergeschlagen gingen sie die Häuser entlang. Der automatische Fackelträger entzündete sein Licht. Ein Mülleimer wurde sichtbar. Savid blieb stehen. Stan blieb stehen. Der Mülleimer nicht.
Die beiden durchwühlten, was sie da über die Straße ergossen hatten. Neumodischer Verpackungsmüll, Apfelreste, Bananenschalen und eine Prise Salz, mehr war nicht zu finden.
„Ich brauche etwas zu essen“, stöhnte Savid. „Sonst drehe ich durch!“
„Tun wir so als wären wir schon durchgedreht und überfallen irgendwen?“, schlug Stan vor.
„Den Wirt?“ – „Den Wirt.“
Der automatische Fackelträger hüstelte sich. Stan und Savid verschwanden schnell in den Schatten, kampierten dann vor der Tür des Wirtshauses.
„Ein ganz einfacher Plan“, erklärte Savid. „Wir treten die Tür auf, stürmen vor und sagen ‚Das ist ein Überfall! Alles Essen her!’. Dann nehmen wir es und gehen.“
Stan nickte. Sie traten die Tür auf, stürmten vor und schrien „Das ist ein Überfall! Alles Essen her!“. Dann gingen sie, allerdings ohne Essen und mit Gewehr im Rücken.
Doch noch war es nicht vorbei. Sie schlichen sich um das Gebäude, brachen mit einem Dietrich innerhalb weniger Minuten das Schloss der Hintertür auf und blickten direkt auf die andere Straßenseite. Falsche Tür.
Nachdem sie die Richtige geknackt hatten blickten sie in den Lauf eines Gewehres. Wohl auch die falsche Tür.
Sie kletterten auf das Dach und versuchten sich etwas durch den Schornstein zu angeln, doch im Gegensatz zu Max & Moritz erwischten die beiden lediglich ein paar glühende Kohlen. Zumindest hatten die beiden es schön warm.
Niedergeschlagen kletterten sie wieder hinunter und setzten sich auf den Gehweg. Ihre Füße schmerzten, ihre Mägen knurrten und langsam verspürten sie auch wieder einen Drang zu Körperhygiene.
All dies gab Savid lauthals in einer Rede preis und schon bald öffneten sich die Fenster der freundlichen Anwohner, teils, um die beiden aus purem Interesse zu fragen, ob sie den wüssten wie spät es ist, teils, um mit Tomaten auf sie zu werfen. Zuerst wichen die beiden aus, entschuldigten sich, doch schließlich machte es Klick, sie begannen laut zu singen, krächzten durch die Straßen, antworteten auf die Frage wie spät es sei, dass es Zeit zum Aufstehen ist und riefen laut, dass sie die drei Musketiere wären.
Die Anwohner waren erzürnt, warfen weiter mit Tomaten, schließlich auch mit Gurken und Kartoffeln, und je mehr sie warfen, desto mehr hatten die Störenfriede zu essen. Nachdem sie sich voll bepackt hatten zogen sie mit dem Zeug in den Stadtpark, legten die Kartoffeln auf einige der gefischten glühenden Kohlen, schnitten sich Tomaten und Gurken zurecht, würzten sie mit einer Prise Salz aus dem Mülleimer.
Letztlich hatten sie es vollbracht, das Essen war zubereitet und sie servierten es sich selbst auf dem Holzdeckel eines Wasserfasses. „Guten Appetit“, wünschten sie sich gegenseitig und betrachteten mit wässrigem Mund die Speisen. Sie schlossen kurz die Augen, bereiteten sich mental auf den Genuss vor, und als sie dann zuschlagen wollten saß ein kleiner vollgefressener Goblin auf dem Fass.
Letztlich hatte Ashi seine Mahlzeit bekommen.
Savid und Stan blieben noch spontan ein paar Stunden wie angewurzelt stehen und starrten das leere Tablett an bis langsam wieder die Sonne aufging.
„Das ist nicht fair“, schluchzte Savid.
„Ziemlich hart“, stimmte Stan zu, fasste in seine Hosentasche und holte zwei in Papier eingewickelte Sandwiches hervor. „Eigentlich sollten wir sie nicht essen ...“, sagte er. „Es sind Erbstücke. Mein Urgroßvater hat damals einen Kochwettbewerb damit gewonnen.“
Savid nickte. „Warum sind die noch nicht verfault?“
„Ich hatte sie in Salzlake eingelegt.“
Und sie begannen mit schmerzverzerrten Gesichtern zu essen.
Der Geschmack erinnerte Savid an jene Sandwiches, die in seiner Jugend einen Preis gewonnen hatten. Zu der Zeit waren sie aber noch nicht so salzig gewesen.
Letztlich hatten die beiden fürs Erste genug gegessen um zu überleben. Die Reise ging weiter.

Kapitel VII.​

Der Prinz der Ungutigkeit

Einige Stunden der Wanderung vergingen, die sie wieder in das Wäldchen Rot führten, sie über einige Felsen zwangen, durch hohle Baumstämme lotsten, die als Brücke über Bächchen dienten, und sogar dazu brachten vor einem Straßenprediger zu fliehen, der Savid durch seine Stummheit zur Verzweiflung brachte. Doch hätten sich Stan und Savid der Gestalt genähert, hätten sie bemerkt, dass es nur eine Vogelscheuche war, die als Wegweiser dienen sollte. Nennen wir es lieber Warnung, denn ein Schild, das sagt, man solle sofort umdrehen und vor dem Tod fliehen ist nicht wirklich das, was man unter einem Wegweiser versteht. Doch hatten unsere beiden Hauptpersonen das Pech mit Sehschwäche und/oder Analphabetismus gesegnet worden zu sein, und so blieb ihnen diese kurze, aber feine Textnachricht enthalten.
Als Stan schließlich erneut den Weg kontrollierte bemerkte er etwas Komisches.
„Savid, komm mal her. Schau dir das an. Der Talisman ist irgendwie kaputt. Ich sehe den Weg nicht mehr.“ Er reichte ihm die Münze. Auch er drückte sie sich wie Stan ans Auge – mit dem selben Ergebnis.
„Ob wir so weit vom Weg abgekommen sind? Halt, da war eben was Gelbes.“ Er senkte das Amulett und hob es wieder. Nicht, dass es irgendeinen Sinn hätte, nein, es war einfach eine Tätigkeit, die sich in ihn eingebrannt hatte. Wenn etwas nicht klappte wendete er sich immer kurz ab, um daraufhin wieder erneut einen Versuch zu starten, in der Hoffnung, dass die Lösung des Problems von selbst kommen würde. „Nichts“, murmelte er enttäuscht und drehte das Metallstück in den Fingern. „Halt, da ist etwas... wieder weg... wieder da... wieder weg... glaubst Du, der Weg flackert?“
„Das ist so antilogisch, dass man aufpassen muss, dass sich das Universum nicht selbst zerstört, wenn man das sagt“, murmelte Stan und hantierte an seiner Fliegerbrille. Er beugte sich zu dem Amulett an Savids Auge vor und seine Pupillen weiteten sich.
„Da... sitzt... eine...“, panisch ging er einen Schritt zurück. „Eine was?“, schrie Savid und schüttelte das Amulett. „Mach es weg, mach es weg, egal was es ist.“
Mit diesen Worten schleuderte er die Spinne hoch in die Luft.
„Jetzt ist sie weg“, sagte Stan erleichtert und nahm den Talisman wieder entgegen, den er sofort und wie gewohnt in seiner Jackentasche verstaute, genau neben dem Sandwichpapier vom letzten Abend und dem komischen Ding aus dem Baum.
Und da landete die Spinne auch schon wieder auf Stans Nasenspitze. Ein Aufschrei gefolgt von einem panischem Sprung wäre hier jetzt im nächsten Satz zu lesen, doch den überspringen wir fein und gekonnt, da es an Platz mangelt die Lautstärke zu umschreiben.
Stan warf sich in seinem blinden Kampf gegen seine Arachnophobie gegen Savid und riss ihn mit sich in die Tiefe. Nun, Tiefe mag jetzt etwas übertrieben klingen, da die beiden schlicht und ergreifend eng umschlungen einen hohen Hügel hinunterrollten, dabei einen Dornenstrauch niedermähten und unzählige Baumstämme übersprangen. Knapp 700 Meter tiefer blieben sie nach einem Flug von acht Meter in einer Grube Schlamm stecken.
„Brrr ... kalt“, stöhnte Savid und richtete sich auf. Er war über und über mit Schlamm überzogen, Matsch triefte von seinen Haaren.
„Wow, yeah, gleich noch mal“, rief Stan, sprang begeistert auf und pfiff durch seine Fingern. Kurz darauf hatte er den betörenden Geschmack von Dreck im Mund. Nach einigen unbeholfenen Bewegungen schleppten sich die beiden aus der Grube und schüttelten sich wie nasse Hunde.
Stan kontrollierte, ob noch alles vorhanden war.
„Passt“, murmelte er und blickte sich um. „Warum ist hier alles so verschwommen? Habe ich noch Dreck an der Brille?“
„Nein, das ist Nebel“, stellte Savid überrascht fest und griff nach der unmateriellen Decke, die auf ihnen lag. Dicke Schwaden blubberten um sie herum und nahmen ihnen die Sicht. Eine feuchte Kälte legte sich über die Beiden. Stan schluckte und griff nach Savids Hand. Wie viele Spinnen mochten nur in dieser Brühe auf sie warten?
„Wir müssen zusammenbleiben, sonst verirren wir uns“, befahl er, „wohin nur? Der Nebel verbirgt selbst die gemalte Straße.“
„Einfach der Nase nach“, schlug Savid vor und wurde sogleich von Stan hinterhergezogen. Jeder ihre Schritte gab ein gespenstisches Schmatzen von sich. Savid lief es eiskalt den Rücken hinunter, als er ihre Situation erkannte.
Sie waren zu zweit in einem Nebelfeld, an einem unbekanntem Ort, dreckig, nass und hungrig.
„Schlimmer kann es ja nicht mehr werden“, sagte er und zuckte mit den Schultern. Eine fatale Bewegung, da Stan ihn erneut ruckartig zu sich zog und ihm dabei beinahe das Gelenk ausgekugelt hätte.
Nach einigen Minuten zwischen gefährlichen Umrissen und schrillen Schreien wandernd blieb Stan plötzlich stehen. Hatte er nicht gerade Hufschläge gehört?
„Sei still.“ – „Was sollte ich denn auch groß sagen?“
„Sei still habe ich gesagt.“ – „Ja, Gottchen, reg dich doch nicht auf.“
„Ruhe!“
Eine monströse Stille trat ein. Nur ein regelmäßiger Aufschlag von Hufen war zu vernehmen. Doch der Nebel verwandelte diesen Laut in ein hallendes Geräusch, das scheinbar von überall her zu kommen schien. Stan schluckte. War es ein Zentaur? Zentauren mochten es nicht, wenn man ohne Tee zu ihnen zu Besuch kam. Hätte er doch nur eine Teekanne aus der Depression mitgenommen.
Langsam wurde eine Kontur zwischen den Schwaden sichtbar.
„Hallo?“, sagte Savid plötzlich und löste sich aus Stans Griff. „Ist da wer?“
Die Gestalt blieb stehen. Ein Reiter sprang ab und begann auf die beiden zuzukommen. Stan packte erschrocken erneut Savids Hand. Dieser riss sich los und hebelte die Prothese von Stans Armstumpf.
Savid holte tief Luft. „Halle, Sie kennen nicht zufällig den Weg in die nächste Stadt, in ein gutes Wirtshaus oder in ein Schreibwarenfachgeschäft? Bei diesem Nebel ist es draußen nämlich nicht besonders angenehm, müssen Sie wissen.“
Er winkte mit Stans Arm. Die Gestalt erreichte die beiden.
„AAAH, ein Kürbis!“
„AAAH, ein dreiarmiges Monster!“
„I-AAAH!“
Savid sprang einen Schritt von dem fremdem Reiter weg und warf dabei die Prothese in die Luft, die Stan mürrisch wieder auffing. Er musste sich unbedingt eine festere Halterung besorgen.
„Guten Tag, mein Name ist Stan. Mit wem haben wir die Ehre?“, unsicher verbeugte er sich vor der Person und drehte den Arm ein. Der Fremde war ein Mann mittleren Wuchses. Seine Hände steckten in riesigen Handschuhen mit roten Sternen darauf. Er wirkte wie ein menschlicher Soldat, doch statt seines Kopfes thronte ein Kürbis auf seinen Schultern.
„Huh, ihr könnt mich sehen? Aber das ist unmöglich, ich trage doch den Mantel der begrenzten Sichtbarkeit.“
Jetzt war der Kürbismann an der Reihe einen Schritt zurück zu tun.
„Das ist eine Regenjacke.“ Stan blickte skeptisch auf die verrückte Gestalt vor ihnen.
„Wie dem auch sei,“, fing sich der Fremde und räusperte sich, „mein Name ist Jack Noodles, ich bin der Prinz der Ungutigkeit, der Fürst der dunklen Mächte und der Herrscher der Dämonen. Ich bin der Tod in Person, das schrecklichste Wesen auf dieser Welt, das finsterste Objekt unter der Sonne und aller Verhängnis.“
„Und ich bin Savid, angenehm.“ Er reichte Jack die Hand. Dieser blickte auf die schlammüberzogene Handfläche und lächelte nur höflich.
„Sehr erfreut. Doch sagt, was sucht ihr hier in dieser Gegend? Seid ihr verirrte Händler?“
„Wir sind nur zwei Abenteurer. Wir haben gegen brabbelnde Bäume gekämpft und sind vor verrücktgewordenen Teekannen...“, bei dieser Erwähnung zuckte Savid zusammen, „und wurden schließlich von einem bösartigen Geschöpf einen Hügel hinuntergejagt und hier sind wir nun“, sagte Stan.
„Etwa die fürchterliche Hexe, deren Name nicht ausgesprochen werden kann, weil er so kompliziert ist?“, rief Jack erschreckt.
„Nein, eine Spinne.“ Stan zitterte. Ihm war schrecklich kalt. „Aber was führt euch in die Gegend?“
Jack seufzte. „Ich suche nach einem Schatz. Wisst ihr, die Hexe, deren Name nicht ausgesprochen werden kann, weil er so kompliziert ist hat mich, den Prinzen der Ungutigkeit, verhext. Ich war eine schöne Gestalt, doch dann hat die Hexe mich aus Neid verzaubert. Und nun seht mich an, ich bin ein Kürbis.“
„Ein Kürbiskopf,“, verbesserte ihn Stan, „aber redet weiter.“
„Mein wunderschönes Gesicht hat sie entstellt. Sie hat mich zu einer Kreatur gemacht, zu einer Bestie. Seht mich doch an, ich bin ein Kürbis, ein hässlicher, oranger, runder Kürbis.“
„Zerflies bloß nicht in Selbstmitleid, ich habe gerade den Boden gewischt.“ Ein blauer Esel mit zwei Köpfen trabte herbei. Beide Schädel schüttelten sich entzürnt. „Diese Geschichte haben wir schon Dutzende Male gehört. Seitdem hasst er die Hexe und versucht mit uns ein Gegenmittel zu finden, das ihn wieder zu seiner ursprünglichen Gestalt zurückverwandelt.“
Er wieherte und spuckte auf den Boden.
„Ich heiße übrigens Tosh“, sagte der erste Kopf. „I-AAAH“, sagte der Zweite.
Jack streckte Tosh und I-AAAH die imaginäre Zunge heraus und wendete sich wieder Savid und Stan zu.
„Und um die Wahrheit zu sagen – auch wir haben uns verirrt.“
„Du hast dich verritten, das ist es“, stöhnte Tosh. „I-AAAH.“
„Seid doch still.“ Jack schlug dem Esel auf beide Köpfe. Was für ein nerviges und leider Gottes berechtigt rechthaberisches Tier.
„Vielleicht sollten wir uns zusammentun und gemeinsam durch den Nebel gehen. Denn wenn irgendwelche Monster auf uns lauern können wir zu dritt mehr ausrichten als alleine. Na, was haltet ihr davon?“, fragte das Kürbisgesicht.
„Herzlich Willkommen an Bord.“ Stan streckte den Daumen hoch. Die Gruppe hatte sich vergrößert. Eine unsichtbare Band spielte eine Fanfare.
Nach einer Stunde unermüdlicher und orientierungsloser Wanderung löste sich der Nebel langsam auf und die Umgebung wurde erkennbar. Abgestorbene Bäume und graue Erde, das war es auch schon, was die Landschaft ausmachte. Okay, vielleicht sollte man die übergroßen Spinnen, die Stan beinahe zum Herzinfarkt brachten, und die röchelnden Vogelscheuchen erwähnen, die sie eine kurze Zeit verfolgten. Jack bezeichnete die Gegend als Grau. Grau war nicht nur die Farbe der Erde, Bäume und so gut wie allem, sondern auch der Name der Gegend.
Sie erreichten ein gigantisches Schneckenhaus mit kleinem Kamin und Fenstern.
Vor der Haustür war ein lächelnder Mann mit einer Hacke tätig und bearbeitete ein Stückchen Erde. Farmer Fran war der einzige Mensch in Grau. Er mochte die Abgeschiedenheit und die frische Luft. Außerdem war sein Schneckenhäuschen alles, was er besaß.
Als er die anmarschierende Truppe bemerkte richtete er sich auf und wischte sich den Schweiß von der Stirn.
„Moinmoin, guten Tachchen. Kommt ihr auf ’n Tässchen Käffchen vorbeichen? Ich habe tolles Kaffepulverchen.“
Da sie ja nichts besseres zu tun hatten und durstig waren nahmen sie an.
Jack band seinen Esel an Frans Zaun fest, dessen Latten aussahen wie lächelnde Männchen und folgte den anderen in das Schneckenhaus hinein.
Im Inneren des Hauses war es genauso eng wie es von außen aussah: Ein Bett, ein Schrank, ein Herd, ein Tisch, zwei Sessel und zu wenig Platz.
Fran tischte gerade eine Kanne mit duftendem Kaffee auf. Savid setzte sich freiwillig auf des Bett, weit weg von der Kanne.
„Schönchen, das ihr vorbeigekommen seid. Wollt ihr Törtchen?“
Fran öffnete den Schrank und deutete auf einen Haufen steinharter, zermatschter Muffins mit Gesichtern, die sich stöhnend hin und her bewegten.
Ein besonders kleiner Muffin blickte Jack traurig an.
„Töte mich...“, piepste er.
Die Gruppe lehnte ab und Fran schloss schulterzuckend den Schrank ab. Als er sich neben Savid aufs Bett setzte und begann an einer Tasse zu schlürfen knallte es.
„Oh, entschuldigt, hihichen. Das muss an den Böhnchen heute Morgen liegen.“ Er kicherte und grinste kindlich.
„Das war kein Furz, das war ein Blitz!“ Jack stand auf und öffnete die Tür. Stan zuckte desinteressiert mit den Schultern und nahm einen Schluck Kaffee, als auch schon wieder Jacks Stimme ertönte. „WAS ZUM?“
Sofort sprangen Savid, Fran und Stan auf und versuchten sich durch die enge Tür nach draußen zu drücken, bis sie schließlich einsahen, das sie zu dritt niemals durch den Rahmen passten, und so ging einer nach dem anderem nach draußen. Dort, wo noch vorher Tosh und I-AAAH angebunden waren war nur ein rauchender Krater.
„Oh mein Gottchen, dein Eselchen wurde ermordet!“ Fran fasste sich erschrocken an die Brust.
„Tja, passiert. Aber das da ist schlimm.“ Jack deutete auf einen roten Schriftzug an Frans Schneckenhaus.

Ihr seid die Nächsten,
gez. Die Gabel der Gänsehaut.

„Hölle, das wurde mit Blut geschrieben“, brüllte Savid, „oder mit Farbe aus diesem Farbeimer da hinten.“
Er deutete theatralisch aufbauend auf den roten Farbeimer unter dem Schriftzug.
„Die Gabel der Gänsehaut...“, murmelte Stan nachdenklich. „Sie steuert das Schicksal und ist die mächtigste Waffe auf der Welt. Wer sie besitzt ist die mächtigste Person zwischen hier und da, kann alles damit bewerkstelligen was er möchte. Sie ist so mächtig, sie kann sogar Schnitzel töten.“
Stan schüttelte enttäuscht den Kopf.
„Wir müssen so schnell es geht weg hier, Leute.“
Fran rieb sich geschmeichelt den Kopf.
„Neinchen, ich kann leider nicht mitkommen, Leutchen. Ich muss auf mein Häuschen aufpassen. Außerdem habe ich noch viele Comicheftchen zum durchlesen.“
„Mit dir spricht auch keiner.“ Stan deutete auf Savid und Jack. „Euch meinte ich.“

Kapitel VIII.​

Die irreale Ebene

So kam es, dass Stan, Savid und Jack loszogen das Ende des gelben Weges zu finden. In erster Linie mussten sie den gelben Weg an sich aber erst einmal wiederfinden. Jener Farmer aus Grau scherte sich nicht darum und lebte weiterhin in Ruhe, Gelassenheit und von ein paar Muffins abgesehen absoluter Einsamkeit vor sich hin.
„Was meint ihr, was am Ende des Pfades ist?“, fragte Jack, während sie den Weg durch den Nebel zurückmarschierten. Stan und Savid blieben abrupt stehen. Jack sah sie überrascht an.
„Wisst ihr es nicht?“, setzte er nach.
„Nun ja ...“, begann Stan. „Dort sind Schätze von unermesslichem Reichtum ...“
„Und ...“, fügte Savid hinzu, „Reichtümer aus unermesslichen Schätzen ...“
„Ihr wisst es nicht.“
„Wir wissen es nicht.“
Jack nickte. „Wisst ihr ...“
„Nein.“
„Ich meine, ich will euch sagen, es könnte doch sein, dass dort ein Heilmittel gegen meine Kopfform vorzufinden ist. Wie beim Zauberer von Oz. Ich will einen normalen Kopf, du willst Reichtümer und Stan ein Hirn.“
Stan sah ihn mit hochgezogener Augenbraue an. „Da könnte was dran sein.“
Sie zuckten alle drei mit den Schultern und gingen dann weiter.
„Sag mal, trauerst du gar nicht um deinen Esel?“, fragte Savid nach einiger Zeit.
„Welcher Esel?“
Sie beließen es dabei und gingen weiter. Die Umgebung war ... joah, grau halt. Hier ein grauer Baumstumpf, dort ein graues Matschloch, hin und wieder graue Nebelschwaden und graue Tiere, graue Pflanzen und der Himmel war auch schon mal farbenprächtiger. Savid blickte durch seinen Talisman, konnte jedoch nirgends etwas erkennen. Irgendwo mussten sie die Spur wieder aufnehmen, möglichst irgendwo dort, wo sie sie verloren hatten. Es würde auch keinen stören ein wenig abzukürzen ...
Schließlich gelangten sie an den Abhang, den Stan und Savid zuvor hinuntergerollt, gerutscht und gestürzt waren. Alles, was weh tut und Spuren hinterlässt halt. Und es stellte sich heraus, dass man diesen Abhang sehr leicht hinunter kam, zumal er ziemlich matschig und glatt war. Und es stellte sich heraus, dass man selbst dann hinunter kam, wenn man eigentlich hoch wollte; verdrehte Welt. Stan dachte einige Zeit darüber nach sich mit einer Rakete hinaufzubefördern, doch sollte es schwer sein im Torfmoor hinter ihm passendes Baumaterial zu finden.
„Irgendwelche Ideen?“, fragte Savid.
„Wir könnten einen Baum herschleifen und an ihm hochklettern“, schlug Jack vor.
„Oder wir nehmen die deplazierte Leiter da drüben“, sagte Stan.
Sie blickten einen Moment lang die Leiter an. Sie hatte hier wirklich nichts zu suchen. Die drei kletterten an ihr hoch und schickten sie dann nach Hause. Savid zog seinen Talisman und siehe da – nichts.
„Der gelbe Weg ist weg“, stammelte er.
Vor Schreck kullerten sie noch mal den Abhang hinunter und landeten auf einer Wiese. Sie waren nicht wenig überrascht sich auf einer riesigen Ebene wiederzufinden, von Gräsern und Büschen umgeben. Es sah aus wie in einem Märchenbuch, nur ohne umblättern.
„Es gibt eine Reihe von Dingen, die mir im Moment nicht einleuchten“, bemerkte Jack wie beiläufig. „Soll ich sie auflisten?“ Er listete sie auf.
„Lass gut sein ...“, murmelte Savid verwundert. „Ich verstehe auch nicht, warum ... äh ...“
„Die irreale Ebene“, erklärte Stan. Was sonst?
„Ähm ...“, sagten die anderen beiden. „Hä?“
„Wir sind in Grün“, setzte Stan nach.
„Ah, klar, natürlich“, meinte Savid.
Stan schüttelte sachte den Kopf. „Ihr habt ja keine Ahnung von paranormaler Geographie. Grau ist eine doppelte Provinz. Überirdisch wirkt alles wie ausgestorben und niemand, abgesehen von einem Niemand, lebt darin. Doch wie viele Orte gibt es auch hier eine Spiegelversion, die zweite Seite der Medaille. Wir befinden uns in einer spirituellen übernatürlichen abstrakten irrealen Welt.“
„Und wie kommen wir hier wieder raus?“, fragte Jack.
„So, wie wir reingekommen sind“, antwortete Stan. „Keine Ahnung.“
Und wenn es keinen logischen Grund gibt muss es Magie gewesen sein.
Savid griff den Talisman und sah hindurch. Direkt über ihnen setzte der gelbe Pfad mitten in der Luft an und führte auf den Boden, dann hinein ins Grüne.
„Offenbar führt unser Weg hier durch“, sagte er.
„Wir sollten acht geben“, warnte Stan. „Hier ist noch keiner lebend rausgekommen, abgesehen von dem Typen, der die Karten verkauft.“
Alle drei schauderten. Saukalt hier. Nach kurzem Frieren standen sie auf und gingen los. Geradeaus. So, wie ihnen der gelbe Pfad zuvor Streiche gespielt hatte, indem er sie durch schier unpassierbare Landstriche führte, brachte er sie jetzt durch eine flache Ebene, die dermaßen flach war, dass man sich sehr stark konzentrieren musste, wenn man denn stolpern wollte; was man für gewöhnlich nicht wollte. Es war beinahe schon langweilig eben.
Die Sonne wärmte das Land, die Blätter der Bäume raschelten in den hin und wieder auftretenden saukalten Böen, die Vöglein sangen, Blumen sprossen, hier und da spielten Fuchs und Hase Skat, man konnte sich keinen schöneren Ort vorstellen. Warum hier wohl nie jemand lebend herausgekommen war?
Sie gingen aufmerksam weiter. Korn wehte im Wind, ein paar Schafe hüpften auf den Feldern umher und ließen Drachen steigen, ein gestiefelter Kater stahl Klamotten aus der Nähe eines Sees.
„Das ist ein skurriler Ort“, bemerkte Jack.
„Heißt ja auch die irreale Ebene, Kürbiskopf“, erklärte Stan.
„Eigentlich schön hier“, meinte Savid. „Bleiben wir?“
Und jetzt dämmerte ihnen, warum niemand diesen Ort lebend verließ. Es sah einfach keiner einen Anlass dazu wieder zu gehen. Die drei gingen noch ein wenig weiter, doch wurden schließlich langsamer und blieben erst nahe einer Honigquelle endgültig stehen, die direkt in einen Heißemilchfluss mündete.
„Jetzt haben wir die Wahl ...“, flüsterte Savid. „Entweder bleiben wir hier, wo wir alles haben, was wir wollen, und werden friedlich und glücklich bis an unser Lebensende sein.“
„Oder“, sagte Stan, „wir gehen weiter, dann bekommt Jack einen neuen Kopf, den er nicht braucht, ich ein Hirn, das zu benutzen ich zu dumm bin, und du kannst dir mit unermesslichen Reichtümern alles kaufen, was du hier sowieso schon hast.“
„Verlockend“, meinte Savid. „Malt euch mal aus, das alles hier könnte mir gehören.“
„Stell dir vor“, stimmte Stan ein.
Jack entschied endgültig, dass die beiden mental zurückgeblieben waren.
„Na dann mal los“, stimmte er ein – lieber Stress als ein Kürbisschädel.
Und so gingen sie weiter den vorgezeichneten Weg entlang, alles hinter sich lassend, was sie sich je gewünscht hatten. Sie verließen das Paradies um später zurückzukommen, es aufzukaufen und dann an den laufenden Kosten pleite zu gehen. Freie Marktwirtschaft halt.
Bald näherten sie sich einem großen runden Loch, in das der gelbe Pfad geradewegs hineinführte. Einige Warnschilder, Zäune, Stacheldraht, Mauern und Geschütze waren darum herum aufgestellt worden, entweder um Ankömmlinge zu begrüßen oder um Kartenverkäufer aufzuhalten, mit dem Zweck den Tourismus niedrig zu halten.
Die drei gingen einfach an den Wallanlagen vorbei und standen schließlich am Abgrund. Durch den Talisman konnte man erkennen, dass der gelbe Weg die gesamte Innenwand des Ausgangs ausmachte.
„Da müssen wir wohl runterspringen“, meinte Stan. „Wer zuerst?“
„Immer der, der fragt.“
Und mit einem Schubs flog der senile Techniker in die unendlichen Weiten der Schwärze, angestoßen von Savid, der wiederum von einem Kürbis hinuntergestoßen wurde.
Jack sah sich nachdenklich um, jetzt stand er hier ganz allein.
Er zuckte mit den Schultern und stellte sich selbst ein Bein, fiel hinterher.
Und damit war die irreale Ebene um drei Deppen leichter.

Kapitel IX.​

Onkel Gaah

Kreischend flogen die drei durch das schwarze Loch, vorbei am weißen Karnickel, das mit einer Uhr sprach, vorbei an rosa angemalten Orangen die sich um einen Kaktus stritten und vorbei an einer Aufziehpuppe namens Dolf, die versuchte ihnen einen Kühlschrank anzudrehen. Schließlich schossen sie aus dem Boden und fielen durchgerüttelt ins Gras.
Stöhnend richtete sich Savid auf, Stan sprang jubelnd in die Höhe: „Oh, yeah Baby. Das war geil. Wer hat Lust auf noch eine Runde?“
Er blickte in ein bleiches Gesicht und die Hohlräume eines Kürbisses.
„Okay, gehen wir weiter. Wo sind wir hier eigentlich?“, er blickte sich um. Es war bereits Nacht, solange der Mond ihnen keinen Streich spielte, doch warum war es hell?
Hunderte von gelben Miniaturwindmühlen standen in der Gegend verstreut. Und in jeder befand sich eine kleine Familie Aux. Aux sind fingernagelgroße Geschöpfe deren Aussehen einer Kreuzung zwischen Schmetterling und Hängebauchschwein gleicht. Friedliche Wesen, wenn auch nörgelnd und immer unzufrieden. Beeindruckt legte sich Savid auf den Boden und blickte durch ein winziges Fenster ins Innere einer Windmühle.
„Ich habe Dir schon unzählige Male gesagt, dass du kein Salz in den Honig streuen sollst, das verdirbt den gesamten Geschmack!“ Wütend warf ein bärtiger Aux einen Teller auf den Boden. Die Frau schreckte barsch zurück. Da sprang die Schranktür auf und ein Aux in Bademantel stapfte heraus.
„Hey, die waren teuer.“
„Wer sind Sie denn?“ Der Hausherr deutete auf den Mann inmitten seiner Wohnung. „Liebling, ist das nicht der Postbote?“
Gelangweilt erhob sich Savid wieder. Diesen Quatsch hat er bereits in jeder billigen Soup gesehen, nichts interessantes, reiner Kommerzmüll.
„Gehen wir?“ Ein Blick durch das Amulett genügte um den gelben Weg wiederzufinden.
Stan nickte und Jack schluckte.
„Was isst du da?“
„Nichts, nichts, wir können gehen.“
„Hey, Du hast meinen Frau gegessen, spuck sie wieder aus!“ Ein Aux flatterte an dem Kürbiskopf vorbei und schimpfte vor sich hin. Jack schlug ihn zur Seite und ging unbeirrt weiter.
„Ich habe Hunger“, stöhnte er und sein Magen pflichtete ihm bei.
„Ich auch“ Savid trat neben Jack und ließ den Kopf hängen.
Stan zuckte mit den Schultern.
„Verdammter Gruppenzwang: Ich auch.“
Mit hängenden Köpfen stampften die drei den gelben Pfad entlang, der sich immer wieder verschlängelte und Kreise zog, bis sie zum Rande des Windmühlenfeldes kamen und ein farbenfrohes Dorf erreichten. Gelbe Dächer so weit das Auge reichte, gelbe Ziegelsteine und gelber Kopfsteinpflaster. Ja, sogar die Fenster waren gelb.
„Ich glaube, wir sind in Gelb“, sagte Savid und sah sich um.
„Ah, wie kommst Du denn darauf?“, bewunderte Stan überrascht.
„Weibliche Intuition?“, flüsterte Jack Stan zu. Er sah ihn an lange an und nickte schließlich.
„Quatsch, hier wohnt mein Onkel Gaah, er hat ein kleines Häuschen am anderen Stadtrand. Ich besuche ihn oft. Himmel, hat sich ja viel verändert, seit ich das letzte Mal hier war.“
„Und das war wann?“, fragte Stan.
„Letzte Woche“, antwortete Savid und klopfte seinen beiden Kameraden auf die Schultern. Dies mochte wohl bedeuten, dass sie jetzt beinahe vollständig im Kreis gerannt waren, Savids abgebrannte Hütte war von hier aus in einem Halbtagsmarsch zu erreichen.
„Lasst uns für heute Nacht eine Unterkunft suchen und morgen früh dann zu meinem Onkel gehen, ja? Jetzt schläft er sicher bereits, aber wenn er wach ist gibt er uns sicher Proviant für unsere Weiterreise mit. Und ich weiß auch schon, wo wir ein Quartier und ein Mahl finden werden.“
Savid holte weit aus, schlug dabei Jack ins Gesicht und schwang seinen Finger schließlich nach vorne, um auf ein heruntergekommenes Gasthaus zu zeigen. „Das, meine Freunde, ist der goldene Eber, das beste Lokal in der Stadt. Und sie haben diesen Monat Bohnen mit Speck im Angebot.“
Sie gingen vor die Tür des Gebäudes. Es roch nach angebranntem Ei.
„Ob im Angebot oder nicht, aber habt ihr Geld dabei? Ich habe nämlich gar nichts“, sagte Jack und zog seine Taschen aus den Hosen. Stan tat das gleiche. Triumphierend warf Savid sein Portmonee in die Höhe und ließ es in einen Gulli fallen.
„Na toll“, grummelte Jack. „Aber ich habe eine Idee, wie wir an Essen kommen. Hört mir genau zu. Die Idee ist todsicher. Stan, du trittst die Tür auf und läufst brüllend hinein. Savid, wir folgen ihm und werfen mit barbarischem Kampfgeschrei Tische und Stühle um. Dann schnappe ich mir eine Glasflasche, zersplittere sie und drohe damit dem Wirt. Er wird uns dann genug zu essen geben. Am Ende bedanken wir uns dann indem wir ihm eine Ohrfeige geben, sein Haus in Brand setzen und dann so schnell es geht wegrennen.“
Stan und Savid traten in die Stube ein.
„Hey, wartet auf mich.“
Ein Schwall stickiger Luft begrüßte sie. Trotz der späten Stunde waren viele Gäste im Lokal, größtenteils grimmige Gesichter mit Narben, Augenklappen und Holzbein. Savid überlegte, ob er nicht einen bitten sollte, ihm seinen Papageien zu zeigen. Doch Stan riet ihm davon ab, mit der Begründung, das diese Leute nicht Stolz auf ihre Papageien seien. Klischees sind eben nichts Schönes.
Sie stellten sich vor die Theke und machten ein grimmiges Gesicht.
„Drei mal Bohnen mit Speck, aber mit extra viel Angebot“, lachte Savid.
„Das war ein dummer Witz“, stellte Stan fest.
Der Wirt betrachtete die drei skeptisch.
„Was’n für’n Angebot, Junge?“
Savid spuckte wütend auf den Boden. Der Blick des Wirtes ließ ihn seine Körperflüssigkeit gleich wieder vom Parkett wischen.
„Na das Angebot an der Tafel da vorne.“ Er deutete auf eine leere Wand neben der Tür.
„Nanu, wo ist denn die Tafel hin?“ – „Wat für ’ne Tafel, eh?“
„Na die Angebotstafel eben“, sagte Savid. „Die mit dem schönem tanzendem Schweinchen in der Ecke.“
Der Wirt winkte Savid zu sich her und zog ihn nah an sich ran.
„Junge, wat bist du’n für einer? Da hängt keene Tafel, und hingen tat da uch keene. Also sag, wat du essen willst und Ruhe ist.“
Savid schluckte, nickte und beugte sich zurück.
„Dreimal Schweinsbraten“, sagte Jack, gelangweilt vom nervenden Wirt.
„Bitte“, fügte Savid hinzu, als er sah, wie sich die Miene des Mannes verzog.
Er nickte und ging durch eine Tür in eine Küche. Doch als er die Tür öffnete suchte sich dunkler Rauch seinen Weg nach draußen.
Kurze Zeit später kam er mit drei Tellern und matschigem Fleisch darauf zurück. Er warf sie unsorgsam auf den Tresen und forderte sein Geld dafür.
„Einen Moment“, sagte Jack und kruschte in seinen Hosentaschen herum. „Ah! Schauen Sie mal! Die Köchin vergreift sich an Ihrem Schnaps!“
„Was?“ Wütend wirbelte der Wirt herum. Jack packte die drei Teller und stieß Savid und Stan zur Tür.
„Lauft!“
Noch bevor der Wirt merkte, was Sache war, waren die drei auch schon draußen und rannten die Straße hinein in die Stadt. Erst als sie sich sicher waren, dass der Wirt zu faul sein würde um diese Strecke zu gehen, machten sie Halt und setzten sich auf die Treppe vor einer Haustür. Jack verteilte die Teller.
„Lasst es euch schmecken.“ Und das taten sie auch. Zu lange hatten sie nichts Anständiges mehr zu essen bekommen. Nach dem Mahl entschieden sie auf der Straße zu schlafen und lehnten sich an die Haustür hinter ihnen. Ein weiterer Besuch beim goldenen Eber war ihnen zu gefährlich.
Am nächsten Morgen wachten sie mit dem ersten Frauenschrei in Gelb auf. Die Haustür hinter ihnen schlug auf und sie kippten in das Innere des Gebäudes. Savid gähnte laut und blinzelte. Er blickte unter den Rock der Hausherrin. „Du Schwein. Dir zeig ich’s, na warte! Ede, komm her, hier sind Spanner!“, kreischte die Dame hysterisch.
Erschreckt sprangen die drei auf und rannten erneut vor einem Bewohner Gelbs davon. In der Stadt waren sie scheinbar nicht allzu willkommen. Als sie am Stadtrand ankamen hielten sie inne.
„So, gleich sind wir da. Onkel Gaahs Haus ist gleich um die Ecke. Wir müssen nur noch einige Meter gehen, schon sind wir da. Es ist das letzte Haus an der rechten Seite, ein großer Hahn ist über seiner Haustür angebracht, ihr könnt es gar nicht verfehlen.“
„Du meinst wir.“
Sie gingen am vorletzten Haus vorbei. Doch da, wo jetzt eigentlich Gaahs Haus stehen sollte, war nur eine Ruine.
„Und wo ist jetzt das Haus Deines Onkels?“, fragte Jack skeptisch, als er sich den Trümmerhaufen ansah.
„Es müsste eigentlich hier sein ... aber irgendwas stimmt hier nicht. Es ist nicht mehr da.“
„Was Du nicht sagst“, murmelte Stan nachdenklich und untersuchte die Steinbrocken.
„Vielleicht ist das Haus ja wegen eines Unwetters eingestürzt und Onkel Gaah ist umgezogen“, philosophierte Savid.
„Nein“, sagte Stan und hielt einen Teil des ehemaligen Hauses in der Hand.
„Ganz sicher nicht.“
„Wie bist Du Dir da so sicher?“, fragte Savid und nahm den Stein entgegen.
„Weil auf frischen Trümmern sicherlich kein Luna-Moos wächst. Diese Ruine steht hier bereits seit über fünfzig Jahren, soviel steht fest.“

Kapitel X.​

Bestimmungen

Während Stan sich den Stein genauer ansah, starrte Savid fassungslos die Ruine an. Jack realisierte nicht ganz, worum es ging, und beschäftigte sich vorerst mit Herumstehen, während Savid langsam dämmerte, was hier vor sich ging.
Es war offensichtlich, all die Details ...
Die merkwürdige Kleidung der Anwohner, die neuen Gebäude, das verfallene Sonderangebot, die mindestens fünfzigjährige Ruine der Villa, das Datum auf der Zeitung, die ihm gerade ins Gesicht wehte, all diese Dinge ließen nur einen einzigen Schluss zu – Savid war geisteskrank geworden. Es musste einfach so sein. Er starrte die Zeitung an. Sie schrieb das Jahr 732. Letztes Mal war es noch 632 gewesen.
Doch wann war er in der Zeit gereist? Savid grübelte. Daheim war er noch in seiner Zeit gewesen, in Gorsta hingegen traten erste Hinweise auf.
„Stan – was weißt du über die stark bewachsenen Felder bei Gorsta, denen in Richtung Wald?“, fragte er nervös.
„Die Wiesen der Zeit?“, fragte Stan. „Nun ... man behauptet, dass die Zeit dort wie im Flug vergeht. Soll heißen man setzt sich hin, genießt die Umgebung und Puff, schon vergeht die Zeit wie im Winde.“
„Dann bin ich hundert Jahre in die Zukunft gereist, als ich dort schlief.“ Savid schluckte.
„Hundert Jahre?“, wunderte sich Stan. „Ich meinte eher, dass man dort schnell von der Abenddämmerung überrascht wird, aber doch nicht hundert Jahre ... ich rede von Stunden.“
Savid nickte nur, hundert Jahre.
„Das erklärt einiges“, sagte Jack. „Zum Beispiel, warum du angezogen bist wie zehn Pfund Kartoffeln. Ich dachte schon du wärest ein Retrofreak.“
„Damals war das modern“, sagte Savid und fühlte sich plötzlich ziemlich alt. „Früher war alles besser ...“ Der letzte Beweis – Savid stammte aus einer anderen Zeit.
„Aber ... warum reist du durch die Zeit?“, fragte Stan. Er war Techniker und fand des Thema dementsprechend hochinteressant, wenn auch ein wenig verwirrend.
„Ich ...“, stammelte Savid. „Ich weiß es nicht.“
Er erinnerte sich an all das, was nun verloren war. Sein Posten als Förster, seine Familie, seine Freunde, seine Freundin und deren Ehemann, seine Schulden, sein ganzes Leben hatte er in der Vergangenheit verloren. Würde er von seiner Reise über den gelben Weg heimkehren, würde ihn zu Hause niemand erwarten.
Savid dachte einen Moment lang nach. „Strike!“
Nur eine Frage blieb nun noch – warum hatte er das Glück ein neues Leben beginnen zu können? Oder war es etwa nur Zufall?
Stan und Jack beobachteten schweigend und perplex den Stimmungswechsel des kleinen Mannes. Plötzlich drehte er den Kopf zur Seite, als hätte er irgendetwas gesehen. Jack und Stan schauten in die gleiche Richtung, konnten jedoch nichts erkennen. Mit einem Mal spurtete Savid los, in die nächste Gasse einbiegend.
Stan erhob die Hand und wollte irgendetwas sagen und nachrennen, doch brachte er kein Wort heraus und blieb nach einem langen Schritt stehen, ließ seinen erhobenen Arm wieder fallen und starrte nur hinterher. Er wandte sich Jack zu, doch dieser zuckte nur mit den Schultern.
Stan betrachtete noch einmal den Stein in seiner Hand. „Hundert Jahre ...“

Savid rannte durch die Gassen von Gelb, immer dem Schatten hinterher, den er gesehen hatte, der ihn zu sich gewunken hatte. Zu wem auch immer der Schatten gehörte, er musste wissen, was geschehen war; warum sonst sollte er genau im Moment der Frage auftauchen?
Savid rannte blindlings weiter, hatte längst die Orientierung verloren. Dieser Stadtteil von Gelb war neu, zumindest war er letztes Jahrhundert noch nicht hier gewesen.
Es war Vormittag, die Sonne kletterte den Himmel empor und hüllte die Stadt in warmes Licht, doch langsam kam ein immer stärker werdender Wind auf.
Savid rannte weiter, immer dem Schatten nach, der stets hinter der nächsten Häuserwand auf ewig zu verschwinden drohte, doch den er jedes Mal noch knapp erreichte. Zu wem gehörte die Silhouette? Es ließ sich nichts erkennen.
Savids Spurt endete an einem kleinen, heruntergekommenen Haus, an das er sich erinnerte. Es war die Kirche, in der er einst in einer Sturmnacht geboren worden war. Damals waren überall Blitze eingeschlagen und die halbe Stadt hatte in Trümmern gelegen, nur die Kirche ward nie getroffen; so erzählte man es ihm zumindest später.
Auch die Kirche – aufgrund ihrer Größe wohl eher nur eine Kapelle – war heruntergekommen wie das Haus seines Onkels, wenn auch noch nicht zerfallen. Die Fenster waren vernagelt, der Turm zur Hälfte eingerissen, die Holztore hingen lose in ihrem Rahmen und im Rasen fehlten viele Stücke, es sah aus wie ein Schlachtfeld.
Der Schatten war unter dem Holztor hindurch geglitten. Savid schluckte; sollte er hineingehen? Er sah sich um, doch weder Stan noch Jack waren ihm gefolgt. Der Wind drehte langsam und wehte nun in Richtung der Tür. Savid wollte nicht gehen ...
Der Wind donnerte ihn in einer brisanten Böe nach vorn, sodass er hinfiel, dann verhielt sich die Umgebung wieder normal. Savid schüttelte sich, das war geradezu gespenstisch.
Widerwillig betrat er das Kirchengelände und schritt zum morschen Holztor. Aus der Nähe betrachtet konnte man viel Moos an den Steinmauern erkennen, hin und wieder auch ein paar Löcher. Niemand hatte sich in irgendeiner Form um das Gebäude gekümmert, was war nur geschehen?
Langsam drückte er das Holztor auf und betrat den langen heruntergekommenen Saal, in dem die einst in Reih und Glied angeordneten Holzbänke nur mehr morsch und teils zerbrochen standen, einige quer, einige gar nicht mehr, die Pfeiler an den Wänden hatten begonnen zu bröckeln und der Altar fehlte, stattdessen war vorn nur noch eine leere Ebene. Bruchstückhaftes buntes Licht fiel durch die vernagelten Fenster und hüllte den Raum in skurriles Halblicht.
Langsam ging Savid nach vorn, sah sich nach irgendeinem Anzeichen des Schattens um, doch es war nichts zu sehen. Mit jedem Schritt knarrte der Holzboden unter dem bleichroten Teppich lang und laut.
Hier war er also geboren worden, dachte sich Savid, und hier war er nun wieder, Jahre später, beäugt von den Heiligen vergangener Zeiten, die ihn stumm und regungslos aus Wandmalereien ansahen.
Es lief ihm kalt den Rücken herunter, als er sie wenigen Stufen auf das Altarplateau hinaufschritt, sich umdrehte und in die leere Kirche sah. Niemand war hier. In einem Anflug von Paranoia sah er über seine Schulter zurück, drehte sich um und versuchte den gesamten Raum gleichzeitig im Blick zu behalten, stellte sich schließlich mit dem Rücken zur Wand und sah sich nervös und schnell atmend um. Beinahe hätte er über seine eigene Angst gelacht, als ihm bewusst wurde, was er hier eigentlich tat.
Es donnerte. Langsam war ein einsetzender Platzregen zu vernehmen, der immer stärker wurde und schließlich alle anderen Geräusche aus der Stadt übertönte, die ohnehin nur schwach bis an sein Ohr gedrungen waren.
Erschaudert rannte er zur Tür und nach draußen, wollte hier weg. Draußen blieb er wie angewurzelt stehen. Der Himmel war in schwarzrotes Licht getaucht, dunkle purpurne Wolken zogen am Himmel entlang, die Erde war schwarz und verbrannt. Von den Häusern war nichts mehr übrig, die gesamte Stadt lag in Schutt und Asche, nur hin und wieder stand noch eine halbfeste Ruine, einige brannten auch noch.
Die pochenden Tropfen trafen in die glühende Asche der Erde und verdampften teils, ließen allmählich eine verdreckte Brühe aus dem Untergrund entstehen.
Savid zitterte, seine Augen waren geweitet, er wollte schreien, doch wagte nicht einen einzigen Mucks zu machen. Er sah nach links und rechts, und als er wieder nach vorne blickte, starrte er in die rot glühenden Augen unter einem dunklen Hut.
Kreischend rannte Savid wieder in die Kirche, schlug das Tor hinter sich zu und stolperte letztendlich über die Stufen zum Altar, blieb vor den Füßen eines Mannes ganz in weiß liegen.
Savid starrte zu ihm hoch.
„Auserwählter“, begann der Fremde. „Verhindere es. Denn dazu bist du hier.“
„Ja, du mich auch.“
Savid sah sich um, niemand war mehr da. Der Regen hatte aufgehört.
Verwirrt verließ er die Kirche wieder und sah sich draußen um. Alles war wieder an Ort und Stelle, nur er nicht, der wohl um ein Jahrhundert verfehlt hatte.
Stan und Jack gingen gerade die Straße entlang und suchten ihn.
„Hey!“, rief Savid und rannte zu ihnen. „Ihr werdet mir nie glauben, was ich gerade erlebt habe!“
„Hat dir auch ein komischer Kasper gesagt, dass du den Auserwählten beschützen sollst?“, fragte Stan. Scheint, als habe auch er eine merkwürdige Vision gehabt.
„Ich bin offenbar der Auserwählte ...“, murmelte Savid. „Und du, Jack?“
Der Kürbiskopf schwieg und schien betroffen. „Ich ...“, begann er. „Ähm ...“
„Ja?“, fragte Savid.
„Ich hatte keine Vision“, behauptete Jack schließlich. „Und jetzt lasst uns weitergehen.“

Kapitel XI.​

Das Tor zur Mittelwelt

So verließen die drei Gelb und begaben sich wieder auf die Reise, immer weiter dem Weg folgend. Munter lachte die Morgensonne sie an. Nein, sie lachte sie aus. Aber was erwartet man schon von einem Gasball, der dazu verdammt ist immer wieder gegen den Mond zu verlieren, um schließlich wie ein Phönix erneut in den ewigen Kampf zu gehen. Der einzige Zyklus, der sich nie ändern würde. Das hoffte Savid zumindest. Doch selbst das würde ihn nicht wundern, bei soviel Glück, wie er in den letzten Tage hatte. Dutzende Fragen schossen ihn in den Kopf, die wichtigste aber war ‚Wo ist hier ein Klo?’.
Als sie schließlich den Rand eines kleinen Wäldchens am Fuße des Berges Hoch erreichten, blieb Savid erschrocken stehen. Kurz darauf preschte er von seinen Kameraden davon, rannte in den Wald und sprang hinter eine dichte Baumpartie.
„Glaubst du er hat etwas entdeckt?“, flüsterte Stan.
„Ich weiß nicht... vielleicht steht da ein Kopfgeldjäger, der es auf uns abgesehen hat und er hat sich heldenhaft für uns geopfert“, antwortete Jack.
„Meinst du der Kopfgeldjäger braucht noch Kürbis für seinen Obstsalat?“
Noch bevor Jack antworten konnte, ja, noch bevor er auf den Entschluss gekommen ist, auf diesen Schwachsinn zu antworten, kam Savid mit zufriedenem Gesicht wieder hervor und gesellte sich wieder zu den anderen.
„Und, wie viele waren es?“, fragte Jack neugierig.
„Einige“, erzählte Savid.
„Und du hast es alleine geschafft?“
„Ohne Hilfe. Und ich habe sie sogar vergraben.“
Jacks Augen weiteten sich. In Savid steckte eine Bestie. Wie bei einem kleinem Zwerg, der mit seinem Zaubertrank ungeheure Kräfte bekommt.
Ehrfurchtvoll beschloss Jack Savid nicht mehr zu schlagen, wenn dieser sich über seinen Kürbis lustig machte. Zumindest für die nächsten sieben Sekunden, bis Savid fragte, ob Haarausfall bei Kürbisköpfen ein weit verbreitetes Problem sei.
Nachdem Savids Backe wieder Normalgröße angenommen hatte und Jack seinen Handschuh wiederfand, marschierten sie in den Wald ein, bereit, vor jeder Gefahr zu flüchten.
Stan schaute immer zu den Baumwipfeln hoch. Er schien seit Gelb paranoid geworden zu sein, dachte sich Savid. Oder er fürchtet sich vor fallenden Spinnen oder Kühen auf den Bäumen.
„Wo können wir hier nur sein?“, fragte sich Jack. Er, als landeskundiger Prinz, war hier ratlos.
Sie kamen an einem leeren Schild vorbei.
„Das ist der Wald ohne Namen. Die Einwohner konnten sich auf keinen geeigneten Namen einigen, und so haben sie beschlossen, die Schilder einfach leer zu lassen“, mutmaßte Savid.
„Oder ihnen sind einfach die Stifte ausgegangen“, gab Stan seinen Senf dazu.
Plötzlich hörten sie einige Meter vor ihnen ein Grölen.
Erschreckt ließen sie sich auf den Boden fallen. Das klang nach einem gefährlichen Grölen.
Sie drückten sich hinter einen riesigen Pilz und wagten es nicht, sich zu bewegen. Erneut hörten sie das Grölen, dieses mal näher. Stan wagte es hinter dem Pilz hervorzulinsen. Langsam erhob er sich und rückte seine Brille zurecht. Einige Meter vor ihnen entfernt war das jaulende Untier. Stan schluckte. Das war das schrecklichste aller Wesen, das auf der Erde dieser Welt umherwandelte. Es war ein Schnitzel. Diese Monster glichen von der Größe her Elefanten, doch hatten die Schnauze eines Wildschweins und Beine eines Nilpferdes. Eine Laune der Natur. Als sie alle Wesen auf der Welt erschaffen hatte, pappte sie die Restteile zusammen und schuf die Schnitzel. Und da noch Sterne übrig blieben, hat sie ihnen Füße in Sternenform gegeben. Und da Schnitzel enorm schwere Dinger sind, hinterlassen sie bei jedem Schritt einen Stern in der Erde.
Stan schnappte nach Luft und sank zurück zum Boden.
„Es ist ein Schnitzel.“
Jack schluckte. Noch nie ist es jemandem gelungen ein Schnitzel zu erledigen. Eine Legende besagt, dass nur die Gabel der Gänsehaut die Macht besitzt sie zu töten. Und er dachte, dass selbst sie eine Legende sei, zumindest bis gestern.
„Und was ist so gefährlich an ihnen? Ist es die zerschmetternde Wucht ihrer Keilerwaffen, oder ist es die immense Aggressivität ihrer neidischen Seele?“, fragte Savid zitternd.
„Ja, unter anderem. Aber das, was sie so tödlich macht ist ihr Gesang“, erklärte Stan.
„Wenn ihre Lieder direkt auf dein Trommelfell treffen lässt es deinen Schädel explodieren.“
Jetzt war Savid an der Reihe zu schlucken.
Schnell pflückte Stan einige kleine Pilze vom Boden.
„Steckt sie euch in die Ohren, das sollte reichen, um nicht zu sterben – wenn doch, dann wenigstens langsam.“
Jack blickte ihn beleidigt an. Wo kein Trommelfell ist, kann nichts passieren.
Stan lächelte entschuldigend. Wo kein Gehirn ist, kann nichts kleckern.
Savid und Stan steckten sich die improvisierten Dämmungen in die Ohren.
„Und was jetzt?“, fragte Savid. „Das Schnitzel ist immer noch vor uns, wenn es uns entdeckt, sind wir so gut wie tot.“
„Jemand muss es erledigen. Hey, du bist der Auserwählte!“ Jack stieß Savid hinter dem Pilz hervor.
Savid beobachtete das Schnitzel, das Schnitzel beobachtete ihn.
Er holte tief Luft. Es kam, wie es kommen musste. Das also war sein Schicksal. Er genoss seinen vermutlich letzten Atemzug. Wie schön das Leben doch war. Doch jetzt war es Zeit für den Kampf zwischen einem Menschen und einem Schnitzel.
Savid setzte sein bösestes Gesicht auf.
„Pass auf dich auf“, rief ihm Stan zu.
Savid sprang brüllend in die Höhe und stolperte über eine Baumwurzel. Er krachte böse auf den Boden und das Schnitzel begann brüllend auf sie zuzulaufen.
Jack und Stan sprangen vor dem Pilz hervor und halfen Savid auf.
„Tolles Ablenkungsmanöver“, schrie Jack, als das Schnitzel knapp neben ihnen gegen einen Baum krachte und ihn einfach umknackste.
Dann nahmen sie die Beine in die Hand und rannten blindlings in den Wald hinein. Sie wagten es nicht einmal sich umzudrehen. Das Gebrüll im Nacken sagte ihnen, dass sie rennen sollten. Und selbst Stans Forscherinstinkt hörte auf dieses Gebrüll.
Denn wer laut ist hat immer Recht.
Das Schnitzel verfolgte sie noch einige Zeit, bis es schließlich die Verfolgung aufgab und sich erschöpft auf den Boden fallen ließ.
Keuchend rannten Jack, Stan und Savid am anderem Ende des Waldes heraus und ließen sich ebenfalls auf den Boden fallen. Dabei ploppten die lebensrettenden Pilze aus den Ohren und rollten davon.
„Das war... knapp...“, keuchte Jack und öffnete die Augen. Vor ihm war ein metertiefer Abgrund.
Sie waren vorhin zu erschöpft um darauf zu achten, wo sie sich ausruhen wollten.
Nun rappelten sich auch die beiden anderen auf und blickten interessiert zu der Schlucht vor ihnen. Stan kontrollierte ihre Route mit dem Amulett.
„Der gelbe Weg führt genau über die Schlucht.“
„Und wie kommen wir rüber?“, fragte Jack und sah sich um.
„Mit dem Führfloß da drüben.“
Unweit von ihnen war eine Seilanlage angebracht, die quer über die Schlucht führte. Als Transportmittel war ein Floß an einer Rolle befestigt. Davor saß ein gelangweilter Fährmann apathisch auf einem Klappstuhl und klammerte sich an einen merkwürdigen Apparat.
Stan ging zu ihm und hustete höflich.
„Sind Sie der Fährmann?“
Der Mann blickte auf und nickte.
„Können Sie uns rüber befördern.“
Der Mann blickte immer noch auf und nickte.
„Kostet das was?“
Immer noch blickte der Mann auf, aber dieses Mal schüttelte er den Kopf.
„Aber bevor ich euch auf das Floß lasse, muss ich einen Lügendetektortest mit euch machen. Letztes Mal hat mich doch wirklich einer von da runtergeworfen. Seitdem traue ich keinem Kriminellen mehr.“
„Lügendetektor?“ Stan runzelte die Stirn. Der Mann zeigte ihm den Apparat.
„Man steckt sich diese Schlaufe um die Hand. Dann stellt man demjenigen eine Frage. Das Gerät erkennt den Blutdruck, und wenn er plötzlich steigt, sprich, wenn man nervös wird, erkennt es eine Lüge und leuchtet.“
Stan war begeistert und stellte dem Mann alle möglichen Fragen, bis dieser schließlich sagte, dass er nichts mehr über das Gerät verrät. Sonst komme man noch auf die Idee ihn zu überlisten. Und erneut die Schluchtwände hinauf zu kraxeln sei nicht besonders angenehm.
„Na dann. Machen sie schnell den Lügendetektortest... aber... ich möchte nicht anfangen... irgendwie hab ich Angst davor“, gestand Savid.
„Ich hab schon mal so einen Test gemacht“, erklärte Jack.
Der Fährmann lächelte.
„Und es ist doch gar nicht so schlimm, wie es klingt, nicht wahr?“
„Letztes Mal hab ich sieben Monate dafür bekommen.“
Kurze Zeit später befanden sich alle vier auf dem Transporter. Da es dem Mann nicht gelang, den Detektor anzuschalten, appellierte er an die Ehrlichkeit des Trios und riskierte eine Überfahrt.
Als sie schließlich heil auf der anderen Seite ankamen, bedankte sich Stan und der Fährmann schepperte wieder zurück.
Nun standen die drei vor gewaltigem Gesteinsmassiv. Der einzige Eingang war ein riesiges Messingtor. Savid rüttelte daran.
„Verschlossen“, murmelte er.
„Und da führt ausgerechnet der gelbe Weg hinein. Wir sollten den Fährmann fragen, vielleicht hat er ja einen Schlüssel für das Tor.“
„Hatte.“ Jack steckte einen großen Schlüssel in das Schloss des Gitters und drehte ihn um. Quietschend schwang es auf.
„Voilá, der weg ist frei.“
„Genial“, gestand Savid.
Entweder war Jack kriminell, oder ein missverstandenes Genie. Wahrscheinlich war er ein kriminelles Missverständnis.


Kapitel XII.​

Durchschnittliche Mittelwelt

Das riesige Tor im Gesteinsmassiv schwang langsam auf und offenbarte den Blick dahinter. Die drei blickten überrascht, niemals hätten sie derartiges erwartet. Langsam und verwirrt schritten sie durch den Torbogen. Die Erde dahinter war braun, hier und da wuchs spärlich Gras, überall waren riesige Holzpfähle in den Boden geschlagen worden, die bis zur inneren Gesteinswand ragten.
„Dieses Gebirge ...“, sagte Savid langsam. „Ist eine Fassade.“
Stan ging an das vermeintliche Gestein heran und durchstach es mit dem Finger. „Aus Pappe.“
„Vielleicht eine Blaupause“, mutmaßte Jack.
Ein mittelgroßer Bagger wurde von Arbeitern vorbeigeschoben.
„Das ist eine Baustelle“, stellte Savid fest.
Er rannte durch die Tür nach draußen und erblickte einen kleinen Zettel an der Tür, die Buchstaben waren kaum entzifferbar, doch schließlich konnte er sich einen Reim darauf machen.
„Hier entsteht ein Dungeon.“
Da standen sie nun, mitten auf einem großen geebneten Feld unter leicht bewölktem Himmel. Überall hortete sich das Baumaterial und Arbeiter wuselten umher, der letzte Regen hatte ihnen ganz schön zu schaffen gemacht und einiges an Untergrund weggespült – wie bisher jedes Mal, wenn sie den Keller ausgehoben hatten, und das seit Jahren. Doch hier störte sich niemand mehr an der Sisyphosarbeit, auch wenn der Berg laut legendärem Zeitplan längst hätte fertig sein müssen.
Das ganze erweckte bei den Dreien einen recht trostlosen Eindruck, aber so konnten sie zumindest Fallen und Rätsel umgehen. Ihr Pfad führte zwar hin und wieder durch Baugeräte und Löcher hindurch, doch ließen sich diese meist problemlos umgehen, indem man sie umging. Die Arbeiter waren merkwürdig, gewissermaßen sahen sie alle exakt gleich aus, keiner unterschied sich vom anderen. Womöglich alle aus der gleichen Firma.
„Waah“, sagte Savid gelassen und gähnte. Es geschahen zu oft unerwartete Dinge, als dass sie ihn ernsthaft hätten schockieren können.
„Was willst du?“, meckerte Jack.
„Dort vorne ist eine Weggabelung“, verriet Savid. „Und dort gabelt sich der Weg.“
„Teilen wir uns auf?“, schlug Stan vor.
„Nein ...“, sagte Savid. „Wir sind drei Leute und es gibt zwei Wege. Ich will das nicht rechnen müssen ... und ich will auch keinen sägen.“
„Hey, da sind schon welche“, stellte Jack fest und sie rannten zu den beiden.
Der eine stand auf der linken Abzweigung und sah ihnen entgegen, der andere auf der rechten. Sie sahen exakt gleich aus, Pantoffeln, Wollhose und Stretchshirt. In der Mitte der Gabelung stand ein Schild; Savid las es laut vor.
„Der Zwillingsweg“, war die Überschrift. „Ihr sehr hier zwei Brüder; der eine lügt immer, der andere sagt immer die Wahrheit. Folgt dem Pfad des Mannes, der die Wahrheit sagt. Jeder Wanderer darf nur eine Frage stellen.“
„Das Rätsel ist geklaut“, maulte Stan.
„Egal“, sagte Savid. „Meine Frage: Wie ist das Wetter heute?“
„Toll.“
„Toll.“
„Wetter ist subjektiv“, stellte Stan fest. „Also, eine sinnigere Frage: Wie lange existiert die Baustelle schon?“
„Siebenunddreißig Jahre“, sagt der eine.
„Zweiundvierzig“, sagte der andere.
Hätte irgendwer aus der Gruppe die Antwort gekannt, hätten sie jetzt ihren Weg beschreiten können. „Dumme Frage“, kommentierte Jack.
„Ach ja? Bessere Idee?“, zischte Stan.
„Aber ja“, summte die potenzielle Vogelscheuche und holte einen Lügendetektor unter dem Mantel hervor.

Die Entscheidung gestaltete sich kurz und schmerzlos, sie gingen nach links. Zuerst nach rechts, aber der Weg endete nach einem Meter an einem ‚Dead End’-Schild, also dann doch links. Nach kurzer Zeit kamen sie an einem Bolzplatz vorbei und spielten mit dem Lügendetektor Fußball. Sie verloren drei zu null und zerstörten die Maschine anschließend.
„Sagt mal,“, unterbrach Stan nach einiger Zeit die Ruhe, nachdem sie schon ein paar Horizonte weiter waren, „irgendwie ist dieses Feld groß und ziemlich leer.“
„Jo“, sagten Savid und Jack.
Alle drei nickten, blieben kurz stehen.
„Jack“, sagte Savid. „Du kannst froh sein, dass du nie Orangenhaut bekommen wirst.“
Es knallte kurz und der Kürbiskopf reagierte sich mit einigen böswilligen Worten ab. Savid flog gut einen Meter durch die Luft, aber das war es ihm wert gewesen. Es wäre ihm aber nicht wert gewesen zwei Meter weit zu fliegen, denn dann wäre er in ein ziemlich tiefes Loch gefallen. Er klammerte sich am Rand der Klippe fest und sah nach unten, es ging weit über vierzig Meter in die Tiefe. Hier standen einige Kräne herum und unten saßen ein paar Monster im Kreis zusammen und rauchten überdimensionale Teerstängel. Das würde wohl der Bossraum werden.
Mit einem Blick durch den Talisman stellte er fest, dass sie genau in die Mitte der Schlucht mussten, wo mitten in der Luft einsam und allein eine Tür an einem Kran hing. Der Weg führte durch sie hindurch.
„Und jetzt?“, fragte Jack.
„Jetzt“, sagte Savid, „kommt der Moment, in dem wir alle unsere außergewöhnlichen Kräfte einsetzen werden.“
„Die da wären?“, hakte Jack nach.
„Stan – du musst mit deinem technischen Geschick die Kräne so hinstellen, dass wir über sie hinüber zur Tür kommen. Ich werde mit meiner Körperkraft dann von Kran zu Kran springen und die Tür öffnen. Jack – aus dir machen wir einen Salat zur Stärkung.“
Es knallte. Hätte Jack rot anlaufen können, er hätte es getan. Savids Gesicht war dank der Ohrfeigen schon rot.
„Es gibt aber ein Problem“, warf Stan ein. „Wir können nicht über den Boden der Baustelle gehen, weil dort Monster lauern, und von hier aus komme ich nicht an den Kran.“
„Ich habe da schon eine Idee ...“, flüsterte Jack und sah Savid grinsend an.
Einen Moment später hatte er ihn an den Beinen gepackt und wirbelte ihn im Kreis herum. Er war nicht der Techniker, aber er hatte eine gewisse maschinenlose Flugerfahrung.
Savid starrte nur mit großen Augen und ruderte wild mit den Armen, als die Welt um ihn herum sich immer schneller drehte – „Jetzt!“, schrie Stan – und er schließlich im hohen Bogen durch die Luft segelte. Geräuschvoll krachte er in die Führerkabine eines Krans, stand auf, sah, wie sich die Welt um ihn herum drehte und fiel wieder um, skurriler Weise an die Decke, da er die Oben-Unten-Orientierung verloren hatte.
Jack und Stan schüttelten sich die Hände.
Savid gewann schließlich sein Bewusstsein wieder, begab sich in die korrekte Schwerkraftrichtung und manövrierte den Kran langsam in Position, während er unfreundlich in Stans und Jacks Richtung gestikulierte. Die beiden wanken zurück und traten schließlich auf den Kran, krochen über ihn hinweg in Richtung der Führerkabine und erreichten sie. Der Kran hatte sich derweil um 180° gedreht und sie durften wieder zurückkriechen, Savid folgte, allerdings hielt er es für angemessener einfach aufrecht zu gehen, das ging auch wesentlich schneller.
Von hier oben hatten sie einen guten Überblick und nutzten das Ende des Krans als Aussichtsplattform. Dort, wo die Seile befestigt waren, die eigentlich Baumaterial heben sollten, setzten sie sich hin und genossen kurz den Ausblick auf das große braune Loch. Es war nicht schön, aber doch beeindruckend groß.
„Noch zwei weitere Kräne“, stellte Stan fest.
„Und diesmal schleudere ich dich nicht noch mal“, sagte Jack zu Savid.
„Weil du Angst um mich hast?“
„Weil ich stolpern und hinunterfallen könnte.“
Der nächste Kran war schon richtig ausgerichtet, aber leider viel zu hoch. Das Seil, an dem sie sich hätten hinaufziehen können, befand sich gut drei Meter über ihnen.
Stan bot eine Räuberleiter an.
„Eher werde ich Kürbis“, sagte Savid und kassierte einen bösen Seitenblick. Jack nahm Anlauf, sprang, trat Savid auf die Schultern und katapultierte sich weiter bis zum Seil. Während Savid mit dem Gesicht voran auf das Metall krachte, ließ Jack oben ein wenig Seil nach und sie kamen nach oben.
Das Spiel wurde wiederholt, der Kran gedreht und abermals standen sie am Ende der Hebeplattform dort oben. Die Monster unten waren bereits auf sie aufmerksam geworden und hatten eine riesige Auffangplane der Feuerwehr gespannt.
Der nächste und letzte Kran war abermals höher und zusätzlich noch ein wenig von ihnen entfernt. Jetzt wurde es brenzlig.
„Wir müssen etwas unternehmen“, sagte der Kürbismann entschieden.
„Halloween?“, fragte Savid – diesmal gelangten sie also durch einen Tritt weiter.
Der letzte Kran wurde gedreht und endete direkt an der mystischen Tür.
Stan klopfte und ein Mann öffnete. Es war jemand in einer Kutte, eine dunkle Person, sein Gesicht war nicht zu erahnen. Die drei schreckten zurück – sie alle hatten ihn in der Vision neulich gesehen.
„Jack“, sagte die Gestalt düster. „Deine Chance. Die Erfüllung deiner Träume.“
Jack schluckte, Savid sah verwirrt drein und Stan ging in Kampfhaltung – sie hatten alle drei verschiedene Visionen gehabt. Niemand kannte alle Teile des Puzzles.
„Jack“, sagte die Gestalt mit rauer Stimme. Sie nahm ein PullMoll zu sich, hüstelte verlegen und sprach klar weiter. „Ich werde dir einen neuen Kopf verschaffen – wenn du Savid hinunterstürzt. Deine Bestimmung, deine Vision ... tu es.“
Jack dachte kurz nach. „Ok.“
Er trat Savid gegen das Schienbein und schubste ihn dann in die Tiefen. Die dunkle Gestalt nickte, wandte sich ab und schloss die Tür hinter sich.
Jacks Kopf verschwand kurz in einem Nebel, es donnerte und sein wahres Ich kam zum Vorschein – eine Kastanie.
„Arschkarte“, sagte Stan und holte seinen Handspiegel hervor.
Jack zuckte mit den Schultern. „Das war es mir wert.“
„Savids Leben ist dir weniger wert als eine Kastanie? Du hast ihn umgebracht!“
„Nicht ich habe ihn umgebracht“, sagte Jack und sah nach unten. „Das machen die Monster.“
Stan schaute nach unten. In seiner Vision hatte er Savid beschützen müssen ... den Helden ... nur wie? Wie sollte er den Auserwählten von hier oben aus retten?

Savid landete in der Plane, die kurz zuvor losgelassen worden war. Die Monster lachten schelmisch und das größte unter ihnen trat hervor.
„Du bist also der Auserwählte?“, fragte es.
Savid sah kurz nach links und rechts. „Nein.“
„Doch.“
„Nein.“
„Doch.“
„Nein.“
„Nein.“
„Doch.“
Savid schlug sich die flache Hand gegen die Stirn.
„Dann wirst du jetzt umgenietet werden“, sagte das Monster. „Denn der Auserwählte ist zu gefährlich für dieses Projekt ... diesen Dungeon ... du verstehst?“
„Nein, aber ich glaube das spielt keine Rolle.“
Das Monster knackte mit den Finger.
„Sieh mal da oben“, sagte Savid.
Das Monster lachte nur, schüttelte sachte den Kopf und wurde dann von Stans Schuh erschlagen. Savid griff sich das Leder, das von oben gekommen war, und rannte dann zum Fuße des Krans, kletterte die Leiter daran hoch und erreichte schließlich Jack und Stan, letzterer zog seinen Schuh wieder an. Savid starrte Jack an.
Da standen sie nun also mit erfüllten Bestimmungen.
„Joah ...“, murmelte Stan. „Das war mal spektakulär. Wann gibt´s Essen?“
Savid starrte immer noch den Kastanienkopf an und bewegte stumm die Lippen.
Jack sah ihn eindringlich an. „Du wirst es nicht sagen ...“
Savid starrte immer noch den Kastanienkopf an und öffnete seinen Mund schon weiter.
Jack starrte zurück. „Du wirst es nicht sagen!“
„Du hast kastanienbraune Augen.“
Jacks Hand zitterte. Savid am ganze Körper.
Seine Lippen bewegten sich weiter stumm. Dann kam es heraus.
„Wenn wir noch mehr Kastanienköpfe und Zahnstocher ...“

Die Monster unten saßen wieder im Kreis.
Es knallte laut und sie hielten sich die Ohren zu, drei sahen auf.
„Ist es ein Überschallflugzeug?“, fragte das erste verwirrt.
„Ist es Dynamit?“, fragte das zweite skeptisch.
Das dritte Monster gab Entwarnung. „Es sind Jack und Savid.“

Kapitel XIII.​

Verzweigte Schicksalswege

„Na dann.“ Stan holte tief Luft und legte die Hand auf die Türklinke. „Wohin auch immer diese Tür führt – der gelbe Pfad lenkt uns da hinein. Seid ihr bereit mir zu folgen, zum Gipfel ewiger Qual, zum Tal allen Schreckens, ja, selbst zum Meer der verstorbenen Seelen?“
Savid schlug die Tür auf und sprang hinein. Furchtlos folgte Jack mit ernster Miene.
„Kommst Du?“
Empört verschränkte Stan die Arme.
„Entschuldigt mich, aber da versuche ich einmal Spannung aufzubauen und Dramatik zu erzeugen und schon zerstört ihr alles. Schämt ihr euch denn nicht?“
„Nein.“
Eine Hand packte Stans Schal und zerrte ihn durch die Tür. Schreiend schloss sie sich hinter ihm und Stan fand sich in einem dunklem Raum wieder.
„Wo sind wir hier?“, fragte er leicht verängstigt und rückte seinen Schal zurecht.
„Hey, lass meinen Ärmel los“, ärgerte sich Savid.
Stan klopfe ihm auf die Schulter. „Entschuldigung.“
„Und hör auf meinen Hinterkopf zu betatschen.“ Jack schlug Stans Hand weg.
Savid räusperte sich und wiederholte Stans Frage. „Wo sind wir hier?“
Jack sah sich in der pechschwarzen Finsternis um.
„Soso, es ist also dunkel“, mutmaßte er und dreht seinen Kastanienkopf. „Und wir können absolut nichts erkennen.“
„So ist es“, pflichtete ihm Stan bei.
„Also“, sagte Jack, „habe ich keine Ahnung wo wir sein könnten.“
„Ich könnte es wissen, aber ich bräuchte gebratene Maronen um meiner Sehkraft auf die Sprünge zu helfen“, sagte Savid.
Es knallte laut und plötzlich erwachte der Raum zum Leben.
Beeindruckt und verwirrt zugleich betrachteten Stan, Jack und Savid wie sich tausende von Kerzen entzündeten und entlang einer Spiraltreppe den Weg erleuchteten. Moosbewachsene Stufen standen aus der Steinwand hervor und führten zu einer weiteren Tür, die weit über ihnen auf einem goldenem Balkon thronte, wie ein riesiger Brunnen mitten im Nirgendwo. Die Decke über ihnen wölbte sich und ließ aus ihrer Mitte einen gigantischen Stalaktiten herunterhängen. Gespenstische Schreie hallten durch den Raum.
Savid schluckte schwer und drehte sich zu seinen Kameraden um.
„Lasst uns gehen, ja? Hier ist es unheimlich ...“ Er stolperte zurück und wollte durch die Tür steigen, doch sie war verschwunden.
Stan rückte seine Fliegerbrille zurecht und legte seine Hand fürsorglich auf Savids Schulter. Er drehte sich mit Angst im Gesicht und immer noch geschwollener Backe um.
„Tu sofort die Hand da weg, ich hab da immer noch einen blauen Fleck vom Sturz.“
Stan nickte und tat wie gewünscht.
„Da rauf, ja?“ Jack zeigte hoch hinauf. Begleitet von gequälten Schreien wanderte sein Fingerzeig zum goldenem Balkon. Es schien, als würde er eine eigene Lichtquelle bilden.
„So ist es“, murmelte Stan mit einem kontrollierendem Blick durch den Talisman.
Und so schritten die drei zu dem Fuße der langen Treppe. Ihre hallenden Schritte vermischten sich mit den Schreien der Menschen, die einbetoniert in den Wänden nach ihnen griffen. Ängstlich drängte sich Savid freiwillig ans Innere der Treppe, obwohl diese kein Geländer hatte und er deswegen nach drei Stufen hinunterfiel, bis ihn Stan an die Wandseite drängte und Jack vorließ.
Sie schafften es problemlos bis zur Hälfte der Treppe, doch da packte plötzlich eine der gepeinigten Opfer des Schicksals Savids Hand und zerrte daran.
„Wärme ... Wärme ...“
„Hilfe!“, brüllte Savid und versuchte sich loszureißen – vergebens. Er spürte regelrecht wie ihm die Gestalt die Körperwärme entzog.
„Hilfe... dieses Monster will meine Seele...“
„Wärme... Wärme...“
Panisch sackte er auf die Knie hinab und begann die greifende Hand der gesichtlosen Kreatur zu zerkratzen. Diese stöhne erneut gierig auf und der fleischige Klumpe an der Stelle, an der eigentlich das Gesicht sein sollte bebte.
„Wärme... sofort...“
Jack blieb stehen und drehte sich um.
Savid bangte um sein Leben und Stan versuchte ihm zu helfen und hämmerte unaufhörlich auf die grässliche Krallenhand am Handgelenk.
„So hilf uns doch“, stöhnte Stan und hieb immer wieder auf die Hand ein, die Savid umklammert hielt.
Savids Augäpfel verdrehten sich langsam nach oben. Wäre es eine passende Situation, hätte nun Jack gesagt, er sähe aus wie ein zermatschter Thunfischsalat, doch stattdessen ging er einfach zu seinem Freund und verpasste ihm eine Ohrfeige. Stöhnend sackte Savid zusammen und die Gestalt in der Wand löste sich auf.
„Du brauchst hier keine Angst zu haben. Oder sagen wir besser: Du darfst keine Angst haben. Das sind hier alles Illusionen, genau wie der Nussknacker dort drüben.“
Jack half Savid wieder auf die Beine. Zitternd bedankte er sich.
„Du darfst nicht in deiner Furcht aufgehen, sonst stirbst du daran.“
„Er hatte also Angst vor etwas, was gar nicht da ist?“, fragte Stan verwirrt.
„So ist es“, sagte Jack und schlug einer weiteren Gestalt in der Wand auf den Kopf. Sie löste sich stöhnend auf.
„Ihr habt zu sehr an sie geglaubt. Ihr habt euch die Gestalt so real vorgestellt, als wäre sie wirklich da, doch in Wirklichkeit habt ihr nur in die Luft geschlagen.“
Savid ächzte und betrachtete seine Unterarme. Lange Kratzer zierten seine Haut.
„Und Du hast Dich selbst verletzt, Savid“, murmelte Jack und wandte sich wieder ab.
Stan stütze Savid und sie folgten Jack weiter die Treppe hinauf, vorbei an zehnäugigen Spinnen, klappernden Nussknackern mit Kürbissen in der Hand und vorbei an schreienden Menschen in der Wand. Jack erreichte als erstes den goldenen Balkon.
„Kommt ihr?“ Genervt tippte er mit den Finger am Geländer herum. Plötzlich durchzog ein grauenhaftes Raunen die Halle und ein knochenberstendes Knacken ertönte.
Die Stufen in den Wänden begannen einzubrechen.
Stan, der mit Savid noch einige Meter zum rettendem Balkon hatte, drehte sich erschreckt um. Wie eine gierige Kraft kam die Woge des Einsturzes immer näher an sie heran.
„Oh mein ...“ Erschrocken blieb Savid an der Stelle stehen und blickte auf die leckende Welle.
„Lauf!“, schrie Stan und begann bereits in Richtung Jack zu laufen. Dieser hatte bereits die Holztür geöffnet und winkte ihnen zu sich zu beeilen.
„Verdammt, lauf endlich!“, befahl Stan, der auf den goldenen Balkon sprang und zu der Tür schritt.
Jetzt erwachte auch Savid und begann rückwärts hinaufzustolpern. Nicht mehr lange und er würde mit den Steinstufen hinabstürzen. Panisch drehte er sich um und rannte nach oben.
„Schneller!“, schrie Stan. Jack ging bereits durch die Tür.
Savid blickte immer wieder über die Schulter. Nur noch einige Meter trennten ihn von den herabfallenden Stufen. Erneut preschte er los.
„Nur noch einige Stufen“, rief er sich selbst zu. Stan blickte bleich auf den heraneilenden Savid und drehte sich schließlich zur Tür. Auch er verschwand.
Das Krachen wurde immer lauter. Der goldene Balkon begann zu wackeln und zu beben.
„Verflucht!“
Savid sprang aus ganzer Kraft einige Stufen hinauf und landete auf dem Balkon. Die Steintreppen hinter ihm krachten zusammen.
„Gerettet.“
Da löste sich die Halterung des Balkons und er begann in die Tiefe zu stürzen. Aus purem Instinkt heraus sprang Savid mit geschlossenen Augen durch den sicheren Türrahmen und stürzte in eine Flut hellen Lichtes.
Stille.
Kein Raunen. Kein Krachen.
War er tot?
Langsam gewöhnten sich seine Augen an das helle Sonnenlicht und er erkannte Jack und Stan über sich gebeugt.
„Alles in Ordnung?“
„Nur ein bisschen Hunger auf Kastanien, aber so...“
Jack half Savid auf sehr freundschaftliche Art auf die Beine und schenkte ihm sogar einen passenden roten Fleck auf der anderen Backe.
Savid krachte gegen ein Geländer, das verhinderte, dass er einige Meter hinab fiel und auf dem Boden zersprang.
„Wow?“, fragte Savid unschlüssig, während er versuchte seine Umgebung in ein möglichst verständliches Wort zu fassen.
Es waren normale Häuser mit kleinen Kaminen auf den Dächern, die Sterne verqualmten und normale Menschen mit verschiedensten Kopfbedeckungen. Das tragen von extravaganten Hüten schien hier ein Modetrend zu sein. Es liefen Personen mit hohen Admiralskappen und Arbeitermützen herum, doch ebenso kleideten sich einige mit Nachttöpfen, Zeitungsschiffchen und anderen Gebrauchsgegenständen, die hier zweckentfremdet wurden.
„Hier fällst du mit deiner Kastanie wenigstens nicht auf“, bemerkte er beiläufig. Und hätte Jack nicht gerade einen überaus interessanten Riss im Boden beobachtet, dann hätte Savid bald mit einer Kriegsbemalung auftreten können.
Doch nicht das war es, was Savid in Staunen versetzte. Der Boden, auf dem die Häuser liefen und die Menschen standen war es.
Die Stadt, in der sie sich befanden, war auf vielen riesigen Blumenblüten erbaut worden, die mit einer gigantischen Kette mit der Erde verbunden waren. Die Pflanzen selbst waren hoch über den Wolken und schaukelten im Wind hin und her.
„Wir müssen durch ein Portal gegangen sein“, mutmaßte Stan.
„Oder die Treppe war einfach nur lang“, gab Savid seinen Senf hinzu, während das Trio die Stufen von der Tür, durch die sie gekommen waren, hinunterschritten.
„Es wird wohl ein Zwischending aus beidem gewesen sein.“
Sie schritten wieder auf den gelben Weg, der nun kongruent zu der Hauptstraße der Stadt Bronze verlief und folgten dem gelben Pfad. Nach einiger Zeit erreichten sie den Marktplatz, der gleichzeitig das Zentrum der Stadt Bronze darstellte, und lehnten sich an die Statue eines Helden der Zeit, wie die winzige Inschrift am Sockel Preis gab.
„Wohin denkst Du wird er uns führen?“, fragte Stan, der einen erneuten Blick durch den Talisman warf. Der gelbe Weg lief die Hauptstraße weiter hinunter.
„Weiß nicht“, warf Savid in die Runde. Das half ihnen zwar nicht, doch Savid fühlte sich bestätigt.
Jack jedoch starrte leer auf den Boden. Die beiden anderen würden noch lange unterwegs sein, immer dem gelben Pfad entlang, bis sie schließlich am Ziel ihrer Reise und Träume ankommen wären, doch seine Reise war zu Ende. Bis er seinen Kopf wieder hätte, würde er sie begleiten, sagte er damals in Grau. Und das hatte er nun. Doch die beiden anderen hatten sich während der Abenteuer, die sie bis hierher erlebt hatten in sein Herz geschlossen und ließen ihn weich werden. Sollte er sie doch weiter begleiten? Sollte er seinen Pakt brechen? Nein, nicht er, nicht der Prinz der Ungutigkeit.
„Hey!“, schrie plötzlich Savid und begann zu rennen. „Diesmal kriege ich Dich...“
„Hm?“ Stan schaute von dem Talisman auf und sah zu, wie Savid wie von der Tarantel gestochen die Hauptstraße weiter hinter einer Gestalt her lief.
„Was macht er da?“
Jack zuckte mit den Schultern.
„Weiß nicht.“
„Warte hier, ich muss nach, sonst stellt er noch etwas an“, rief Stan schon im Rennen und folgte seinem überhitzen Freund.

Keuchend blieb Savid stehen.
„Mist“, zischte er. Er hatte die Gestalt in Kutte bis hierher, einem Flugschiffhafen, verfolgt, doch nun war sie weg. Dabei war sie nur um eine Ecke gezischt.
„Verflixt!“ Savid schlug wütend gegen eine Kiste.
Genervt blickte er sich um. Und schon wieder ist ihm der Mann, der ihm bereits in Gelb begegnet war, verschwunden. Doch plötzlich sah er die Gestalt an der Reling eines auslaufenden Flugschiffes. Die Segel waren bereits gesetzt und der Laufsteg wurde bereits eingezogen. Der riesige Propeller hinten lief gerade an.
„Halt“, brüllte Savid aus Leibeskräften und sprang von einer Blüte auf die andere und stürmte zum Laufsteg. Das Schiff namens Silberschatz machte sich nichts aus den Worten des winkenden Mannes und wurde immer schneller.
Der Laufsteg war nun einige Meter von dem Steg, auf dem sich Savid befand, entfernt. Und dazwischen, darunter und sogar darüber war Luft, nicht mehr.
Aus voller Kraft sprang Savid so weit es ging von der Anlauframpe ab und flog durch die Luft.
„Alles oder nichts“, sagte er sich zu, während er scheppernd am Rande des Laufsteges zum Schiff landete.

Hustend blieb Stan stehen.
„Mist“, rief er an der gleichen Stelle wie sein Freund zuvor. Er hatte noch gesehen wie Savid die Anlauframpe entlang lief und auf den Laufsteg des Schiffes, das nun langsam aber sicher aus seiner Sicht im Blau des Himmels verschwand, gesprungen war.
„Verflucht“, brüllte Stan, „warum, Savid, warum?“
Hektisch kramte er den Talisman aus seiner Tasche und sah hindurch. Der gelbe Pfad ging bis hierher zum Hafen, doch rechtwinklig von der Flugroute des Silberschatzes nach links.
Traurig steckte Stan den Talisman wieder in die Tasche.
Was nun? War es das aus? Freund oder ewige Weisheit?
Mit gesenktem Blick und schwerem Herzen ging er zurück zu dem Marktplatz, an dem er Jack gelassen hatte. Doch die Statue, an der er warten sollte, war verlassen.
Und an der Stelle, an der Jack zuvor stand, stand nun ein Tschüss im Dreck geschrieben.
Eine Träne kullerte über die Wangen des alten Mannes, während er verzweifelt auf die Knie sank.

Kapitel XIV.​

Das Ende des Weges

Savid stand keuchend an Bord des Flugschiffes hoch über den Wolken zwischen all den riesigen Blüten dieser Welt. Ihm gegenüber stand die dunkle Gestalt, die sich erschrocken umdrehte und ihm entgegenstarrte, selbst unter ihrer Kapuze jedoch nicht zu erkennen war. Er hätte nicht hier sein sollen; doch Savid wollte Antworten. Was sollte all dieses Prophezeien damals in seiner Vision? Ging es tatsächlich nur darum aus einem Kürbiskopf einen Kastanienkopf zu machen, sollte das alles sein?
„Sag mir, was das soll!“, forderte Savid den Fremden laut auf.
„Das kann ich nicht“, sagte die Gestalt nur. „Geh, mein Sohn, wir sehen uns wieder.“
„Dein Sohn?“, rief Savid erzürnt. „Würde ein Vater seinen Sohn so behandeln? Hör mir zu, ich bin Savid Undnichtsweiter und will Antworten! Was soll das Theater?“
Die dunkle Gestalt ließ den Kopf sinken. „Irgendwann einmal wirst du es wissen.“
Sie streckte traurig ihren Arm aus und eine harte Windböe schoss los, Savid flog im hohen Bogen durch die Luft, prallte am Anleger auf dem nackten Stein auf, blieb liegen. Das Luftschiff segelte leise dahin und verschwand in der Ferne, der Fremde darauf wandte sich ab und war bald hinter einer Wolke verschwunden. Savid blieb allein liegen. Was nun?
Er würde niemals folgen können ...

Jack zog durch die Stadt der merkwürdigen Hüte, immer voran, Schritt für Schritt. Langsam ging die Sonne unter, kratzte den Wolkenhorizont bereits, die Hutträger wandelten weiter umher, er mitten hindurch, Schritt für Schritt. Abrupt blieb er stehen und bemerkte, dass er kein Ziel hatte. Seinen alten Kopf hatte er wieder, doch sonst? Was war da schon noch? All die Zeit wollte er seinen Kopf zurück haben, und nun, wo er ihn zurück hatte, wusste er nichts Gescheites damit anzustellen. Er ließ die Kastanie sinken und betrachtete den Boden. Langsam schob sich der Schatten einer Wolke über die große und flache Blüte, langsam verdeckte sie ihn. Eine Wolke? War er nicht über den Wolken gewesen? Mit einem Blick nach oben stellte er fest, dass es wohl noch höher gelegenere gab. Es ging noch weiter aufwärts, noch viel weiter. Doch wie?

Stan kniete auf dem Marktplatz, unbeachtet von den anderen, stets die Worte im Boden anstarrend. Ein schlichtes ‚Tschüss’. Wie sollte er Jack wiederfinden, in so einer großen Stadt? Wie sollte er Savid wiederfinden, in so einer großen Welt? Er war allein und würde es bleiben, so wie er damals in seinem Dorf der einsame Irre gewesen ist. Wieder würde er sich die wildesten Konstruktionen erdenken und wieder würde man ihn für seine Ideen verspotten. Wütend nahm er den Talisman und warf ihn gegen die Statue, griff sich mit seinen Händen um die Arme und sank endgültig zu Boden. Der Talisman zerbrach in tausend Stücke, die sich überall in der Luft verteilten. Stan sah kurz auf – es war vorbei, alles. Nicht nur seine Gefährten waren verschwunden, auch noch das Ziel war aus den Augen verloren. Die letzte Möglichkeit an das Ende des Weges zu gelangen war auf ewig zerstört, durch seine zittrige Hand.

Die Sonne überschritt die Wolkengrenze und es wurde dunkel, eine Welle von Dunkelheit verschlang die Stadt, immer weniger Menschen und Wesen wandelten auf den Straßen, bis sie plötzlich leer waren, bis plötzlich nur noch die Lichter einiger weniger Häuser schienen, bis nur noch drei einsame Menschen auf den Straßen waren. Die Sterne wurden nach und nach am Himmel sichtbar, die Sonne schien nur noch auf die hohe Wolke über Jack, die sanft rosa leuchtete, kaum sichtbar, wenn man nicht hinsah.

Savid stand langsam auf, er hatte lange gelegen, wusste nichts mehr zu tun und blieb stumm stehen, drehte sich in Richtung Stadt und starrte sie hoffnungsvoll an, hoffte auf Stan und Jack. Ein merkwürdiges Glitzern erfüllte die Luft, wie kleine Glasscherben wirbelten sie umher, die manchmal sanft goldgelb schienen. Er starrte den Boden an, hatte all seine Ziele und Freunde verloren.
Jack, der immer noch in den Straßen stand und wie betäubt die Wolke anstarrte, die nicht weichen wollte, stöhnte mit einem Mal. Vorhin noch hatte er sie loswerden wollen und nun sehnte er sich nach ihnen, seinen ... Freunden? Plötzlich bemerkte auch er den goldgelben Schimmer, die kleinen fliegenden Objekte, doch was sollte das sein? Waren es kleine Nachttiere oder war es gar nur glänzender Staub?
Stan starrte von seinen Knien aus die zerbrochene Hülle des Talismans an, deren Splitter allesamt verschwunden war. Er wusste, dass es mit dem gelben Weg nun vorbei war, doch das war ihm egal – er wollte einfach wieder mit Savid und Jack umherziehen, nicht mehr. Beim Aufsehen fielen auch ihm die Leuchtpünktchen auf.
Alle drei gingen in eine aufrechte Haltung und rätselten über die Glassplitter. Und sie fragten sich, ob sie ihre Freunde jemals wieder sehen würden. Die Glassplitter sammelten sich jeweils, fielen dann in langen Strecken zu Boden und färbten sich blau. Eine Straße, ein neuer Weg, der an ihren Füßen begann und ins Ungewisse führte.
Stan rannte los, ohne nachzudenken, Savid stolperte sofort dem Zeichen nach, ohne nur einen Gedanken an die Wundersamkeit zu verschwenden, Jack rannte erst fort, besann sich dann der Bedeutung des Symbols und machte auf der Sohle kehrt, dem Pfad folgend.
Durch die Nacht rannten drei unbekannte Gestalten, unbemerkt von der hiesigen Bevölkerung schlugen ihre Beine den Takt der Nacht auf der Blume Bronze, um schließlich festzustellen, dass der blaue Weg so abrupt enden sollte, wie er begann, um schließlich festzustellen, dass sie sich gegenüber standen.
Wortlos blickten sie sich an, die Tränen noch in den Augen. Wollten sie nicht reden? Sie hätten es wohl getan, wenn es nötig gewesen wäre ... doch sie wussten, jeder hier hatte gleiche Gedanken. Es musste weiter gehen. Die Splitter sammelten sich um sie herum und hafteten sich schließlich gleichmäßig an den Dreien fest, lösten sich dann auf. Der gelbe Weg wurde vor ihnen zuvor blinden Augen sichtbar. Sie brauchten den Talisman nicht mehr als Helfer, sie selbst waren nun Wegweiser. Aufblickend stellten sie fest, dass der Weg in wenigen Metern Entfernung endete.
Jack zog seine weißen Handschuhe mit den roten Sternen hoch, die schon löchrig waren, rückte seinen Kragen zurecht, zog Hose und Oberteil zurecht.
Stan rückte seine Pilotenbrille in Position, strich sich durch das Haar und zog Hemd und Hose gerade, klopfte sich auf die verkalkten Knochen.
Savid klopfte mit den Schuhspitzen auf den Boden, sodass der Dreck abfiel.
Gemeinsam gingen sie los, hinter den gelben Weg, drehten sich um. Hier war nichts, doch etwas stand dort in den Boden geschrieben, sie hatten ihr Ziel erreicht, die finale Botschaft. Sie hatten gefunden, wonach sie gesucht hatten.
‚Start’, stand auf den Steinen geschrieben.
Mit einem Lächeln auf den Lippen zogen sie los.

 
Zuletzt bearbeitet:

Eine typische Held-geht-auf-Wanderschaft-trift-alten-Kauz-und-sucht-Schatz Fantasygeschichte.
Hat mich an zeitweise an Terry Pratchett erinnert.
Ich hab erst die ersten drei Kappitel durch soweit war es ganz spannend... wenn auch noch eine menge Textarbeit zu machen ist. Du/Ihr solltete euch die Bedeutung einiger Vokabeln nochmal näher angucken und allgemein nochmal über den Text fliegen. Den Teilweise entstand die Komik nicht aus einer Situation oder einem Dialog heraus sondern schlicht aus einer falschen Vokabel oder einem unglücklichen Ausdruck...
Ich les mir den Rest bei Zeiten auch noch mal durch und schreib dann ein paar Vorschläge.
Ihr solltet euch allerdings nicht zu viele Hoffnung auf viele Kritiken machen, dafür ist das Ding defenitiv zu lang. Es ist ja schon fast ein kleiner Roman, ich bin mir nicht mal sicher ob hier eine Kurzgeschichte vorliegt oder eine Novelle...
Vielleicht solltete ihr das Ding unter www.online-roman.de stellen.
Mich überkommen doch starke Zweifel ob es sich bei dem vorliegenden Werk um eine Kurzgeschichte handelt. Aber das werde ich erst wissen wenn ich es komplett gelesen habe.
Textarbeit solltest du aber unbedingt nochmal machen.
Man liest sich
Nice

 

Hallo Farmer Fran und Snowsorrow,
wow, das ist ja ein ganz schönes Monster von Geschichte, das ihr uns hier zumutet. Also, wo fange ich an... am besten damit, zu sagen, dass der Stil nicht besonders mein Ding ist. Alles liest sich gut und flüssig, das ist ein großes Plus, aber für mich ist ein Widerspruch in der Tatsache, dass ihr aus der Perspektive der Protagonisten schreibt und sie gleichzeitig aus der Auktorialen durch den Kakao zieht, wie zum Beispiel in der Szene, wo ihr über Savid beim Tanzen schreibt.

Ich mag die Welt, die ist angemessen skurril, aber wirklich viel habe ich nicht zu sagen. Der Text liest sich gut, ihr solltet nur noch mal über dieses 3rd-Person-Lächerlichmachen nachdenken, finde ich.

gruß
vita
:bounce:

 

Also...
Ich hab mich durchgewühlt bis zum Schluss und bin der Meinung, es ist zwar eine kurze Geschichte, aber keine Kurzgeschichte.
Die Handlung und der Spannungsverlauf sind nicht wie bei einer Kurzgeschichte aufgebaut, sondern eher wie bei einer Novelle, von mir aus auch Roman (Bei den beiden seh ich das nicht so eng)

Zum Inhalt muss ich sagen, schaut dringend nochmal auf die Formulierungen und stutzt die Übertreibungen an einigen Stellen raus. Es wird nämlich spätestens ab Kapitel drei langweilig und vorhersehbar.
Das Ende hat mir überhaupt nicht gefallen, es lässt mich unbefridigt zurück. Es bedient weder eines der klasischen Klischees der Fantasy, noch ist es interessant. Ich hab das Gefühl, hier hatte jemand Angst einen Bandwurm zu schreiben und hat dann mal eben schnell nen Schluss rangeklatscht...

Einige Beispiele aus Kapitel I.

Savid, ein junger Mann, der wohl um die zwanzig Jahre alt sein mochte, kniete flehend im Matsch vor seiner einstigen Behausung, einer relativ großen und fein möblierten Holzhütte.
Behausung kommt für mich von hausen also abfällig wohnen
wirkt an dieser Stelle unpassend und liegt mir quer im Magen

Es donnerte, regnete in Strömen, doch trotzdem erlosch das Feuer nicht, das sein Haus langsam aber sicher auf die Grundmauern hin abnagte.
Zu gestelzt der Leser wird unaufmerksam und rutscht in ein "blabla-ichlabergernegeschwollen-blabla" Gefühl ab.
Davon sind unzählige Ungetüme in diesem Text versteckt. Ausmerzen, Fantasy hat mMn nichts mit einem schwülstigen unangenehmen Erzählstil zu tun.

Savid wusste nicht, was er tun sollte. Er lebte hier schon einige Zeit lang als Förster am Rande des Waldes, bis die Feuerwehr hier wäre würde es zu lange dauern.
Rumgelabber was man zusammenfassen und schöner machen kann

Es machte ihm geradezu Spaß.
Bei aller skurrilität(?) dieser Geschichte, aber dass sich jemand quasi freut das sein Haus abgebrannt ist und er sprichwörtlich vor dem Nichts steht ist so abgedroschen und unglaubwürdig, dass ich euch bitten möchte euch das nochmal an zugucken.

...war ein alter Mann, der auf einem Schwein ritt.
„Wenn ich über meine Großväter nachdenke, bekomme ich das dringende Bedürfnis auf einem Schwein zu reiten“
ganz witzig, aber für die weitere Geschichte uninterssant und gegenstandslos
Vorschlag streichen...

Na, ja einige der richtig dicken Dinger kommen erst in den späteren Kapiteln bzgl. falsche Vokabeln und so...
Also dringend überarbeiten und überlegen, ob dass ganze nicht besser auf einer anderen Seite aufgehoben ist, weil ich glaube dass es sich wie gesagt nicht um eine Kurzgeschichte handelt...
Trotz allem hab ich sehr gelacht an manchen Stellen und wisch' mir ein paar Lachtränen aus den Augen.
Ach ja, mein Vergleich mit "Terry Pratchett" möchte ich zurück ziehen. Ist doch eher eine LotW-Komik!

 

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