Spiegelschlaf
Ihr Atem streift über meine Haut. Ihre Lippen berühren mich. Ihr Körper liegt auf mir, an mich gepresst. Ihr Geruch ist von Boudoir überdeckt. Wie ich dieses Parfum liebe. Sie schmeckt undefinierbar, aber gut.
Ich öffne meine Augen. Der Spiegel an der Decke wirft unser Bild zurück zu mir. Es ist merkwürdig, aber er lässt einen die Welt aus einem anderen Blickwinkel betrachten, den ich ohne ihn nicht hätte. Und sie ist unglaublich. Eine dieser Sünden, die mich fühlen lässt, dass ich lebe. Von hinten wie von vorne.
Ihr Körper ist braungebrannt, durchtrainiert, makellos. Ein Bikiniabdruck zeichnet sich ab. Sieht er bei andere billig aus, ist er bei ihr anregend. Ihre kastanienbraunen Haare glänzen leicht in der untergehenden Sonne. Ihr rundlicher Po bewegt sich kreisend auf mir. Ich kann es im Spiegel beobachten und wenn mich nichts erregt, dann das.
Sie richtet sich auf. Ich kann dadurch nicht mehr in den Spiegel sehen. Ihre blauen Augen blicken mich begierig an, beenden ein kurzes Vorspiel und führen mit einem Stöhnen in den ersten Akt ein. In Momenten wie diesen kann ich alles um mich herum vergessen. Es verblasst. Ich schmecke ihren Schweiß, spüre ihre Zähne in meinem Fleisch. Es folgten zwei weitere Akte. Sie ist eine unglaubliche Frau. So selbstsicher, mit völliger Hingabe und gleichzeitig, so verletzlich. Es gibt weniges, das besser ist als Sex mit ihr. Ich hätte gern noch weitergemacht, um nicht zurückzumüssen, aber merke wie es ihr reicht.
„Ich liebe dich“, sagt sie später. Ich blicke sie durch den Spiegel an und grinse.
Sie schmiegt sich an mich. Ein Arm hat sie um mich geschlungen. Bei ihr kann man bis zehn zählen und bei drei ist sie schon eingeschlafen.
Wie gern würde ich das auch. Ein Schauer an unendlicher Müdigkeit überkommt mich. Aber ich schaffe es einfach nicht – wie immer. Noch nich. Mit einem Anflug von Wehmütigkeit öffne ich meine Augen wieder.
Eine Frau blickt mir aus dem Spiegel entgegen. Sie lächelt. Es dauert einen Moment, dann lächle ich zurück. Strecke eine Hand in Richtung des Spiegels aus und würde sie doch nie berühren können, auch wenn sie immer dort sein wird. Wie lange habe ich versucht, von ihr loszukommen.
„Ich dich nicht“, flüstere ich leise. Die Worte hallen in meinem Kopf nach. Die Person im Spiegel lächelt immer noch. Wie das erste Mal. Irgendwann einmal habe ich geglaubt, dass es mich nicht mehr berühren würde, aber das ist Schwachsinn. Manche Dinge ändern sich eben nie. Kleine Grübchen haben sich um ihren Mund gebildet. Sommersprossen umrahmen eine kleine Stupsnase. Braune Augen strahlen mich warm an.
Man würde nicht sagen, sie wäre klassisch schön. Aber für mich hat sie etwas Unbeschreibliches, etwas Perfektes. Beinahe meine ich, ihren Geruch zu vernehmen, der sie innerhalb eines Augenblickes besser als alles beschreiben kann. Das Boudoir wirkt dagegen wie ein billiger Abklatsch, so unlebendig.
Das Lächeln ist aus meinem Gesicht gewichen. Was ich habe, will ich nicht und was ich will, werde ich nie mehr haben. Wie sollte man damit weiterleben können? Warum ist Liebe immer nur so essentiell? Möglicherweise wäre es besser gewesen, ich hätte sie nie kennengelernt. Dann hätte ich nie gewußt, wie es sein könnte, würde es nie vermissen und wäre glücklich. Dabei gibt es doch soviel anderes noch im Leben – sollte man meinen. Aber dieses Leben an der Oberfläche, was ist das auf die Dauer wert?
Einen kurzen Moment wird mir schwarz vor Augen.
So geht es also zu Ende, denke ich. Noch einmal den Sex gehabt, die Welt an der Oberfläche gekostet. Noch einmal sie gesehen. Könnte man sich etwas besseres vorstellen?
Beinahe amüsiert mich die Umstand. Ist es nicht eines der größten Wunder dieser Zeit? Schlaf, in Massen produziert und so billig. Eigentlich das Spiegelbild einer Gesellschaft, die vor sich selbst flüchtet. In der Illusion, Zuflucht finden zu können. Sinnlos, außer es soll die Ewigkeit mit einbeziehen.
Sie lächelt mich immer noch an. So nah und doch unerreichbar. Ich lächle zurück und warte, dass es eintritt. Ich kann nichts mehr falsch machen, die letzte Sünde ist begangen. Die erste hat mir das Leben geschenkt, die letzte würde es mir wieder nehmen. Irgendwie ein beruhigendes Gefühl, sehr beruhigend. Und ich merke, ich habe tatsächlich damit abgeschlossen.
Noch einmal schaue ich aus dem Fenster. Die Sonne ist zu einem Feuerball geworden, der mein Zimmer in ein rötliches Licht taucht. Auch sie geht unter. Doch wird sie wiederkommen. Ich auch? An einem anderen Ort? Mit ihr?
Ich blicke zurück in den Spiegel. Sie ist noch dort und wartet. Ich versuche ein letztes Mal ihr Gesicht in alle Einzelheiten zu studieren, ihre Augen, ihre Lippen, sie. Ich liebe dich, flüstere ich.