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Spuren in der Nacht

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22.12.2008
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Spuren in der Nacht

Mein bester Freund wollte sich das Leben nehmen. Jetzt liegt er da, auf der Intensivstation, und kämpft ums Überleben. Ich warte schon seit Stunden darauf, dass sein Bewusstsein wieder zu ihm zurückfindet. Die Ärzte sagen, es sieht schlecht aus. Ein Sprung aus dem 10. Stock ist bekanntlich tödlich. Wäre nicht ein Auto just in diesem Moment unten durchgefahren, wäre die Sache klar gewesen. Der Autofahrer steht unter Schock, wie wir alle. Keiner hätte geahnt, dass es so schlimm um ihn steht. Dabei war er so vernünftig. Wir haben oft zusammen über den Tod gesprochen. Ich wollte ihn davon überzeugen, dass es nach dem Tod nicht fertig sein könne. Er hat mir dazu nur gesagt, dass man vor dem Leben ja auch nicht da gewesen sei. So würde es auch sein, wenns zu Ende ist. Somit war die Diskussion für ihn beendet. Jetzt liegt er da und die Dunkelheit die seine Seele still umschloss, dringt aus ihm heraus und erfasst den ganzen Raum. Kein Licht der Welt kann seine Trauer erhellen. Ich bin gefasst, soweit; gefasst. Er nimmt mich ein, in diesem Moment und ich weiss, er wird mich nie mehr los lassen. Ich will nur noch kurz mit ihm sprechen. Ihm sagen, dass ich nicht böse auf ihn bin. Ihm noch danke sagen, er war schliesslich da für mich und wenn er jetzt gehen will, dann ist das seine Entscheidung. Aber einfach so, ohne sich zu verabschieden, so kann man nicht gehen, finde ich. Er findet nicht. Auch nicht zurück. Ich stehe ganz alleine an seinem Bett. Und alle sind sie gekommen. Eltern, Kollegen, Freunde, auch ich. Wenn einer die Regeln bricht und einfach geht, dann fühlen sich die andern verletzt. Ich finde es ist gut zu gehen, wenn die Zeit da ist. Wenn sie da wäre. Aber sie ist vorbei. Seine Dunkelheit ist jetzt meine. Jetzt bin ich alleine und er auch. Er kämpft mit dem Tod. Er wird verlieren. Innere Blutungen, massig Brüche. Seine Menschenmaschine kämpft noch, doch er ist in weiter Ferne. Und dort bin ich auch. Die anderen stehen bei ihm, an seinem Bett, halten Wache bei seinem zitternden, schwitzenden Körper. Ich folge seiner Seele, denn ich kenne ihn. Kenne seine Wege, kenne seine Ängste, verstehe ihn. Aber das er so böse sein könnte, hätte ich nicht gedacht. Aber ich denke nicht, ich folge nur dem Schweif und der Stimme in der Nacht. Ich spüre ihn. Er kichert und lacht laut. Er sitzt geduckt, jetzt neben mir. Steht auf, schaut mich an. Zwinkert mit den Augen. Erkennt er mich? Er kennt mich nicht. Er entschuldigt sich. Klopft mir auf die Schultern, sagt zu mir: "Entschuldige du dich." Ich frage: "Wieso denn? Ich bin nicht der, der mit dem Leben bricht." Er hustet und zischt: "Ich weiss, wir haben viel Zeit verbracht, aber hier wo sie nicht mehr ist, spielt das keine Rolle. Für keinen von uns. Woher kennst du den Weg hierher?" "Ich folgte dir, ich kenne den Duft deiner Spur, ich rieche dich. Wollte dir sagen, komm zurück. Da wo ich herkomme wartet deine Mutter und dein Vater. Sie weinen. Da wartet auch dein Körper. Wir alle warten auf dich." Er schaut zu Boden. Er ist es nicht, den ich kannte. Er ist nur noch sein Schatten und sagt: "Du siehst, ich ebne den Weg, den auch du gehen wirst, vor dir, für euch. Ich wollte nach Hause, zurück dort hin wo ich herkam. Ich habe keine Eltern, ich war ein fremder auf dieser Welt. Doch diese Schattenwelt, in der ich selbst meine Nacht und der Schatten darin bin, ist nicht wahr. Du weisst, das ist nicht wahr." Ich stehe an seinem Bett halte seine Hand und flüstere in seine Ohren: "Ich bin da." Sein Körper durchdringt ein Schlag, seine Augen öffnen sich. Er starrt mich an. Seine Augen sind weit offen. Sein Körper ist starr. Eine Explosion. Das Licht ist zurück. Eine Energie, sein Leben, dieser wunderbare Mensch, er ist noch einmal da. Ärzte rennen herein, schubsen mich unsaft weg. Zucken den Defibrillator. Zählen auf drei, drücken ab. Ich dreh mich um und geh den Flur entlang. Sehe ihn schon von weitem. Er lehnt am Türrahmen und winkt mir zu. Er ist stumm, aber schön ist er da. Ich schau ihn müde an und weiss, das ist ein Bild von ihm, eingebrannt in meinen Kopf. Er ist weg und mir fällt auf, dass er schon lange weg ist. Schon sehr lange.

Sonnenschein. Alle in schwarz. Letzte Ehre für meinen Freund. Er weicht mir nicht mehr von der Seite. Geht neben mir her und ich hinter seinem Sarg. Alle geknickt. Alle voller Unverständnis. Er trotet unschuldig neben mir her. "Was hast du angerichtet?", frage ich ihn. "Ich gebe dir keine Schuld, Glück ist unmissverständlich und davon haben wir beide zusammen geträumt." Als wir ihn der Erde übergeben, geht auch das Bild von ihm.

 

Hallo cueqzapper,

deine Geschichte hat mir ganz gut gefallen. Sie ist gut geschrieben, und an einigen Stellen fand ich sie sprachlich sehr schön. Hier zum Beispiel:

Aber einfach so, ohne sich zu verabschieden, so kann man nicht gehen, finde ich. Er findet nicht. Auch nicht zurück.

Zum Inhalt: Ich hätte gerne ein wenig mehr über die beiden Freunde erfahren. Warum z.B. hat er sich umgebracht? Die Verbundenheit der beiden fand ich sehr gelungen dargestellt, auch dass er seinem Freund folgt. Auf mich wirkte der Erzähler allerdings erstaunlich abgebrüht und gefasst, er erzählt sehr distanziert, von Trauer ist wenig zu spüren.

Ein paar Fehler sind mir noch aufgefallen:

Wäre nicht ein Auto just in diesem Moment unten durchgefahren
wirklich durchgefahren?
Da wo ich herkomme wartet deine Mutter und dein Vater.
warten
Ich habe keine Eltern, ich war ein fremder auf dieser Welt.
Fremder
Ärzte rennen herein, schubsen mich unsaft weg.
unsanft
Er trotet unschuldig neben mir her.
trottet

Viele Grüße
Juschi

 

Vielen Dank für das nette Feedback

Lieb von dir die Geschichte durchzulesen. Sorry für die Fehler, aber ich bin wirklich erstaunt wie du die gesehen hast. (Deutschlehrer?)

Noch zum Inhalt: Die fehlende Trauer des Protagonisten hat für mich mit der Unmittelbarkeit des "Unglücks" zu tun. Er hat noch nicht realisiert, dass sein bester Freund stirbt. Er realisiert es erst als er an seinem Grab steht und sieht wie man seinen Sarg der Erde übergibt. Dann wird die Trauer folgen. Bis zu diesem Zeitpunkt steht er unter Schock.

Liebe Grüsse:

simon

 

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