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Spiel mit der Angst

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15.12.2006
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Spiel mit der Angst

Mein kleiner, grüner Kaktus stand mutig und aufrecht im Sand. Noch hatte er nicht die kleinste Vorahnung, dass er bald in ganz erheblichen Schwierigkeiten stecken würde. Der Rand seiner Wüstenei verlief sich in mannshohen Sträuchern und lichtlosem Dickicht, nur nach Norden hin ragte eine mächtige Düne über das Schlachtfeld.

Kleidsam in Schlamm und Olivgrün getarnt, lag ich bäuchlings auf der Erde und schob mich Zentimeter für Zentimeter näher heran. In meinen Augenwinkeln machte sich die Besonnenheit in der Ruhe vor dem Sturm aus dem Staub. Kein Wunder bei der Hitze. Der Geheimdienst hatte saubere Arbeit geleistet. Ich wusste, Operation Edwin stand unmittelbar bevor.

Gierig nach Beute lauerten zwei Nadelgestreifte auf einem Felsen hoch über den Ebenen in der Sonne. Der Erste, ein Alter mit buschigen Augenbrauen, hob langsam den Kopf und pfiff nur einmal kurz durch die Zähne. Plötzlich stahl sich ein eroberndes Lachen in die Stille, die verführerische Muse der Tapferkeit marschierte auf´s Feld. 90-60-90 spärlich verhüllt von unschuldiger Seide. Selbstverliebt rieb sie ihre uniformen Spindmaße im 4/4-Takt an den Panzerrohren und bezirzte Freund und Feind mit dem Lied vom gerechten Krieg. God´s Army keeps marching along. Zum Abschied sprach der Präsident und trieb der Nation die kollektiven Tränen in die Augen. Anerkennend sagte der Junge mit den prominenten Zähnen: „Er ist perfekt. Sieh nur, wie er von den Kindern Besitz ergreift. Wortlos nehmen sie Haltung an und salutieren ihren Vätern und Müttern, bevor sie in die Schlacht ziehen.“ Der Alte mit den buschigen Augenbrauen meinte gutgelaunt: „Ja, der Präsident war eine gute Wahl. Ein wirklicher Gewinn für uns. Er glaubt an das, was er sagt, deshalb lieben sie ihn.“

Sand rieselte vom Dünenkamm, erst zögerlich, dann in immer gewaltigeren Lawinen, der Vormarsch der gegnerischen Panzerreihen hatte begonnen. Riesige Abrams rollten auf mich zu, der Feind begann seinen Angriff auf meine löchrigen Verteidigungslinien.

„Mama, darf man einfach so ein fremdes Land überfallen?“ Ich richtete mich auf und sah Max, seinen besten Freund Moritz und Edwin hinter der Sanddüne sitzen. Max war sieben und schwer bewaffnet. Edwin war ebenso groß wie Max und mein alter, brauner Teddybär. Jede Nacht kuschelten Max, Edwin und mindestens drei andere Bären in meinem Bett gegen die Ängste an. Ich liebte es, den warmen, verwundbaren Körper meines Sohnes neben mir kampflos atmen zu hören.

Am Tag spielten sie Krieg und Edwin trug mein einziges Salatsieb. Ich fragte mich, wie sie es geschafft hatten, diesem gemütlich dicken Pelztier einen Pistolengürtel um den Bauch zu schnallen. Unter dem Arm hielt er eine schwarze Maschinenpistole. Für den Kampf Mann gegen Mann.

„Aber Mama, warum hat der Präsident es trotzdem gemacht?“ Ich spürte die stechenden Blicke der mächtigen, unsichtbaren Drohne noch aus zehn Kilometern Entfernung. Ihre schwarz glänzenden Flügel waren über mir aufgespannt. Um mich kreisend, scannten die durchdringenden Augen jeden einzelnen meiner unbewachten Gedanken und ihr Tanz übersetzte den Nadelgestreiften die kaltheißen Wellen, die durch meinen Körper zuckten, als Kapitulation. Ich wusste, dieses gespenstische Insekt observierte nicht nur meine Emotionen. Ein riesiger Schwarm schwebte durch die Atmosphäre und rund um den Globus waren die Gefühlsempfänger der Medienlabore pausenlos im Einsatz. Qualifizierte Propagandisten mischten daraus die weltumspannende Botschaft des Terrors und schickten sie, in konzentrierte Gigabytes verpackt, in die Schützengräben der Kommunikation.

„Aber Frau Lutz, wenn die ganze Welt zusammenhält, dann hat die doch eine viel stärkere Armee?“ Die Koalition der Unerbittlichen war also vollzählig, Moritz griff mich an der rechten Flanke an. Er trug eine gefleckte Militärhose mit Marmeladespuren und Grasflecken am Knie. Über das Gesicht hatte er sich einen schwarzen Windschutz gezogen.

Im Gegensatz zum Rest der Welt waren Max und Moritz sich einig. Dieses Gefecht wollten sie gewinnen. Im Planschbecken schlingerte mein silbernes Flugzeugträgertablett auf den Wellen, die mobile Basis für das Jagdbombergeschwader. Die gewaltigen Triebwerke tosten in meinem Bauch und brachten meine Erinnerung zum Vibrieren. Mach 2 war erreicht und ich wurde in eine Jugend, die einfach nur in Gut und Böse aufgeteilt war, zurückgebeamt. Die eine Hälfte von uns hielt das, was der anderen Hälfte die Inkarnation des Bösen war, entweder für gut oder für ein notwendiges Übel. Die Fronten waren eindeutig geklärt gewesen, ob es nun um Kapital, Franz-Josef Strauß, Pershings, Atomkraft, Nazis, Öl oder Che Guevara ging. Heute war es die Welt meines Kindes, in der es keine Graustufen gab, und ich suchte mühevoll die Antworten, die ihm die noch immer in mir schwelende Ohnmacht nehmen konnten.

„Mama, ich kauf mir ne Kalaschnikoff und bring den Präsidenten um.“ Aha, jetzt kamen die schweren Geschütze. Auge um Auge, Zahn um Zahn. Schnell suchte ich Deckung im schützenden Bunker, während über mir Massen vernichtender Tennisbälle meinen kleinen, grünen Kaktus unter Beschuss nahmen. Seine Schieflage wuchs mit dem Gelächter von Max und Moritz. Irgendwann streckte er die Waffen. Die Kinder bejubelten ihren leichten Sieg.

Mit einem beruhigenden Lächeln lockte mich die Weisheit aus meinem Versteck und ich beschloss, die weiße Fahne schwenkend, ihr das Feld zu überlassen. „Waffenstillstand, Jungs?“ Sofort kamen sie angerannt und durchwühlten mein Marschgepäck. Gummibärchen, Kekse, Orangensaft, Brezen und Apfelschnitze landeten in ihren ausgehungerten Bäuchen. Sie kauten und wir redeten über Gerechtigkeit, das Recht auf Leben und das Unrecht des Tötens. Während sie die Erdnussflips leerfutterten, tauschten Max und Moritz ihr Wissen über Gaskammern, Giftspritzen und Guillotinen aus.

Die Friedensverhandlungen waren erfolgreich gewesen. Ich schickte meine Anspannung in die Wüste, legte mich zufrieden auf die warme Erde und sah der wundersamen Verwandlung der Kindersoldaten zu. Uniformen und Waffen flogen ins Gras, das Tablett war plötzlich wieder nur ein Tablett, die Tennisbälle waren einfach nur Tennisbälle. Ausgelassen tobten zwei kleine Jungen, nur mit ihrer Unschuld bekleidet, im Wasser. Der Garten war bis auf eine verlassene Stelle plötzlich lichtdurchflutet und bunt. Ganz langsam stand ich auf und wollte meinem alten braunen Bären die Maschinenpistole abnehmen, aber der Einsatz war noch nicht beendet.

„Mama, wenn der Hitler noch leben würde und du würdest ihm gegenüberstehen, würdest du ihn dann umbringen?“

Seelenruhig saßen die zwei Nadelgestreiften in tiefen Ledersesseln und schwenkten edle Gedanken über die Freiheit in bauchigen Gläsern. Sie waren unter sich. Erlesener, französischer Cognac leuchtete im Schein des Kaminfeuers, während Platon, Marx, Locke und Macchiavelli ihnen ohne Widerspruch in den hohen Regalen Gesellschaft leisteten. Der Alte mit den buschigen Augenbrauen war immer gründlich gewesen und hatte die Kunst des scheinbaren Arguments wie kaum ein anderer perfektioniert. Ein wahrer Meister seines Faches, hatte er sein süß schmeckendes Gedankengift unmerklich in die Nervenbahnen, Gehirne und Herzen der Menschen eingeschleust, die nun fähnchenschwenkend die Särge der toten Soldaten empfingen. Eine millionenköpfige Hydra lag bereit, erfüllt von eiferndem Pathos und er wusste, dass sein Kopf nicht mehr unersetzlich war. Der Junge mit den prominenten Zähnen war sein bester Schüler gewesen. Er liebte ihn wie einen Sohn. „Es ging mir nie um Geld, mein Junge.“

„Mama, wann kommt der dritte Weltkrieg zu uns?“ Max, Edwin, der Schlenkerbär, der kleine Bär mit dem rotgrün gestreiften Pullover und ich lagen unter meiner Decke eng aneinander gekuschelt. Max hatte Kinderlieder seltsamerweise nie gemocht.

Schlaf Kindlein, schlaf, dein Vater hüt´ die Schaf, dein Mutter schüttelt´s Bäumelein, herab, da fällt ein Träumelein. Flieg, Maikäfer, flieg, dein Vater ist im Krieg.

 

melisane schrieb:
Dies ist keine kindliche Frage, sondern die Frage eines Kindes. Weshalb ist sie falsch gestellt?
Zur Erinnerung, melisane, die Frage lautet:
„Mama, wenn der Hitler noch leben würde und du würdest ihm gegenüberstehen, würdest du ihn dann umbringen?“
Das Kind weiß offensichtlich, wer Hitler war bzw. was er getan hatte, und fragt jetzt die Mutter, ob sie Hitler tötete, wenn der heute noch leben würde. So klingt die Frage und so klingt sie falsch, gleichgültig, ob sie wirklich so gestellt worden ist.


melisane schrieb:
Die entsprechende Antwort der Mutter ist in meiner Geschichte mit dem Bild der Hydra durchaus thematisiert.
Ja, nur sind die Menschen bei dir wieder Opfer eines Einzelnen ( Ein wahrer Meister seines Faches, hatte er sein süß schmeckendes Gedankengift unmerklich in die Nervenbahnen, Gehirne und Herzen der Menschen eingeschleust) - ich versuchte dir in meinem Kommentar etwas anderes zu sagen.


melisane schrieb:
Findest Du diese generalisierende Bemerkung jetzt nicht ein bisschen zu einfach? Diese Mütter hat es sicher gegeben, heute wird das Problem doch eher in der Feminisierung der Jungs gesehen. Ein Problem, dessen ich mir durchaus bewusst bin.
Gewiß, melisane, sagen heute Mütter öfter mal, auch ein Junge darf weinen. Aber das sagen sie nur, wenn er sich selbst weh getan hat, nicht wenn er geschlagen worden ist. Okay, vielleicht sagen sie das dann auch, aber im gleichen Atemzug wird auf seine Wehrhaftigkeit appelliert – ich jedenfalls habe noch keine Mutter und keine Frau! kennengelernt, die einen Weichei gut fänden. Einen, der lieber wegläuft statt sich zu schlagen, straft diese Gesellschaft mit Verachtung – nicht nur in der Schule sind sie ein willkommenes Mobbingopfer.


melisane schrieb:
Wenn Du die Nadelgestreiften "männlich" interpretiert hast, lag das nicht in meiner Absicht. Ich bin sicher, Maggie und Condy haben ein Nadelstreifenkostüm im Schrank. Ich habe absichtlich nicht "Männer in Nadelstreifen" geschrieben.
Du hast recht, ich habe mit Nadelstreifen automatisch Männer assoziiert.

Dion

 

Hallo Dion,

Zur Erinnerung, melisane, die Frage lautet: Das Kind weiß offensichtlich, wer Hitler war bzw. was er getan hatte, und fragt jetzt die Mutter, ob sie Hitler tötete, wenn der heute noch leben würde. So klingt die Frage und so klingt sie falsch, gleichgültig, ob sie wirklich so gestellt worden ist.
Vielleicht bin ich jetzt grad zu blond, um Dein Problem mit dieser Frage zu verstehen. Also interpretiere ich jetzt einfach ein Problem mit der Grammatik hinein. - Und ja, sie wurde genau in diesem Wortlaut gestellt.

Ja, nur sind die Menschen bei dir wieder Opfer eines Einzelnen ( Ein wahrer Meister seines Faches, hatte er sein süß schmeckendes Gedankengift unmerklich in die Nervenbahnen, Gehirne und Herzen der Menschen eingeschleust) - ich versuchte dir in meinem Kommentar etwas anderes zu sagen.
Hier sind wir wieder bei der Gefahr der Falschinterpretation dieser Bildergeschichte. Oder bei der daraus entstehenden Möglichkeit einer anregenden Diskussion. ;) Für die Nadelgestreiften - der Alte ist nur ein Repräsentant dieser Gruppe - standen die Neocons Pate. Mich beschäftigt(e) dieser Zauberlehrling-Mechanismus, bei dem durch das Ausformulieren eines Paradigmas die Situation dann tatsächlich herbeigeführt wird - und politische Maßnahmen damit intellektuell gerechtfertigt sind.

Gewiß, melisane, sagen heute Mütter öfter mal, auch ein Junge darf weinen. Aber das sagen sie nur, wenn er sich selbst weh getan hat, nicht wenn er geschlagen worden ist. Okay, vielleicht sagen sie das dann auch, aber im gleichen Atemzug wird auf seine Wehrhaftigkeit appelliert – ich jedenfalls habe noch keine Mutter und keine Frau! kennengelernt, die einen Weichei gut fänden. Einen, der lieber wegläuft statt sich zu schlagen, straft diese Gesellschaft mit Verachtung – nicht nur in der Schule sind sie ein willkommenes Mobbingopfer.
Das ist mir zu polemisch, Dion. Wenn ein Kind Angst hat, sich zu wehren, dann ist vorher schon einiges schiefgegangen. Mobbingopfer sind IMMER Menschen mit einem schwachen Selbstvertrauen. Ich sehe meine Rolle als Mutter darin, das Selbstvertrauen meiner Kinder so weit zu stärken, dass sie erst gar nicht in solche Situationen kommen - oder selten. Sie können in diesen seltenen Sitationen dann nämlich selbst entscheiden, wie sie sich wehren. Durch Ignorieren, mit Worten, durch Zurückschlagen oder dadurch, dass sie meine Hilfe suchen. Ihnen Sicherheit und Vertrauen in sich selbst zu geben, macht sie stark und wehrhaft, keine Parolen.

Liebe Grüße
melisane

 

melisane schrieb:
Vielleicht bin ich jetzt grad zu blond, um Dein Problem mit dieser Frage zu verstehen. Also interpretiere ich jetzt einfach ein Problem mit der Grammatik hinein.
Nein, melisane, es ist ein grundsätzliches Problem: So wie die Frage gestellt ist, suggeriert sie, daß das Kind es für möglich hält, daß Hitler trotz seiner Taten heute noch frei rumlaufen könnte, denn nur dann hätte die Mutter eine Möglichkeit, Hitler gegenüberzustehen und ev. umbringen zu können – deswegen meine Betonung auf noch und heute. Korrekter müßte die Frage heißen: „Mama, wenn du damals leben würdest, würdest du ihn dann umbringen, wenn du die Möglichkeit dazu hättest?“ – ich habe jetzt absichtlich zwei Mal hintereinander „würdest“ geschrieben, um die Frage kindlich zu gestalten. ;)


melisane schrieb:
Hier sind wir wieder bei der Gefahr der Falschinterpretation dieser Bildergeschichte. Oder bei der daraus entstehenden Möglichkeit einer anregenden Diskussion. ;)
Falschinterpretation? Ich glaube kaum, denn deiner, von mir zitierter Satz sagt eindeutig: Das Volk wurde verführt. Mit anderen Worten, nicht das Volk ist schuld, sondern der Verführer. Und ich sagte in meinem Kommentar: Das Volk hat einen Führer gewollt und hat ihn in freien Wahlen auch bekommen.

Daß diese Aussage wahr ist, zeigten die ersten 7 Jahre nach dieser Wahl: Das Volk taumelte vor Begeisterung - Deutschland, Deutschland über alles –, es gab nur wenige, die auch die dunkle Seite gesehen hatten. Weil sie sie sehen wollten.

Auch das amerikanische Volk hatte vor 4 Jahren die Möglichkeit, nein zum Irakkrieg zu sagen. Aber sie haben Krieg gewählt, weil sie den Krieg wollten – der Bush sprach nur aus, was die Mehrheit dachte: Wie wollen Rache für WTC, egal wer, aber jemand muß dafür büssen. So ist es geschehen, und selbst als es später klar wurde, daß sie belogen worden sind, habe sie den Lügner Bush noch einmal gewählt. Weil sie wußten, daß sie gerne belogen worden sind. So ist das immer, das Volk steht treu zu seinem Führer, ob in Napoleons Frankreich, Hitlers Deutschland oder Bushs Amerika. (Ich bitte, sich nicht an dieser Aufzählung zu stören: Sie ist nicht als Vergleich gemeint).


melisane schrieb:
Das ist mir zu polemisch, Dion.
Gut, melisane, lassen wir das.

Dion

 

Ja, Dion, ist vielleicht besser so.

Gut, melisane, lassen wir das.

Dion


Mich beschleicht schon seit geraumer Zeit das Gefühl, ich müsste hier gegen etwas anschreiben, was nichts mit meiner Geschichte zu tun hat und daher auch nicht in diesen Thread gehört.

melisane

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo melisane!

Den Einstieg fand ich auch sehr bildhaft, allerdings wurde es mir dann etwas zu wirr und wild, sicher auch, weil ich mit vielen Bildern nichts anfangen konnte. Etwa die Nadelgestreiften. Als sich dann die „90-60-90“ an der Kanone reiben, habe ich diese als Barbie-Puppe identifiziert, wodurch die Nadelgestreiften zu Ken und einem seiner Plagiate wurden. :D
Mit den eingefügten Zitaten kann ich leider auch nicht viel anfangen – z. B. wer ist perfekt, ergreift von den Kindern Besitz und war eine gute Wahl?

Natürlich würde mich zum Beispiel auch interessieren, was die Mama denn da antwortet: „Mama, darf man einfach so ein fremdes Land überfallen?“ Aber anstelle einer Antwort schwenkst Du weiter zum Kuscheln mit Max und den Teddybären.
Auch bei den anderen Fragen dasselbe – weicht die Mutter all den Fragen aus? :confused:
Nachdem die schweren Geschütze kamen und der Kaktus unter Beschuss genommen wurde, lächelt sie beruhigt?

Die Sehnsucht nach der Klarheit der politischen Fronten kam zwar rüber, vielleicht flüchtet sie ja auch vor den Antworten, weil sie keine hat, weil das Erlernte heute nicht mehr paßt, aber das taucht nur so irgendwie auf und verschwindet wieder, während ich mich schon die ganze Zeit frage, warum sie denn ein Kriegsspiel mitspielt und die Kinder dann noch mit Naschereien belohnt, wo sie doch die Zeit der großen Friedensdemos, der Anti-AKW-Bewegung usw., aber auch Dinge wie Terror in Europa und vor allem in Deutschland miterlebt hat, und das offenbar nicht ohne politischem Bewußtsein, das sie jedenfalls behauptet, damals gehabt zu haben.
Auf die Frage, wann der dritte Weltkrieg kommt, landen wir wieder bei den Teddybären und beim Kuscheln, und dann singt sie ein Gemisch aus einem harmlosen Schlaflied und »Maikäfer, flieg!«, das die Kinder im Krieg gesungen haben.
Maikäfer, flieg!
Der Vater ist im Krieg,
die Mutter ist im Pulverland,
Pulverland ist abgebrannt …

Damals haben sie gewußt, wovon sie sangen. Die Väter waren an die Front, die Mütter in die Munitionsfabriken oder sonstige Kriegsdienste gezwungen. Es heute als Schlaflied zu singen, finde ich ziemlich makaber, fast, als sollte es eine Sehnsucht nach solchen Zuständen wecken.

Tja, ich dachte eigentlich, dass die Nicht-Antworten ausreichend im Text gegeben werden. Es geht ja nur vordergründig um die Ängste der Kinder, hintergründig geht es um das Gefühl der Ohnmacht bei der Mutter, die ja in einer ausgesprochen politischen Zeit aufgewachsen ist.
Die Kinder kamen bei mir nicht ängstlich an, eher so, als würde ihnen das Kriegpielen Spaß machen und als warteten sie darauf, daß der dritte Weltkrieg endlich kommt.
Als Ohnmacht kann man das gewiß bezeichnen – so ohnmächtig, daß sie selbst kumpelhaft mitspielt, sich einen Tarnanzug zugelegt hat, in den »Bunker« flüchtet und »Marschgepäck« dabei hat.

Würde sie Hitler umbringen?
Nein, sie würde ohnmächtig mitspielen.

Das Bild mit der Hydra im letzten Abschnitt steht symbolisch dafür, dass es immer genügend Mitmacher, Mitdenker und Mitläufer gibt, so dass der Mord eines Tyrannen und Krigestreibers wirkungslos bleiben wird.
Besonders, wenn man selbst mitläuft und sich einredet, man selbst sei ja nur ein Einzelner und ändert sowieso nix. Eine Masse besteht immer aus einzelnen Menschen, und ohne jeden Einzelnen wäre sie keine Masse, egal, ob es um die eine oder andere Seite geht.

- somit steht zu befürchten, dass diese, meine Botschaft nicht rüberkam.
Das befürchte ich auch, jedenfalls bei mir kam eine sehr schräge Botschaft an. Und ich habe das natürlich nicht aufgeschrieben, weil ich glaube, daß Du so denkst (etwa die Sehnsucht nach dem Krieg), sondern weil ich glaube, daß Du NICHT so denkst, es sich aber für mich leider so wie beschrieben liest.

Die Strippenzieher im Hintergrund, die Kriege dadurch rechtfertigen, dass Ängste geschürt werden. Ein Trick, der nicht erst in jüngster Zeit funktioniert hat, der aber natürlich durch die modernen Kommunikationsmedien mächtige Helfer gefunden hat.
Damit hast Du schon Recht, aber das geht für mich nicht aus dem Text hervor, vielmehr war ich überrascht, in Deinen Antworten solche Aussagen über Deine Intention zu finden.

»und schwenkten edle Gedanken über die Freiheit in bauchigen Gläser.«
– in bauchigen Gläsern.

Liebe Grüße,
Susi :)

 

Hallo Susi,

danke fürs Lesen und Kommentieren. Ich greif mal noch ein paar Punkte raus.

Den Einstieg fand ich auch sehr bildhaft, allerdings wurde es mir dann etwas zu wirr und wild, sicher auch, weil ich mit vielen Bildern nichts anfangen konnte. Etwa die Nadelgestreiften. Als sich dann die „90-60-90“ an der Kanone reiben, habe ich diese als Barbie-Puppe identifiziert, wodurch die Nadelgestreiften zu Ken und einem seiner Plagiate wurden. :D
Ich will mal großkotzig einige meiner Bilder als Allegorien bezeichnen. :D Als Beispiel die 90-60-90: Tapferkeit ist ja gemeinhin positiv belegt. In meiner Bildergeschichte beschreibe ich die verführerische Kraft dahinter mit dem klassischen Bild der Weiblichkeit. Denn niemand tut etwas motivationslos. Es braucht immer eine antreibende Kraft, einen emotionalen Trigger hinter dem eigenen Handeln - und ebenso hinter dem begeisterten In-den-Krieg-ziehen.

Ebenso stehen die Nadelgestreiften für diejenigen, die zu allen Zeiten - mindestens im Mittelalter - am Krieg verdient haben. Mit Dion habe ich ja bereits eine längere Diskussion zu diesem Thema geführt. :)

Mit den eingefügten Zitaten kann ich leider auch nicht viel anfangen – z. B. wer ist perfekt, ergreift von den Kindern Besitz und war eine gute Wahl?
Der Präsident? :Pfeif: Ich mache den Abschnitt noch ein wenig klarer.

Natürlich würde mich zum Beispiel auch interessieren, was die Mama denn da antwortet: „Mama, darf man einfach so ein fremdes Land überfallen?“ Aber anstelle einer Antwort schwenkst Du weiter zum Kuscheln mit Max und den Teddybären.
Auch bei den anderen Fragen dasselbe – weicht die Mutter all den Fragen aus? :confused:

Ich weiß, dass diese Tatsache für einige Leser unbefriedigend ist. Ich zitiere an dieser Stelle noch einmal mich selbst:

Die Gedanken der Mutter nur zu beschreiben, wäre zu einem platten politischen Statement geworden, wie wir es alle Tage bei einem Glas Rotwein absondern. So wurde es ein Versuch, den inneren Monolog und vor allem die Emotionen der Mutter zu transportieren. Ein "Ich hatte Angst." oder ein "Ich fühlte mich ohnmächtig." schien mir denn doch zu platt.

Ich wollte nicht platt irgendwelche politischen Statements absondern. Hätte ich Dialoge mit mütterlichen Antworten geschrieben, wäre es eine vollkommen andere Geschichte geworden. Dann hätte es auch einer Pointe bedurft, die es ja so bisher nicht gibt.

Nachdem die schweren Geschütze kamen und der Kaktus unter Beschuss genommen wurde, lächelt sie beruhigt?
Die Weisheit. Auch sie ist weiblich. ;)

Die Sehnsucht nach der Klarheit der politischen Fronten kam zwar rüber, vielleicht flüchtet sie ja auch vor den Antworten, weil sie keine hat, weil das Erlernte heute nicht mehr paßt, aber das taucht nur so irgendwie auf und verschwindet wieder, während ich mich schon die ganze Zeit frage, warum sie denn ein Kriegsspiel mitspielt und die Kinder dann noch mit Naschereien belohnt, wo sie doch die Zeit der großen Friedensdemos, der Anti-AKW-Bewegung usw., aber auch Dinge wie Terror in Europa und vor allem in Deutschland miterlebt hat, und das offenbar nicht ohne politischem Bewußtsein, das sie jedenfalls behauptet, damals gehabt zu haben.
Weil sie eine Mutter ist, die sich lieber mit ihren Kindern und deren Vorlieben auseinandersetzt, statt ihnen solche Spiele zu verbieten. An dieser Stelle muss ich vielleicht noch etwas Allgemeines sagen: Ich habe diese Geschichte zu einem Zeitpunkt geschrieben, wo ich nicht daran dachte, sie jemals jemandem zu zeigen. Sie besteht also aus meinen ureigensten Bildern - ohne Berücksichtigung des Leserverständnisses. Wenn jemand diese Bilder nicht selbst sehen kann, neigt er natürlich dazu, vieles wörtlich zu nehmen, was nur als Metapher oder Analogie in meinem Kopf war.

Seitdem ich hier bin, habe ich ja nun viele Kritiken gelesen und habe meine Unschuld verloren. :D Alle Plots, die ich im Kopf habe, werden seitdem auf Lesertauglichkeit überprüft.

Auf die Frage, wann der dritte Weltkrieg kommt, landen wir wieder bei den Teddybären und beim Kuscheln, und dann singt sie ein Gemisch aus einem harmlosen Schlaflied und »Maikäfer, flieg!«, das die Kinder im Krieg gesungen haben.

Damals haben sie gewußt, wovon sie sangen. Die Väter waren an die Front, die Mütter in die Munitionsfabriken oder sonstige Kriegsdienste gezwungen. Es heute als Schlaflied zu singen, finde ich ziemlich makaber, fast, als sollte es eine Sehnsucht nach solchen Zuständen wecken.

Das ist wieder so ein Textteil, den Du wörtlich genommen hast - mea culpa. Sie singt das Schlaflied eben gerade nicht. Max mag ja keine Kinderlieder. Dieses Lied ist Teil ihrer eigenen Kindheitsängste.

Die Kinder kamen bei mir nicht ängstlich an, eher so, als würde ihnen das Kriegpielen Spaß machen und als warteten sie darauf, daß der dritte Weltkrieg endlich kommt.

Hier ein Zitat aus der Geschichte als Antwort - und genau so habe ich es erlebt. :)

Jede Nacht kuschelten Max, Edwin und mindestens drei andere Bären in meinem Bett gegen die Ängste an. Ich liebte es, den warmen, verwundbaren Körper meines Sohnes neben mir kampflos atmen zu hören.

Besonders, wenn man selbst mitläuft und sich einredet, man selbst sei ja nur ein Einzelner und ändert sowieso nix. Eine Masse besteht immer aus einzelnen Menschen, und ohne jeden Einzelnen wäre sie keine Masse, egal, ob es um die eine oder andere Seite geht.
Und genau aus diesem Grund habe ich darauf verzichtet, Antworten zu geben. Ich wollte die Mutter nicht mit erhobenem Zeigefinger aus der Masse herausheben.

Das befürchte ich auch, jedenfalls bei mir kam eine sehr schräge Botschaft an. Und ich habe das natürlich nicht aufgeschrieben, weil ich glaube, daß Du so denkst (etwa die Sehnsucht nach dem Krieg), sondern weil ich glaube, daß Du NICHT so denkst, es sich aber für mich leider so wie beschrieben liest.

Danke Dir für Deine ausführliche Antwort. Ich lerne aus jedem Kommentar.

Liebe Grüße
melisane

 

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