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Spuren

sim

Seniors
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13.04.2003
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Spuren

Zwei Menschen gehen. Ab und an gesellt sich jemand zu dem einen oder dem anderen und begleitet diesen ein Stück.
Mal gehen sie leicht, mal haben sie Gewicht. Mal tragen sie es, mal fühlen sie sich beladen. Sie erklimmen Berge, mühen sich durch Täler, wandern am Strand das Meer entlang und am Ufer den Fluss.
Beide laufen durch Dörfer und Städte, über Gras und Asphalt, durch Wälder und Felder, über Kiesel und Fliesen, durch Schnee und Pfützen, über fruchtbare Erde und Scherben, durch Sumpf und über Steppen.
Nicht immer finden sie gleich das richtige Schuhwerk und zuweilen hat jeder den Eindruck von Knüppeln zwischen den Beinen oder von Lähmung.
Beide drehen sich manchmal um, betrachten die Spuren, die sie hinterlassen haben, rümpfen die Nase, schütteln den Kopf oder lächeln. Der Erste fegt sie sodann fort. Der Matsch auf den Fliesen, die Scherben, die Abdrücke im Sand, das zertretene Gras und selbst das zeitweise Lächeln sind ihm unangenehm.
»Wer bist du?«, fragt der Zweite, als die beiden sich treffen, und schaut nach dem Weg, den der Erste gekommen ist.
Der blickt zurück und findet keine Antwort.

 
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Hej sim,

der erste Satz lässt sich mMn auch so deuten, dass die beiden gemeinsam, nebeneinander gehen - zumindest ich habe ihn so ausgelegt und war erstmal etwas verwirrt.

Beide drehen sich manchmal um, betrachten die Spuren, die sie hinterlassen haben, rümpfen zuweilen die Nase, schütteln den Kopf oder lächeln darüber. Der Erste fegt sie fort.

Mir fällt dabei folgendes auf: wenn der Erste die hinterlassenen Spuren ansieht, hat er sie noch nicht weggewischt. Um das zu tun, müsste er zurückgehen (dann sind wieder neue Spuren entstanden) . . .

Das Ende gefällt mir. Es beinhaltet so viele Möglichkeiten. Keine Antwort finden, das ist immer eine gute Grundlage.

Viele Grüße
Ane

 
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Hallo sim,

Irgendwie stelle ich mir gerade die gleiche Frage, wie der zweite, der beiden Menschen: Wer - oder was - ist der andere?
Das Umherwandern mit den wechselnden Landschaften habe ich als Gleichnis für die Wechselfälle des Lebens begriffen und die Spuren scheinen mir für die Vergangenheit, beziehungsweise das Reflektieren über die selbe, zu stehen.
Aber wer ist der Mensch, der die eigene Vergangenheit auslöschen kann? Das kann wohl niemand.
Dann dürfte die einzig schlüssige Interpretation sein, dass er lediglich versucht, seine Vergangenheit auszulöschen, sie also verleugnet.
Aber warum kennt der andere ihn nun nicht mehr? Soll die Frage eine gewisse Enttäuschung symbolisieren? Möglich, schließlich sind beide ihren Weg gemeinsam gegangen und verleugnet der eine nun seine Vergangenheit, so legt er auch seine Verbundenheit zum anderen ab.
Tja, das ist bisher mehr eine Interpretation als eine Kritik, aber vielleicht hilft es dir, die Gedankengänge eines Lesers der Geschichte nachzuvollziehen. Schließlich habe ich meine gerade "live" mitgeschrieben.
Jetzt wo ich mir einen Reim auf die Geschichte machen kann, gefällt sie mir gut. Die Sprache die du verwendest ist auf das wesentliche beschränkt, schließlich transportiert die Geschichte hier mehr deine Überlegungen, als dass sie Selbstzweck ist. Trotzdem entsteht beim Lesen ein starkes Bild. Zwei Menschen die gemeinsam ihren langen Weg gehen und sich erst am Ende plötzlich entzweit trennen, das ist ebenso episch und bedeutungsschwanger, wie es auch persönlich ist.
Allerdings vermag deine Geschichte mich auch nicht in Begeisterung zu versetzen, was aufgrund der Kürze natürlich sehr schwer ist. Dafür fehlt einfach das weltbewegend Neue oder eben die wirklich stilistisch brilliante Umsetzung. Du merkst schon, ohne einen regelrechten Geniestreich kommst du mit solchen "Kürzergeschichten" bei mir über ein "gut" nicht hinaus. ;)


Gruß,
Abdul

 

Hallo Sim,

wie immer hat mir auch diese Innenansicht gefallen, dein Text sagt mir, dass es eine Person ist am Anfang und am Ende. Sie gehen gemeinsam und die Zeit verändert die eigene Person. Man schaut zurück, sieht die Spuren und fragt sich "Wer bist du?", der man einmal war, kann keine Antwort finden;wohl wahr wie kann er antworten, da er doch niemals mehr der sein kann, der er einmal war, auch wenn er zurück schaut, ist doch die Vergangenheit auch vergänglich.

Es ist wieder ein Text zum Innehalten. Von die darf ich es auch erwarten.:thumbsup:

Ganz liebe Grüße von Weltflucht

 

Lieber sim!

Am Anfang liest es sich tatsächlich, als gingen die beiden den selben Weg (»Ihr Weg führt«, und nicht »Ihre Wege führen«), während sie sich aber dann am Schluß erst treffen. Das irritiert mich etwas, da ich nicht weiß, ob es so beabsichtigt war, oder ob Du das übersehen hast.
Nun hab ich zwar für beide Varianten meine Interpretationsansätze, möchte aber erst auf Deine Antwort warten, bevor ich dann versuche, in die richtige Variante tiefer einzusteigen. (Bittebitte noch nicht auflösen … ;))

Daher jetzt erst mal nur kurz zu den Textanmerkungen:

»durch Morast, Sumpf und über festen Grund.«
– zuvor zählst Du bereits einige »feste Gründe« konkret auf, daher würde ich hier einen davon auswählen (z. B. das Pflaster oder die fruchtbare Erde) und anstelle von »festen Grund« schreiben.

»am Meer den Strand entlang und am Ufer den Fluss.«
– »am Fluss das Ufer« oder »das Ufer am Fluss«

»die Abdrücke in Sand«
– im Sand

Alles Liebe,
Susi :)

 

Hi sim

Hab diese kleine Geschichte schon gestern gelesen und sie hat mich nachdenklich gemacht und jetzt muss ich einfach meinen Senf dazu geben.
Der erste Satz, der bei vielen für Verwirrungen gesorgt hat, ist für mich so eigentlich verständlich. Es könnte ja gut sein, dass diese zwei Menschen schon die ganze Zeit miteinander gelaufen sind, aber nie den gleichen Weg (Ziele/Vorhaben) gewählt haben. Und beide haben auch unterschiedliche Spuren hinterlassen, also auch verschiedene Erfahrungen gemacht. Einer von beiden ist unzufrieden mit dem, was er bis jetzt gemacht hat, versucht seine Vergangenheit wegzuwischen, dabei stößt er auf die ganzen un/angenehmen Erfahrungen, die er gemacht hat. Und am Ende trifft er dann die zweite Person, den er entweder beabsichtigt treffen wollte oder sein Weg hat ihn zu ihm geführt.

Was mir an dieser Geschichte gefällt, ist, dass man die Figuren beliebig austauschen kann.
Es könnte eine Vater-Sohn- Geschichte sein, Bruder u. Schwester, Freunde, ein Liebespaar etc.
Die Geschichte könnte entweder das Leben dieser zwei Personen beschreiben oder einfach nur ihre Beziehung. Da bleibt dem Leser dann die Entscheidung, was er wählen möchte, denke ich.

So, jetzt zuviel Mist geredet dann ...

Cu JoBlack

 

Hallo Ane, du meinst, der Mensch kann nie die Spuren verwischen, da er damit neue Spuren legt? Nun, dann sind sie zumindest verfälscht. ;)
Ich hatte lange überlegt, ob ich die Verwirrung über den gemeinsamen oder getrennten Weg in Kauf nehme und mich dann dafür entschlossen, weil alles andere mir zu wortlastig schien. Auf Häferls einfache Lösung bin ich nicht gekommen.


Hallo AbdulAlhazred,

vielleicht kann niemand die eigene Vergangenheit auslöschen, so wie man eben schon beim Fegen auch wieder neue Spuren hinterlässt. Aber man kann sie verdrängen, so sehr, dass man sie nicht mehr weiß.
Egal, ob zusammen oder getrennt gegangen, der Zweite erkennt den Ersten nicht, weil fehlt, was ihn ausmacht: Die Erfahrungen, die das Jetzt bestimmen. Er mag einen Namen für ihn haben, beschreiben können, wie er aussieht, aber er weiß nicht, wer er ist.
Deine Gedankengänge helfen auf alle Fälle weiter. Die Sprache sollte auf das Wesentliche beschränkt sein, eher ist mir der Text noch zu lang. "Gut" reicht mir vollkommen. Schließlich übe ich so kurze Texte noch.

Hallo Weltflucht,

deine Lesart finde ich spannend. Ich hatte sie zwar nicht intendiert, aber sie ist absolut möglich. :)


Liebe Häferl,

wie schon weiter oben erwähnt, ich bin auf deine einfache Lösung nicht gekommen. Natürlich können sie auch denselben Weg gehen, sich aber erst zum Schluss treffen, sie können auch den gleichen Startpunkt und das gleiche Ziel haben, für mich waren sie aber beim Schreiben eher getrennt unterwegs


Hallo Jynx,

das Gleichnis, von dem du sprichst, kenne ich nicht. Mich beschlich beim Schreiben des Textes aber manchmal das Gefühl, er wäre eigentlich so naheliegend, dass ihn bestimmt schon mal jemand geschrieben hat. Schön, dass du so viel Raum für weitere Ideen, eigene Gedanken und Assoziationen gefunden hast, ohne dass es an Informationen zu fehlen scheint.


Hallo JoBlack,

deine Überlegung hatte ich zu dem verwirrenden Satz auch, ein Grund, warum ich es erstmal so belassen habe, aber verwirrend sollte es ja nicht sein. Letztlich gehen wir alle diesen Weg. Start und Ziel sind recht klar. Geboren werden, gehen, sterben.
Und du hast keinen Mist geredet, deine Gedanken gefallen mir.


Euch allen vielen Dank für eure Gedanken, für eure Anteilnahme und fürs Lesen.

Liebe Grüße, sim

 

Hallo sim,

Du könntest die Rhythmik des Textes glätten, am Anfang folgt eine unsortierte Liste von "durch" und "über", wenn Du diese sortiert, also "durch etwas, über etwas, durch etwas anderes, über etwas anderes..." würde es eine eigene Melodik erhalten, und Du bräuchtest "nur" umstellen, nichtmal streichen oder ergänzen :)

Ich muss zugeben, daß mich Dein Text (noch) nicht richtig erreicht, doch das tut meinem Bedürfnis nach Rückmeldung keinen Abbruch :Pfeif: zumal ich die Sprachmelodie sehe und geniesse. bis auf diese Stelle, wo es mir zu drüber ohne drunter geht :

Beide drehen sich manchmal um, betrachten die Spuren, die sie hinterlassen haben, rümpfen zuweilen die Nase, schütteln den Kopf oder lächeln darüber. Der Erste fegt sie sodann fort. Das zertretene Gras, die Abdrücke im Sand, der Matsch auf den Fliesen, die Scherben – selbst das zeitweise Lächeln darüber ist ihm unangenehm.

Und wenn "der Eine" so geschrieben wird, warum dann "der andere" ? Müsste dem nicht auch das Recht auf einen großen Buchstaben zustehen ?!

Grüße,
C. Seltsem

 
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Hallo sim,

ich bin nicht gerade der große "Interpretator". Um mich nicht beeinflussen zu lassen, habe ich keine andere Meinung gelesen.

Du beschreibst zwei Möglichkeiten, den Weg durch das Leben zu gehen. Die Spuren sind das, was wir hinterlassen, das, was wir erfahren, erleben, was uns prägt, Momente und Begebenheiten, aus denen sich unser ICH, unser Charakter, unsere Persönlichkeit geformt hat.

Die eine Möglichkeit ist es, ALLES davon zu akzeptieren, weil es einfach zum Leben dazu gehört. Das ist der Lebensweg mit den akzeptierten Höhen und Tiefen und der Erkenntnis, dass alles eine Berechtigung hat, alles irgendwie dazu gehört. Einer der sagt: "Als es mir zu heiß wurde, machte ich es mir eben auf der Schattenseite gemütlich." Oder: "Mir ist egal, ob das Glas halbvoll oder halbleer ist. Ich will wissen was drinnen ist!"

Den anderen Lebensweg geht der Vorsichtige, der nicht dazu steht, dass Spuren, Reste, Schmutz und Negatives zum Leben gehören. Er beseitigt (=leugnet) ständig. Und vergeudet sein Leben in ständigen Neuanfängen. Der verliert seine Wurzeln und seine Bindung. Eigentlich lebt er gar nicht wirklich, weil sein Leben kein sich fortsetzender Prozess, sondern nur ein Ansammlung lauter abgebrochener Versuche ist, mit denen er nicht gänzlich zufrieden war. Deshalb kann er letztendlich auch nicht die Frage beantworten, woher er kommt. Er weiß es eben nicht, weil er seine Orientierungsmarken und Meilensteine immer gleich wieder entfernt hat. Vor unbequemen Dingen im Leben hat er stets die Augen verschlossen. Nichts hinterfragt. Nichts erLEBT! Die Erinnerungen hängen frisch gewaschen, weiß und nichtssagend auf der Leine.

Das ist meine Interpretation deiner Gedanken/Worte. Ich bin ein Spurenfetischist. Meine Lebensgeschichte heißt "Spuren".

Da gab es eine Stelle im harmonischen Fluss der Worte, da bin ich immer wieder gestolpert:

Sie laufen durch Dörfer und Städte, durch Wälder und über Felder, am Meer den Strand entlang und am Fluss das Ufer.

Du meinst, dass sie am Stand und am Flussufer entlang laufen, richtig? Könntest du nicht schreiben: ... am Meer den Strand und am Flussufer entlang. Oder: ... am Meer den Strand entlang und am Flussufer.

Grüße von Rick

 

Auch ich habe manchmal Anwandlungen, sim, und lese die Texte nicht so wie sie geschrieben sind. :D Bei deinem Text zum Beispiel, habe ich zu keinem Zeitpunkt gedacht, es könnten wirklich 2 Menschen unterwegs gewesen sein – ich habe immer nur den einen gesehen. Einen, dem der eine Weg einmal leicht fällt, und andermal schwer. Einen, der sich manchmal selbst nicht versteht, der später sagt: Wie konnte ich bloß! – und versucht das Geschehen zu verdrängen.

Ich dachte, du hast dieses alte Problem* neu aufgerollt, aber nun steht in deiner Antwort, das Ganze ist wirklich so gemeint wie geschrieben. Nichtsdestotrotz ist der Text gut, wenn auch – trotz der Kürze – ein wenig wortlastig. Ich meine hier die beiden Sätze „Ihre Wege führen durch …“ und „Sie laufen durch …“, wo die Aufzählungen beliebig scheinen, zumal sich Fels und fester Grund ziemlich gleichen, und auch Matsch, Morast und Sumpf nicht gerade von Unterschieden strotzen.

Den zweiten Satz, also den mit „Sie laufen durch …“ würde ich streichen, mit dem vorhergehenden (und entschlackten) Satz verbinden oder ihn in Begegnungen mit Menschen umwandeln. Denn das fehlt in deiner Geschichte. Es sind Begegnungen mit anderen Menschen, die für einen Menschen wichtig sind – wo man lebt und was für Jahreszeit gerade herrscht, das ist ziemlich nebensächlich. Will sagen: Menschen können überall leben, doch nicht ohne andere Menschen.

Dion

* Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust.

 

Hej sim,

Nun, dann sind sie zumindest verfälscht.

ich würde nicht die Spur verfälscht nennen, weil sie ja als verwischte Spur auf ihre Art deutlich wäre, sondern eher die Handlung des Verwischens als eine Art Manipulation oder Fälschung bezeichnen.

So gesehen wird klar, dass eine Spur von einer Person immer nur indirekt verändert werden kann.

Viele Grüße
Ane

 

G'Nabend Sim!

So ein Horror-Kurzgeschichten-Marathon kann anstrengend sein; daher tut's gut, mal kurz einzukehren und etwas ... ernsteres zu lesen.

Ich geb's zu: Der Deutsch-Unterricht hat mich verdorben. Ich musste bei Deinem Text ziemlich schnell an die deutsche Geschichte und die Art der Deutschen denken, wie sie mit ihrer "speziellen" Vergangenheit umgehen - da wird ja auch ganz gerne der große Besen zur Hand genommen. Erinnern gibt's nur in Form von Bewältigen; und Bewältigen bedeutet nichts anderes als gezieltes Vergessen. Was zeigt der Blick zurück? - Nichts.

Auf diese Lesart wurde ich konditioniert: Finde den Bezug zur Deutschen Geschichte (zwischen '33 und '45), und es gibt 'ne eins! Das prägt. Auch wenn's nicht immer passen mag.

Ich dachte, ich steuere diese Lesart noch zu Deiner Sammlung bei. :)

Bis denne,
Fisch

 
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Lieber sim!

Natürlich können sie auch denselben Weg gehen, sich aber erst zum Schluss treffen, sie können auch den gleichen Startpunkt und das gleiche Ziel haben, für mich waren sie aber beim Schreiben eher getrennt unterwegs
Für mich machte das den Unterschied aus, ob es sich um eine Innensicht (inneres und anerzogenes Über-Ich), oder tatsächlich um zwei Personen handelt. Danke, daß Du das jetzt klargestellt hast.

Sooft ich sie auch lese, finde ich das Aufzählen der verschiedenen geologischen Bedingungen unbefriedigend und ungenau*. Gerade weil sie eben nicht wirklich für die Geologie stehen, sondern für die verschiedenen Lebenssituationen. Denn wenn der eine so frei ist, daß er zu seiner Vergangenheit stehen kann, der andere sie aber am liebsten ungeschehen machen würde, kann doch bis dahin nicht alles wirklich so gleich verlaufen sein. Vielleicht hatte z. B. einer immer die passende Ausrüstung (Unterstützung), der andere nicht?
Vor allem fände ich aber die Frage wichtig, ob jeder der beiden seinen Weg frei wählen konnte, oder ob einer vielleicht gedrängt wurde oder gar unter Druck gehandelt hat.

Die zweite Hälfte gefällt mir dafür aber umso besser. Ab da, wo sie sich umdrehen und die Spuren betrachten, lädt die Geschichte wirklich zum Interpretieren und Hinterfragen ein. Meine beiden ersten Versionen:

1. Dein Protagonist will seine Vergangenheit verbergen, weil er sich dafür schämt. Da aber jeder Mensch ein Produkt seiner Vergangenheit bzw. seiner Erfahrungen ist, bleibt nach dem Wegkehren auch nicht viel übrig, außer der Leere, in der er keine Antwort findet. – Genau hier fände ich es wichtig, zu wissen, ob er den Weg freiwillig gegangen ist. Jedenfalls meiner Erfahrung nach sind es meistens die Dinge, die man unter Druck gemacht hat (oder gar dazu gezwungen wurde), zu denen man nicht oder nur schwer stehen kann. Wobei dieser Druck ja kein direkter sein muß – aber das muß ich Dir glaub ich nicht erklären. ;)

2. Wenn Du aber die Wege ganz bewußt als gleich (wenn auch nicht gleichzeitig) beschreibst, könntest Du natürlich auch sagen wollen, daß es egal ist, ob es freiwillig war oder nicht – wenn man dazu steht, egal ob es gut oder schlecht war, kann man es auch in sich integrieren und damit umgehen. – Dem würde ich sogar voll und ganz zustimmen.
Was aber im Umkehrschluß heißt, daß man es sich selbst leichter macht, wenn man seine Vergangenheit und damit sich selbst nicht zu verbergen versucht. Dagegen, daß man das Produkt seiner Vergangenheit ist, kann man sich nicht wehren, indem man die Vergangenheit verbirgt, weil sie ja in einem drin ist. Erst, wenn man dazu stehen kann, wer man durch seine Vergangenheit geworden ist, kann man frei seinen weiteren Weg gehen, sich selbst verändern, denn man kann nur an einem Werkstück arbeiten, das man sieht und selbst in die Hand nimmt, auch, wenn es einem bislang noch nicht so recht gefällt. Sonst geht man schon allein unter dem Druck, seine Vergangenheit zu verbergen, weiterhin nicht den eigenen Weg, und dann sieht der Blick zurück in zehn Jahren noch immer nicht anders aus.

*Noch kurz zum »ungenau«: Den »festen Grund« hab ich ja schon in meinem ersten Posting erwähnt. Aber auch zu »sich leicht fühlen« fände ich »beschwert«, »belastet« oder »erdrückt« passender als »Gewicht haben« – wenn man »Gewicht hat«, steht das einem Sich-leicht-Fühlen nicht unbedingt im Weg. Da ist zwar in den Worten ein Gegenteil, aber nicht im Sinn dessen, was sie ausdrücken.
Auch mit Berge – Täler – Ebenen habe ich Probleme. Das Tal ist an sich eher eine Ebene, aber es gibt auch auf den Bergen Ebenen. Hier würde ich Dir eher Berge – Schluchten/Höhlen – Täler empfehlen.

Fischstaebchen schrieb:
Ich musste bei Deinem Text ziemlich schnell an die deutsche Geschichte und die Art der Deutschen denken, wie sie mit ihrer "speziellen" Vergangenheit umgehen - da wird ja auch ganz gerne der große Besen zur Hand genommen. Erinnern gibt's nur in Form von Bewältigen; und Bewältigen bedeutet nichts anderes als gezieltes Vergessen. Was zeigt der Blick zurück? - Nichts.
Der Vergleich gefällt mir auch gut, da dieses Verdrängen tatsächlich dem psychischen sehr ähnlich ist. In der Psychologie sagt man, was man verdrängt statt aufarbeitet, kommt immer wieder …

Liebe Grüße,
Susi :)

 

Hallo sim,

deine Geschichte hat mich zum Nachdenken angeregt. Sehr tiefgründig. Ich muss aber noch ein bisschen darüber nachgrübeln. :hmm:
Auch mich hat der erste Satz und das spätere Treffen verwirrt.

Ciao MiK :hmm:

 

So ihr Lieben,

es tut mir leid, dass ich erst jetzt dazu komme, zu antworten, aber ich wollte mir dafür auch Zeit nehmen.

Hallo C.Seltsem,

Du könntest die Rhythmik des Textes glätten
Ich hatte mich durchaus um eine Sortierung bemüht, habe die aber nach deiner Anregung noch einmal umgestellt. Und das Recht auf einen großen Anfangsbuchstaben räume ich dem Anderen gern ein, habe es aber in eine Aufzählung (der Erste, der Zweite) geändert.
Und die beiden "darüber" habe ich gestrichen.

Vielen Dank für die Anregungen.


Hallo Rick,

ich weiß gar nicht, was du hast, deine Interpretation ist doch prima. Und sie eröffnet mir die Erkenntnis, dass eigentlich ein Dritter in die Parabel gehörte, einer der rückwärts geht, entweder immer auf bessere Zeiten schaut oder die Vergangenheit als Entschuldigung betrachtet, nicht in die Zukunft gehen zu können. Aber das würde den Rahmen sprengen.
Die Stelle, an der du gestolpert bist, habe ich noch mal umgestellt.

Auch dir vielen Dank.


Hallo Dion,

wie bei Weltflucht auch schon geschrieben, finde ich die Lesart, es handelte sich um einen Menschen mit den berühmten zwei Seelen in der Brust interessant und nicht unmöglich. Denn niemand von uns ist wohl so strukturiert, dass er sich tatsächlich nur in einem meiner beinden Menschen wiederfindet.
Immer noch wortlastig? Den festen Grund hatte ich kurz vor deinem Kommentar gestrichen und bin gerade sehr erstaunt, dass er hier noch steht, in meiner Worddatei nicht mehr, obwohl Editionsvermerk hier und letztes Änderungsdatum der Datei (31.05.2007 um 15:19 Uhr) identisch sind. Wie dem auch sein, dann wird es jetzt anders. Ich habe noch mal kräftig umgestellt.
Interessant finde ich deinen Hinweis auf die Menschen, denn für mich schufen sie natürlich die Bedingungen, unter denen sie die beiden mal schwer, mal leicht fühlten. Sie gehören zu den Erfahrungen der Wege und Spuren dazu. Und sie verursachen Winter oder Frühling, Berge und Täler. Ich habe trotzdem mal versucht, es noch einzubauen.

Auch dir vielen Dank für deinen Hinweis und deine Gedanken :)


Hallo Ane,

ja, so hatte ich es geplant. Vielen Dank noch mal für die Rückmeldung.


Hallo Fischstäbchen,

deutsche Geschichte (und nicht nur deutsche) ist durchaus auch ein interessanter Gedankenansatz zu dem Text. Ähnlich wie bei meinem Kommentar zu Rick, stelle ich fest, es müsste dann einen dritten Menschen geben, der die Spuren sortiert und auf einige immer mit erhobenem Zeigefinger weist. Eine durchaus mögliche Interpretation.

Ebenfalls vielen Dank dafür :)


Liebe Häferl,

du hast dir eine Menge Gedanken gemacht, die ich in der Geologie erfasst habe, gerade deshalb sind die Wege so unterschiedlich. Ich habe es jetzt ein bisschen ergänzt, aber ich tendiere deutlich zu deiner Interpretation 2 inklusive Umkehrschluss. Wenn ich es als Parabel fürs Leben sehe, werden die Berge, die jeder vor sich hat, andere sein, aber es bleiben Berge. Und jeder wird mal freiwillig, mal unter Druck seinen Weg fortsetzen, dem einen begegnen vielleicht mehr Berge als dem anderen, einer wird vielleicht auf dem Berg geboren, ein anderer im Tal. Und der im Tal geborene mag eher dazu tendieren, seine Spuren zu verwischen, aber das Prinzip bleibt dasselbe. Wenn ich die Spuren auslösche, die ich gegangen bin, verrate ich in erster Linie mich selbst. Ich vernichte mich und auch andere können mich zwar äußerlich sehen, einen Eindruck von mir gewinnen, aber möglicherweise nicht erkennen, begreifen oder verstehen.

wenn man »Gewicht hat«, steht das einem Sich-leicht-Fühlen nicht unbedingt im Weg. Da ist zwar in den Worten ein Gegenteil, aber nicht im Sinn dessen, was sie ausdrücken.
genau diese Sinnspielerei hatte ich beabsichtig. Auch das habe ich mal ergänzt, damit es (hoffentlich) klarer wird.
Was die Berge, Täler, Ebenen betrifft, hast du natürlich recht. Für mich waren Hochplateaus hier auch Ebenen. Ich habe diese "Erholung" mal ganz gestrichen.

Auch dir noch einmal vielen Dank für deine tiefe Auseinandersetzung.


Hallo MiK,

es freut mich, wenn ich die Geschichte dich zum Nachdenken angeregt hat.
Ich hoffe, der Anfang ist jetzt etwas klarer.
Vielen Dank für dein Feedback.


Euch allen liebe Grüße, sim

 

Hallo sim,

ja, jetzt gefällt es mir sehr gut. Elegante Lösung.

Ciao

MiK

 

Hey MiK,

danke für die nochmalige Rückmeldung. :)

Lieben Gruß, sim

 
Zuletzt bearbeitet:

Lieber sim!

Der erste Teil liest sich jetzt viel besser, hast Du gut gemacht! :)
Außerdem freu ich mich, daß ich mit meiner Interpretation Deine Gedanken getroffen habe - besonders der Umkehrschluß ist ja sehr wichtig.

Beide laufen durch Dörfer und Städte über Gras und Asphalt, durch Wälder und Felder über Kiesel und Fliesen,
Beistriche vor beide "über".

Der Erste [...] der Zweite
Also meiner Meinung nach schreibt man das in dem Fall auch klein. Das steht zwar nicht direkt so im Duden, aber es steht bei Großschreibung immer dabei "dem Rang, der Reihenfolge, der Zählung" nach, während Du es hier wie "der eine und der andere" verwendest.

Der Erste fegt sie sodann fort. Das zertretene Gras, die Abdrücke im Sand, der Matsch auf den Fliesen, die Scherben – selbst das zeitweise Lächeln ist ihm unangenehm.
Ich lese das so, daß es sich bis zu den Scherben auf das Fortfegen bezieht, müßte also "den Matsch von den Fliesen" heißen. Andernfalls wäre es am Ende Mehrzahl.

Liebe Grüße,
Susi :)

 

Liebe Häferl,

ich hatte vergessen, den Thread zu abonnieren und so ist mir doch glatt deine Antwort durchgerutscht. Aber jetzt habe ich sie ja entdeckt.
Schön, dass du den ersten Teil jetzt besser findest. Die Beistriche hatte ich aus einem Denkfehler nicht gemacht, die beiden sollten in den Dörfern und Städten über Gras und Asphalt laufen. Aber dann hätte ich es anders aufziehen müssen. Kommas habe ich nachgeholt.

Dudenkorrktor möchte Erster und Zweiter groß geschrieben, das aber, weil er den Bezug zu den beiden Menschen nicht kennt. Da beide Wörter hier als Ersatz für die Satzgegenstände stehen, könnten sie mE groß geschrieben werden. Das Bezug nehmende Substantiv ist ja weit weg.

Ich lese das so, daß es sich bis zu den Scherben auf das Fortfegen bezieht, müßte also "den Matsch von den Fliesen" heißen. Andernfalls wäre es am Ende Mehrzahl.
Nein, es bezieht sich auf die Spuren um Satz zuvor. Der Folgesatz ist nur die Begründung für das Fortfegen. "den Matsch auf den Fliesen ist ihm unangenehm" wäre irgendwie nicht richtig oder?

Vielen Dank für deine Mühe und deine Gedanken und einen lieben Gruß, sim

 

Lieber sim!

Ja, eh - das Fortfegen der Spuren. Wenn ich lese "Der erste fegt sie sodann fort [die Spuren]", und dann beginnt eine Aufzählung, lese ich sie erst einmal automatisch so betont, als würde sie das zuletzt Gesagte näher ausführen (die Spuren fegt er fort, also das zertretene Gras, die Abdrücke im Sand, den Matsch auf den Fliesen, die Scherben). Funktioniert, wenn da "den Matsch" steht. Dann kommt ein (trennender) Gedankenstrich und die Formulierung "selbst ...", die ja nun einen ganz eigenen Hauptsatz erlaubt, der auch kommt.
Da nun aber "der Matsch" dasteht, könnte die Aufzählung natürlich auch dazu gehören, dann müßte es aber heißen "sind ihm unangenehm".
Mir persönlich gefällt die "den Matsch" + Einzahl-Variante besser, weil ich dann erstens den Anfang des Satzes nicht zuerst falsch betont habe und einfach weiterlesen kann, zweitens dadurch das "selbst das zeitweise Lächeln ..." noch mehr als Steigerung rüberkommt, während es sich in der "der Matsch"-Variante fast in die Aufzählung einreiht.

Alles Liebe,
Susi :)

 

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