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Spiel mit der Angst
Mein kleiner, grüner Kaktus stand mutig und aufrecht im Sand. Noch hatte er nicht die kleinste Vorahnung, dass er bald in ganz erheblichen Schwierigkeiten stecken würde. Der Rand seiner Wüstenei verlief sich in mannshohen Sträuchern und lichtlosem Dickicht, nur nach Norden hin ragte eine mächtige Düne über das Schlachtfeld.
Kleidsam in Schlamm und Olivgrün getarnt, lag ich bäuchlings auf der Erde und schob mich Zentimeter für Zentimeter näher heran. In meinen Augenwinkeln machte sich die Besonnenheit in der Ruhe vor dem Sturm aus dem Staub. Kein Wunder bei der Hitze. Der Geheimdienst hatte saubere Arbeit geleistet. Ich wusste, Operation Edwin stand unmittelbar bevor.
Gierig nach Beute lauerten zwei Nadelgestreifte auf einem Felsen hoch über den Ebenen in der Sonne. Der Erste, ein Alter mit buschigen Augenbrauen, hob langsam den Kopf und pfiff nur einmal kurz durch die Zähne. Plötzlich stahl sich ein eroberndes Lachen in die Stille, die verführerische Muse der Tapferkeit marschierte auf´s Feld. 90-60-90 spärlich verhüllt von unschuldiger Seide. Selbstverliebt rieb sie ihre uniformen Spindmaße im 4/4-Takt an den Panzerrohren und bezirzte Freund und Feind mit dem Lied vom gerechten Krieg. God´s Army keeps marching along. Zum Abschied sprach der Präsident und trieb der Nation die kollektiven Tränen in die Augen. Anerkennend sagte der Junge mit den prominenten Zähnen: „Er ist perfekt. Sieh nur, wie er von den Kindern Besitz ergreift. Wortlos nehmen sie Haltung an und salutieren ihren Vätern und Müttern, bevor sie in die Schlacht ziehen.“ Der Alte mit den buschigen Augenbrauen meinte gutgelaunt: „Ja, der Präsident war eine gute Wahl. Ein wirklicher Gewinn für uns. Er glaubt an das, was er sagt, deshalb lieben sie ihn.“
Sand rieselte vom Dünenkamm, erst zögerlich, dann in immer gewaltigeren Lawinen, der Vormarsch der gegnerischen Panzerreihen hatte begonnen. Riesige Abrams rollten auf mich zu, der Feind begann seinen Angriff auf meine löchrigen Verteidigungslinien.
„Mama, darf man einfach so ein fremdes Land überfallen?“ Ich richtete mich auf und sah Max, seinen besten Freund Moritz und Edwin hinter der Sanddüne sitzen. Max war sieben und schwer bewaffnet. Edwin war ebenso groß wie Max und mein alter, brauner Teddybär. Jede Nacht kuschelten Max, Edwin und mindestens drei andere Bären in meinem Bett gegen die Ängste an. Ich liebte es, den warmen, verwundbaren Körper meines Sohnes neben mir kampflos atmen zu hören.
Am Tag spielten sie Krieg und Edwin trug mein einziges Salatsieb. Ich fragte mich, wie sie es geschafft hatten, diesem gemütlich dicken Pelztier einen Pistolengürtel um den Bauch zu schnallen. Unter dem Arm hielt er eine schwarze Maschinenpistole. Für den Kampf Mann gegen Mann.
„Aber Mama, warum hat der Präsident es trotzdem gemacht?“ Ich spürte die stechenden Blicke der mächtigen, unsichtbaren Drohne noch aus zehn Kilometern Entfernung. Ihre schwarz glänzenden Flügel waren über mir aufgespannt. Um mich kreisend, scannten die durchdringenden Augen jeden einzelnen meiner unbewachten Gedanken und ihr Tanz übersetzte den Nadelgestreiften die kaltheißen Wellen, die durch meinen Körper zuckten, als Kapitulation. Ich wusste, dieses gespenstische Insekt observierte nicht nur meine Emotionen. Ein riesiger Schwarm schwebte durch die Atmosphäre und rund um den Globus waren die Gefühlsempfänger der Medienlabore pausenlos im Einsatz. Qualifizierte Propagandisten mischten daraus die weltumspannende Botschaft des Terrors und schickten sie, in konzentrierte Gigabytes verpackt, in die Schützengräben der Kommunikation.
„Aber Frau Lutz, wenn die ganze Welt zusammenhält, dann hat die doch eine viel stärkere Armee?“ Die Koalition der Unerbittlichen war also vollzählig, Moritz griff mich an der rechten Flanke an. Er trug eine gefleckte Militärhose mit Marmeladespuren und Grasflecken am Knie. Über das Gesicht hatte er sich einen schwarzen Windschutz gezogen.
Im Gegensatz zum Rest der Welt waren Max und Moritz sich einig. Dieses Gefecht wollten sie gewinnen. Im Planschbecken schlingerte mein silbernes Flugzeugträgertablett auf den Wellen, die mobile Basis für das Jagdbombergeschwader. Die gewaltigen Triebwerke tosten in meinem Bauch und brachten meine Erinnerung zum Vibrieren. Mach 2 war erreicht und ich wurde in eine Jugend, die einfach nur in Gut und Böse aufgeteilt war, zurückgebeamt. Die eine Hälfte von uns hielt das, was der anderen Hälfte die Inkarnation des Bösen war, entweder für gut oder für ein notwendiges Übel. Die Fronten waren eindeutig geklärt gewesen, ob es nun um Kapital, Franz-Josef Strauß, Pershings, Atomkraft, Nazis, Öl oder Che Guevara ging. Heute war es die Welt meines Kindes, in der es keine Graustufen gab, und ich suchte mühevoll die Antworten, die ihm die noch immer in mir schwelende Ohnmacht nehmen konnten.
„Mama, ich kauf mir ne Kalaschnikoff und bring den Präsidenten um.“ Aha, jetzt kamen die schweren Geschütze. Auge um Auge, Zahn um Zahn. Schnell suchte ich Deckung im schützenden Bunker, während über mir Massen vernichtender Tennisbälle meinen kleinen, grünen Kaktus unter Beschuss nahmen. Seine Schieflage wuchs mit dem Gelächter von Max und Moritz. Irgendwann streckte er die Waffen. Die Kinder bejubelten ihren leichten Sieg.
Mit einem beruhigenden Lächeln lockte mich die Weisheit aus meinem Versteck und ich beschloss, die weiße Fahne schwenkend, ihr das Feld zu überlassen. „Waffenstillstand, Jungs?“ Sofort kamen sie angerannt und durchwühlten mein Marschgepäck. Gummibärchen, Kekse, Orangensaft, Brezen und Apfelschnitze landeten in ihren ausgehungerten Bäuchen. Sie kauten und wir redeten über Gerechtigkeit, das Recht auf Leben und das Unrecht des Tötens. Während sie die Erdnussflips leerfutterten, tauschten Max und Moritz ihr Wissen über Gaskammern, Giftspritzen und Guillotinen aus.
Die Friedensverhandlungen waren erfolgreich gewesen. Ich schickte meine Anspannung in die Wüste, legte mich zufrieden auf die warme Erde und sah der wundersamen Verwandlung der Kindersoldaten zu. Uniformen und Waffen flogen ins Gras, das Tablett war plötzlich wieder nur ein Tablett, die Tennisbälle waren einfach nur Tennisbälle. Ausgelassen tobten zwei kleine Jungen, nur mit ihrer Unschuld bekleidet, im Wasser. Der Garten war bis auf eine verlassene Stelle plötzlich lichtdurchflutet und bunt. Ganz langsam stand ich auf und wollte meinem alten braunen Bären die Maschinenpistole abnehmen, aber der Einsatz war noch nicht beendet.
„Mama, wenn der Hitler noch leben würde und du würdest ihm gegenüberstehen, würdest du ihn dann umbringen?“
Seelenruhig saßen die zwei Nadelgestreiften in tiefen Ledersesseln und schwenkten edle Gedanken über die Freiheit in bauchigen Gläsern. Sie waren unter sich. Erlesener, französischer Cognac leuchtete im Schein des Kaminfeuers, während Platon, Marx, Locke und Macchiavelli ihnen ohne Widerspruch in den hohen Regalen Gesellschaft leisteten. Der Alte mit den buschigen Augenbrauen war immer gründlich gewesen und hatte die Kunst des scheinbaren Arguments wie kaum ein anderer perfektioniert. Ein wahrer Meister seines Faches, hatte er sein süß schmeckendes Gedankengift unmerklich in die Nervenbahnen, Gehirne und Herzen der Menschen eingeschleust, die nun fähnchenschwenkend die Särge der toten Soldaten empfingen. Eine millionenköpfige Hydra lag bereit, erfüllt von eiferndem Pathos und er wusste, dass sein Kopf nicht mehr unersetzlich war. Der Junge mit den prominenten Zähnen war sein bester Schüler gewesen. Er liebte ihn wie einen Sohn. „Es ging mir nie um Geld, mein Junge.“
„Mama, wann kommt der dritte Weltkrieg zu uns?“ Max, Edwin, der Schlenkerbär, der kleine Bär mit dem rotgrün gestreiften Pullover und ich lagen unter meiner Decke eng aneinander gekuschelt. Max hatte Kinderlieder seltsamerweise nie gemocht.
Schlaf Kindlein, schlaf, dein Vater hüt´ die Schaf, dein Mutter schüttelt´s Bäumelein, herab, da fällt ein Träumelein. Flieg, Maikäfer, flieg, dein Vater ist im Krieg.